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Berl Löwi * 1898

Bremer Straße 3 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
BERL LÖWI
JG. 1898
FLUCHT 1939 BELGIEN
INTERNIERT DRANCY
DEPORTIERT 1943
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Bremer Straße 3:
Szaja Neuwirth

Berl Löwi, geb. am 30.11.1898 in Kolomea, deportiert am 4.3.1943 von Drancy in das Lager Lublin Majdanek, ermordet

Stadtteil Harburg-Altstadt, Bremer Straße 3

Berl Löwi gehört zu den vielen Menschen, deren Leben von den Nationalsozialisten ausgelöscht wurde. Nur einige Stationen seines Lebensweges sind bekannt, während andere im Dunklen liegen, woran sich auch in Zukunft kaum etwas ändern dürfte.

Als Berl Löwi das Licht der Welt erblickte, lag seine Geburtsstadt an der östlichen Grenze des Kaiserreiches Österreich-Ungarn in dem Kronland Galizien. In der Stadt am Pruth wohnten Polen, Ukrainer, Juden, Rumänen, Slowaken, Ungarn und Deutsche, wobei die jüdischen Bewohner fast die Hälfte der Stadtbevölkerung stellten. Spannungen zwischen diesen ethnischen Gruppen waren latent präsent und flackerten vor allem in Krisenzeiten auf. Die Vertreter der Habsburger Monarchie taten wenig, um diese Lage zu verändern, und nutzen sie gelegentlich sogar zu ihren Gunsten aus, wenn es darum ging, ihrem Herrschaftsanspruch Geltung zu verschaffen.

Hinzu kam, dass die Zeit in Ostgalizien am Ende des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger stehen geblieben zu sein schien, wie ein Reisebericht aus jenen Jahren zeigt: "Kolomea war eine schmutzige Stadt. Schmalbrüstige Häuser, ganze Straßenzüge ohne Kanalisation und Beleuchtung, die Fahrbahnen schlecht geschottert und voll tiefer Löcher … Am 15. August wurde jedes Jahr ein großes Kirchweihfest gefeiert … Es war auch ein Festtag für Taschendiebe … und für Bettler, von denen es in der Stadt am Pruth mehr gab als in irgendeinem anderen Ort in Ostgalizien." Galizien war Österreichs Armenhaus, aus dem am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts riesige Auswanderungswellen nach Westeuropa und weiter in die Neue Welt Amerika schwappten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Kolomea eine polnische und nach dem Zweiten Weltkrieg eine ukrainische Stadt, was nicht ohne Konsequenzen für die Bevölkerungsgruppen blieb, die sich in den jeweiligen Grenzen dieser Staaten fremd fühlten.

Wann genau Berl Löwi seine Heimat verließ, ist nicht mehr zu klären. 1937 wohnte er laut Harburger Adressbuch als Mieter in einem Haus in der Bremer Straße 3, das Fanny Neuwirth gehörte. Dort verbrachte er auch in den beiden folgenden Jahren seine freien Abende und seine Sonntage, und dort dürfte er am 10. November 1938 auch die Schrecken der Harburger Pogromnacht erlebt haben.

Dass auch er sich in diesen Jahren nicht länger Hoffnungen auf eine bessere Zukunft hingab, lässt sein schneller Aufenthaltswechsel nach Belgien vermuten. Hier erlebte er am 10. Mai 1940 als jüdischer Flüchtling aus Hitlerdeutschland den Überfall der Wehrmacht auf dieses neutrale Land und die blitzartige Internierung aller `feindlichen Ausländer´ durch die belgische Regierung. Die Internierten wurden anschließend an die französische Grenze im Süden des Landes transportiert und in das benachbarte Frankreich abgeschoben. Von dort aus gelangten sie oft nach tagelanger Fahrt in eins der zahlreichen Internierungslager, in denen die französische Regierung im Süden des Landes `feindliche Ausländer´ unterbrachte.

Diese Lager waren nach dem Spanischen Bürgerkrieg im Jahre 1939 in aller Eile für die Menschen errichtet worden, die nach dem Sieg General Francos über die Pyrenäen in das benachbarte Frankreich geflohen waren, Die Lebensbedingungen in diesen Notunterkünften waren mehr als erbärmlich, und sie verschlimmerten sich noch einmal dramatisch, als jetzt noch weitere Flüchtlinge - vorwiegend aus dem Deutschen Reich, Österreich, Polen und Belgien und darunter vor allem Juden – hinzukamen. In den Holzbaracken war es im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt. Die Verpflegung reichte nicht. Diese Lager unterstanden auch nach der Kapitulation Frankreichs am 22. Juni 1940 weiterhin der französischen Polizei, die nach dem Abschluss der deutsch-französischen Waffenstillstandsverhandlungen eng mit den deutschen Besatzungsbehörden zusammenarbeitete.

Nach einem Attentat auf zwei deutsche Offiziere im Februar 1943 wurden die französischen `Kooperationspartner´ von Kurt Lischka, dem Kommandeur der deutschen Sicherheitspolizei in Paris, dazu aufgefordert, 2000 `abschubfähige´ Juden ausländischer Herkunft in Südfrankreich zu verhaften. Die Festgenommenen wurden anschließend in das französische Sammellager für Juden in Drancy bei Paris geführt und von dort am 4. März 1943 in das Vernichtungslager Sobibor und in das Konzentrationslager Lublin Majdanek im besetzten Polen deportiert.

Auf dieser Transportliste war auch der Name Berl Löwis verzeichnet.

Diesmal gab es für Berl Löwi kein Entrinnen. Dieser Transport brachte ihn an den Ort, an dem sein Leben gewaltsam beendet wurde.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Bundesarchiv (Hrsg.), Koblenz 2006; Yad Vashem. The Central Database of Shoa Victims´ Names: www.yadvashem.org; Hamburger und Harburger Adressbücher; Serge Klarsfeld, Vichy – Auschwitz. Die `Endlösung der Judenfrage´ in Frankreich, Darmstadt 2007; Martin Pollack, Galizien. Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina, 9. Auflage Leipzig 2001, http://www.nzz.ch/feuilleton/kurze-geschichte-langer-nachhall, eingesehen am 1.12.2017; https://de.wikipedia.org/wiki/Chronologie_der_Kollaboration der Vichy-Regierung beim Holocaust, eingesehen am 2.12.2017.

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