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Gertrud Rosalie Dawidowicz (geborene Frankenthal) * 1893
Mundsburger Damm 45 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)
HIER WOHNTE
GERTRUD ROSALIE
DAWIDOWICZ
GEB. FRANKENTHAL
JG. 1893
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN / ZBASZYN
ERMORDET IM
BESTZTEN POLEN
Weitere Stolpersteine in Mundsburger Damm 45:
Fritz Isidor Dawidowicz
Fritz Isidor Dawidowicz, geb. am 17. oder 18.6.1893 in Zloczew, abgeschoben nach Zbaszyn am 28.10.1938, in Polen verschollen
Rosalie Gertrud Dawidowicz, geb. Frankenthal, geb. am 3.1.1893 in Kiel, abgeschoben nach Zbaszyn am 28.10.1938; 1939 für einige Monate nach Hamburg zurückgekehrt; endgültig abgeschoben im Oktober 1939, in Polen verschollen
Mundsburger Damm 45
Fritz (Isidor, Izydor) Dawidowicz war Jude und Pole. Er stammte aus Zloczew (von 1939 bis 1945 Schlötzau) bei Kalisz (Kalisch), einer kleinen Stadt etwa 100 km entfernt von Lodz, Breslau und Posen. In Hamburg handelte er mit Schuhen und Leder. Sein Vorname war Isidor, aber er hatte den Nenn-Namen Fritz angenommen, den er nicht nur im familiären Umfeld benutzte, sondern auch im Geschäftsleben. Ab 1938 wurde im Hamburger Adressbuch der Vorname Fritz durch Isidor ersetzt, was darauf hindeutet, dass sein deutscher Vorname nicht offiziell beim Standesamt eingetragen worden war. Die leicht germanisierte Schreibweise des Familiennamens (Dawidowitz statt Dawidowicz), die er privat und geschäftlich benutzte, wurde allerdings im Adressbuch beibehalten.
Über die Herkunftsfamilie und die Jugendjahre von Fritz Isidor Dawidowicz wissen wir nichts. Der überlebende Sohn meinte später, sich an einen Bruder des Vaters namens Motl zu erinnern.
Rosalie Gertrud Dawidowicz, geb. Frankenthal, war 1893 als Tochter von Samuel (Semmy) Frankenthal (1.10.1858 – 2.9.1908) und Anna, geb. Wolff (geb. 30.1.1859 in Tilsit), in Kiel geboren worden. Vermutlich lebte die Familie nur kurze Zeit in Kiel. Der Vater entstammte einer Hamburger jüdischen Familie; hier wurde er geboren und hier starb er auch im Alter von 49 Jahren. Rosalie Gertrud hatte zwei jüngere Brüder, Ludwig Walter und Abraham Herbert.
Rosalie Gertrud und Fritz Isidor Davidowicz heirateten am 10. Dezember 1920 in Hamburg, da lebten sie in der Bornstraße 6. In der Ehe wurden zwei Söhne geboren: Semi Werner (s. www.stolpersteine-hamburg.de) am 23.1.1922 und Edwin am 14.1.1929. Semi Werner war schwer krank und körperlich behindert, ob von Geburt an oder seit wann, ist unklar. Schon als sehr junger Mann hat Semi wohl nicht mehr im Haushalt seiner Eltern gelebt.
Fritz Dawidowicz führte ein Schuhgeschäft am Mundsburger Damm 38, wo Schuhe verkauft und repariert wurden. Die Familie wohnte eine kurze Zeit lang gegenüber im Mundsburger Damm 45 und ab Mitte der 1930er Jahre ganz in der Nähe in der Birkenau 3 auf der Uhlenhorst. Zur Zeit der Verfolgung tauchen noch die Adressen Oberaltenallee 9 III und Mittelstraße 90 auf.
Die Familie war ein Opfer der "Polenaktion", denn der Vater wurde im Oktober 1938 nach Zbaszyn (Bentschen) abgeschoben. Fritz Isidor Dawidowicz blieb bis zum Sommer 1939 im Lager Bentschen interniert. Da Polen diese Menschen nicht aufnehmen wollte, war diese Abschiebung schwierig und es gab keine einheitliche Vorgehensweise. Die Ehefrau Rosalie Gertrud wurde vermutlich erst 1939 ausgewiesen. Von Edwin existiert ein Abgangszeugnis der Talmud-Tora-Schule. Demnach besuchte er dies seit April 1935 von der ersten Klasse an und verließ sie im Sommer 1939 nach der fünften Klasse. Es gelang der Mutter, den erst 10jährigen Edwin alleine von Hamburg aus mit einem Kindertransport nach England zu schicken.
Semi Werner blieb wegen seiner Krankheit wohl in Hamburg. Nach Aussagen einer Verwandten wurde er in ein Heim eingewiesen. Im September 1939 war er für kurze Zeit im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Das Deutsche Reich internierte tausende polnische Juden nach Kriegsbeginn unter besonders schlechten Haftbedingungen. Dadurch wurde der Druck zur Ausreise sehr groß. Semi Werners Versuch, in die Schweiz auszureisen, scheiterte. Seine Mutter wurde noch 1939 endgültig nach Polen ausgewiesen, wo sie verschollen ist.
Der Sohn Edwin gelangte später von England nach Toronto. Er hatte keinen Kontakt mehr zu Familienangehörigen und auch keinen Kontakt zu jüdischen Institutionen in Kanada. Eine schulische Ausbildung hatte er in England nicht erhalten. Die deutsche Sprache verlernte er wieder und sein Englisch war mangelhaft. Als er – zu spät – versuchte, Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen, wurden diese Ansprüche wegen der nicht eingehaltenen Fristen zurückgewiesen. Er hinterlegte 1999 pages of testimony in Yad Vashem für seine Mutter und für seinen Bruder.
Rosalie Gertrud Dawidowicz‘ Geschwister:
Der nur 11 Monate jüngere, ebenfalls in Kiel geborene Bruder von Rosalie Gertrud Dawidowicz, Ludwig Walter Frankenthal, starb am 8. Juli 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen. Von 1938 bis 1940 war er in der Strafanstalt Fuhlsbüttel inhaftiert gewesen. Im Hamburger Adressbuch 1933 ist ein Walter Frankenthal mit der Berufsbezeichnung Kaufmann und der Adresse Rothenbaumchaussee 101/103 Hs. 9 verzeichnet.
Ein weiterer Bruder war Abraham Herbert Frankenthal. Dieser war am 14.5.1899 in Lübeck geboren worden, wo die Familie in der Johannisstraße 59 wohnte. Er wurde Kaufmann, machte aber später die Fotografie zu seinem Beruf. Abraham Herbert Frankenthal heiratete 1932 in Hamburg Lilly Rendsburg (geb. 28.12.1909) und emigrierte später in die Niederlande. Er und seine Frau wurden beide aus den Niederlanden deportiert und ermordet. Lilly Frankenthal hieß zu der Zeit aber Lilly Meininger (deportiert am 4.5.1943 nach Sobibor). Sie muss sich also getrennt und erneut geheiratet haben. Herbert Frankenthal wurde am 24.8.1943 nach Auschwitz deportiert.
Verwandte von Rosalie Gertrud waren möglicherweise der Handelsvertreter Leo Frankenthal und Ida, geb. Lindenfeld. Er fungierte als Trauzeuge bei der Heirat des Ehepaars Dawidowicz, und der behinderte Sohn Semi Werner wohnte zeitweise bei ihm. Für Leo und Ida Frankenthal liegen Stolpersteine in der Grindelallee 93.
Stand: August 2021
© Susanne Lohmeyer
Quellen: 1; 2 (FVg 7296; FVg 7351; F 353); 4; 7; 8; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 d; StaH 332-5 Heiratsregister, StA 3, 836/1920; Stah 332-5 Sterberegister, 9681; StaH 332-5, 13797 50/1932; StaH 332-8 Meldewesen Hausmeldekartei; StaH 351-11 AfW, 140129; StaH 351-11, 27257; StaH 351-11, 49187; StaH 362-6/10 Talmud-Tora-Schule; StaH 741-4 Fotoarchiv, Sa 1248; Frank Bajor, Arisierung, S. 353; Stadtarchiv Kiel; Stadtarchiv Lübeck; HAB I 1935, HAB II 1925, 1926, 1933-1935; Bettina Goldberg, Abseits der Metropolen, Neumünster 2011, S. 120ff; Bettina Goldberg, Die Zwangsausweisung der polnischen Juden aus dem Deutschen Reich im Oktober 1938 und die Folgen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. 46.1998, 11, S. 971-984. Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".