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Benjamin Findling * 1916
Rieckhoffstraße 5 (Harburg, Harburg)
HIER WOHNTE
BENJAMIN FINDLING
JG. 1916
AUSGEWIESEN 1938
ZBASZYN POLEN
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Rieckhoffstraße 5:
Rachel Rosa Abosch, Klara Ruth Abosch, Richard David Abosch, Alfred Findling, Adolf Greif, Fanny Greif
Alfred Findling, geb. am 23.1.1913 in Harburg, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zba˛szy´n, 1939–1940 KZ Fuhlsbüttel, am 11.6.1941 ermordet im KZ Sachsenhausen
Benjamin (Benno) Findling, geb. am 23.2.1916 in Harburg, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zba˛szy´n, umgekommen in Polen, Todesdatum unbekannt
Stadtteil Harburg-Altstadt, Rieckhoffstraße 5
Alfred und Benjamin (Benno) Findling waren die beiden ältesten Söhne des jüdischen Kaufmanns Hersch (Hermann) Findling (8.2.1887–1.3.1924) und seiner Ehefrau Berta (5.8.1888–6.9.1938), die 1907 bzw. 1912 aus dem damals österreich-ungarischen – später polnischen – Galizien ausgewandert waren und in Harburg eine Familie gegründet hatten. Jacob Findling, der jüngste Sohn, kam am 23.4.1919 zur Welt. Alle drei Kinder besuchten die städtische Knabenschule am (Harburger) Rathausmarkt, die von ihrem Elternhaus in der Konradstraße (heute Rieckhoffstraße) schnell zu erreichen war. Jacob Findling musste später allerdings wegen wachsender antijüdischer Anfeindungen an dieser Schule auf die Talmud Tora Schule in Hamburg wechseln.
Hermann Findling betrieb ein Kurz-, Weiß- und Stahlwarengeschäft im Erdgeschoss des großen Mietshauses in der Konradstraße, das ihm gehörte. Die Wohnung der Familie befand sich in demselben Haus. Die Eltern und ihre drei Söhne fühlten sich wohl in Harburg. Sie waren Harburger und darüber hinaus "gute Deutsche" wie alle anderen, die hier wohnten, wie Jacob Findling in seinen Erinnerungen schreibt: "In Deutschland geboren, mit deutschen Christen gespielt, deutsche Sprache gesprochen, deutsche Nachbarn gehabt, fühlte ich mich als deutscher Jude genauso deutsch wie meine christlichen Freunde."
Nach dem frühen Tod ihres Mannes, der auf dem Jüdischen Friedhof in Harburg begraben wurde, versuchte Berta Findling, das Geschäft weiterzuführen. Gleichzeitig stand sie vor der schweren Aufgabe, ihre drei Kinder allein erziehen zu müssen. Alfred fand nach seiner Ausbildung eine Anstellung bei der Deutsch-Hannoverschen Bank, Benjamin wurde Verkäufer in einem Konfektionsgeschäft und Jacob absolvierte nach seinem Schulbesuch eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in dem damals stadtbekannten jüdischen Warenhaus M. M. Friedmann in der Lüneburger Straße in Harburg.
Als Hitler die Macht übernahm, änderte sich das Leben der Familie dramatisch. Alfred Findling erhielt von der Deutsch-Hannoverschen Bank eine Kündigung und wechselte zu einer jüdischen Im- und Exportfirma in Hamburg. Benno Findling wurde ebenfalls gekündigt. In Wilhelmshaven fand er anschließend bei einem Verwandten noch einmal für einige Monate eine neue Anstellung. Jacob Findling wurde arbeitslos, als das Warenhaus M. M. Friedmann 1935 "arisiert" wurde. Berta Findling war mit der Führung des Geschäfts, das sie nach dem Tod ihres Mannes übernommen hatte, zunehmend überfordert und musste es, nachdem sie von einer ihrer Angestellten jahrelang betrogen worden war, schließlich aufgeben. Diese menschliche Enttäuschung und der materielle Verlust belasteten sie immer stärker. Am 6. September 1938 starb sie als gebrochene Frau im Alter von 50 Jahren an einer Herzthrombose. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf begraben.
Die drei Brüder zogen bald danach in die Rappstraße 15 im Hamburger Grindelviertel und hatten ihre neue Umgebung kaum richtig kennen gelernt, als sie am 28. Oktober 1938 im Zuge der so genannten Polenaktion verhaftet und noch am gleichen Abend mit über 1000 anderen Hamburger jüdischen Männern, Frauen und Kindern in einem Massentransport vom Altonaer Bahnhof mit der Bahn nach Neu-Bentschen gebracht und von dort am nächsten Morgen über die deutsch-polnische Grenze nach Zba˛szy´n getrieben wurden.
Wie zahlreiche andere Vertriebene, die sich nicht tatenlos mit ihrem Schicksal abfinden wollten, kehrten Alfred und Benjamin Findling im Frühjahr 1939 noch einmal nach Deutschland zurück. Die deutschen Behörden hatten ein gewisses Interesse daran, denjenigen eine befristete Rückkehr zu erlauben, die hier noch geschäftliche Angelegenheiten zu regeln hatten oder konkrete Vorkehrungen für eine Ausreise in ein Drittland über einen deutschen Hafen oder Bahnhof nachweisen konnten. Unter diesen Umständen mussten Alfred und Benjamin Findling das Haus in der Konradstraße – weit unter Wert – verkaufen. Neuer Eigentümer wurde ein Harburger Geschäftsmann. Der Erlös ging auf ein Sperrkonto, über das die Brüder nur mit Genehmigung des Hamburger Oberfinanzpräsidenten verfügen konnten. Gleichzeitig beantragten sie eine Auswanderungserlaubnis; als Ziel nannten sie einmal die USA, ein anderes Mal Polen.
Während Benjamin Findling vor dem 1. September 1939 nach Polen zurückreiste, wurde sein Bruder Alfred, dessen Aufenthaltsgenehmigung noch einmal verlängert worden war, in Hamburg vom Beginn des Zweiten Weltkriegs überrascht, als feindlicher Ausländer von der Gestapo verhaftet und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. Am 24. Februar 1940 wurde er von dort in das KZ Sachsenhausen überstellt und als Häftling Nummer 20392 registriert. Im Winter 1941 lag er mehrere Wochen im Krankenbau des Lagers, bevor er am 4. Juni 1941 zum Kommando "S" abgestellt wurde. Dabei handelte es sich um eine Tarnbezeichnung für den Transport zur "Euthanasie"-Mordanstalt Pirna/Sonnenstein im Rahmen der Aktion "14 f 13". Im Sommer 1941 wurden mehr als 1000 größtenteils "arbeitsunfähige" KZ-Häftlinge in Pirna/Sonnenstein im Gas ermordet. Alfred Findlings Leben endete am 11. Juni 1941. Als Todesursache gab der Standesbeamte "Herzschwäche" infolge einer Grippe an. Die Urne mit seiner Asche wurde am 3. November 1941 auf dem jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beigesetzt.
Das Flüchtlingslager in Zba˛szy´n, in dem sich Benjamin Findling befand, wurde im August 1939 von der polnischen Regierung aufgelöst und die Insassen angesichts der drohenden Kriegsgefahr in das Landesinnere verlegt, sofern sie nicht schon vorher zu Verwandten oder Freunden in Polen weitergereist waren. Nach dem deutschen Überfall auf das Land begann ihre erneute Verfolgung. Sie mussten sich als Juden kennzeichnen und wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Es folgten die Umsiedlung in vorgeschriebene Wohnbezirke, d. h. Gettos, und schließlich die Deportationen in die Vernichtungslager Beł˙zec, Sobibór, Majdanek, Treblinka, Chełmo und Auschwitz.
Benjamin Findling fand offenbar vorübergehend Zuflucht bei Verwandten seiner verstorbenen Mutter. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Er gilt als verschollen – wie Zehntausende anderer Juden, die den Holocaust in Polen nicht überlebten.
Sein jüngerer Bruder Jacob gelangte im August 1939 von Zba˛szy´n nach Tarnów, das drei Wochen später von deutschen Truppen besetzt wurde. Nachdem er die Nachricht von der Verhaftung seines Bruders Alfred in Hamburg erhalten hatte und nichts über das Schicksal seines Bruders Benjamin in Erfahrung bringen konnte, flüchtete er im November 1939 über die Demarkationslinie in den von der Roten Armee besetzten Teil Polens. Nach einer Odyssee durch unzählige sowjetische Straflager kehrte er im Herbst 1946 nach Hamburg zurück. Zwei Jahre später wanderte er nach Israel aus.
© Klaus Möller
Quellen: 1; 2 (R 39/2835, F 516); 4; 5; 8; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 230113, Findling, Alfred, 230216, Findling, Benjamin, 230419 Findling, Jakob; Schriftliche Mitteilung der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen vom 15.12.2010; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Kändler/Hüttenmeister, Friedhof; Findling, Hánitzol; Ellermeyer u.a., Schalom; Ley/Morsch, Medizin, S. 310ff.; Gespräch des Verfassers mit Jakob Findling vom 9.9.1990.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.