Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Paul Chrupalla * 1899

Große Bergstraße 219 -223 (Altona, Altona-Altstadt)

KZ Sachsenhausen 10 Jahre Haft
überlebt

Weitere Stolpersteine in Große Bergstraße 219 -223:
Maria A. Chrupalla

Maria Chrupalla, geb. 29.5.1897, KZ Ravensbrück, ermordet am 6.2.1942 in Bernburg
Paul Chrupalla, geb. 26.11.1899, fast 10 Jahre Inhaftierung, überlebt

Die Zeugen Jehovas, wie sich die Angehörigen der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung seit 1931 nannten, wurden 1933 als erste Glaubensgemeinschaft verboten. Die Nationalsozialisten sahen in ihnen "Wegbereiter des jüdischen Bolschewismus", angegriffen wurde ihr Bekenntnis zur Gleichheit der Rassen und ihre "Fremdlenkung" aus den USA. Die Zeugen Jehovas gerieten in scharfen Gegensatz zum nationalsozialistischen Staat. Sie verweigerten den Hitlergruß, nach ihrem Verständnis war nur Gott "Heil" zuzusprechen. Sie traten nationalsozialistischen Vereinigungen nicht bei, gaben ihre Kinder nicht in die Hitlerjugend und übten keinen Kriegsdienst aus wegen des biblischen Gebots, nicht zu töten. Nach dem Verbot der Organisation führten sie ihre Religionsgemeinschaft illegal weiter. Die Geschlossenheit der Gruppe und ihr starker Glaube führten zu einer hohen Beteiligung an Widerstandsaktionen. Dagegen gingen Gestapo und Justiz hart vor. Mit Kriegsbeginn nahm die Verfolgung noch zu. Zwischen 1933 und 1945 wurden über 1300 Zeuginnen Jehovas in den Konzentrationslagern gefangen gehalten und dort wie die rund 3000 männlichen Gefangenen in einer eigenen Häftlingskategorie gekennzeichnet: mit dem lila Winkel.

Auch in Altona hatten die Zeugen Jehovas ihre religiöse Tätigkeit in den Untergrund verlegt. Am 11. Januar 1935 wurden bei einer "Bibelstunde", die wie alle Versammlungen oder Gottesdienste als gesellige Zusammenkünfte getarnt wurden, sechs Angehörige der "Ernsten Bibelforscher" festgenommen, unter ihnen das Ehepaar Maria und Paul Chrupalla. Bei der anschließenden Wohnungsdurchsuchung fand die Polizei bei Paul Chrupalla einen chiffrierten Versammlungskalender. Das Ehepaar Chrupalla organisierte offenbar maßgeblich die Treffen der Glaubensangehörigen in Altona, die verdeckt in verschiedenen Wohnungen stattfanden.

Beide weigerten sich bei der Vernehmung durch die Beamten der Staatspolizeistelle Altona, andere Glaubensangehörige zu verraten. "Brüder und Schwestern belaste ich nicht, weil ich es nicht vor meinem Gott verantworten kann", erklärte Paul Chrupalla. Er wurde von der Gestapo verdächtigt, über ein Kuriernetz aus der Schweiz nach Deutschland eingeschmuggelte Wachtturm-Schriften verbreitet zu haben. Er gab zu, Schriften in Altona und Stade verteilt zu haben. Die Gestapo betrachtete das Ehepaar als die führenden Köpfe der Jehova-Anhänger in Altona und Paul Chrupalla als die leitende Persönlichkeit.

Das Ehepaar war seit 1932 verheiratet und lebte in der Großen Bergstraße 224, Haus 3. Paul Chrupalla hatte den Beruf des Schlossers erlernt, war aber arbeitslos zum Zeitpunkt seiner Festnahme. Maria Chrupalla führte den Haushalt. Beide standen seit den frühen zwanziger Jahren in Kontakt zur Glaubensgemeinschaft, Paul Chrupalla hatte sich 1926, Maria sich 1930 als Zeuge Jehovas taufen lassen.

Maria Chrupalla wurde wegen ihrer Aktivitäten in "Schutzhaft" genommen und in das Frauenkonzentrationslager Moringen überführt. Ein "Führungsbericht" vom 14. Juni 1935, den der Direktor des Konzentrationslagers anlässlich eines Haftprüfungstermins verfasste, gibt Aufschluss über ihre Haftsituation und ihr Verhalten in Ravensbrück: "Chrupalla ist seit dem 11. Januar 1935 im hiesigen Konzentrationslager untergebracht. Sie gehört zu den Internationalen Bibelforschern und ist ganz besonders fanatisch. So habe ich sie vor einiger Zeit isolieren müssen, da sie versucht hat, bei anderen Lagerinsassen für ihre Ideen Propaganda zu machen. Auch verweigert sie den vorgeschriebenen deutschen Gruß. Sonst führt sie sich gut und führt die ihr aufgegebenen Arbeiten aus. Sie hat mir erklärt, daß sie, selbst wenn sie lebenslang in einem Konzentrationslager bleiben müsse, niemals ihre Ideen aufgeben wolle."

Nach neun Monaten im Lager Ravensbrück wurde Maria Chrupalla zunächst entlassen, ohne die ihr vorgelegte "Verpflichtungserklärung" zu einer Abkehr von ihrer Glaubenstätigkeit zu unterschreiben. Ihr Mann, der im Februar 1935 in das berüchtigte Emslandlager in Esterwegen überstellt worden war, gelangte ebenfalls im Oktober in Freiheit. Nun mussten sie sich vor dem Sondergericht verantworten. Dieses verurteilte sie am 14. November 1935, über die schon abgesessene "Schutzhaft" hinaus, noch zu einem weiteren Monat Gefängnis.

Nach ihrer Entlassung wurden beide wieder aktiv. Paul Chrupalla betreute eine Gruppe als Prediger, Maria half ihm und übernahm später die Leitung dieser Gruppe. Auch sammelte sie Geld für eine Notkasse für verfolgte Glaubensangehörige. Mitte 1936 wurde das Ehepaar erneut festgenommen. Paul Chrupalla blieb bis Januar 1937 in Haft. Maria Chrupalla wurde freigelassen. Sie betätigte sich nun als Kurier und Verteilerin bei der Flugblattaktion der Zeugen Jehovas am 12. Dezember 1936 gegen die Einschränkung der Glaubensfreiheit. Vom 15. Dezember 1936 bis zum 22. März 1937 musste sie erneut in "Schutzhaft". Paul Chrupalla hatte inzwischen auf einer Werft Arbeit gefunden.

Im Juni 1937 beteiligte sich das Ehepaar an der deutschlandweiten Flugblattaktion der Glaubensgemeinschaft, die in einem "Offenen Brief" über ihre Verfolgung aufklärte. Die Gestapo leitete Massenverhaftungen ein. Wieder wurde das Ehepaar Chrupalla festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt: Paul Chrupalla zu zwei Jahren und neun Monaten und seine Frau zu zwei Jahren und sechs Monaten. Maria Chrupalla erklärte vor dem Landgericht Hamburg, die Gesetze des Staates nur anerkennen zu wollen, solange sie mit den Gesetzen der Bibel in Einklang stünden. Insgesamt war Maria Chrupalla zwischen 1935 und 1937 fünf Mal verhaftet worden. Vom KZ Fuhlsbüttel wurde sie in das nördlich von Berlin gelegene Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überstellt.

Paul Chrupalla saß zuletzt im KZ Sachsenhausen bei Oranienburg ein. Im Februar 1942 teilte man ihm dort mit, dass seine Frau in Ravensbrück verstorben sei. Später erfuhr er, dass sie mit zwölf weiteren Zeuginnen Jehovas in die Heil- und Pflegeanstalt in Bernburg transportiert worden war. Dort ist Maria Chrupalla am 6. Februar 1942 ermordet worden. Paul Chrupalla überlebte die insgesamt fast zehnjährige Inhaftierung in Gefängnissen und im Konzentrationslager.

© Birgit Gewehr

Quellen: Hans Hesse, Jürgen Harder, "... und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste...". Die Zeuginnen Jehovas in den Frauenkonzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück, Essen 2001, S. 295–303; Elke Imberger, Widerstand "von unten". Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933–1945, hg. von der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Bd. 98, Neumünster 1991, S. 286; Jehovas Zeugen, Selters/Taunus 2007; AB Altona 1937; Auskünfte von Jörn Puttkammer, Vertreter der NS-Opfergruppe der Zeugen Jehovas, und vom Geschichtsarchiv der Wachtturm-Gesellschaft.

druckansicht  / Seitenanfang