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Ursula Bohmann * 1935
Julius-Ludowieg-Straße 31 (Harburg, Eißendorf)
1943 eingewiesen
'Heilanstalt' Eichberg
ermordet 23.09.1943
Ursula Bohmann, geb. am 27.12.1935 in Harburg, eingewiesen in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" am 7.8.1943, ermordet am 23.9.1943
Stadtteil Harburg-Altstadt, Julius-Ludowieg-Straße 31
Ursula Bohmann war die zweite Tochter ihrer Eltern Heinrich Wilhelm und Martha Amanda Bohmann, die seit mehreren Jahren in Harburg lebten. Ihr Vater arbeitete bei den Harburger Eisen- und Bronzewerken (heute: Harburg-Freudenberger Maschinenbau GmbH) in der Seevestraße 1. Die Behörden stuften ihn als "Gelegenheitstrinker" und "asozial" ein. Ursulas Mutter galt dagegen als "ordentliche, rechtschaffene Frau". Sie stammte aus Ostpreußen und war das jüngste von sechs Kindern. Nach ihrer Schulentlassung hatte sie zunächst im Haushalt gearbeitet. Im Alter von 23 Jahren war sie häufig von Krämpfen geplagt worden, die sich nach entsprechender medizinischer Behandlung aber wieder gelegt hatten.
Ursula Bohmann litt ebenfalls unter epileptischen Anfällen. Im Alter von zwei Jahren konnte sie zwar laufen, aber noch nicht sprechen. Vor allem jedoch war sie ein sehr unruhiges Kind, das viel Aufmerksamkeit verlangte. Das veranlasste die Eltern, beim Fürsorgeamt um Hilfe zu bitten. Eine Harburger Fürsorgerin, die daraufhin die Familie besuchte, vermerkte anschließend: "Durch ihre unaufhörliche Bewegungsunruhe ist Ursula eine große Belastung für die Angehörigen, der die Eltern auf Dauer nicht gewachsen sind. … Die Eltern bitten um ärztliche Untersuchung und um evtl. Unterbringung in Alsterdorf."
Das Harburger Jugendamt reagierte prompt. Drei Tage später stellte der leitende Oberarzt für Psychiatrie und Neurologie in seiner Diagnose fest, dass es sich bei Ursula Bohmann "um ein leicht mongolid stigmatisiertes Kind mit hochgradiger Bewegungsunruhe [handelt] … Aufnahme in eine Pflegeanstalt – Alsterdorf – ist daher unbedingt nötig, und zwar möglichst sofort."
Am 16. November 1939 wurde Ursula Bohmann in den damaligen Anstalten in Alsterdorf aufgenommen, die Pastor Heinrich Matthias Sengelmann im 19. Jahrhundert für körperlich und geistig behinderte Menschen gegründet hatte, um "in den Armen und Elenden, in den geringsten Brüdern, Christum [zu] sehen und sie um seinetwillen und nach seinem Vorbild [zu] lieben."
In den 1930er Jahren verloren die damaligen Alsterdorfer Anstalten das hehre Ziel zunehmend aus den Augen. An die Stelle der individuellen pädagogischen Förderung behinderter Menschen trat der Glaube an die angeblichen Segnungen einer pseudowissenschaftlichen Erbbiologie und einer rigorosen "Rassenhygiene" zum Wohle eines gesunden Volkskörpers. Von dieser therapeutischen Aufbruchsstimmung war auch der damalige Leitende Oberarzt der Krankenanstalten Gerhard Kreyenberg ergriffen. Für ihn war "Schwachsinn" eine Krankheit, die nach gründlicher ärztlicher Diagnostik mit medizinischen Mitteln therapiert werden könne. So wollte er nicht nur dem Einzelnen helfen, sondern den ganzen "Volkskörper" heilen. Als dies nicht zum gewünschten Ergebnis führte, sah er in der Selektion der nicht mehr Heilbaren einen Ausweg.
In der Eingangsuntersuchung diagnostizierten die damaligen Alsterdorfer Ärzte bei Ursula Bohmann "Schwachsinn" und "Epilepsie". Sie musste täglich gefüttert werden und lag den ganzen Tag über angebunden in ihrem Bett, worüber ihre Mutter sich beim Landesjugendamt beschwerte und ihre Entlassung beantragte, womit sie auch vorübergehend Erfolg hatte. Als der zuständige Amtsarzt bei einer psychiatrischen Nachuntersuchung des Mädchens allerdings eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes feststellte, wurde das sechsjährige Kind im Sommer 1942 erneut als "dringender Bewahrfall" eingewiesen.
Im Juli 1943 nahm Pastor Friedrich Lensch, der damalige Leiter der Alsterdorfer Anstalten, die schweren Bombenangriffe auf Hamburg zum Anlass, um 469 Patientinnen und Patienten seines Hauses in andere Einrichtungen abtransportieren zu lassen. Nachdem auch einige Häuser der Alsterdorfer Anstalten kleinere Bombenschäden erlitten hatten, bat er die Hamburger Gesundheitsbehörde um die Verlegung von 750 Bewohnerinnen und Bewohnern. Sofern die frei werdenden Räume noch bewohnbar waren, war daran gedacht, sie anschließend als Notunterkünfte für ausgebombte Zivilpersonen zu nutzen. Der Hamburger Gesundheitssenator entsprach der Bitte und ordnete die weiteren Maßnahmen zur Umsetzung der versprochenen Hilfe an.
Ursula Bohmann befand sich unter den 76 Männern und Kindern, die am 7. August 1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" im Rheingau deportiert wurden. Auf ihrer Krankenakte wurde der Vermerk eingetragen: "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind."
Die "Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg" in Hessen war eine derjenigen Anstalten, die eng mit dem "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten verwoben waren. Der leitende Arzt der Einrichtung, Friedrich Mennecke, gehörte als Gutachter bei der T4-Zentrale in Berlin und Leiter diverser Ärztekommissionen zu den entschiedenen Befürwortern und Vollstreckern dieses Mordprogramms. In der ersten Phase der Krankenmorde diente die "Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg" als eine der zahlreichen Stationen, an denen die Selektierten gesammelt wurden, bevor sie den Weg in die Gaskammern der nahe gelegenen Tötungsanstalt Hadamar antraten.
Nach dem offiziellen Stopp dieser Phase des nationalsozialistischen "Euthanasie"-Programms wurde auch in Eichberg weiter gemordet. Hier blieben die Patientinnen und Patienten sich weitgehend selbst überlassen. Außerdem wurden sie mehr als mangelhaft verpflegt. Oft wurde dem Leben der Kranken durch Injektionen ein Ende gesetzt. Diese Methode war auf der 1940/41 eingerichteten "Kinder-Fachabteilung" der "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" entwickelt und später auch in anderen Abteilungen dieser Einrichtung eingeführt worden.
Die Alsterdorfer Patienten kamen, zusammengepfercht in einem Güterwagen, am 8. August 1943 in Hattenheim an und wurden dort "wie Vieh auf LKWs" verladen und zur "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" gebracht. Von den 28 Kindern dieses Transports wurden 20 sofort in die "Kinder-Fachabteilung" überwiesen, die übrigen acht folgten nach einem Umweg über die Abteilung für "Frauen-Beobachtung" einige Tage später. Als Ursula Bohmann am 23. September 1943 sterben musste, war sie noch nicht einmal acht Jahre alt.
© Klaus Möller
Quellen: Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Archiv der evangelischen Stiftung Alsterdorf, Krankenakte Ursula Bohmanns (V39); Wunder u. a., Kein Halten; VVN-BdA Hamburg (Hrsg.), Spurensuche.