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© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf
Horst Engelhardt * 1936
Dieselstraße 24 (Hamburg-Nord, Barmbek-Nord)
HIER WOHNTE
HORST ENGELHARDT
JG. 1936
EINGEWIESEN 1941
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 11.8.1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
ERMORDET 18.4.1944
Horst Engelhardt, geb. 7.7.1936 Hamburg, aufgenommen in die Alsterdorfer Anstalten am 31.7.1941, verlegt am 11.8.1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, ermordet am 18.4.1944
Dieselstraße 24
Horst Engelhardt kam am 7.7.1936 als das erste Kind seiner Mutter Anna Engelhardt in der Hamburger Frauenklinik Finkenau zur Welt. Seine Geburt verlief ohne irgendwelche Komplikationen. Horst wog 3570 g bei einer Länge von 54 cm und wurde mit der Flasche ernährt. Seine Eltern stammten beide aus Thüringen und waren nicht verheiratet. Der Vater arbeitete als Buchdrucker, zwei der drei Brüder der Mutter als Schlosser, der dritte als Kaufmann. Die Mutter hatte außerdem fünf Schwestern. Die Familie war evangelisch. Horst erhielt einen Amtsvormund.
Horst lernte früh zu gehen, sprach aber nicht, vermutlich war er gehörlos. An "Kinderkrankheiten" machte er Keuchhusten und eine Mittelohrentzündung durch. Als er ein Jahr als war, wurde er wegen eines Infekts der oberen Luftwege einen Monat im Kinderkrankenhaus Rothenburgsort behandelt. Er hatte außerdem einen Nabelbruch, von dessen Operation der Chefarzt Wilhelm Bayer "wegen des hartnäckigen Infektes" absah und ihn in häusliche Pflege entließ, wie sich aus einem Schreiben vom Juni 1942 ergibt.
Schon in früher Kindheit fiel Horsts Eigensinn auf. Als er älter wurde, bekam er heftige Wutanfälle; ihn zu beruhigen, war nicht möglich. Horst war sehr kräftig, riss gern Dinge herunter, auch schwere Gegenstände. Als Ursache dafür wurde eine Gemütserkrankung seiner Mutter vor ihrer Niederkunft angenommen.
Anna Engelhardt heiratete am 19. August 1938 einen Angestellten der Hapag, der ebenfalls aus Thüringen stammte. Ihr gemeinsamer Sohn wurde am 17. September 1940 geboren; da war Horst vier Jahre alt. Sein körperlicher Zustand wurde als gut bezeichnet, sein Verhalten jedoch als sehr wechselhaft beschrieben. Zeitweilig sei er ruhig und umgänglich, dann wieder bewege er seine Arme und Beine fast ununterbrochen unkoordiniert und sei nicht zu beeinflussen. Mit der Diagnose "Idiotie" wurde er am 31. Juli 1941 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten eingewiesen. Sein Stiefvater war zu der Zeit als Proviantoffizier zur Wehrmacht eingezogen.
Mit der Aufnahme in den ehemaligen Alsterdorfer Anstalten begann für Horst offenbar eine schlimme Zeit. Schon am Tag seiner Ankunft wurde er angegurtet, weil er so unruhig war. Nach jedem Besuch hatte er Heimweh, und eine Folge von Infektionskrankheiten führte dazu, dass er mehrfach in die Krankenstation verlegt wurde. Die Infektionen betrafen den Oberkiefer, dann die Mundhöhle, weshalb ihm vier Schneidezähne gezogen wurden. Auf Nasen-Diphtherie folgten Windpocken. Wegen der Infektionen musste die erste Diphtherie-Schutzimpfung aufgeschoben werden und erfolgte endlich am 11. November 1942.
Offenbar war bei Horsts Aufnahme die Kostenübernahme nicht geklärt worden. Er galt bei der Landesfürsorge als krank, nicht als pflegebedürftig, so dass die Allgemeine Ortskrankenkasse zahlungspflichtig war. Eine Einweisung zur "Bewahrung" war jedoch weder durch das Jugendamt noch durch die Landesfürsorge erfolgt. Es waren auch keinerlei Anträge seitens des Vormunds gestellt worden. Am 27. Juli 1943 schickte die Anstaltsleitung ein Gutachten an die "Verwaltung für Jugendertüchtigung und Jugendhilfe des Landesjugendamts. Amtvormundschaft" zur Begründung der Kostenübernahme durch die Sozialverwaltung. Das Gutachten über Horst Engelhardt lautete: "Diagnose: Idiotie. Es handelt sich um einen sehr unruhigen Pflegling, der sehr viel schreit. Sprachvermögen besitzt er nicht, er muss an- und ausgekleidet werden. Während er am Tage trocken gehalten werden kann, nässt er des Nachts sein Bett und beschmutzt sich auch. Sein Gesundheitszustand ist zufriedenstellend."
Zwei Tage zuvor hatten die Großangriffe der Alliierten auf Hamburg begonnen, die in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli mit dem Feuersturm ihren Höhepunkt erreichten und erst im August endeten. Auch die Alsterdorfer Anstalten wurden beschädigt und sollten zudem Obdachlose aufnehmen. Das war der Anlass für die Anstaltsleitung, die Hamburger Gesundheitsverwaltung um Zustimmung für die Verlegung von insgesamt 469 Bewohnerinnen und Bewohner in weniger luftgefährdete Anstalten zu ersuchen, die auch erteilt wurde. Am 10. August 1943 verließ ein Transport von 113 Jungen und Männern Hamburg, darunter Horst Engelhardt, mit dem Ziel der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen bei Passau. Die Gründe für die Auswahl Horst Engelhardts für die Verlegung sind nicht bekannt. Sie lagen vielleicht in seiner schwierigen Pflege. Horsts Mutter, die von der Verlegung nicht informiert worden war, wurde in der Dieselstraße ausgebombt.
Am 12. August 1943 traf der Transport aus Hamburg in Mainkofen ein. Ein halbes Jahr später vermerkte ein erster Eintrag in Horsts Krankenakte: "An Lungenerscheinungen erkrankt; in letzter Zeit starke Gewichtsabnahme." Beides kann auf den "Bayrischen Hungererlass" zurück gehen. Mit ihm hatte im November 1942 der bayerische Staatskommissar für Gesundheitswesen, Walter Schultze, offiziell eine bessere Ernährung der arbeitsfähigen Patienten auf Kosten der nicht arbeitsfähigen Patienten festgeschrieben.
Am 8. Februar 1944 sandte der Direktor der Anstalt Mainkofen mit der Anschrift Diestelstraße 24 eine "Verschlechterungsmeldung" an Horsts Mutter: "Das körperliche Befinden Ihres Sohnes Engelhardt Horst hat sich in letzter Zeit stark verschlechtert, es liegt Lungentuberkulose vor. Mit dem Ableben ist in absehbarer Zeit zu rechnen. Besuch ist jederzeit gestattet. Unterkunftsmöglichkeit besteht in Mainkofen nicht, Sie müssten sich vorher in Deggendorf (Gasthof Aschenbrenner) oder in Plattling (Bahnhofhotel Liebl) ein Zimmer bestellen." Der Brief kam als unzustellbar zurück.
Am 4. April wurde in der Akte festgehalten, dass sich Horsts Befinden weiter verschlechtert habe. Er atme sehr oberflächlich und sei zum Skelett abgemagert. Zwei Wochen später, am 18. April 1944 um 19.45 Uhr, starb er, angeblich an Lungentuberkulose. Da die Anschrift der Angehörigen nicht bekannt war, schickte die Direktion der Anstalt Mainkofen ein Telegramm mit der Nachricht von Horsts Tod und seiner "Beerdigung am folgenden Samstag um 8 Uhr" an die Sozialverwaltung Hamburg, die inzwischen die Kosten übernommen hatte.
Horst Engelhardt wurde auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt. Er wurde sieben Jahre und neun Monate alt.
Stand: Oktober 2016
© Hildegard Thevs
Quellen: Hamburger Adressbücher; Archiv der Ev. Stiftung Alsterdorf, V 420; Ernst Klee "Euthanasie" im NS-Staat, Frankfurt, 1985; Michael Wunder et. al.: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, Hamburg, 2. Aufl. 1988.