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Ernst Joseph Grossmann * 1882

Andreasstraße 16 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
ERNST JOSEPH
GROSSMANN
JG. 1882
DEPORTIERT 1941
LODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET IN
CHELMNO / KULMHOF

Weitere Stolpersteine in Andreasstraße 16:
Marianne Grossmann, Heinz Grossmann, Gert Grossmann, Alice Insel

Alice Gertrud Insel, geb. Münzer, geb. am 19.3.1882 in Frankfurt a. M., ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Marianne Grossmann, geb. Münzer, geb. am 2.2.1883 in Frankfurt a. M., deportiert am 25.10.1941 nach "Litzmannstadt" (Lodz)
Ernst Josef Grossmann, geb. am 1.12.1882 in Wien, deportiert am 25.10.1941 nach "Litzmannstadt" (Lodz), am 15.5.1942 weiterdeportiert nach Chelmno, ermordet
Gert Grossmann, geb. am 4.8.1918 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach "Litzmannstadt" (Lodz)
Heinz Eugen Grossmann, geb. am 22.7.1913 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach "Litzmannstadt" (Lodz)

Andreasstraße 16 (Winterhude)

Alice Münzer, später verheiratete Insel, kam am 19. März 1882 als älteste der vier Töchter von Eugen und Adele Münzer, geborene Nahm, zur Welt. Die Eltern bekannten sich zum jüdischen Glauben. Nach Alice wurde Marianne am 24. Februar 1883 geboren. Adele und Eugen Münzer heirateten erst 1888. Am 26. Juni 1889 kamen Erna und am 5. Januar 1897 Lucie Frieda zur Welt. Alle Kinder wurden in Frankfurt a. M. geboren.

Adele Münzer, Alices Mutter, war am 19. Oktober 1865 in Frankfurt geboren worden. Alices Vater, der Kaufmann Eugen Münzer, starb bereits am 29. Januar 1902. Nach dem Tod ihres Mannes ließ sich Adele Münzer mit ihren Töchtern in Hamburg nieder. Sie wohnte in der Husumer Straße 21 in Hoheluft-Ost.

Alice Münzer heiratete den schon viele Jahre in Hamburg ansässigen, 1866 geborenen Tuchhändler Adolph Insel aus Berne im heutigen Landkreis Oldenburg. 1916 oder 1917 wurde Alice Insel zweimal in der "Irrenanstalt Friedrichsberg” aufgenommen. 1918 kam sie in die Villa Wilhelma in Ülsby bei Schleswig, ein privates "Heim für gemüts- und nervenkranke und aufsichtsbedürftige Frauen", dessen Aufnahmemöglichkeit auf 12 Heimbewohnerinnen begrenzt war. Die Art der Unterbringung deutet auf ihren Gesundheitszustand hin. Anscheinend ging es ihrer Familie bzw. ihrem Ehemann materiell so gut, dass der Aufenthalt in dieser gehobenen Einrichtung finanziert werden konnte.

Aus der Ehe von Adolph und Alice Insel ging der Sohn Eugen Julius, geboren am 26. Februar 1907 in Hamburg, hervor. Adolph Insel starb am 25. August 1922 in Hamburg, Husumer Straße 7. 1926 verließ Alice Insel das durchaus privilegierte Heim in Ülsby. Finanzielle Gründe Dürften dafür nicht maßgeblich gewesen sein, denn Alice Insel besaß aus der Erbschaft ihres verstorbenen Ehemannes noch Vermögen. Nach dem Ableben von Adolph Insel übernahm Alices Schwager Raphael Cohn die Pflegschaft für sie.

Alice wurde nun erneut in Friedrichsberg, inzwischen in Staatskrankenanstalt umbenannt, aufgenommen. Von Dezember 1930 bis Mai 1934 hielt sie sich in der Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn auf. Anschließend wurde sie in das Versorgungsheim Oberaltenallee und im Oktober 1938 in das Versorgungsheim Averhoffstraße verlegt.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4 (T4), eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Alice Insel kam am 18. September 1940 nach Langenhorn. Zusammen mit 135 weiteren Patientinnen und Patienten wurde sie am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel gebracht. Noch an demselben Tagen wurden die Menschen in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses in die Gaskammer getrieben und mit Kohlenmonoxyd ermordet. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Alice Insels Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Adele Münzer musste den Abtransport ihrer Tochter nicht mehr erleben. Sie starb am 1. Januar 1935. Ihre letzte Adresse lautete Oderfelderstraße 8 bei Simon.

Alices Schwester Erna Münzer heiratete den Kaufmann Raphael Cohn, geboren am 25. März 1873 in Znin im damaligen preußischen Regierungsbezirk Bromberg der Provinz Posen (heute Polen). Raphael Cohn war Inhaber der Firma Wilhelm Sonnenberg am Großneumarkt 24-26, einer Kurzwaren-Handlung. Neben dem Haupthaus in Hamburg bestanden Filialen in Lübeck und Harburg. Raphael Cohn beschäftigte in Hamburg etwa zehn Angestellte. Zu dem Hamburger Geschäft gehörte ein großes Warenlager mit vielen Nebenräumen, wertvollem Inventar und sehr viel Ware. Nachdem die Fenster während des Novemberpogroms eingeschlagen und die Warenbestände beschädigt worden waren, wurden die beiden Filialen am 10. November 1938 geschlossen. Sechs Gestapobeamte sperrten das Hamburger Hauptgeschäft zu, verbunden mit Drohungen für Gesundheit und Leben des Eigentümers. Sie verhafteten Raphael Cohn für mehrere Stunden. Ein sogenannter Treuhänder, Buchprüfer Friedrich Greve, wickelte das Unternehmen im Auftrag der Verwaltung für Handel, Schiffart und Gewerbe ab. Das Ehepaar Cohn wohnte zuletzt in der Eppendorfer Landstraße 48. Es flüchtete mit den beiden Töchtern Vera und Ilse am 30. Juli 1939 in die USA.

Lucie Frieda Münzer heiratete den 1893 in Gadebusch/Mecklenburg geborenen Kurt Hermann Lichtenstein. Das Ehepaar lebte in Hamburg. Hermann Lichtenstein betrieb eine Textilvertretung in der Straße Stadthausbrücke 15, ab etwa 1930 am Neuen Wall 50. Die Familie, zu der auch die 1927 geborene Tochter Marion Hanna gehörte, wohnte viele Jahre in der Beneckestraße 2. Die Familie Lichtenstein verließ Deutschland im Jahr 1935 und lebte dann in den USA.

Marianne Münzer heiratete den am 1. Dezember 1882 in Wien geborenen Kaufmann Josef Grossmann. Er handelte wie sein Schwager Raphael Cohn mit Kurzwaren am Großneumarkt 20, später betrieb er eine Parfümeriefabrik in der Dorotheenstraße 10. Aus dieser Ehe stammten der getaufte Heinz Eugen Grossmann, geboren am 22. Juli 1913, und Gert Grossmann, geboren am 4. August 1918, beide geboren in Hamburg. Die Familie lebte viele Jahre in der Andreasstraße 16 in Winterhude. Hier hatte auch Mariannes Mutter Adele zeitweise gewohnt.

Josef Grossmann war Anfang der 1930er Jahre wegen "betrügerischen Bankrotts" zu einer Strafe von einem Jahr Gefängnis verurteilt worden, die er im Juni 1934 verbüßt hatte. Es schloss sich eine Bewährungsfrist bis 15. Juni 1938 an. Nun übernahm seine Ehefrau Marianne das Unternehmen. Das Hamburger Adressbuch von 1939 weist Marianne Grossmann erstmals als Eigentümerin der Parfümeriefabrik ihres Ehemannes aus. Dieser war im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert und wurde 1941 aus der Haft entlassen. Beginn und Grund der Haft sind nicht bekannt. Josef Grossmann half anderen Juden bei der Auswanderung aus Deutschland. Die Flucht seines Sohnes Gert in die USA, die für den 19. November 1939 schon auf dessen Kultussteuerkarte vermerkt war, scheiterte jedoch. Marianne und Josef Grossmann sowie ihre Söhne Heinz Eugen und Gert Grossmann wurden am 25. Oktober 1941 in das Getto "Litzmannstadt” (Lodz) deportiert, Josef am 15. Mai 1942 weiter nach Chełmno. Keiner überlebte. Zur Erinnerung an diese vier Menschen und an Alice Insel liegen Stolpersteine in Hamburg-Winterhude, Andreasstraße 16.

Alices und Adolph Arons Sohn Eugen Julius, der in der Textilbranche als Vertreter tätig war, konnte zusammen mit seiner Ehefrau Marguit, geborene Brill, bei einem zweiten Auswanderungsversuch im Mai 1939 aus Deutschland nach England fliehen. Sie lebten später in den USA (s. Biografie Anna Brill in www.stolpersteine-hamburg.de).

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 314-15 Oberfinanzpräsident R 61/1940 (Alice Insel), R 616/1940 Alice Insel; 332-5 Standesämter 8130 Sterberegister Nr. 5/1935 Adele Münzer, 9797 Sterberegister Nr. 1938/1922 Adolph Aron Münzer; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 2080 Erna Cohn, 2979 Bertha Erna Cohn, 6589 Marianne Grossmann, 11904 Bertha Cohn, 19403 Lucie Lichtenstein; 351-12 I Amt für Wohlfahrsanstalten 19 Juden in Anstalten; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941; Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt a. M., Geburtsregister Nr. 939/1882 Alice Münzer; Auskünfte des Sanatoriums Dr. Schulze, Ülsby.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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