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Clara Brauer * 1877
Luisenweg 12 -16 (Hamburg-Mitte, Hamm)
HIER WOHNTE
CLARA BRAUER
JG. 1877
DEPORTIERT 1941
MINSK
???
Clara Brauer, geb. 4.10.1877 Beuthen/Oberschlesien (heute Bytom/Polen), am 18.11.1941 nach Minsk deportiert
Luisenweg 12-16
Clara Nanny Brauer kam aus einer jüdischen Familie. Ihr Vater war der Kaufmann Adolf Brauer, ihre Mutter hieß Henriette, geb. Berg. Sie hatte einen älteren Bruder, Heinrich Carl, geboren am 8. Mai 1876, und eine jüngere Schwester, Hedwig, geboren am 31. März 1879. Laut "Adressbuch der Stadt Beuthen O.S. und der ländlichen Ortschaften des Kreises Beuthen 1880" wohnte die Familie in der Krakauer Straße 23, wo sich auch die Firma befand, in der Adolf Brauer tätig war:
"H. Brauer, Specereiwaaren". ("Spezereiwaren" ist laut Duden ein anderer Ausdruck für Feinkost.)
Über Claras Kindheit und Jugend wissen wir nichts. Ihr Sohn Horst Brauer schrieb 2006 in einem Brief, den er aus Sao Paulo/Brasilien schickte: "Nach Abschluss der Schulbildung ging sie nach Wien zur Ausbildung als Schneiderin. Ungefähr 1910 ging sie nach Berlin, und 1914 zog sie nach Hamburg. Hier brachte sie am 2. November 1916 als ledige Mutter ihren Sohn zur Welt."
Als Vater gab sie später "Arthur Geduldig, Meineckestraße 8, Berlin" an. Ihr Enkel in Brasilien hält das für einen erfundenen Namen. Im Berliner Adressbuch von 1916 ist allerdings ein Ingenieur dieses Namens in der Brüsseler Straße verzeichnet.
Nach Horsts Angaben war Clara Sozialdemokratin und arbeitete 1920/22 für Deutschland im Komitée der Abstimmung über ihre Heimat Oberschlesien. (In der Volksabstimmung in Oberschlesien am 20. März 1921 votierten 59,4 Prozent der Einwohner für einen Verbleib bei Deutschland und 40,6 Prozent für einen Beitritt zum neu errichteten Polen, woraufhin die Region zwischen beiden Staaten geteilt wurde). Sie gehörte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an.
Clara sorgte für eine gute Schulbildung ihres Sohnes. Und, so Horst weiter "in weiser Voraussicht ließ sie ihn auch Englisch lernen."
Im Anschluss schrieb er über sich selbst: "… aufgezogen bis zum 6. Lebensjahr in der evangelischen Familie des Herrn Barkmann in Alt-Rahlstedt. Dann nahm mich meine Mutter zu sich nach Hamburg, wo ich in die Schule Pröbenweg eingeschult wurde. Wir wohnten damals am Pröbenweg/Ecke Louisenweg. Nach den Grundschuljahren ging ich in den Oberbau Burgstraße. Schulleiter war der Sozialdemokrat Brunkhorst. Sofort nach Abschluss kam ich in die kfm. Lehre der Firma Weill und Reineke".
Erich Weill und Hans Reineke, die Firmeninhaber, waren Freunde aus der Jugendbewegung, sie hatten die Firma 1922 als Im- und Exportfirma gemeinsam gegründet. Als Spezialist für Profile der Kälte- und Klimatechnik wird das Unternehmen heute bereits in der dritten Generation geführt.
Wo Clara ihrem Beruf als Schneiderin nachging ist uns nicht bekannt. Wir wissen, dass sie zeitweilig für Fanny Borchardt (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) nähte, die in der Nachbarschaft wohnte.
Als sich die wirtschaftliche Situation für Jüdinnen und Juden Mitte der 1930er Jahre immer weiter verschlechterte, musste sie, wie so viele, Wohlfahrtsunterstützung beantragen. Aus dem Aufnahmebogen Fürsorgewesen vom Oktober 1934 geht hervor, dass sie damals mit ihrem Sohn in einer 3-Zimmerwohnung im Rumpffsweg 35, 1. Stock wohnte. Die Miete betrug 70 Reichsmark (RM) monatlich, ein Zimmer hatte sie für 25 RM monatlich untervermietet. Allerdings war der Untermieter gerade ausgezogen, ohne die letzte Miete zu bezahlen. Weiter gab Clara an, von ihrem Bruder Heinrich Carl (Heinz) Brauer mit 100 RM monatlich unterhalten zu werden.
Dieser lebte seit September 1933 mit seiner Ehefrau Cilly, geb. Berkovitz (geb. 24.6.1879), in Prag. Cilly stammte aus Teschen (heute die polnisch-tschechische Doppelstadt Cieszyn/Český Těšín), wo das Ehepaar 1899 geheiratet hatte. Heinz war Geschäftsmann, seine Frau und er waren viel auf Reisen, u.a. nach Budapest, London, Paris und Marienbad.
Trotz ihrer prekären Lage erhielt Clara keine laufende Unterstützung vom Wohlfahrtsamt, sondern nur Krankenscheine zur ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung. Die vom Amt vorgestreckten Kosten für einen Krankenhausaufenthalt im September 1935 sollte sie in Raten zurückzahlen. Offenbar hielt die Wohlfahrtsbehörde die Summe von 140 RM monatlich (Unterstützung des Bruders plus Horsts Ausbildungsvergütung von ca. 40 RM) für ausreichend zum Lebensunterhalt für beide.
Im Dezember 1935 besagte ein Vermerk in Claras Akte, der Bruder sei krank und könne sie nicht mehr unterstützen, der Neffe in Berlin übernähme diese Aufgabe. Die Identität dieses Neffen konnte nicht festgestellt werden. Von Claras Schwester Hedwig, die seit 1910 mit dem Kaufmann Abraham Kadisch verheiratet war und in Berlin lebte, sind keine Kinder bekannt, es handelte sich wahrscheinlich um einen Sohn von Heinz und Cilly. Heinz Breuer starb am 25. März 1936 im Sanatorium Löw in Wien. Der Leichnam wurde nach Prag überführt und auf dem Israelitischen Friedhof Zizkov (heute Neuer Jüdischer Friedhof) beigesetzt. Das Grab existiert noch. Die Inschrift besagt, dass Heinz Vater und Großvater war. Cilly, seine Witwe, meldete sich im Juli 1939 aus Prag ab, ihr weiteres Schicksal ist uns nicht bekannt.
Clara Brauers Sohn Horst schloss 1936 seine Lehre ab und arbeitete weiterhin bei Weill und Reineke. Im Dezember 1938 gelang ihm gemeinsam mit seinem Freund Hans Hochfeld die Flucht nach Brasilien. Beide hatten es geschafft, ein Touristenvisum zu bekommen, ausgestellt von der Konsulatsangestellten Aracy de Carvalho, die später von der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt wurde. (Zu Hans Hochfelds Eltern siehe Julie und Alfred Hochfeld unter www.stolpersteine-hamburg.de).
Zu der Zeit, im Dezember 1938, war die legale Einwanderung nach Brasilien für Juden nicht mehr möglich. Die beiden Hamburger hatten wegen des Touristenvisums Rückfahrkarten kaufen müssen. Sie hielten sich in den ersten Jahren illegal im Land auf und durften offiziell nicht arbeiten. Unterstützung fanden sie bei der Jüdischen Gemeinde Sao Paulo CIP (Congresao Israelita Paulista), die 1936 von deutschen Flüchtlingen gegründet worden war.
Im November 1938 war Horst Brauer "bei der Mutter" in der Oberstraße 113 gemeldet. Wir wissen nicht, wovon Clara Brauer nach seiner Abreise ihren Lebensunterhalt bestritt. In den folgenden Monaten zog sie mehrmals um, wahrscheinlich, um Mietkosten zu sparen. Ende Februar 1939 musste sie sich im Israelitischen Krankenhaus einer Krebsoperation unterziehen. Sie wohnte für kurze Zeit zur Untermiete bei Wallach in der Haynstraße 19, bevor sie in den Loogestieg 19 zu Heller zog und dort als Hausangestellte verzeichnet ist. Sie hatte gehofft, ihrem Sohn nach Brasilien nachfolgen zu können, was jedoch nicht gelang.
Den Deportationsbefehl nach Minsk erhielt Clara Brauer im November 1941 in der Bornstraße 20 "bei Katzenstein". Der ehemalige Chef ihres Sohnes, Hans Reineke, begleitete sie zum Sammelplatz.
Für Claras Schwester und Schwager, das Ehepaar Kadisch, liegen in Berlin Steglitz Stolpersteine. Hedwig Kadisch war zu einem uns nicht bekannten Zeitpunkt auf Anweisung des damaligen Wilmersdorfer Amtsarztes in die Wittenauer Heilstätten (heute Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik) eingeliefert und von dort in die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke in Bendorf-Sayn bei Koblenz gebracht worden. (1869 von dem Kaufmann Meyer Jacoby für jüdische Patientinnen und Patienten gegründet, blieb die Jacoby`sche Anstalt genannte Klinik in den ersten Jahren des Nationalsozialismus relativ unbehelligt. 1940 konnte Gründerfamilie Jacoby nach Südamerika entkommen. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland musste die Verwaltung der Klinik übernehmen, die laut Erlass vom 12.12.1940 die reichsweit einzige Anstalt für "geisteskranke Juden" wurde.) Zwischen März und November 1942 traten von dort aus 573 Patientinnen und Patienten die Fahrt in die Vernichtungslager an, Hedwig Kadisch am 15. Juni 1942 nach Sobibor. Ihr Mann Adolf wurde 1942 in eine sogenannte Judenwohnung in der Hubertusallee 37 in Berlin Grunewald einquartiert und von dort aus am 26. September 1942 nach Raasiku bei Reval (heute Tallinn) in Estland deportiert und dort ermordet.
Hans Reineke, der Clara Brauer zum Sammelplatz begleitet hatte, war ein mutiger Mann, nach eigenen Angaben bis 1933 Mitglied der SPD, des Reichsbanners und einer Freimaurerloge. Mensch geblieben, hatte er nicht nur Clara Brauer beigestanden, sondern auch dem Ehepaar Clara und Walter Bacher (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) sowie anderen Freunden Päckchen und aufmunternde Briefe in das Konzentrationslager Theresienstadt geschickt. Dafür wurde er 1943 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel inhaftiert. Begründung: Er als "Deutschblütiger" solle über seine Pflichten gegenüber "rassisch minderwertigen Staatsfeinden" belehrt werden. Erst im Jahr 2011 wurde bekannt, dass Hans Reineke 1943 auch zwei französischen Zwangsarbeitern zur Flucht verholfen hatte.
Horst Brauer blieb Hans Reineke sein Leben lang dafür dankbar, dass er seine Mutter zum Sammelplatz begleitet hatte, nach dem Krieg schickte er ihm Carepakete. Horst Brauer starb 2007 in Sao Paulo.
Clara Brauer überlebte, wie die meisten ins Getto Minsk Deportierten, nicht. Wann, wo genau und wie sie zu Tode kam, ist nicht bekannt.
Stand: Februar 2024
© Sabine Brunotte/Hildegard Thevs
Quellen: 1; 5; StaH 351-11_41263; StaH 351-14_1012; StaH 314-15_FVg 2124; Gespräch mit dem Enkel F. B. in Sao Paulo/Brasilien, 27.12.2016; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, Mitgliederzählung der DGH 1928; schriftliche Auskunft Magda Veleska, Prag, E-Mails vom 7., 12. und 18.8.2023; Adressbuch der Stadt Beuthen O.S. Und der ländlichen Ortschaften des Kreises Beuthen 1880, eingesehen bei Adressbücher.genealogy.net, Zugriff 18.8.2023; Barbara Brix, Clara und Walter Bacher Hamburg Theresienstadt Auschwitz, Hamburg 2023, S. 84 ff; https://www.duden.de zu Specereiwaaren, Zugriff 21.01.2024; https://www.werein.de/ zu Firma Weill und Reineke, Zugriff 21.01.2024; www.bendorf.de/stadt-buerger/juden-in-bendorf/jacoby-sche-anstalt/, Zugriff 22.1.2024; www.stolpersteine-berlin.de/de/bjornsonstrasse/3/hedwig-kadisch,
www.stolpersteine-berlin.de/de/bjornsonstrasse/3/adolf-kadisch, Zugriff 23.1.2024; https://de.wikipedia.org/wiki/Bytom Zugriff 1.2.2024.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".