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Amtlicher Sprecher: Detlev Tams
Dr. Anton Carl Engelbert Decker * 1889
Mundsburger Damm 65 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)
Verhaftet 1936, 1937 und 1941
KZ Fuhlsbüttel
Polizeigefängnis Hütten
Flucht in den Tod
30.03.1941
Anton Carl Engelbert Decker, geb. 10.8.1889, inhaftiert 1936, 1937–1938, 1941, Selbstmord am 30.3.1941 im Polizeigefängnis Hütten
Mundsburger Damm 65
Engelbert Decker, der sich Egbert nannte, wurde als achtes von insgesamt neun Kindern des Joseph Decker und der Maria, geb. Wachtmeister, in Werne/Westfalen geboren. Er besuchte das Gymnasium und nahm in München ein Studium der Zahnheilkunde auf, das er 1912 mit der Note "gut" abschloss. Von 1913–1915 arbeitete er als Assistent in Vegesack bei Bremen, im Ersten Weltkrieg wurde er nicht eingezogen, sondern arbeitete im Zivildienst in einem Lazarett für Kieferverletzte in Münster/Westfalen.
1919 ging er nach Hamburg, wo er sich zum 1. Januar 1920 als selbstständiger Zahnarzt niederließ und wo er am 22. Dezember 1920 die Doktorwürde von der Medizinischen Fakultät der Hamburgischen Universität verliehen bekam. 1937 gab er für seine Hamburger Praxis am Mundsburger Damm 65 an, dass sie "so einigermaßen" gehe, "so daß meine wirtschaftliche Lage geregelt ist". Ob seine 1918 und 1932 klinisch behandelte Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit mit seiner homosexuellen Veranlagung in Verbindung standen, geht aus den überlieferten Akten der Staatskrankenanstalt Langenhorn nicht hervor. Jedes Mal fand Egbert Decker wieder zurück in ein geregeltes Leben.
Vom 16. bis 31. Oktober 1936 wurde Egbert Decker vermutlich erstmals wegen des Vorwurfs, homosexuelle Handlungen begangen zu haben, im KZ Fuhlsbüttel festgehalten, ohne dass es jedoch zu einer Verurteilung kam. Zu Fall brachte ihn am 18. Oktober 1937 erst die Anzeige eines Stabsheizers, der zuvor mit Egbert Decker sexuelle Handlungen gegen Geldzahlung vorgenommen hatte. Unmittelbar danach rief er die Polizei, um Egbert Decker festnehmen zu lassen. Dieser wies alle Anschuldigungen zurück. Das wenig plausible Verhalten des Stabsheizers, der außerdem in Deckers Wohnung einen schweren Diebstahl begangen hatte, bewahrte den Zahnarzt jedoch nicht vor der Festnahme und der Gestapo-Haft im KZ Fuhlsbüttel, wo er vom 19. Oktober bis 13. November 1937 festgehalten wurde. Danach folgte ein Aufenthalt in der Untersuchungshaftanstalt an der Holstenglacis und Verhöre im Hamburger Stadthaus. Kriminaloberassistent Mertens zufolge "spricht man nur gut von ihm und er soll auch ein guter Zahnarzt sein. Unter seinen Kunden finden sich sämtliche Berufe vor, also vom einfachen Arbeiter bis zum Professor". Engelbert Decker bezeichnete sich als homosexuell und wurde auf Grund seiner sexuellen Orientierung mehrfach in Polizei- und Justizakten erfasst, ohne aber verurteilt worden zu sein.
Am 22. April 1938 wurde er vom Amtsgericht Hamburg zu acht Monaten Gefängnis nach §175 verurteilt. Aus dem Urteil des Amtsgerichtsdirektors Erwin Krause: "Das Gericht ist der Auffassung, dass der Angeklagte hartnäckig leugnet und daher keineswegs irgendwelche besondere Milde verdient. Er als Arzt und einem gebildeten Stande angehörend, darf sich nicht erlauben, der Wahrheit derartig mit seinen Behauptungen ins Gesicht zu schlagen. Von einem ungebildeten Manne kann man wohl so etwas erwarten und es einem solchen nicht so verübeln wie dem Angeklagten, von dem man erwartet hätte, daß er mutvoll seine Tat eingestanden hätte". Nach Anrechnung der "Schutz"- und Untersuchungshaft wurde Decker acht Wochen später, am 24. Juni 1938, aus der Haft im Männergefängnis Fuhlsbüttel entlassen. Während seine Haushälterin und ein vertrauter Freund ihn in keiner Weise belasteten, versuchte seine Familie, ihn unter Vormundschaft stellen zu lassen. Hierzu mag auch Deckers Alkoholismus beigetragen haben. Ob diese Bemühungen Erfolg hatten, lässt sich den Akten nicht entnehmen.
Aufgrund des Gerichtsverfahrens wurde Engelbert Decker von der Hansischen Universität am 23. November 1938 der Titel "Dr. med. dent." aberkannt. Vermutlich ist ihm auch vom Hamburger Polizeipräsidenten die Approbation entzogen worden, darauf lässt Deckers Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg schließen.
Am 29. März 1941 wurde Engelbert Decker erneut festgenommen und ins innerstädtische Polizeigefängnis Hütten eingewiesen. Dieses Mal hatte ein Strichjunge seinen Name im Polizeiverhör preisgegeben. Am 30. März 1941, also nur einen Tag nach seiner Verhaftung, erhängte er sich mit seinem Leibriemen in der Zelle. Als ein von seiner Familie beauftragter Rechtsanwalt am 7. April 1941 beim Oberstaatsanwalt nach dem Verbleib Deckers fragte, war dieser bereits verstorben.
Vor seiner Praxis und seiner Wohnung am Mundsburger Damm 65 wird ein Stolperstein an sein Schicksal erinnern. Die Patenschaft für den Stolperstein hat die Hamburger Zahnärztekammer übernommen.
© Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann
Quellen: StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 5531/38 und 6908/42; StaHH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 a und 1 b; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16; StaHH, 364-5 I Universität I, L 50.6 Heft 22; StaHH, 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 955/41; StaHH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 1995/2, 19863; B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 204; Gert Eisentraut: Stolperstein für Hamburger Zahnarzt gesetzt. Dr. Engelbert Decker durch KZV Hamburg geehrt, in: Hamburger Zahnärzteblatt Nr. 5, Mai 2009, S. 8–9; Einen Stolperstein für Hamburger Zahnarzt gesetzt, in: Die ZahnarztWoche DZW, Ausgabe 20/09 vom 05.05.2009, S. 32.