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Deborah Ehrenzweig (geborene Driller) * 1877

Dillstraße 3 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Lodz
ermordet

Weitere Stolpersteine in Dillstraße 3:
Flora Berlin, Irma Berlin

Dora Deborah Ehrenzweig, geb. Driller, geb. am 4.9.1877, am 25.10.1941 nach Lodz deportiert

Dillstraße 1

Dora Deborah Driller, am 4.9.1877 geboren, wuchs vermutlich bei ihren Eltern Salomon und Regina Driller im polnischen Landshut auf. Über ihren schulischen und beruflichen Werdegang ist nichts bekannt. Ebenso wenig ist bekannt, wann sie nach Hamburg kam und wie sie ihren späteren Ehemann David Ehrenzweig kennenlernte.

David Ehrenzweig wurde am 19.12.1879 vermutlich in einer der beiden polnischen Städte Drohobytsch oder Boryslaw geboren. Über seine Eltern ist nichts bekannt. Er kam 1902 nach Hamburg.

David und Deborah Ehrenzweig heirateten am 10.11.1911. In Hamburg wurden ihre vier Töchter geboren: Die Älteste, Caroline, am 15.1.1910; es folgten Rosa am 29.10.1911, Fanni am 12.4.1914 und Regina am 20.12.1915. Die Familienmitglieder besaßen die polnische Staatsangehörigkeit, sprachen jedoch nur deutsch miteinander.

Von Oktober 1915 bis November 1918 absolvierte David Ehrenzweig seinen Kriegsdienst in der österreichischen Armee. Zwischen 1919 und 1921 arbeitslos, bezog er Fürsorgeunterstützung. Ab 1921 arbeitete er als Drechsler bei der Hapag-Lloyd und erhielt einen Wochenlohn von ca. 35 RM.

Deborah und David Ehrenzweig trennten sich 1920, lebten aber noch in der gleichen Wohnung. Regina Ehrenzweig gibt an, dass Deborah krank gewesen sei und deshalb nicht gearbeitet und sich nur um die Töchter gekümmert habe. Das Familienleben sei trotz der Trennung der Eltern intakt gewesen. Laut Tochter Rosa hingegen habe es zuhause "ab und zu Unruhe gegeben". Die Eltern hätten sich aber trotz der unglücklichen Ehe nicht scheiden lassen. Ihre Kindheit und Jugend sei jedoch aufgrund der guten Beziehungen zwischen den Schwestern "glücklich und unbeschwert" gewesen. David Ehrenzweig hatte nach der Trennung ein Zimmer in der Wohnung seiner Frau gemietet, für das er 3 RM wöchentlich zahlte, und "verpflegte sich außer Haus". Rosa beschreibt ihre Eltern als "sehr freie[e]"Juden, nicht orthodox.

Die Familie scheint eher arm gewesen zu sein, so lebten die Töchter Caroline und Rosa jahrelang im jüdischen Waisenhaus Paulinenstift, da die Eltern sie nicht ernähren konnten. In der ersten bekannten gemeinsamen Wohnung in der Carolinenstraße 34 vermietete die Familie von den drei Zimmern immer eins an Untermieter. Nicht bekannt ist, wann sie in die Dillstraße 3 zog. In der Akte der Familie vermerkte der Fürsorger, die Wohnung in der Carolinenstraße sei nur "notdürftig eingerichtet" gewesen, während die Wohnung in der Dillstraße 3 besser eingerichtet gewesen sei und einen "sauberen Eindruck" gemacht habe. Vermutlich lag dies daran, dass einige der Töchter ab 1933 arbeiteten und zum Unterhalt der Familie beitragen konnten. Dennoch musste die Familie durch "öffentliche Wohlfahrt" und die jüdische Gemeinde unterstützt werden.

Tochter Rosa hatte in Hamburg die Volksschule besucht, eine dreijährige Ausbildung zur Schneiderin abgeschlossen und anschließend in verschiedenen Stellungen als Schneiderin gearbeitet. Darunter in einem jüdischen Kinderheim. Regina hatte in Hamburg die Israelitische Höhere Töchterschule besucht, sie wollte Kindergärtnerin werden. Als Jüdin konnte sie aber 1934 nicht das nötige Examen ablegen, so arbeitete sie als Kindermädchen. Caroline bestand im Frühjahr 1933 im Fröbel-Seminar das Examen und arbeitete fortan als Kindergärtnerin in der Jüdischen Gemeinde. Fanny Ehrenzweig hatte von 1921 bis 1930 die Israelitische Höhere Töchterschule besucht und dann eine Lehre als Buchhalterin begonnen. Anschließend arbeitete sie bis 1936 in verschiedenen Stellungen als Bürokraft. Im Oktober 1936 fuhr sie als Touristin nach Brasilien. Ihr Verlobter, Lothar Berlin, befand sich bereits seit Mai des Jahres dort. Die beiden heirateten im Dezember 1937 und lebten weiterhin in Südamerika, wo auch ihr Sohn Gerhard geboren wurde.

1936 wurde David wegen angeblicher Äußerungen gegen die NSDAP entlassen. Als Jude fand er dann bis zu seiner Verhaftung 1938 keine Arbeit mehr. Im Oktober 1938 wurde er ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel gebracht, seine Tochter Regina besuchte ihn dort. Nach vier Monaten kam er zurück und war "seelisch und körperlich gebrochen".

Regina Ehrenzweig gibt an, dass der Vater gezwungen werden sollte, Deutschland innerhalb einer befristeten Zeit zu verlassen, andernfalls würde er wieder ins KZ gebracht werden. Kurz nach der Entlassung ging er ins polnische Boryslaw, um Verwandte zu besuchen, hatte aber die Absicht, nach Hamburg zurückzukehren. Er habe den Pass der Mutter mit nach Polen genommen, woraufhin diese für staatenlos erklärt worden sei. Ab Ende 1938, so glaubten die Schwestern sich zu erinnern, seien keine Nachrichten mehr von ihrem Vater gekommen. In der Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde Hamburgs ist seine Abreise dagegen mit dem 27. April 1939 notiert.

Das Gebiet um Boryslaw wurde nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 besetzt. Ab dem 1.8.1941 mussten die dort lebenden Juden den sog. Judenstern tragen; auch wurde ein Getto errichtet. Das Amt für Wiedergutmachung nimmt an, dass David dort eingewiesen wurde und verstarb. Zur Inhaftierung von David Ehrenzweig und zu seinem Tod existieren keine Nachweise. Deshalb wurde sein Todesdatum auf das Kriegsende festgesetzt.

Caroline, Rosa und Regina wurden am 28. Oktober 1938, als der NS-Staat die polnischen Juden aus Deutschland abschob, aus der Wohnung in der Dillstraße 3 geholt und für eine Nacht ins Untersuchungsgefängnis gebracht, Deborah Ehrenzweig blieb in der Wohnung zurück. In der darauffolgenden Nacht wurden die Schwestern im Zuge der sog. Polenaktion an die Grenze zwischen Deutschland und Polen gebracht und dort, ihrer Erinnerung nach von SS-Männern, gewaltsam über die Grenze nach Bentschen (pon. Zbaszyn) getrieben.

Dort blieben die Schwestern mit ca. 80 bis 100 Personen in einer Scheune, wo es sehr kalt war und es sehr wenig zu essen gab. Rosa, Regina und Caroline blieben neun Monate lang dort. Die Zustände in dem Lager waren laut Regina sehr bedrückend, viele Personen seien gestorben oder hätten Selbstmord begangen. Personen zwischen 16 und 40 Jahren konnten sich für die Ausreise nach England bewerben. Carolines und Reginas Ausreise wurde bewilligt. Sie verließen das Lager am 31.7.1939 und fuhren zurück nach Hamburg zu ihrer Mutter, um dort die nötigen Ausreisepapiere zu bekommen. Regina und Caroline gelangten über Umwege nach Holland und von dort auf ein Schiff nach England, wo sie im August 1939 eintrafen. Caroline arbeitete in London als Lehrerin, Regina in verschiedenen Stellungen als Dienstmädchen und Haushaltsgehilfin.

Rosa, die bis Juni 1939 mit ihren Schwestern in Bentschen blieb, kehrte nach Hamburg zurück und wanderte im August 1939 in die Niederlande aus. Dort arbeitete sie zunächst in verschiedenen Haushalten in Amsterdam. Vom 1. September 1942 bis zum Kriegsende überlebte sie im Versteck, um der drohenden Deportation zu entgehen. Nach Kriegsende heiratete sie ihren Helfer, den Niederländer Jan Schoumann. 1949 kam ihre Tochter Marianne zur Welt. 1955 zog die Familie nach London, wo auch Caroline und Regina Ehrenzweig lebten.

Deborah Ehrenzweig, allein in Hamburg zurückgeblieben, lebte bis 1939 in der Dillstraße 3 und wurde von dort in ein sog. Judenhaus in der Bundesstraße 35 umquartiert. Bei diesem erzwungenen Umzug musste sie ihren Besitz, den sie nichtmitnehmen konnte, "verschleudern". In der Bundesstraße bewohnte sie nur ein kleines, bescheiden eingerichtetes Zimmer.

Als sie am 25. Oktober 1941 als "polnische Jüdin" nach Lodz deportiert wurde, wurden die Besitztümer aus diesem Zimmer eingezogen. (Die Töchter erhielten später 1.500 DM Wiedergutmachung für den verlorenen Hausrat und die Besitztümer der Mutter).

Als Deborahs Töchter erfuhren, dass ihre Mutter nach Lodz gebracht wurde, schickte Tochter Rosa ihr dorthin Pakete, erhielt jedoch keine Antwort und nahm deshalb an, dass Deborah Ehrenzweig gestorben sei.

Ein Todesnachweis für Deborah liegt nicht vor. Auch ihr Todesdatum wurde deshalb nach dem Krieg auf den 8.5.1945 festgelegt. (Caroline, Rosa, Fanni und Rosa erhielten zusammen 6.450 DM Haftentschädigung für ihre Mutter = DM 5 pro Tag.)

Stand: Januar 2020
© Karin Oelfke

Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 213-13 Landgericht Hamburg - Wiedergutmachung 991; StaH 231-13 Landgericht Hamburg - Wiedergutmachung 572; StaH 351-11 AfW 35362; StaH 351-11 AfW 39740; Löw, Andrea: In der "Öde von Lodz". Deutsche Jüdinnen und Juden im Ghetto Litzmannstadt. In Meyer, Beate (Hrsg.): Deutsche Jüdinnen und Juden in Ghettos und Lagern (1941-1945). Lodz. Chelmno. Minsk. Riga. Ausschwitz. Theresienstadt. Hamburg 2017, S. 24-53; Meyer, Beate: Die Deportationen nach Lodz, Minsk und Riga. In: Meyer, Beate (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933-1945. Geschichte. Zeugnis. Erinnerung. 2. Aufl. Hamburg 2007, S.58-67.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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