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Emilie Ascher (geborene Blumenfeld) * 1858
Kurzer Kamp 6 (Hamburg-Nord, Fuhlsbüttel)
EMILIE ASCHER
GEB. BLUMENFELD
JG. 1858
ENTRECHTET / GEDEMÜTIGT
FLUCHT IN DEN TOD
19.7.1942
Emilie Ascher, geb. Blumenfeld, geb. am 20.8.1858 in Burgsteinfurt, gestorben am 19.7.1942 in Hamburg
Braamkamp 36 (Hamburg-Nord Winterhude) mit Tochter Alice Ascher und Margot Doctor
Kurzer Kamp 6 (Hamburg-Nord, Fuhlsbüttel)
Als Tochter von Jeanette, geb. Blumenfeld, und dem Kaufmann Feiber Itzig, wurde Emilie am 20. August 1858 in Burgsteinfurt geboren. Sie erhielt bei ihrer Geburt den Familiennamen ihrer Mutter. Über ihre Kindheit und Jugend ist nichts bekannt.
Emilie Blumenfeld heiratete am 3. September 1879 in ihrem Geburtsort den Kaufmann Gustav Joachim Ascher. Ihr Ehemann (geb. 3.7.1847) stammte aus Soldin; er war der Sohn des Kaufmanns Daniel Ascher und Louise, geb. Meyer.
Gustav Ascher war mit 27 Jahren nach Hamburg gekommen und hatte mit einem Gewerbeschein als Kaufmann am Neuen Wall 66 und einer Fabrik am Langenfelder Damm begonnen, sich eine Existenz aufzubauen. Die Firma Gustav J. Ascher war von ihm im September 1877 als Handelsfirma gegründet worden und laut Hamburger Börsenbuch seit 1910 eine "Agentur und Commission" für Futterartikel, Salpeter, Export in Kartoffelfabrikaten und Sirup, Börsenstand vor Pfeiler 29 und 30. Das Kontor befand sich im Zippelhaus 18. Die Mitgliedschaft in der Patriotischen Gesellschaft zeigt Gustav Joachim Aschers soziales Engagement. Emilie und ihr Ehemann gehörten der Deutsch-Israelitischen Gemeinde an. Emilie und Gustav Ascher bekamen drei Kinder. Alice, die einzige Tochter, wurde am 16. August 1880 im Mittelweg 30 geboren, Felix Daniel folgte am 27. März 1883 und der jüngste Sohn Richard Joachim kam am 18. Oktober 1888 in der Grindelallee 97 zur Welt.
Die Kinder wuchsen in Winterhude auf. Felix besuchte das Wilhelmgymnasium und studierte danach Architektur. Seit 1913 arbeitete er als selbstständiger Dipl. Ing. Architekt. Richard absolvierte die Reifeprüfung auf dem Realgymnasium des Johanneums und verfasste zum Abschluss das Buch "Abschiedkommers der Abiturienten des Johanneums zu Hamburg am Sonnabend den 2. März 1907".
Nicht nur die wirtschaftlich schwierige Zeit des Ersten Weltkrieges belastete die Familie, Emilie Ascher hatte einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften. Kurz vor ihrem 59. Geburtstag wurde sie Witwe. Ihr Ehemann hatte an einem Brustdrüsenkarzinom gelitten und verstarb am 25. Mai 1917, einen Monat vor seinem 70. Geburtstag, in der gemeinsamen Wohnung in der Sierichstraße 18. Otto Blumenfeldt aus der Elbchaussee 97, ihr Neffe, Sohn ihres älteren Bruders Bernhard Blumenfeld, stand Emilie Ascher zur Seite. Vier Tage nach Gustavs Tod fand die Einäscherung im Krematorium Ohsdorf statt und seine Asche wurde auf dem Friedhof im Familiengrabplatz P 26 II/III, Nr. 58, bestattet. Emilie Ascher übernahm nun in voller Verantwortung die Firma ihres Ehemannes und führte sie ohne den erst ein Jahr zuvor als Prokuristen eingesetzten Otto Wenck weiter. Es waren schwierige Jahre für die Firma in der Zeit des Zusammenbruchs des Ex- und Importhandels.
Nach Ende des Krieges musste Emilie Ascher am 11. September 1919 die Firma aufgeben; sie war 42 Jahre lang im Familienbesitz gewesen. Die Firma wurde von dem Kaufmann Johannes Rickertsen aus Blankenese übernommen, jedoch ohne die Verbindlichkeiten und Forderungen, die für Emilie Ascher weiterbestanden. Möglicherweise erhielt Emilie Ascher noch Anteile aus der Firma, da sie über Einkünfte verfügte. 1930 wurde die Firma im Handelsregister gelöscht.
Im Mai 1921 ließ sich die 62-jährige Emilie Ascher für Inlandsreisen einen Pass ausstellen. Nach der Beschreibung im Passprotokoll war sie mittelgroß, hatte braune Augen und graumelierte Haare.
Emilie Aschers jüngster Sohn Richard hatte in Berlin sein Studium mit Diplom und Dissertation abgeschlossen und arbeitete als Chemiker bei Stern & Sonneborn in Hamburg. Er trat am 6. Oktober 1921 aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde aus und zog aus Hamburg fort. In Berlin publizierte er 1922 ein Fachbuch über Schmiermittel für die Industrie, 1925 erschien es in Paris in französischer Sprache.
Emilies Sohn Felix Ascher wurde ein bekannter und zukunftsweisender Architekt. Bei dem Architektenwettbewerb für den Neubau der Synagoge, des Tempels in der Oberstraße, erhielt er den 1. Preis. Am 19. Oktober 1930 erfolgte die Grundsteinlegung. Gemeinsam mit Robert Friedmann, der den 2. Preis erhalten hatte, wurde das Haus für die liberale jüdische Gemeinde erbaut und am 31. August 1931 eingeweiht. Felix Ascher bewohnte mit der verwitweten Anna Karoline Hinrichsen, geb. von Gizycki, und deren drei Kindern die selbsterbaute Villa im Rabenhorst 12 in Wellingsbüttel.
Emilie Ascher hatte von 1906 an 25 Jahre lang in der Sierichstraße 18 gewohnt. Sie blieb in Winterhude, zog aber im März 1931 in den Braamkamp 36, zusammen mit ihrer Tochter Alice und deren Freundin Margot Doctor (geb. 4.5.1897 in Leobschütz, Oberschlesien) (siehe die Biographien in www.stolpersteine-hamburg.de). Die dort neu erbauten Wohnungen versprachen eine gesicherte Zukunft für das Alter. Die Wohnanlage der "Senator Erich Soltow Stiftung" im Braamkamp 34–44 war 1929 erbaut worden und wurde zumeist von alleinstehenden älteren Frauen bewohnt. Emilie Ascher bezog zwei Zimmer im 1. Stock rechts, ihre Tochter Alice zusammen mit Margot Doctor die Zwei-Zimmer-Wohnung direkt gegenüber; für Margot Doctor ist im Melderegister "Hausangestellte" angegeben. Alice Ascher arbeitete als Sekretärin bei Max Warburg am Mittelweg 17. Dort, in der Hilfseinrichtung der Warburg-Bank für Auswanderer, trug sie maßgeblich zur Unterstützung dieser hilfesuchenden, teils verzweifelten Menschen bei. Die angeschlossene Bibliothek und die Kulturabende mit Musik- und Schauspieldarbietungen
gaben etlichen jüdischen Menschen in der Zeit der Ausgrenzungen und Verfolgungen einen wichtigen Halt. Sie wurde deshalb "Oase" genannt.
Emilie Aschers Sohn Felix Ascher wurde am 12. April 1935 nach dem Beschluss der Reichskulturkammer als jüdisches Mitglied aus der Architektenkammer ausgeschlossen. Seine Arbeit wurde ihm dadurch unmöglich gemacht und er war gezwungen, seine Heimatstadt zu verlassen. Sein Haus übertrug er auf seine nichtjüdische Partnerin und er emigrierte 1938 nach England.
Auch Emilie Aschers Sohn Richard entkam wie sein Bruder der nationalsozialistischen Verfolgung durch die Emigration nach England.
Über die Jüdische Gemeinde wurde an Emilie Ascher ab 1940 zweimal im Monat eine Zahlung von 139,- RM überwiesen, eine Spende ihrer Tochter Alice. Zahlungen erfolgten noch, nachdem ihre Tochter schon deportiert war. Emilie Ascher musste erleben, wie Alice vor ihr dem als "Evakuierung" verschleierten Deportationsbefehl Folge leisten musste. Alice Ascher wurde zusammen mit Margot Doctor am 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert und ermordet. Alice Ascher war 61 Jahre und Margot Doctor 44 Jahre alt.
Fünf Monate später wurde Emilie Ascher aus ihrer Wohnung in dem Erich-Soltow-Stift verwiesen, wie auch Ella Nauen, Gertrud und Katharina Embden, Auguste Friedburg und Hanna Hirsch aus dem Rentnerheim. Emilie Ascher musste am 30. April 1942 zusammen mit Hanna Hirsch und Ella Nauen in das "Judenhaus" im Kurzen Kamp 6, in das Mendelson-Israel-Stift, einziehen. Der Aufenthalt dort war zugleich die Vorbereitung auf die Deportationen. Es ist anzunehmen, dass Emilie Ascher sich ihrer Deportation nach Theresienstadt entziehen wollte und sich am 19. Juli 1942, am Tag der Deportation, das Leben nahm. Sie verstarb im Israelitischen Krankenhaus kurz vor Vollendung ihres 84. Lebensjahres. Eine Akte "unnatürliche Todesfälle", wie sie bei anderen Hamburgerinnen und Hamburgern, die sich das Leben nahmen, angelegt wurde, konnte für Emilie Ascher nicht gefunden werden. Jedoch befindet sich ihr Name in der für die Gestapo geführten "Liste der während der Evakuierung durch Selbstmord verstorbenen Juden" vom November 1942. Laut Totenschein, ausgestellt von Rudolf Borgzinner, Arzt im Israelitischen Krankenhaus (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), war Emilie Ascher seit einem Monat bei ihm in Behandlung gewesen. Er bescheinigte die Todesursache als "Armphlegmone, Wundrose, Weichteilabzeß und Senium". Ihre letzte Ruhe fand sie neben ihrem Ehemann in dem Familiengrab auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Die Trauerfeier fand am 3. August 1942, einen Tag vor der Einäscherung, auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt. Am 7. August wurde sie beigesetzt, Grabplatz P 26, Nr. 57, zu Kopf.
Emilie Aschers Sohn Felix Ascher heiratete in London im September 1946 Anna Karoline Hinrichsen, geb. von Gizycki. Sie verstarb bereits drei Jahre später im Dezember 1949 in London-Islington im Alter von 62 Jahren. Felix Ascher ließ ihre Asche auf dem Familiengrab in Ohlsdorf bestatten. 1951 versuchte er wieder in Hamburg als Architekt Fuß zu fassen. Es gelang ihm nicht. Er verstarb im Dezember 1952 in London-Hackney im Alter von 69 Jahren. Auch er wurde im Familiengrab auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt, neben seiner Ehefrau, Grabplatz P 26, Nr. 59/II. An den einst zehn für die Familie Ascher reservierten Grabplätzen, heute angrenzend an den "Garten der Frauen", erinnert mittlerweile ein Findling an andere Personen.
Emilie Aschers zweiter Sohn Richard Joachim Ascher verstarb mit 75 Jahren im September 1964 in London-Ealing. Heute erinnert in Bergedorf noch der Ascherring an das Wirken von Felix Daniel Ascher – und sollte es auch für Emilie und Alice Ascher.
Stand: April 2023
© Margot Löhr
Quellen: 1; 4; 5; StaH, 111-1 Kriegssteuer, 23987 Emilie Ascher; StaH, 213-13 Landgericht Rückerstattung, 11735 Alice Ascher, 18176 Felix Ascher; StaH, 231-7 Handels- und Genossenschaftsregister, A1 Bd. 5 Nr.1313; StaH, 314-15 Oberfinanzpräsident, F 58 Felix Ascher; 314-15 OFP, R 1940/0061 Alice Ascher; StaH, 324-1 Baupolizei, K 10454; StaH, 331-5 Polizeibehörde, Unnatürliche Sterbefälle, 3 Akte 1942 Emilie Ascher; StaH, 332-5 Standesämter, Geburtsregister, 8949 u. 2856/1880 Alice Ascher, 8975 u. 1188/1883 Felix Ascher, 9040 u. 5438/1888 Richard Ascher; StaH, 332-5 Standesämter, Heiratsregister, 3491 u. 201/1924 Otto Blumenfeld u. Edith Tuch; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 9754 u. 1808/1917 Gustav Ascher, 8180 u. 341/1942 Emilie Ascher; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B III 61109 Gustav Joachim Ascher; StaH, 332-8 Meldewesen, A 24 Bd. 246 Nr. 12420; StaH, 332-8 Reisepassprotokolle, A 24 Bd. 246 Nr. 12420/1921; StaH, 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 6818 Felix Ascher; StaH, 352-5 Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen, 1917 Sta 3a Nr. 1808 Gustav Ascher, 1942 Sta 2a Nr. 341 Emilie Ascher; StaH, 376-2 Gewerbepolizei, Spz VIII C 10, Nr. 3467; StaH, 522-1 Jüdische Gemeinden, Abl. 1993, A 42; StaH, 741-4 Fotoarchiv, K 2350; StaH, Börsen Adressbuch A 909/0022 Nr. 11 1912/13, A 902/0017, 1926; StaH, 622-1/173 Plaut A5 "Das Sekretariat Warburg. Eine Oase für die Juden in Hamburg. Oktober 1938 bis Juni 1941", Erinnerungen von Robert Solmitz (Kopie) (1975); Hamburger Adressbücher 1877–1943; Auskünfte Petra Schmolinske, Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e. V., Familiengrab Ascher, Grablage P 26, Nr. 51–60; Archiv Friedhof Ohlsdorf, Beerdigungsregister, Feuerbestattungen, Nr. 1942/1917 Gustav Ascher, F 4370/1942 Emilie Ascher, A 221/1958 Felix Ascher; Grabbrief Nr. 92180/1917; Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, A/340090, Abschiedkommers der Abiturienten des Johanneums zu Hamburg am Sonnabend, den 2. März 1907, Hamburg 1907; Ulrike Sparr: Stolpersteine in Hamburg-Winterhude. Biographische Spurensuche, Hamburg 2008, S. 34 (Emilie Ascher).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".