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Fanny Greif (geborene Muenz) * 1893

Rieckhoffstraße 5 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
FANNY GREIF
GEB. MUENZ
JG. 1893
ABGESCHOBEN 1938
RICHTUNG POLEN
FLUCHT 1939 BELGIEN
INTERNIERT DRANCY
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Rieckhoffstraße 5:
Rachel Rosa Abosch, Klara Ruth Abosch, Richard David Abosch, Benjamin Findling, Alfred Findling, Adolf Greif

Adolf Greif, geb. am 8.11.1887 in Vinnycia, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zba˛szy´n (Polen), Flucht nach Belgien, interniert in Drancy (Frankreich), am 2.9.1942 deportiert nach Auschwitz
Fanny Greif, geb. Münz, geb. am 21.3.1893 in Rozniatów, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zba˛szy´n (Polen), Flucht nach Belgien, interniert in Drancy (Frankreich), am 2.9.1942 deportiert nach Auschwitz

Stadtteil Harburg-Altstadt, Rieckhoffstraße 5

Als Abraham Chaim Adolf Greif in Vinnycia (Winniza) am Bug als Kind jüdischer Eltern geboren wurde, gehörte dieser Ort zur Donaumonarchie Österreich-Ungarn. Nach dem Ersten Weltkrieg wehten dort polnische Fahnen und heute besitzen die Menschen, die in diesem Teil Osteuropas leben, ukrainische Pässe. Auch Fanny Greif stammte aus einem jüdischen Elternhaus. In ihrem heute polnischen Geburtsort in der Nähe der Großstadt Łód´z herrschten in ihrer Kindheit die Statthalter des russischen Zaren.

Auf der Suche nach einer besseren Zukunft gelangten die beiden jungen Leute in die preußische Industriestadt Harburg, wo Adolf Greif 1918 im Alter von 31 Jahren zunächst in der Mühlenstraße 8 (heute: Schlossmühlendamm) ein Geschäft für Berufskleidung eröffnete, das er einige Jahre später in die (Harburger) Rathausstraße 3 verlegte. Mit ihren beiden Töchtern Lucy (geb. 12.4.1914) und Senta (geb. 20.9.1920) bezogen Adolf und Fanny Greif anfangs eine Wohnung in der Konradstraße 5 (heute: Rieckhoffstraße). Später spielte sich das Familienleben in einer großen, exquisit eingerichteten 6-Zimmer-Wohnung über dem neuen Geschäft unweit des Harburger Rathauses ab. Die neue Geschäfts- und Privatadresse spiegelte den schnellen beruflichen Erfolg, der auch dazu beigetragen haben dürfte, die gesellschaftliche Differenz zu den alteingesessenen Harburger Glaubensbrüdern und schwestern sichtbar zu verringern.

Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war für Adolf Greif mit tiefgreifenden Veränderungen verbunden. Sein Geschäft für Berufsbekleidung wurde ab 30. März 1933 auf Beschluss des Harburger Magistrats von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen und zwei Tage später von der NSDAP-Kreisleitung in den reichsweiten Abwehrboykott einbezogen, zu dem die Par­teiführung aufgerufen hatte.

Obwohl der öffentliche Boykott schnell wieder abgebrochen wurde, hielten die negativen Folgen an. Adolf Greif verlor in den folgenden Wochen und Monaten angesichts der ständigen antijüdischen Hetze viele Kundinnen und Kunden. Der Umsatz seines Geschäftes sank von 11450 RM im Jahre 1932 auf 8433 RM im Jahre 1933 und blieb auch danach ständig unter dem Niveau der Jahre davor.

Viele Harburger Jüdinnen und Juden verließen nach 1933 angesichts der zunehmenden Entrechtung und Ausgrenzung die Stadt, in der sie zuvor viele glückliche Jahre mit ihren christlichen Nachbarinnen und Nachbarn verbracht hatten. Nicht wenige verlegten ihren Wohnsitz in eine größere deutsche Stadt – in vielen Fällen nach Hamburg –, andere suchten außerhalb Deutschlands Zuflucht.

Ob und wie intensiv Adolf und Fanny Greif sich mit diesen Alternativen befasst haben, wissen wir nicht. Sie hätten mehr oder weniger alles zurücklassen müssen, was sie in den vielen Jahren davor mühsam aufgebaut hatten. Junge Jüdinnen und Juden waren angesichts der akuten Bedrohung und der finsteren Zukunftsperspektiven vielfach eher bereit, diesen Schritt zu wagen, wie auch das Beispiel Lucy Greifs zeigt, die kurz nach ihrer Heirat zusammen mit ihrem Mann in die USA auswanderte.

Ihre Eltern versuchten weiterhin, das Geschäft für Berufsbekleidung in der Harburger Rathausstraße zu halten. Mit ihrem geringen Verdienst als Stenotypistin trug Senta Greif zum Lebensunterhalt der Restfamilie bei. Alle drei gehörten zu den Hamburger Jüdinnen und Juden, die am 28. Oktober 1938 an ihrem Arbeitsplatz oder in ihren Wohnungen von der Polizei verhaftet und in großer Eile nach Polen abgeschoben wurden.

Nach dieser Vertreibung erkannte auch Adolf Greif mit Entsetzen, dass sein Besitz verloren war. Von einer Zukunft in Polen versprach er sich offenbar nicht viel. Anfang 1939 kehrte er auf legalem Wege noch einmal nach Harburg zurück, um jetzt eine Auswanderung in die USA zu beantragen. Nachdem er am 17. Februar den obligaten Fragebogen für Auswanderer ausgefüllt und eingereicht hatte, erließ die Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten gegen ihn eine "Sicherungsanordnung". Das Genehmigungsverfahren für die Emigration dauerte unendlich lange und wurde durch weitere Hürden zusätzlich verlängert. So monierte beispielsweise die Zollfahndungsstelle bei der Überprüfung des Umzugsgutes, dass Adolf Greif für den Erwerb einer Nähmaschine, die er ausführen wollte, ein falsches Datum angegeben hatte, und forderte ihn daraufhin zur Zahlung einer Dego-Abgabe (siehe Glossar) von 223 RM auf.

Mehr Glück war seiner Tochter Senta beschieden, die im Juni 1939 kurzfristig nach Harburg zurückkehrte und sehr schnell alle Auflagen für ihre Ausreise nach Newcastle on Tyne (Großbritannien) erfüllen konnte. Hier wurde sie von einer Familie als Hausmädchen aufgenommen.

Auch ihre Mutter erhielt im August 1939 noch einmal die Genehmigung für einen befristeten Aufenthalt in Deutschland. Als die Aussichten auf eine baldige Ausreise immer geringer wurden und die außenpolitische Krise in den letzten Augusttagen eskalierte, suchten Adolf und Fanny Greif ihr Heil in der Flucht nach Belgien. In den Unterlagen der Hamburger Jüdischen Gemeinde befindet sich der Vermerk, dass sie am 26. Oktober 1939 durch Flucht nach Belgien ausgeschieden seien.

Aber die Rettung war nicht von Dauer. Als die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 Belgien besetzte, flohen die Eheleute von Antwerpen nach Frankreich. Hier konnten sie sich offenbar in den zunächst unbesetzten Teil des Landes retten. Doch die Hoffnungen auf eine sichere Zuflucht erfüllten sich nicht, da die Vichy-Regierung die antijüdische Politik der deutschen Besatzungsbehörden anfangs bereitwillig unterstützte und eng mit ihnen zusammenarbeitete. Bereits im September 1940 wurde im unbesetzten Frankreich ein Gesetz erlassen, das die Internierung staatenloser Juden legitimierte und damit letztlich die Voraussetzungen für die Durchführung ihrer späteren Deportation schuf. Nachdem Adolf und Fanny Greif zunächst in einem Internierungslager bei Toulouse festgehalten worden waren, wurden sie Ende Oktober 1940 in das Lager Agde im Department Herault an der französischen Mittelmeerküste verlegt. In zwei erschütternden Briefen erfuhr Lucy Greif, welche katastrophalen Zustände in diesem Lager herrschten, und wie sehr die Eltern auf Hilfe von ihren Kindern hofften. Der Brief ihres Vaters vom 24. Dezember 1940 war das letzte Lebenszeichen, das Adolf und Fanny Greif ihren Kindern hinterließen.

Am 1. April 1942 wurden die Eheleute in das große Pariser Durchgangslager Drancy eingewiesen und von dort am 2. September 1942 mit dem 27. französischen Deportationstransport nach Auschwitz in den Tod geschickt. Bei der Selektion auf der Rampe wurden zehn Männer und 113 Frauen als Häftlinge in das Lager eingewiesen; die anderen 877 Transportteilnehmer wurden anschließend in die Gaskammern geführt, unter ihnen Adolf und Fanny Greif.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 2 (F 796, R 39/2904, R 1939/722, FVg 6031); 4; 5; 8; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 181187, 210393, 120414, 140920; StaH, 430-5 Dienststelle Harburg, Ausschaltung jüdischer Geschäfte und Konsumvereine, 1810-08, Bl. 89ff.; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Czech, Kalendarium, 2. Auflage, S. 294f.; Klarsfeld, Vichy – Auschwitz, S. 31ff.; http://www.exilordinaire.org/rubriques /?keyRubrique (eingesehen am 5.1.2010).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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