Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Gertrud Brinn (geborene Schindler) * 1873

Bismarckstraße 16 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
GERTRUD BRINN
GEB. SCHINDLER
JG. 1873
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Gertrud Brinn, geb. Schindler, geb. am 21.11.1873 in Breslau; am 15.7.1942 in das Getto Theresienstadt deportiert, von dort am 15.5.1944 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert

Bismarckstraße 16

Gertrud Brinn, die Tochter von Adolf Schindler und Emilie Schindler, geb. Schäfer, war Jüdin und verheiratet mit dem Juden Paul Daniel Brinn; dieser war acht Jahre älter als sie: geboren am 1.8.1865 in Schippenbeil. Aus ihrer Ehe gingen drei Kinder hervor: Hans Werner, der Älteste, wurde am 2.8.1895 geboren; es folgten Erna Hildegard (geb. am 31.7.1899) und ein Jahr darauf, am 7.6.1900, Hertha Ilse. Der Geburtsort aller drei Kinder war Lübeck.

Es ist nicht bekannt, wann die Familie nach Hamburg kam. Das Hamburger Adressbuch verzeichnete in seiner Ausgabe für 1906 erstmals den Namen Paul Brinn, der als Kaufmann in der Bismarckstraße 64 wohnte. Es folgten mehrere Umzüge, bis von 1916 an für längere Zeit die Bismarckstraße 16 als Wohnadresse galt; auch die Erwerbstätigkeit Paul Brinns änderte sich und wies mit den Bezeichnungen "Agentur und Kommission" (1917) und "Handelsvertreter" (1919) jetzt auf eine berufliche Selbstständigkeit hin; ab 1921 folgte der Eintrag einer Textilwaren-Großhandlung (Im- und Export), die er in der Königstraße 14/16 betrieb, während der private Wohnsitz von der Bismarckstraße 16 über die Brahmsallee 27 in die Löwenstraße 52 verlegt wurde. Diese Anschrift galt dann 1933 auch als Geschäftsadresse für die neue Textilwaren-Vertretung – ein Textilwarengroßhandel wurde nicht mehr aufgeführt und war offenbar aufgegeben worden. 1935 hieß es dann, dass Paul Brinn als Kaufmann in Lohbrügge in der Adolf-Hitler-Straße (der vormaligen Lohbrügger Reichsstraße) 142 wohnte. Insgesamt scheint Paul Brinn in seinem Beruf erfolgreich gewesen zu sein, gibt es doch im Adressbuch Hinweise auf einen umfang¬reicheren Grundbesitz, der, wie bei Selbstständigen nicht unüblich, auf den Namen der Ehefrau einge¬tragen war, um bei eventuell eintretenden geschäftlichen Misserfolgen nicht für Verbindlichkeiten heran¬gezogen zu werden; auch ein nach 1945 einsetzendes Restitutionsverfahren weist auf diesen Grundbesitz hin.

Im Jahr 1939 legte der Jüdische Religionsverband in Hamburg eine Kultussteuerkarteikarte von Gertrud Brinn an. (Paul Brinn war 1937 in Hamburg gestorben). Alle als "jüdisch" nach Definition der Nationalsozialisten eingestuften Personen mussten jetzt Mitglieder der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland werden, und der Jüdische Religionsverband war dessen Zweigstelle. Wie alle Zwangsmitglieder leistete Gertrud Brinn von diesem Zeitpunkt an auch vorgeschriebene Abgaben. Der Sohn Hans-Werner erklärte später im Wiedergutmachungsverfahren, seine Eltern seien "seit langer Zeit evangelischer Konfession" gewesen.

Für die Behörden in Hamburg galt Gertrud Brinn jedoch als Jüdin. Folglich unterlag sie der antijüdischen Politik und den alltäglichen Diskriminierungen, denen die Juden ausgesetzt waren. Als 1938 die "Arisierungen" von jüdischen Unternehmungen und von jüdischem beweglichen und unbeweglichen Besitz verstärkt in Angriff genommen wurden, blieb sie davon nicht verschont. Immer noch wohnte sie in Bergedorf in der Lohbrügger Reichsstraße 142/152. An jenem Grundstück war sie zu 40 Prozent beteiligt. Unter abstrusen Vorwänden fand dort im August jenes Jahres eine Hausdurchsuchung durch die Polizei statt, an der auch Angehörige der nationalsozialistischen Parteigliederung teilnahmen. Die Durchsuchung hatte offensichtlich den Zweck, die jüdische Eigentümerin einzuschüchtern und sie zu einem Verkauf des Grundstücks zu veranlassen. Ihr Sohn Hans-Werner Brinn beschrieb 1952 diese Situation in einem Brief und protestierte damit gegen seine Behandlung durch die Finanzbehörde. Der Brief ging an die Staatliche Pressestelle. Darin hieß es u. a.: "Zu den sehr massiven Schikanen, die dazu führen sollten, einen Grundstücksraub im Jahre 1938 in meiner Familie durchzuführen, gehörte eine Anzeige gegen meine damals über 60 Jahre alte Mutter wegen Nacktkultur. Bei einer Haussuchung, die durch die Polizei und die damalige NSDAP durchgeführt wurde, wurden von den unteren Organen als ‚schwer belastendes Material’ drei Bäderprospekte aus Westerland, Travemünde und Italien beschlagnahmt, und die ‚Sieger’ zogen aus dem Hause, nachdem von ihnen mehrfach der Ausdruck ‚Schandfleck’ und ‚Räuberhöhle’ gebraucht wurde, weil durch die gleichen Organe ebenfalls in Vorbereitung des beabsichtigten Raubes eine Reihe asozialer Elemente auf dem 52.000 qm großen Grundstück untergebracht wurden."

Diese Aktion war keine Entgleisung inkompetenter Behörden. Sie erhielt ihre amtliche Beglaubigung, als die daran beteiligte Schutzpolizei in ihrem Polizeibericht vom 27. August 1938 sich der gleichen Wortwahl bediente (was 1952 für die Liegenschaftsverwaltung der Finanzbehörde Hamburgs kein Grund war, diesen Bericht anzuzweifeln: Für sie war es ein "durchaus sachlich gehaltener Bericht des damaligen Reviervorstehers – eines Hauptmanns der Schutzpolizei").

Gertrud Brinn musste ihre Wohnung verlassen und zog vorerst zu ihrer Tochter Hildegard in das Stift Frickestraße 24. Ihre Unterbringung war nur vorübergehend: Am 17. April 1942 bewohnte sie dort das Zimmer 25, bereits am 15. Juli 1942 wurde sie ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Und schon am 1. September 1942, zehn Wochen nach ihrer Deportation, erteilte der Oberfinanzpräsident in Hamburg dem in dieser Sache allgegenwärtigen Versteigerungsunternehmen Carl F. Schlüter den Auftrag, ihre "Wohnungseinrichtung usw. [...] in freiwilliger Versteigerung zu verkaufen" und den Erlös nach Abzug der Kosten auf das Konto der Oberfinanzkasse zu überweisen.

Für den Staat interessant waren auch Grundstücke und Wertpapiere, die aus den Arbeitserträgen des Paul und der Gertrud Brinn wahrscheinlich – und wie bei Selbstständigen üblich – als Altersrücklage gekauft und bei der Deutschen Bank deponiert worden waren; dazu gehörten vier Grundstücke in Hamburg und Berlin, die damals im Einheitswert eine Gesamtsumme von 126.630 Reichsmark (RM) umfassten und Hypotheken im Wert von über 53.000 RM; hierzu gehörte auch anteilig das Miteigentum an dem Grundstück Bismarckstraße 16. Hinzu kamen Aktien, Schatzbriefe und Staatsanleihen im Wert von 21.760 RM. Außerdem gab es bei der Hamburger Sparkasse noch ein Sparbuch mit einer Einlage von mehr als 3.200 RM und ein Girokonto, dessen Bestand allerdings nicht ermittelt wurde. Diese Werte wurden Gertrud Brinn über den Zeitraum von einem Jahr in fünf Raten (beginnend mit der ersten Rate am 15. Dezember 1938 und endend mit der letzten Rate am 15. November 1939) geraubt, deklariert als "Sühneleistung" für den Novemberpogrom.

Die Kinder von Gertrud und Paul Brinn lebten in Hamburg in Ehen mit nichtjüdischen Partnern. Hans Werner Brinn übte den Beruf eines Handelsvertreters aus und wohnte mit seiner Ehefrau Erna Hükefeld im Naumannsweg 4; Ilse Brinn, Hausfrau, trug nach der Eheschließung den Namen Thiel und wohnte in der Parkallee 84, Hildegard Brinn den Namen Kroll; sie war beruflich als kaufmännische Angestellte tätig, wohnte in der Ludolfstraße 4 und hatte zuletzt die Mutter bei sich aufgenommen. Ihre Ehen haben sie vor lebensbedrohenden Verfolgungen wie den Deportationen bewahrt.

Nicht geschützt waren sie gegen Repressionen, die am Ende der Deportationen gegen noch nicht deportierte Juden ergriffen wurden. Dazu gehörte der Zwangsarbeitseinsatz, in dessen Rahmen Hildegard Kroll im Oktober 1944 zur Fa. Max Wunder verpflichtet wurde (Schweißen von U-Boot-Teilen). Zuvor hatte sie 1939 vom Arbeitsamt die Aufforderung erhalten, ihre Arbeitskraft dem Statistischen Amt der Hansestadt Hamburg "zur Verfügung zu stellen". Wegen ihrer jüdischen Abstammung gab man ihr diese Anstellung jedoch nicht: "Ich wurde dann im Jahr 1943 zur Firma Dralle als Arbeiterin verpflichtet", und das bedeutete, in einer "jüdischen Kolonne" Schwerstarbeit leisten zu müssen (was ihr 1952 in ihrem Wiedergutmachungsverfahren als Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen anerkannt wurde): "Bei Dralle musste ich zunächst etwa 2 Wochen im Freihafen arbeiten. Bei Tagesangriffen wurde ich zwecks Bewachung auf den Boden geschickt, während alle übrigen restlos in den Keller gingen. Das war selbst der Partei zuviel. Sie holte mich von dem Boden herunter und wies die Leitung an, einen anderen raufzuschicken. Im übrigen habe ich im Freihafen sehr schmutzige Aufräumungsarbeiten mit anderen jüdischen Frauen zusammen machen müssen, für die wir keine Gerätschaften irgendwelcher Art erhielten. Wir mussten Dosen und dergleichen mit den Händen aus dem Schutt wühlen. Später kamen wir bei Dralle nach Präsident-Krahn-Straße. Dort wurden wir ebenfalls wieder ausgebombt. Danach mussten wir aus den Ruinen des Hauses aus höhergelegenen Stockwerken, bei denen jeden Augenblick Einsturzgefahr drohte, wieder Material aus dem Schutt suchen, insbesondere Dosen und dergleichen. Wir hatten sehr unter Geschäftsführer Breckholdt zu leiden, der uns nichtachtend und hartherzig behandelte. Wir erhielten auch kein Kantinenessen, was den übrigen Belegschaftsmitgliedern zur Verfügung gestellt wurde."

Entsprechend hart waren die Arbeitsbedingungen für Hans Werner Brinn, als er ab 1941 bei den Firmen Rasch & Jung (Gummi-Schuhwerk) und bei Greve & Behrens (Glasverpackungen) eingesetzt wurde. Für Ilse Thiel liegen entsprechende Informationen nicht vor. Sie aber musste hinnehmen, dass sie auf Anordnung der Gestapo das Zimmer in der Hochallee 45, das ihr und ihrem Ehemann nach ihrer Ausbombung zugewiesen worden war, wieder zu räumen hatte; und sie erhielt einen Befehl der Gestapo vom 7. Februar 1945, nach dem sie für die Deportation nach Theresienstadt vorgesehen war. Krankheitshalber wurde sie aber nicht de­portiert.

Indessen wurde ihre Mutter Gertrud Brinn am 15. Mai 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz transportiert. In Theresienstadt war sie mit Angehörigen des Berliner Zweigs der Familie zusammengetroffen. Eine Enkelin schrieb über den letzten Weg, den Gertrud Brinn gehen musste: "Weiterhin hat meine Mutter [Nichte von Gertrud Brinn] Tante Trude (so hieß sie damals) im KZ gesehen und sie noch anlässlich der Deportation nach Auschwitz zum Ausgangstor begleitet. Meine Mutter kam 1945 zurück."

Gertrud Brinns Spuren verlieren sich im Konzentrationslager Auschwitz, wo die große Mehrheit der Angekommenen sofort in den Gaskammern ermordet wurde.

© Peter Offenborn

Quellen: 1; 2 (Abl. 1998 J 6/109); 4; 5; StAH 135-1 VI Pressestelle VI, 1562; StAH 351-11 AfW 2252; StAH 351-11 AfW 2253; Ab.; Schreiben von Frau Dr. Astrid Strack vom 10.11.2010.

druckansicht  / Seitenanfang