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Anna Bollhagen, Oktober 1937
Anna Bollhagen, Oktober 1937
© Archiv Ev. Stiftung Alsterdorf

Anna Bollhagen * 1892

Bäckerbreitergang ggü. Haus Nr. 12 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
ANNA BOLLHAGEN
JG. 1892
EINGEWIESEN 1943
LANDESHEILANSTALT
MESERITZ-OBRAWALDE
ERMORDET 26.7.1943

Anna Bertha Marie Bollhagen, geb. am 22.8.1892 in Hamburg, eingewiesen am 30.7.1935 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, verlegt am 9.4.1943 aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die Landesheilanstalt Meseritz-Obrawalde, ermordet am 26.7.1943

Bäckerbreitergang gegenüber der Haus-Nr. 12 (Bäckerbreitergang 59a)

Anna Bollhagen wurde als drittjüngstes von insgesamt acht Kindern in der elterlichen Wohnung im Bäckerbreitergang 59a geboren. Ihre Eltern, der Postbeamte Carl Wilhelm Johann Bollhagen (geb. 3.5.1854) und Henriette Friederike Dorothea, geb. Vesper (geb. 21.9.1867), hatten am 6. Mai 1887 in Kirch Lütgendorf in Mecklenburg-Schwerin geheiratet. Der jüngere Bruder Carl Friedrich Albert (geb. 30.1.1898) kehrte aus dem Ersten Weltkrieg nicht zurück, er starb am 3. September 1918 nach einer Verwundung in englischer Gefangenschaft. Eine Schwester starb bereits in jungen Jahren.

Anna Bollhagen besuchte die Volksschule und erhielt eine Ausbildung als Korsettnäherin. Sie lebte noch im Haushalt ihrer Eltern, als sie am 11. November 1933 aus dem Krankenhaus St.Georg wegen einer "Psychose" für sechs Wochen in die ehemalige Staatskrankenanstalt Friedrichsberg nach Hamburg-Eilbek kam. Eine erneute Aufnahme in Friedrichsberg erfolgte am 16. Mai 1935, diesmal mit der Diagnose "Epilepsie und Wahnvorstellungen".

Am 30. Juli desselben Jahres wurde Anna Bollhagen in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Sie wurde in einer Webklasse beschäftigt, wo sie sich Mühe gab "alles recht gut zu machen". Beim "Saubermachen" half sie unaufgefordert mit. Anna Bollhagen wurde zunächst in ihrer Krankenakte als ordentlich, stets freundlich und zufrieden beschrieben. Wurde sie gelobt, freute sie sich. Über ihre epileptischen Anfälle vermerkte das Pflegepersonal zu Beginn ihres Aufenthaltes: "Ihre Krämpfe treten plötzlich auf, scheint vorher nichts zu merken, sobald sie kann, arbeitet sie weiter, [sie] zeigt Willenskraft. Fragt manchmal: Habe ich Krämpfe gehabt?"

Im Laufe der folgenden acht Jahre nahmen Anna Bollhagens epileptische Anfälle an Heftigkeit und Häufigkeit zu. Sie wurde nun als sehr erregt und gereizt, unzugänglicher und misstrauischer beschrieben.

Aus ihrer Krankenakte ist zu entnehmen, dass sie allein im April 1938 34 epileptische Anfälle erlitt. Ihre persönlichen Beurteilungen fielen zunehmend negativ aus.

Als Anna Bollhagen durch eine Mitpatientin erfuhr, dass man ihr Luminal, ein Beruhigungsmittel, ins Essen gab, verschenkte oder verschüttete sie es. Zur Ruhigstellung erhielt sie auch "nasse Packungen", d.h. sie wurde in Tücher eingerollt, die sich beim Trocknen schmerzhaft zusammenzogen.

Nach mehreren Fluchtversuchen wurde Anna Bollhagen als Dauerpatientin im Wachsaal isoliert und im Bett angegurtet. Der leitende Anstaltsarzt Gerhard Kreyenberg (s. zu ihm in der Datenbank: www.hamburg.de/ns-dabeigewesene) urteilte: "Schwere charakterliche Veränderung, die sich bei ihr als Folge der Epilepsie eingestellt hat" und in einer Benachrichtigung an ihre Familie am 23. Februar 1943: "Leider hat sich der Zustand ihrer Tochter in den letzten Monaten so verschlechtert, dass ein Bleiben in den Alsterdorfer Anstalten nicht mehr möglich ist. Wir sehen uns deshalb gezwungen, sie in den nächsten Tagen nach Langenhorn zu verlegen."

Verlegt wurde Anna Bollhagen dann am 9. März 1943 zusammen mit weiteren sieben Frauen und Mädchen in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn. Dort beurteilte man sie ganz anders: "Ruhig und unauffällig, keinen Kontakt mit anderen Kranken. Äußerlich geordnet und selbstständig. Wunde am Kopf [sie hatte sich bei einem Anfall verletzt]. Wird mit Näharbeiten beschäftigt." Und knapp einen Monat später: "Wunde heilt gut ab. Pat.[ient] ist völlig unauffällig. Wird heute nach Meseritz verlegt."

Trotz der positiven Beurteilung "völlig unauffällig" kam Anna Bollhagen am 9. April 1943 in die Landesheilanstalt Meseritz-Obrawalde. Diese 1904 ursprünglich als Provinz-Krankenhaus erbaute "Heilstätte" im Bezirk Pommern hatte nach dem offiziellen Stopp der "Aktion T4" im August 1941 im Rahmen des "Euthanasie"-Programms, die Funktion einer Tötungsanstalt übernommen.

Die Selektion erfolgte durch den ärztlichen Leiter der Anstalt, Theophil Mootz, und die Anstaltsärztin Hilde Wernicke. Die Tötungen wurden durch das Pflegepersonal ausgeführt, meist durch eine Überdosis Morphium, Skopolamin, Veronal und Evipan in sogenannten Isolierkammern. Die Patienten starben aber auch an Entkräftung durch Hunger. Dem zuständigen Standesamt wurden falsche Todesdaten und natürliche Todesursachen gemeldet. Anna Bollhagen verstarb am 26. Juli 1943 an "gehäuften epileptischen Anfällen", wie es ihrer Familie 1955 auf Nachfrage schriftlich mitgeteilt wurde.

Seit 2009 erinnert eine Gedenktafel vor dem Walter-Behrmann-Haus der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll an die Deportation von 4097 Patientinnen und Patienten der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn. Zudem wurden im Oktober 2017 für 23 dort getötete Kinder Stolpersteine verlegt.


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Patientenakten der Alsterdorfer Anstalten, V 116 Anna Bollhagen; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 2/1995, 31305; StaH 332-5 Standesämter 2288 u 3373/1892; StaH 332-5 Standesämter 838 u 472/1918; Wunder: Karriere, S. 118; Wunder: Transporte, S. 377–382.

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