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Charlotte Fraenkel (geborene Levy) * 1885

Hegestieg 14 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
CHARLOTTE FRAENKEL
GEB. LEVY
JG. 1885
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 26.11.1943

Weitere Stolpersteine in Hegestieg 14:
Wilhelm Bock, Ernst Fraenkel

Charlotte Fraenkel, 18.10.1885 in Berlin, geb. Levy, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dort am 26.11.1943 gestorben
Dr. Ernst Fraenkel, geb. 21.8.1872 in Rybnik/ Schlesien, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dort am 16.6.1943 gestorben

Hegestieg 14

Als Ernst Fraenkel 1872 geboren wurde, gehörte die Kreisstadt Rybnik seit einem Jahr zum gerade gegründeten Deutschen Kaiserreich, Unterabteilung Königreich Preußen, Provinz Schlesien (dem heutigen polnischen Slaskie), Regierungsbezirk Oppeln (Opole), im Südwesten des heutigen Polen, in der Nähe zur tschechischen Grenze. Wegen der ergiebigen Steinkohlelager in der Region hatte Fraenkels Heimatstadt im Verlaufe der Industrialisierung Preußens bereits einen kräftigen ökonomischen und demographischen Aufschwung genommen und wuchs noch weiter. Unter den 1890 im Landkreis Rybnik gezählten 80.927 Einwohnern waren Jüdinnen und Juden mit 1.065 Personen (1,3 Prozent) eine beachtliche Minderheit. Als evangelisch galten 3.104 Personen, aber mit 76.757 Personen bestimmten die Katholiken eindeutig das konfessionelle Bild des Landkreises.

In diesem Umfeld war Ernst Fraenkels Vater, Dr. Daniel Fraenkel, der örtliche Rabbiner. Seine Mutter hieß Julie und war Tochter des Berliner Rabbiners Rosenstein. Aus der Ehe gingen zwölf Kinder hervor, von denen einige besonders bekannt wurden: Dr. James Fraenkel (1859-1935), Psychiater, Mitbegründer der modernen Psychotherapie und des Berolinum (1890), der Privaten Heil- und Pflegeanstalt für Gemüts- und Nervenkranke in Berlin-Lankwitz, einer damals höchst fortschrittlichen Einrichtung; Max Fraenkel (1856-1926), Architekt, Regierungsbaumeister in Berlin und spezialisiert auf den Bau von Krankenhäusern und Sanatorien.

Fraenkels entschieden sich, auch den Sohn Ernst zur Höheren Schule zu schicken und ihm eine akademische Ausbildung fern der Heimat zu ermöglichen. Ernst studierte an der Universität München Medizin und schloss das Studium mit 26 Jahren am 7. März 1899 mit der Dissertation "Zur Frage der Verhinderung der Wasserresorption bei einer Aufnahme von Mucilagonosa" ab, einem Thema aus der Dermatologie. Bereits im Jahr zuvor hatte er die ärztliche Approbation bekommen: Dr. Ernst Fraenkel war Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten.

In Berlin setzte er die berufliche Laufbahn fort; dort lernte er Charlotte Levy kennen, Berlinerin, geboren 1885, Tochter von Gustav und Agnes Levy, aus wohlhabendem Elternhaus. 1906 wurde geheiratet. Er war nun 34, sie 21 Jahre alt. 1910 kam eine Tochter zur Welt, Stephanie. Sie blieb das einzige Kind und überlebte die Shoa im britischen Mandatsgebiet Palästina, wohin sie 1939 entkommen war. Warum die Familie gleich nach Ende des Ersten Weltkrieges, 1919, nach Hamburg wechselte, ist unbekannt. Aber sie scheint finanziell so gut gestellt gewesen zu sein, dass sich Ernst Fraenkel mit Familie und eigener Praxis in einer Achtzimmerwohnung in der Lübeckerstraße 101 niederlassen konnte, wo er Kassen- und Privatpatienten behandelte.

Er muss sehr fleißig und erfolgreich gewesen sein, Behandlungszeiten waren täglich von 8 Uhr bis 12.30 Uhr und von 16 Uhr bis 19 Uhr, an manchen Tagen kamen bis zu 80 Patienten. Er verdiente sehr gut, entsprechend gepflegt und großzügig war der Lebensstil der Familie, mit großer Bibliothek an Fachliteratur und Schöngeistigem, mit Bechstein-Konzertflügel, einem Pianola, umfangreicher Notensammlung usw. Zwar fraß die Inflation von 1923 das beträchtliche Vermögen auf, hauptsächlich Charlottes Mitgift, aber die Praxis lief weiterhin gut und die Familie musste auf häufige Reisen nach Italien, Spanien und in die alte Heimat Schlesien sowie auf die geliebten Konzert- und Theaterbesuche nicht verzichten. Auch Hausangestellte standen weiterhin zur Verfügung.

Die Situation änderte sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Am 1. Mai 1933 wurde jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Behandlung von Kassenpatienten untersagt. Die große Wohnung war nicht länger zu halten, Familie und Praxis zogen in eine kleinere Unterkunft, Lübeckerstraße 147. Um die Einbußen wenigstens zum Teil aufzufangen, weitete Ernst Fraenkel die Sprechzeiten am Abend um eine Stunde bis 20 Uhr aus, praktizierte dafür am Vormittag nur noch bis 12 Uhr, eine halbe Stunde weniger. So scheint es ihm gelungen zu sein, dank treuer Privatpatienten finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen und noch nicht ins Elend abzustürzen, wie es vielen anderen Jüdinnen und Juden bereits in den frühen Jahren der Diktatur erging. Das zeigen die Aufzeichnungen in der Kultussteuerkarte der Gemeinde: Im Jahr 1930 hatte er 1.280 RM an Kultussteuer bezahlt, 1931/32 waren es 1.457 RM, 1932/33 aber nur 421 RM, 1935 bereits nur noch 295 RM, 1937 noch 136,96 RM. Diese Zahlen entsprechen einer Entwicklung des Einkommens von etwa 11.500 RM im Jahre 1931/32 auf 2.400 RM im Jahre 1937.

Am 25. Juli 1938 wurde jüdischen Ärzten die Approbation zum 30. September aberkannt; in Ausnahmefällen wurden sie als "Krankenbehandler" für jüdische Patientinnen und Patienten zugelassen. Damit war Fraenkels Praxis zerstört, ein Platz mehr für einen "arischen" Hautarzt freigeräumt. Das Paar suchte sich erneut eine kleinere und billigere Wohnung und zog im Oktober in den Hegestieg 14 in Eppendorf. Während Tochter Stephanie das Land fluchtartig verließ, unternahmen die Eltern keinen derartigen Versuch. Er war inzwischen 66 Jahre alt, sie 53, und viel schlimmer konnte es ja kaum noch kommen, dachten sie.

Am 6. Dezember 1938 erging vom Oberfinanzpräsidium Hamburg an Fraenkels der Bescheid, eine "Judenvermögensabgabe" von 8.500 RM zu bezahlen.

Unausweichlich kam auch die "Sicherungsanordnung" über das Vermögen, womit ihnen (seit dem 3. März 1940) die Verfügung über die eigenen Konten und Wertpapierdepots entzogen war. Die Finanzbeamten gewährten einen Betrag von 350 RM, den Fraenkels jeden Monat von ihren eigenen Ersparnissen verbrauchen durften, um die Miete zu zahlen und den grundlegenden Lebensunterhalt zu bestreiten. Für Sonderwünsche, etwa eine Brille oder ein Medikament, war ein schriftlicher und begründeter Antrag bei der Finanzbehörde einzureichen. Seit dem 19. September 1941 mussten auch Fraenkels den "Judenstern" tragen.

Am 1. März 1942 kam die Zwangsumsiedlung aus der Wohnung in dem Hegestieg in ein Zimmer des "Judenhauses" in der Frickestraße 24. In diesen vollgestopften Sammelunterkünften verbrachten Juden die letzte Zeit vor der Deportation.

Im Mai kam der Befehl, sich für den 15. Juli auf die "Ausreise" in das Getto Theresienstadt vorzubereiten. Was sie an Mobiliar und Gegenständen noch gelagert hatten, ließen Fraenkels versteigern. Den kläglichen Erlös von 2.832,85 RM bekamen sie natürlich nicht ausgezahlt, die Auktionsfirma überwies den Betrag vorschriftsmäßig sofort auf das gesperrte Konto. Nach der Deportation zog der deutsche Staat Konto und Wertpapierdepot auf Mark und Pfennig ein. Diese Ausplünderung wehrloser Menschen mit Hilfe von Paragraphen, Polizisten und Bürokraten nannte die NS-Propaganda zynisch "Heimeinkauf" in einen Altersruhesitz. Den Fraenkels wurden auf diese Weise 10.031,04 RM geraubt.

Am 15. Juli 1942 fuhr der erste Hamburger Deportationszug nach Theresienstadt. Er umfasste 926 Personen. Dabei waren Ernst und Charlotte Fraenkel. Den Rest des Haushalts, den sie in der Frickestraße hatten zurücklassen müssen, versteigerte die Finanzbehörde und kassierte einen Erlös von 3.553,55 RM.

Unter den fürchterlichen Bedingungen des Lebens im Getto Theresienstadt starb Ernst Fraenkel nach 11 Monaten, am 16. Juni 1943, gegen 10.15 Uhr an " Adynamia Cordis – Herzschwäche" (Todesfallanzeige des Ältestenrats des Gettos Theresienstadt) im Alter von 71 Jahren.

Charlotte Fraenkel folgte ihm am 26. November. Sie wurde 58 Jahre alt.

© Johannes Grossmann

Quellen: 1; 2; 3; 5; 7; 8; AfW, 140610; StaH 314-15 OFP, F 553; StaH 314-15 OFP, F 554; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, Abl. 1993, Ordner 10, Heimeinkaufsverträge; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden, 992e2 Band 4; Königlich Preußisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für den preußischen Staat, Jahrgang 12, 1915; Biographisches Handbuch der Rabbiner, Broche/Carlebach (Hrsg.), 2004; Meyer (Hrsg.), Verfolgung 2006, S.70 ff; Auskünfte von Yoram Ehrlich, 4.4.2013; wikipedia zu James Fraenkel und Max Fraenkel (eingesehen am 5.4.2013).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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