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Elfriede Chariner * 1877
Wandsbeker Stieg 31/33 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)
HIER WOHNTE
ELFRIEDE CHARINER
JG. 1877
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET 16.3.1942
Elfriede Chariner, geb. am 26.1.1877 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 in das Getto "Litzmannstadt" (Lodz), Tod am 16.3.1942
Wandsbeker Stieg 31/33
Am 27. Januar 1877 ging der Kaufmann Moritz Chariner zwei Mal zum Standesamt. Beim ersten Mal meldete er die Geburt seiner am Tag zuvor geborenen, noch namenlosen Tochter an, beim zweiten Mal ließ er für sie den Namen "Elfriede" eintragen. Die Mutter des Mädchens – und seine Ehefrau – war Laura, geborene Henschel. Beide waren jüdischer Religion, beider Großväter waren Kaufleute. Moritz Chariner stammte aus Lissa in der preußischen Provinz Posen und kam 1868 nach Hamburg. Laura Chariner war in Sagau in Niederschlesien zur Welt gekommen. Sie heirateten 1874 in Hamburg. Laura brachte im Abstand von jeweils einem Jahr drei Kinder zur Welt. Ihr erstes Kind, ein Sohn (geboren am 29. Februar 1876) starb noch im selben Jahr. Das zweite Kind war Elfriede (geboren am 26. Januar 1877), das jüngste der Sohn Herbert (geboren am 31. Januar 1878).
Elfriede und Herbert Chariner wuchsen in St. Georg und Hammerbrook auf. Als Laura Chariner am 29. Januar 1895 im Alter von 47 Jahren starb, lebte die Familie in der Banksstraße 8. Elfriede war gerade 18 Jahre alt geworden, Herbert vollendete zwei Tage später sein 17. Lebensjahr. Laura Chariner wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Ihlandkoppel in Ohlsdorf beerdigt.
Nach dem Tod der Mutter zogen der Vater, Elfriede und Herbert in die Böckmannstraße 14 in St. Georg. Herbert ging, vermutlich aus beruflichen Gründen, 1903 für ein halbes Jahr nach Frankfurt am Main.
Elfriede wurde Kontoristin und blieb ledig, während ihr Bruder wie seine Vorfahren den Beruf des Kaufmanns ergriff und eine Familie gründete. 1905 heiratete er Wanda Düyffcke, Tochter des Malers und Bildhauers Paul Düyffcke, dessen Familie zur evangelisch-lutherischen Kirche gehörte und im Nachbarstadtteil Borgfelde wohnte. Aus der Ehe gingen die Kinder Kurt, Werner und Wanda hervor. Wiederum starb das älteste Kind noch vor Vollendung des ersten Lebensjahrs.
Herbert Chariner blieb in Borgfelde wohnen und bezog mit seiner Familie eine Wohnung im Malzweg. 1910 starben sowohl sein Vater, als auch sein Schwiegervater Paul Düyffcke. Moritz Chariner wurde an der Seite seiner Frau auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt. Elfriede hatte bis zu seinem Tod bei ihm gewohnt.
1915 stand Elfriede Chariner erstmals mit einem eigenen Eintrag im Hamburger Adressbuch. Sie wohnte nun in der Hohenfelder Straße 15. Ihr Bruder Herbert, der als Musketier am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, kehrte verwundet zurück und wurde im Reservelazarett in Altona versorgt. Dort starb er am 19. August 1915. Seine Witwe Wanda gab die bisherige Wohnung auf und bezog in der Nachbarschaft ein Zimmer, die noch schulpflichtigen Kinder wurden außerhalb Hamburgs untergebracht. Nach Kriegsende mietete sie eine Wohnung in Oben Borgfelde. Dort richtete sie ein Pensionat ein und bestritt damit ihren Lebensunterhalt. 1928 meldete sie sich von Hamburg nach Altona ab, damals noch eine selbstständige preußische Stadt.
Elfriede Chariner zog 1919 innerhalb Hohenfeldes um. Sie mietete eine Wohnung im Wandsbeker Stieg 31/33, Haus 2, wo sie fast zwanzig Jahre blieb. Beruflich war sie zunächst als kaufmännische Angestellte tätig. Später arbeitete sie als Bibliothekarin, offenbar im Leseraum der "Ersten Kirche Christi, Wissenschafter, Hamburg", der ersten in Hamburg gegründeten Zweigkirche der Glaubensgemeinschaft Christliche Wissenschaft (Christian Science). Dieser hatte sie sich schon bald nach der Gründung im Jahr 1915 zugewandt und sich intensiv mit der Lehre der Gründerin Mary Baker Eddy beschäftigt.
Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und des Todes ihres Bruders verfasste sie einen Aufsatz mit dem Titel "Der Irrtum des Krieges". Er wurde in der Januar-Ausgabe 1921 des Herolds der Christian Science veröffentlicht, einer religiösen Zeitschrift, in der damals alle Artikel zweisprachig in Deutsch und Englisch erschienen.
In dem Aufsatz schrieb sie: "Und wenn er auch nach außen hin beendet scheint, so werden seine unheilvollen Wirkungen doch keineswegs mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages vernichtet. Ein Irrtum, der so lange Zeit das sterbliche Gemüt beherrscht hat, ist nicht mit einem Federstrich zu beseitigen, die unheilvollen Spuren, die während seiner Dauer – und auch heute noch – das klare Verständnis scheinbar verdunkelt, die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse verwischt und die ganze große Verwirrung in allen sittlichen Begriffen verursacht haben … Menschen sind nicht unsere Feinde; denn Mensch ist Idee des einen Gottes … Und wie der Mensch nicht unser Feind sein kann, können ebenso wenig ganze Völker unsere Feinde sein … Nur das Gute überwindet das Böse. Liebe, viel Liebe kann den Menschen wieder das Vertrauen zu einander geben."
Ein weiterer Artikel von ihr erschien in englischer Übersetzung unter dem Titel: "Substance and the Problem of Unemployment" ("Substanz und das Problem der Arbeitslosigkeit") in der Ausgabe vom 10. Dezember 1932 in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift "Christian Science Sentinel". In diesem wie in ihrem früheren Artikel wandte Elfriede Chariner die Lehre der Christlichen Wissenschaft auf die Probleme ihrer Zeit an.
1935 wurde Elfriede Chariner aufgrund der Nürnberger Gesetze zur Jüdin erklärt und musste ihre Berufstätigkeit aufgeben. Auch konnte sie ihre Wohnung nicht mehr halten. Sie zog als Untermieterin in den Hamelausweg 6 in der Jarrestadt zu dem Makler Leopold Levy. Dieser lebte in einer Mischehe. Als er am 30. September 1936 in das Martin-Brunn-Stift in der Frickestraße 24 zog, ging Elfried Chariner mit. Am 1. Juli 1939 wurde sie zwangsweise Mitglied im Jüdischen Religionsverband, zahlte aber für das Kalenderjahr keine Beiträge. Erst ab dem 26. Juni 1940 wurde sie für das laufende Jahr mit dem Grundbetrag von einer Reichsmark pro Monat veranlagt. 1941 erhielt sie eine monatliche Angestelltenrente von 91,80 Reichsmark, von der sie im Januar freiwillig den Mindestbeitrag für drei Monate im Voraus entrichtete. Diesen Betrag sollte sie auch 1942 zahlen, doch da war sie bereits deportiert.
Elfriede Chariners letzte Wohnadresse lautete Krochmannstraße 68. Dort erreichte sie und ihre Wirtsleute, Szlama und Alice Gersztenzang/Gerstensang sowie deren siebenjährige Tochter Helga (s. "Stolpersteine in Hamburg-Winterhude" und www.stolpersteine-hamburg.de) die Aufforderung zum ersten Transport "zum Aufbau in den Osten". Er verließ Hamburg am 25. Oktober 1941 mit dem Ziel Lodz. Familie Gersztenzang war staatenlos, wie rund zehn Prozent der diesem Transport zugewiesenen Hamburger Jüdinnen und Juden. Bei Elfriede Chariner fehlt in der Transportliste die Angabe der Staatsangehörigkeit. Im Getto von "Litzmannstadt" (Lodz) wurde sie getrennt von ihren früheren Wirtsleuten untergebracht.
Elfriede Chariner starb im Alter von 65 Jahren am 16. März 1942 im Getto, in der Blattbindergasse 5, Wohnung 8. Im Melderegister von Lodz steht sie fälschlicherweise unter dem Namen Chausirer. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof der Stadt Lodz beerdigt.
Stand: Mai 2016
© Hildgard Thevs mit Christof Krüger
Quellen: 1; 4; 5; StaH 332-5 Standesämter: 372 u. 193/1895; 1868 u. 380/1876; 1892 u. 354/1877; 1916 u. 59/1878; 3037+ u. 508/1905; 332-8 Meldewesen K 4329; 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2, Bd. 1; Maike Bruchmann, Alice, Chaim Szlama u. Helga Anni Gersztensang, in: Ulrike Sparr, Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. Biografische Spurensuche, Hamburg, 2008, S. 94ff.; Karla Malapert, Schreiben v. 12.3.2009 u. 26.10.2012; Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail v. 6.10.2012; Alter jüdischer Friedhof Lodz; Zeitschrift der Christlichen Wissenschaft, Januar 1921; http://sentinel.christianscience.com/issues/1932/12/35-15/substance-and-the-problem-of-unemployment (letzter Zugriff 10.12.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".