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Etkar André ca. 1925
© Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg

Etkar Josef André * 1894

Rathausmarkt 1 (links vor dem Rathaus) (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


ETKAR JOSEF ANDRÉ
MDHB 1921 KPD
JG. 1894
VERHAFTET 5.3.1933
"VORBEREITUNG ZUM HOCHVERRAT"
UNTERSUCHUNGSGEFÄNGNIS
HOLSTENGLACIS
HINGERICHTET 4.11.1936

Weitere Stolpersteine in Rathausmarkt 1 (links vor dem Rathaus):
Kurt Adams, Bernhard Bästlein, Adolf Biedermann, Gustav Brandt, Valentin Ernst Burchard, Max Eichholz, Hugo Eickhoff, Theodor Haubach, Wilhelm Heidsiek, Ernst Henning, Hermann Hoefer, Franz Jacob, Friedrich Lux, Fritz Simon Reich, August Schmidt, Otto Schumann, Theodor Skorzisko, Ernst Thälmann, Hans Westermann

Etkar André MdHB

Etkar Joseph André wurde am 17. Januar 1894 als drittes Kind einer in Aachen lebenden jüdischen Handwerkerfamilie geboren. Der Verlust seines Vaters im Alter von fünf Jahren bedeutete den Beginn einer Kindheit am Rande der Subsistenz. Eine schwere Lungenerkrankung der alleinerziehenden Mutter zwang die Familie zu Verwandten im wallonischen Lüttich überzusiedeln.

Durch ihren Tod 1907 wurde Etkar André noch im Kindesalter Vollwaise und zog in ein Brüsseler Waisenhaus. Hier erhielt die französische Sprache nunmehr den Charakter einer Muttersprache.
Nach seiner Schulentlassung und einer nicht abgeschlossenen Buchhändlerlehre erlernte André den Beruf des Schlossers. Das in diesen Jahren beginnende starke Engagement in der sozialistischen Arbeiterjugend bedeutete eine wichtige Weichenstellung für seinen späteren Werdegang. Als 17jähriger trat er der Sozialistischen Partei Belgiens bei und war bereits zwei Jahre später Sekretär in der Brüsseler Sektion der "Jungen Sozialistischen Garde". Welch hohes Ansehen André schon bald in seiner Partei genoss, zeigt sich nicht zuletzt an seiner Wahl zum Delegierten für den Parteitag der Belgischen Sozialisten 1914.

Bei Kriegsbeginn geriet der gebürtige Deutsche, inzwischen politisch wie sozial in seiner Wahlheimat Belgien Verwurzelte, zwischen die Fronten europäischer Machtpolitik: Nach dem deutschen Einmarsch in Belgien im September 1914, sah sich André einer starken antideutschen Stimmung in der Bevölkerung gegenüber. Der junge Sozialist versuchte sein Gefühl der Entwurzelung zu kompensieren, indem er sich – obwohl der deutschen Sprache kaum mächtig – freiwillig zum Kriegsdienst im Kaiserlichen Heer meldete. Seine militärische Grundausbildung erhielt er in Koblenz. Zum Einsatz kam er als Mannschaftsdienstgrad in verschiedenen Abschnitten an der Westfront. Er nahm u.a. an der Schlacht bei Langemarck teil und geriet kurz vor Kriegsende in französische Kriegsgefangenschaft.

Nach seiner Entlassung und anschließenden Demobilisierung fand André zunächst Arbeit im Koblenzer Hafen. Auch politisch suchte er in der Stadt am Deutschen Eck Fuß zu fassen: 1920 trat er hier der SPD bei, wo er sich zunächst besonders in der Arbeiterjugend engagierte. Es war der Verlust seiner Arbeitsstelle, der den Deutsch-Belgier schließlich nach Hamburg führte.

Die Aufhebung der Seeblockade ließ André hoffen, im Überseehafen der Hansestadt eine Arbeit zu finden. Doch war ihm eine feste Stellung auch hier nicht beschieden. So sah er sich im Zeichen von Hyperinflation und Wirtschaftskrise gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch eine unregelmäßige, immer wieder von Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeit als Schauermann zu bestreiten. Schon bald machte sich André einen Namen in der Hamburger Erwerbslosenbewegung, die ihn wegen seines Rede- und Organisationstalents 1922 zu ihrem Vorsitzenden wählte. Über seine dortige Tätigkeit lernte André auch seine langjährige politische Weggefährtin und spätere Frau, die Itzehoerin Martha Berg kennen.

Als im Winter 1922 Demonstrationen der notleidenden Bevölkerung losbrachen, stand André – wie so oft in den kommenden Jahren – in vorderster Linie. Auf dem Rathausplatz formulierte er die Forderungen der Erwerbslosen, wurde, als die Schutzpolizei unter Einsatz von Waffen eingriff, als "Rädelsführer" festgenommen und für kurze Zeit inhaftiert. Dass ein sozialdemokratischer Polizeisenator für den harten Polizeieinsatz, bei dem zahlreiche Demonstranten ums Leben kamen, verantwortlich war, mag André endgültig dazu bewogen haben, der SPD den Rücken zu kehren.

Anfang 1923 trat er der KPD bei, zu der sich über die Arbeit in der Erwerbslosenbewegung ohnehin intensive Kontakte entwickelt hatten. 1923 war André führend am Hamburger Aufstand beteiligt. Im Zuge der Verhaftungswelle nach dem schnellen Zusammenbruch der kommunistischen Erhebung wurde auch er zunächst in Gewahrsam genommen, allerdings nach drei Monaten "Schutzhaft" wieder auf freien Fuß gesetzt.

Das Jahr 1926 markiert den Aufstieg Etkar Andrés in die Führungsspitze des Bezirks "Wasserkante", einem von insgesamt 27 KPD-Bezirken auf Reichsebene. Seine Tätigkeit hier konzentrierte sich vor allem auf die Führung der 1924 gegründeten kommunistischen Wehrorganisation, den "Roten Frontkämpferbund" (RFB). Daneben war er gewerkschaftlich im "Internationalen Seeleute- und Hafenarbeiterverband" und im "Hamburger Internationalen Seemannsclub" tätig.

Etkar André war alles andere als ein theoretisch geschulter Parteiideologe. Auch nach seiner Wahl in die Hamburger Bürgerschaft 1927 blieb er ein "Mann der Straße", der die Vorgaben der Parteiführung vor Ort umzusetzen suchte. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass sich André von 1928 bis Ende 1932 insgesamt elf Anträgen der Strafverfolgungsbehörden an die Bürgerschaft ausgesetzt sah, seine parlamentarische Immunität aufzuheben. Das Abgeordnetenmandat bewahrte André jedoch in den meisten Fällen vor einer Strafverfolgung. Strafverbüßungen – etwa eine 15monatige Gefängnisstrafe wegen Beteiligung an einem Überfall auf Teilnehmer einer NSDAP-Versammlung bei Sagebiel – wurden ausgesetzt.

Nach dem Verbot des "Roten Frontkämpferbundes" im Mai 1929 durch Reichsinnenminister Carl Severing wirkte André entscheidend an der Überführung der etwa 80 000 Mitglieder zählenden Organisation in die Illegalität mit. Die Verlagerung der Arbeit in den Untergrund mag André bewogen haben, sich im Oktober 1929 in das abgelegene Cuxhaven zurückziehen. Hinzu kam, dass die Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung ab 1929 den "Roten General" – wie ihn Anhänger und Gegner gleichermaßen nannten – in zunehmendem Maße zur Zielscheibe nationalsozialistischer Nachstellungen und Anschläge werden ließ. Einem eigentlich Etkar André geltenden Mordanschlag Hamburger SA-Leute fiel im März 1931 der kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete und André-Vertraute Ernst Henning zum Opfer.

André, der in Cuxhaven in der Nordersteinstraße bei dem KPD-Mitglied Heinrich Weseloh zur Untermiete wohnte, kandidierte 1930 bei den Wahlen zur Cuxhavener Stadtvertretung auf Platz eins seiner Parteiliste.(36 Die KPD errang 3,82 % und konnte ihren Spitzenkandidaten ins Stadtparlament entsenden. Ein Blick in die Sitzungsprotokolle der Cuxhavener Stadtvertreterversammlung zeigt allerdings, dass Andrés Wirken hier im Schatten sowohl seiner Verpflichtungen als Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter als auch seiner außerparlamentarischen Parteiaufgaben blieb. Einmal abgesehen von der Eröffnungssitzung am 31. Oktober, in der André mit mehreren Anträgen auf Außenwirkung zielte, nutzte er die parlamentarische Plattform kaum zur Darstellung kommunalpolitischer Ziele der Cuxhavener Kommunisten. Er beschränkte sich vielmehr auf die Unterstützung bzw. Ablehnung von Anträgen anderer Fraktionen. Mit der Fraktion der NSDAP gab es einen Berührungspunkt, als André den Antrag der Nationalsozialisten auf Streichung der für die Cuxhavener Verfassungsfeier 1931 bereitgestellten Gelder unterstützte. Ab Mitte 1931 nahm Etkar André nur noch selten an Stadtvertreterversammlungen teil und gab sein Mandat schließlich zugunsten von Heinrich Weseloh am 30. Juni 1932 zurück.

Die beginnenden dreißiger Jahre waren gekennzeichnet durch eine intensive Reisetätigkeit. Als Leiter einer Arbeiterdelegation reiste André im November 1930 in die Sowjetunion, wo er sich bis Anfang 1931 aufhielt. 1932 lebte er für kurze Zeit in Paris, wo er Kontakte zur Kommunistischen Partei Frankreichs herstellte und die bereits zu diesem Zeitpunkt in Betracht gezogene, illegale Arbeit deutscher Kommunisten im Untergrund vorbereitete. Nur wenige Tage nach Erlass der sog. "Reichstagsbrandverordnung", die im Reich den permanenten Ausnahmezustand etablierte, wurde Etkar André am 3. März 1933, mit dem Zug von Cuxhaven kommend, in Harburg-Wilhelmsburg festgenommen. Interventionen des damaligen Bürgerschaftspräsidenten Ruscheweyh unter Hinweis auf die Immunität Andrés und die fehlende rechtliche Grundlage der Verhaftung blieben ohne Erfolg.

Nachdem schließlich der am 5. März 1933 vom Reichsinnenminister zum "Reichskommissar für die Polizeibehörde" ernannte Bürgerschaftsabgeordnete und Nationalsozialist Richter Haftbefehl gegen alle männlichen Mitglieder der kommunistischen Bürgerschaftsfraktion erlassen hatte, ließ Bürgermeister Krogmann den protestierenden Bürgerschaftspräsidenten wissen: "Der Polizeiherr verfährt, wie es im Interesse des Staates richtig ist, und seine Maßnahmen werden vom Senat gebilligt." Auch Andrés Ehefrau wurde im Oktober 1933 vorübergehend festgenommen, nach zahlreichen Verhören aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Sie verließ Deutschland und arbeitete später in kommunistischen Emigrantenzirkeln in Paris. Nach dem Krieg lebte sie bis zu ihrem Tode 1966 als Trägerin der Clara-Zetkin-Medaille und Veteranin der SED in Berlin.

Während seiner mehr als dreijährigen Haft war André schwersten Folterungen und Misshandlungen ausgesetzt. Immer wieder wurde er, der schon auf Krücken ging und seiner Verletzungen wegen im Wasserbett liegen musste, seinen ebenfalls in Haft befindlichen früheren Parteifreunden vorgeführt.

Am 4. Mai 1936 begann vor dem Strafsenat des Hamburgischen Oberlandesgerichts der sog. "André-Prozeß". Es war nach dem Prozess gegen Fiete Schulze, in dem André bereits als Zeuge vernommen worden war, der zweite und zugleich letzte große Hamburger Schauprozess gegen frühere KPD-Funktionäre.

Nachdem in den Jahren 1933-1935 etwa 60 000 KPD-Mitglieder festgenommen waren und die Organisationsstruktur innerhalb Deutschlands als zerschlagen gelten konnte, sollte das bewusst auf mehrere Wochen angesetzte Verfahren der Öffentlichkeit die Liquidierung der Kommunistischen Partei dokumentieren. Angeklagt wegen Hochverrats und der angeblichen Beteiligung am gewaltsamen Tod mehrerer SA-Angehöriger in den Jahren 1930/32, erging am 10. Juli 1936 das von Anbeginn feststehende, angesichts des Zögerns einiger Richter aber doch noch einmal von höchster Stelle geforderte Todesurteil. Darauf und auf den Umstand bezugnehmend, dass damals bei Todesurteilen der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte üblich war, soll André das folgende, vielzitierte Schlusswort vorgetragen haben:

"Meine Herren, wenn der Oberstaatsanwalt auch Ehrverlust beantragt hat, so erkläre ich hier: Ihre Ehre ist nicht meine Ehre. Denn uns trennen Weltanschauungen, uns trennen Klassen, uns trennt eine tiefe Kluft. Sollten Sie hier das Unmögliche möglich machen und einen unschuldigen Kämpfer zum Richtblock bringen, so bin ich bereit, diesen schweren Gang zu gehen. Ich will keine Gnade! Als Kämpfer habe ich gelebt und als Kämpfer werde ich sterben mit den letzten Worten: ‚Es lebe der Kommunismus!‘". (39

Internationale Proteste gegen das Urteil blieben unbeachtet: Wenige Monate später wurde Etkar André am 4. November 1936 im Alter von 42 Jahren um 6 Uhr morgens im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis durch Enthauptung hingerichtet. Entgegen der bewusst gesuchten Öffentlichkeit des Prozesses und der Tatsache, dass von dem abgeschlagenen Kopf ein Gipsabdruck gemacht wurde, (40 fand die Beisetzung in aller Stille statt, der Ort des Grabes wurde mit peinlicher Genauigkeit geheimgehalten.

Es war deutlich, dass der Schauprozess entgegen der ursprünglichen Intention die Stilisierung
Andrés zum Symbol des vermeintlich ungebrochenen, tatkräftigen kommunistischen Widerstandes gegen das faschistische Regime wesentlich gefördert hatte. Die propagandistisch auch vor dem Hintergrund des beginnenden spanischen Bürgerkriegs zu betrachtende Mythisierung Andrés war aber angesichts der endgültigen Zerschlagung der kommunistischen Parteiorganisation in Deutschland wohl eher ein Reflex der Ohnmacht und hatte wesentlich kompensatorischen Charakter. Dies nimmt nichts von der hohen Popularität, die Etkar André wegen seiner Unerschrockenheit und Volksnähe insbesondere in der jungen Hamburger Arbeiterschaft genoss.

© Text mit freundlicher Genehmigung der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.) entnommen aus: Jörn Lindner/Frank Müller: "Mitglieder der Bürgerschaft – Opfer totalitärer Verfolgung", 3., überarbeitete und ergänzte Auflage, Hamburg 2012

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