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Schura Grimmann
Schura Grimmann
© Gedenkstätte Theresienstadt

Schura Sascha Grimmann * 1903

Brauhausstraße 46 (Wandsbek, Wandsbek)


HIER WOHNTE
SCHURA SASCHA
GRIMMANN
JG. 1903
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1943 AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Brauhausstraße 46:
Selik Grimmann

Schura Sascha Grimmann, geboren am 8.10.1903, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, am 6.9.1943 nach Auschwitz weiterdeportiert, hier ermordet

Brauhausstraße 46 (Wandsbek, früher Holstenstraße)

Wir konnten nur wenige Spuren von Schura Grimmann (auch: Grimann) in den überlieferten Quellen finden. Ebenso wie bei ihrem Bruder Selik hat kein Angehöriger für sie einen Entschädigungsantrag gestellt oder ein Gedenkblatt in Yad Vashem ausgefüllt. Allerdings hinterließ sie unerwartete Spuren in Restitutionsforderungen Dritter und im Tagebuch eines anderen Theresienstädter Häftlings, des tschechischen Juden Willy Mahler.

Schura und ihr Bruder Selik Grimmann (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) kamen vermutlich Anfang der 1920er Jahre nach Deutschland. Sie waren beide in der Ukraine, damals Teil des zaristischen Russlands, zur Welt gekommen, Selik 1897 in Odessa und Schura sechs Jahre später in Podolien, in 300 Kilometer entferntem Obodovka (polnisch, Obodivka ukrainisch)
Wir wissen nicht, wer ihre Eltern waren und ebenso wenig, weswegen die Familie aus der Hafenstadt Odessa nach Podolien, in die jiddisch und polnisch geprägten Schtetlach gezogen war. Vermutlich wollte sie den blutigen Pogromen entfliehen, die ukrainische Nationalisten zwischen 1918 und 1921 unter der Leitung von Simon Petliura entfesselten, die mordeten, raubten und jüdische Frauen vergewaltigten. Am 10. Mai 1919 wurde die jüdische Gemeinde von Obodovka komplett ausradiert. Auch die nichtjüdischen Nachbarn beteiligten sich an den Morden: "Unsere Bauern, mit denen wir in vorigen Jahren in guten Verhältnissen gelebt hatten, halfen [den ukrainischen Soldaten] ... und beteiligten sich an dermaßen wilden Morden dass es schwierig ist, zu verstehen, was in sie gefahren ist", so ein überlebender Zeuge des Pogroms (überliefert von der Historikerin Elissa Bemporad).

Schura und Selik Grimmann gehörten zu den Überlebenden, die nach den Pogromen die Ukraine und die Sowjetunion verließen und sich in den USA, Großbritannien, Frankreich oder Deutschland niederließen. Die Geschwister gingen für einige Jahre nach Berlin und siedelten sich dann in Hamburg an. Möglich ist, dass sie über Hamburg weiterwandern wollten, vielleicht in die USA.

Bei der Suche nach Zeitzeugen, die sich noch an frühere jüdische Einwohner Wandsbeks erinnerten, erhielt Astrid Louven, die Biographin Selik Grimmanns, von einem Mitarbeiter des Heimatmuseums Wandsbek 1988 eine handgeschriebene Notiz über die Geschwister: "Der russische Jude Felix Grimmann aus Odessa wohnte lt. Adreßbuch 1928: Selck (!) Grimmann, Schneidermeister, Holstenstr. 46. Seine Schwester wohnte dort auch lt. Angabe meiner Mitschülerin, sowie eine Emma Voss mit 2 Kindern. Es waren Flüchtlinge des 1. Weltkrieges. Anfang der 30er Jahre verzog er nach Rahlstedt. Irgendwann soll er dann dort ‚abgeholt‘ worden sein. Ebenso ist über seine Schwester nichts bekannt."

Schura lebte also mit Selik Grimmann in der Holstenstrasse 46. Vermutlich arbeitete sie bereits als Friseurin, ihr Bruder war Schneider. Schura gehörte, anders als ihr Bruder, der Jüdischen Gemeinde Wandsbek an, aus der sie aber nach eigenen Angaben bereits vor 1937 wieder ausgetreten war. Die Geschwister entsprachen nicht den stereotypen Vorstellungen von Juden, die aus Osteuropa eingewandert waren: Sie waren weder arm noch streng religiös, sondern Selik konnte das Haus kaufen, in dem er lebte, Schura besaß den Meisterbrief für Friseure, und keiner von den beiden besuchte die Hamburger orthodoxe Synagoge.

Beide waren und blieben in Deutschland Staatenlose, was ihnen in Theresienstadt zum Verhängnis werden sollte.

Astrid Louven beschreibt, dass Schuras Bruder Selik eine Liebesbeziehung zu seiner Mieterin, der nichtjüdischen Emma Voss knüpfte und, weil die Nürnberger Gesetze solche Beziehungen verboten, 1938/39 mit Inhaftierungen verfolgt wurde. Schura hatte auch diverse Partner, wer sie aber waren, wissen wir nicht. Sie erzählte von ihnen ihrem späteren Freund Willy Mahler in Theresienstadt.

Im Frühjahr 1937 zog Schura Grimmann ins ländliche Dithmarschen, wo sie zunächst alle drei oder vier Wochen den Ort wechselte: Sie lebte kurz in Burg, ging dann nach St. Michaelisdonn, am 19.4.1937 meldete sie sich im Städtchen Marne an, wo sie in der Schillerstraße 2 bei R. Haack wohnte. Sie gab dort an, staatenlos und Jüdin zu sein, aber keiner Jüdischen Gemeinde mehr anzugehören, und legte einen sogenannten Befreiungsschein vor, der noch bis 12. Mai 1937 gültig war. (Einen solchen Schein mussten ausländische Erwerbstätige vorlegen, wenn sie eine Arbeitsstelle suchten.) Ihre Aufenthaltsgenehmigung für das Deutsche Reich, die sie ebenfalls vorwies, lief zu diesem Zeitpunkt noch bis zum 31. März 1938.
Schura Grimmann verließ auch Marne wieder. Wohl wegen der jüdischen Herkunft meldete das Amt ihren Umzug an den zuständigen Landrat.

Im Juni 1937 zog Schura Grimmann nach Itzehoe in die Steinbrückstraße, wechselte in den Kleinen Wunderberg 7 und dann in die Reichenstraße 32 (in anderen Unterlagen: Nr. 53). Ab 15. Mai 1939 bewohnte sie ein Zimmer in der Salzstraße 12, und dann bei einem Peter Böge in der Salzstraße 13.
In Itzehoe lebte sie nicht illegal, denn sie soll mehrfach von der Gestapo vorgeladen worden sein. Vermutlich hatte sie auch die Aufenthaltsgenehmigung verlängern können. Aber es gelang ihr, vielerlei Vorschriften zu umgehen: Vor allem unterblieb bei ihrer polizeilichen Anmeldung in Itzehoe – anders als noch in Marne - der Hinweis auf ihre jüdische Abstammung bzw. Religion, so dass sie wohl "nur" als Staatenlose galt. 1938 ignorierte sie offensichtlich folgerichtig die Bestimmungen für Jüdinnen/Juden: sie meldete ihr Vermögen nicht an, was für alle Jüdinnen/Juden galt, die – wie sie - mehr als 5.000 RM besaßen; bei der Volkszählung im Mai 1939 füllte sie den obligatorischen Ergänzungsbogen für Jüdinnen und Juden nicht aus, gab 1941 nicht, wie vorgeschrieben, ihre Schreibmaschine Olympia ab, und 1942 auch nicht ihren Pelzmantel. Ob, wie lange und wo sie als Friseurin beschäftigt war, ist nicht bekannt.

Über ihre letzten Monate in Itzehoe geben Aussagen mehrerer Itzehoer Auskunft, deren Informationen allerdings mit Vorsicht zu genießen sind, da sie von der Deportation Schura Grimmanns profitierten: Schura Grimmann soll einige Jahre im engeren Kontakt zu einer Witwe Anna Ehlers gestanden, sie zu Hause besucht haben, ja, mit ihr befreundet gewesen sein. Die Witwe will sie "monatelang" (in einer anderen Version "jahrelang") gepflegt und beköstigt haben. Dafür trat Schura Grimmann ihr am 28. Juni 1942 schriftlich zwei Sparbücher bei der Volksbank Itzehoe ab, die sie im Fall ihres Todes eigentlich ihrem Bruder vererben wollte. Dieses Testament wurde mit der Abtretung hinfällig. Von den mehr als 5.000 RM waren 2.000 RM zum 1. Januar 1943 gekündigt, konnten also ein halbes Jahr später samt Zinsen ausgezahlt werden.
Die begünstigte Witwe trat das Guthaben sofort weiter ab, so dass schließlich ihr Sohn der Nutznießer sein sollte.

Wenige Tage später erhielt Schura Grimmann die Aufforderung, sich in Hamburg für die Deportation am 19. Juli 1942 in einem der als "Judenhaus" benutzten Gebäude in der Schlachterstraße einzufinden. Die Witwe Ehlers will ihr Fahrgeld und Kost mitgegeben haben. Schura Grimman übergab ihr die erwähnte Schreibmaschine wie den Pelzmantel in Verwahrung, was in einem Dokument vom 5. Juli 1942 festgehalten wurde. In späteren Aussagen betonte Anna Ehlers allerdings, mündlich sei abgemacht worden, dass sie diese Gegenstände im Falle, dass Schura Grimmann nicht zurückkehren sollte, behalten dürfe, angeblich habe diese gesagt: "Alles, was hier meins ist, ist deins".

Von Hamburg aus soll Schura Grimmann dann am 17. Juli 1942 einen ihr bekannten und mit der Witwe befreundeten Maurermeister angerufen und ihn gebeten haben, ihr Wäsche und Kleidung aus dem Schrank in ihrem Untermietzimmer zu bringen, was dieser am nächsten Tag auch erfüllte. Dabei will er noch ca. drei Stunden mit ihr gesprochen haben.
Noch zweimal soll sich Schura Grimmann bei der Witwe Ehlers gemeldet haben: mit einer Postkarte vom Transport und einer aus Theresienstadt, die beide nicht erhalten geblieben seien.

Vielleicht hatte Schura Grimmann in Itzehoe also gute Freunde, die zu ihr hielten und sie in der Not unterstützten. Vielleicht aber sahen diese Personen die Möglichkeit, über Schura Grimmann zu Geld und begehrten Gegenständen zu kommen, vielleicht pressten ihr diese ab oder aber sie waren tatsächlich Freunde und nutzten einfach nur die günstige Gelegenheit. Die Dokumente geben nur Aufschluss über die Abtretung und die Verwahrung, nicht aber über Schenkung und Freundschaft. Diese Ergänzungen stammen ausschließlich von den Profiteuren.

Am 19. Juli 1942 wurde nicht nur Schura Grimmann mit dem zweiten Transport aus Norddeutschland ins Getto Theresienstadt deportiert, sondern auch ihr Bruder Selik. Sie erhielten die Transportnummern VI/2/207 (Schura) und 208 (Selik).

Hier hätte die Rekonstruktion von Schura Grimmanns Biographie fast enden müssen, gäbe es nicht zwei spätere Dokumente: ihren "Ausreihungsantrag" und das Tagebuch von Willy Mahler:

Am 4. September 1943 schrieb sie einen Antrag an den Theresienstädter Ältestenrat und bat – vergeblich - um ihre "Ausreihung" aus einem anstehenden Transport, von dem die Häftlinge zu recht annahmen, dass er den Tod bedeutete. Sie hoffte, dass ihre Argumente dazu führen würden, sie in Theresienstadt zu belassen. Aus ihrem Antrag erfahren wir, dass sie in Theresienstadt in der Jägergasse 11 wohnte (heute Legií 202) und dass sie als Friseurin in der Rasier- und Frisierstube der Hannover Kaserne nebenan arbeitete. Hier waren zumeist Männer untergebracht.
Zudem kümmerte sie sich dort um die Kranken: "Ich allein besorgte den Dienst bei den Liegendkranken auf den Marodenstuben [hierin], welcher Beschäftigung ich auch nach meinem Austritt aus der Frisierstube des Gebäudes Hauptstrasse 1 [Hannover Kaserne] weiter nachging."
Die Arbeit in der "Marodenstube" (in Theresienstadt üblicher Begriff für chronisch Kranke) war harte Knochenarbeit, jedoch nicht mit dem Prestige der Arbeit als Krankenschwester im eigentlichen Krankenhaus verbunden.

Willy Mahler, in dessen Tagebuch Schura Grimmann erwähnt wird, war sechs Jahre jünger als sie, ein Tscheche aus Německý Brod (Deutschbrod, nach 1945 Havlíčkův Brod). Er war zusammen mit seinen Eltern einen Monat vor Schura Grimmann nach Theresienstadt deportiert worden. Willy Mahler war unverheiratet und hatte zu Hause seine nichtjüdische Freundin Marie zurück gelassen. Er arbeitete eine längere Zeit bei der Post und wurde später Gruppenältester in der Hannover Kaserne, BIV, wo er für die Bewohner eines Teils des Gebäudes verantwortlich war. Hier lernte er auch Schura Grimmann kennen. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Beziehung. Sie wurde Willy Mahlers Haushälterin, kochte und wusch für ihn und putzte sein Zimmer, das Willy Mahler, als Gruppenältester Insasse mit besonderen Rechten, allein bewohnen konnte. Sie kümmerte sich auch um seine Eltern. Die beiden wurden ein Liebespaar.

Allerdings handelte es sich um eine ungleiche Beziehung. Willy Mahler betonte in seinem Tagebuch, dass er zu seiner nichtjüdischen Freundin zurückkehren wolle und seine Freundinnen in Theresienstadt keine Partnerinnen seien, mit denen er ernsthaft eine Zukunft nach dem Getto in Betracht ziehen würde. Damit unterschied er sich nicht von vielen tschechischen Juden in Theresienstadt, die Beziehungen mit "ausländischen" Frauen knüpften, aber diese nicht als ebenbürtige Partnerinnen betrachteten. Die beteiligten Frauen erhielten im Gegenzug von ihnen u.a. Essen.

Dieses Arrangement bedeutete allerdings nicht, dass sich Schura Grimmann alles gefallen ließ. Ende August 1943 erfuhr sie, dass Willy Mahler mit einer neuen deutschen Freundin "fremdging", der Berlinerin Gertrud Hirsch, die noch dazu jünger als sie war, und sie wehrte sich. Willy Mahler betonte noch einmal, die Beziehung sei für ihn ein reines Tauschgeschäft und nur gültig in Theresienstadt. Stolz auf sich, bemerkte er: "Ich wunderte mich selbst, wie sehr eloquent ich auf Deutsch mich ausdrücken konnte." Doch schließlich einigten sie sich, dass Schura sich weiter um ihn kümmern und er keine Beziehungen mit anderen Frauen in Theresienstadt eingehen würde.

Wenige Tage darauf wurde Selik Grimmann zum Weitertransport aufgerufen. Schura suchte Willy Mahler im Büro auf, um Hilfe für ihren Bruder zu erbitten. Kurz darauf stellten sie jedoch fest, dass beide Geschwister namentlich auf der Transportliste aufgeführt waren.

Die Transportlisten stellte die Jüdische Selbstverwaltung auf Befehl der deutschen Kommandantur zusammen. Sie betrafen Anfang September 1943 für zwei Transporte insgesamt 5000 Menschen aus dem "Protektorat Böhmen und Mähren". Um die "eigenen", d.h. die tschechischen Juden zu schützen, reihte die Große Transportkommission, die aus "Protektoratsangehörigen" bestand, einige Hundert staatenlose Häftlinge ein, darunter auch Schura und Selik Grimmann.

Die Geschwister stellten nun einen "Ausreihungsantrag", von dem sich Willy Mahler wenig Erfolg versprach, denn keiner der beiden war "unentbehrlich" für die Selbstverwaltung des Gettos, und nur eine solche Kategorisierung konnte zum Erfolg führen. Er sollte recht behalten.

Wenn wir Willy Mahlers Tagebuch vertrauen können, verabschiedete sich Schura Grimmann von ihm als von dem Mann, den sie liebte. Sie hinterließ ihm die Hälfte der gemeinsamen Lebensmittel (obwohl er viel einfacheren Zugang dazu hatte als sie), wusch und bügelte noch einmal seine Kleider und schnitt sich eine Locke ab, die sie ihm in einen Umschlag steckte. Mahler überlegte wohl kurz, ob er sich freiwillig melden sollte, sie auf Transport zu begleiten – er fühlte wohl, dass er sie als Menschen und als Liebhaber schlecht behandelte. Aber er beschloss, bei seinen Eltern im Getto zu bleiben.

Schura und Selik Grimmann bestiegen zusammen mit 5000 weiteren Menschen die Viehwagen, die am 8. September 1943 in Auschwitz Birkenau ankamen. Die SS brachte die Ankömmlinge in einen gesonderten Abschnitt, BIIb, in das sogenannte Theresienstädter Familienlager. Die dort eingewiesenen Menschen mussten keine Selektion durchlaufen, sondern wurden gleich in Quartiere eingewiesen. Männer und Frauen lebten getrennt in Baracken. Doch dies war nur ein Aufschub: Beinahe alle, die nicht dem Hunger oder Krankheiten erlagen, wurden am 8. März 1944 in den Gaskammern ermordet. Nur einige dutzend überlebten in der Quarantänebaracke: vor allem medizinische Kräfte und Zwillinge, an denen SS-Arzt Josef Mengele experimentierte. Schura und Selik Grimmann waren nicht unter ihnen.


Epiloge
Sechs Wochen später, am 17. April 1944, schrieb Willy Mahler eine erste Karte an die bereits ermordete Schura in Auschwitz-Birkenau. Sein Vater sei gestorben, wollte er sie wissen lassen.
Willy Mahler wurde Ende September 1944 ebenfalls nach Auschwitz deportiert und von hier, in einem Transport von 1500 ehemaligen Theresienstädter Häftlingen, darunter der Hamburger Fritz Benscher und der Tscheche Miroslav Kárný, ins KZ Dachau zur Zwangsarbeit verlegt. Willy Mahler starb hier im Januar 1945 an den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Seine andere Freundin in Theresienstadt, die Berlinerin Gertrud Hirsch, überlebte Auschwitz und später auch ein Außenlager von Gross-Rosen, Sackisch Kudowa.

Im letzten Wohnort Schura Grimmanns, in Itzehoe, hatten die Beamten des Einwohneramts 1942 auf deren Meldekarte notiert: "befindet sich im KZ", und 1944: "fortgelegt".
Die Gestapo Itzehoe hatte nach Schura Grimmanns Deportation deren Schreibmaschine sowie den Pelzmantel bei der Witwe Ehlers beschlagnahmt, und der Oberfinanzpräsident hatte das abgetretene Sparguthaben zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.
Nach dem Krieg bemühten sich die Betrogene und ihr Sohn von 1948 bis 1951 hartnäckig um die Rückgabe "ihres" Eigentums bzw. Wiedergutmachung "ihres" Schadens, und zogen vor Gericht. Die beiden und der Maurer, der Schura Grimmann noch in Hamburg aufgesucht hatte, bezeugten die mündlichen "Vereinbarungen", andere Zeugen existierten nicht und wurden auch nicht gesucht.

Die Namen der Käufer der 1942 versteigerten Gegenstände waren in den Listen der autorisierten Versteigerer notiert, und die Schreibmaschine fand sich tatsächlich im örtlichen Finanzamt wieder. Mit dem wertvollen Pelzmantel schmückte sich eine Itzehoerin, doch deren Namen erinnerte der eingetragene Käufer nicht, der den ursprünglich mit 800 RM taxierten Mantel für 600 RM ersteigert und offensichtlich weitergegeben hatte. Die Klagenden mussten sich zudem mit dem Jewish Trust als Konkurrenten abfinden, der "herrenloses" jüdisches Eigentum für die jüdische Gemeinschaft zu sichern versuchte. So konnten sie nur einen Teilerfolg für das Sparguthaben verbuchen, für die "geschenkten" Gegenstände jedoch nichts, aus kuriosen rechtlichen Gründen: Es fehlte ein Schenkungsvertrag für beides, den – so das Gericht – hätte Schura Grimmann durchaus in den drei Stunden, die sie mit dem Maurer in Hamburg noch gesprochen hatte, aufsetzen und so ein privatrechtlich gültiges Testament hinterlassen können …

Stand: Juni 2024
© Anna Hájková /Beate Meyer

Literatur und Quellen: Elissa Bemporad, Legacy of Blood: Jews, pogroms, and ritualmurder in the lands of the Soviets, New York: Oxford University Press 2019, S. 24; Anna Hájková, The Last Ghetto: An every day life of Theresienstadt, New York: Oxford University Press, 2020; Anna Hájková, Sexual Barter in Times of Genocide: Negotiating the Sexual Economy of the Theresienstadt Ghetto,” Signs: Journal of Women in Culture and Society 38.3 (2013): S. 503-533; Miroslav Kryl, Die Deportationen aus Theresienstadt nach dem Osten im Spiegel des Tagebuchs Willy Mahlers, Theresienstädter Studien und Dokumente 1995, S. 69-92; Dank an Tomáš Fedorovič für Ausschnitte aus seiner (im Erscheinen begriffenen) Edition des Tagebuchs von Willy Mahler; Astrid Louven: Biografie von Selik Grimmann in: https://www.stolpersteine-hamburg.de/?&MAIN_ID=7&r_name=grimmann&r_strasse=&r_bezirk=&r_stteil=&r_sort=Nachname_AUF&recherche=recherche&submitter=suchen&BIO_ID=6179; YadVashem O64, Ausreihungsantrag Schura und Selik Grimmann; Archiv der Gedenkstätte Theresienstadt, A, 5704, Willy Mahlers Tagebuch; Datenbank Schleswig-Holsteinischer Juden, geführt von Erich Koch, Auskunft v. 25.8.2023; Landesarchiv Schleswig, Abt. 352 Kiel, Nr. 7504, 6135, 5988; Auskunft zu den Meldedaten und Meldekarte: Gemeinsames Archiv des Keises Steinberg und der Stadt Itzehoe, K. Puymann v. 6.9.2023; Auskunft und Meldekarte: Amt Marne Nordsee, K. Kurzhals v. 4.110.2023.

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