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Luise Schulz * 1938
Weidestraße 121 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)
HIER WOHNTE
LUISE SCHULZ
JG. 1938
EINGEWIESEN 1940
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 24.9.1943
Luise Schulz, geb. am 4.9.1938 in Hamburg, "verlegt" am 7.8.1943 aus den damaligen Alsterdorfer Anstalten in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg", gestorben am 24.9.1943
Weidestraße 121 (Barmbek-Süd)
Luise Schulz wurde als Luise Grünitz am 4.9.1938 im Allgemeinen Krankenhaus in Barmbek geboren. Ihre Mutter war dort, noch nichts von ihrer Schwangerschaft ahnend, durch die Polizeibehörde zur Behandlung ihrer Geschlechtskrankheit eingewiesen worden. Sie blieb bis zu ihrer Niederkunft und wurde im November entlassen. Luise musste dagegen noch weitere sieben Monate stationär behandelt werden, sie hatte sich bei ihrer Geburt mit Gonorrhoe angesteckt.
Luises Mutter Frieda Grünitz, geb. Orzechowski, geb. am 7.12.1916, hatte ihren Ehemann in Oststeinbek schon vor Luises Geburt verlassen, die Scheidung soll bereits am 22. August 1938 in Lübeck erfolgt sein.
Fritz John Grünitz, geb. am 17.11.1914, Frieda Grünitz‘ geschiedener Ehemann, arbeitete als Maler. Er trug den Familiennamen seiner Mutter Grünitz, da seine Eltern bei seiner Geburt noch nicht miteinander verheiratet waren. Später änderte sich der Name von Grünitz in Schulz. Das galt dann auch für Luise, ab März 1942 hieß sie mit Nachnamen Schulz.
Die Vaterschaft allerdings erkannte Fritz Grünitz/Schulz nicht an. Das Amtsgericht Hamburg verfügte, dass ihm die "gesamte elterliche Gewalt über das Kind entzogen" wurde. Zum Vormund wurde das Landesjugendamt bestellt.
Da Luise nicht bei ihrer Mutter bleiben konnte, weil, wie es hieß, der "Leumund" (Ruf) der Mutter schlecht sei, kam sie nach ihrer Genesung aus dem Krankenhaus in das Kleinkinderhaus im Winterhuder Weg 11. Auch ihr älterer Bruder Alfred, geboren am 18. August 1937, befand sich seit Dezember 1937 in öffentlicher Fürsorgeerziehung.
Luises Mutter stand offenbar in den folgenden Jahren unter der Aufsicht der Gesundheitsbehörde, die sie vom 5. Januar bis zum 14. Februar 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn auf die "Geschlechtskrankenstation" einweisen ließ. Nach ihrer Entlassung soll sie sich bis zum 14. Mai 1940 in Polizeihaft befunden haben, wahrscheinlich wegen eines Verstoßes gegen Auflagen der Gesundheitsbehörde. Eine erneute Einweisung in Langenhorn erfolgte am 21. Januar 1941 und dauerte bis zum 5. März 1941. Auch diesmal schloss sich eine Haftzeit bis zum 1. August 1941 an. Ihre letzte vermerkte Adresse war in Barmbek, in der Weidestraße 121, als Untermieterin bei Timmermann. Danach hieß es, sie sei unbekannt verzogen.
Luise wurde am 11. Januar 1940 auf Veranlassung des Jugendamtes Hamburg vom leitenden Oberarzt für Psychiatrie und Neurologie Flothmann untersucht, weil sie nach einem Bericht des Kleinkinderhauses "nur breiige Kost zu sich nahm, schlecht aß und sehr viel ohne Ursache schrie". Der Arzt empfand Luise geistig als wenig rege, zwar reagiere sie auf Geräusche und Lichteindrücke, wäre aber sofort wieder abgelenkt. Auch während der Untersuchung habe sie viel geschrien. Seine Beurteilung lautete: "Schwachsinniges Kind infolge von Gehirnschädigung. Die Ursache der Gehirnschädigung ist nicht klar festgestellt."
Nach einem weiteren Gutachten durch den Vertrauensarzt des Kleinkinderhauses Otto Hulsemann kam Luise am 6. Mai 1940 mit der Diagnose "Imbezillität" ("Schwachsinn") auf Kosten der Sozialverwaltung der Hansestadt Hamburg in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf).
In Alsterdorf kam Luise zunächst in den "Wachsaal". Dem Pflegepersonal fiel auf, "dass sie am Körper sowie auch ihre Wäsche sehr gepflegt und sauber war." […] "Pat.[ient] war ruhig, reagiert auf nichts. Appetit ist schlecht isst nur mit Mühe."
Luise galt in Alsterdorf als "vollkommen[er] Pflegling", d.h. sie galt in jeder Hinsicht als pflegebedürftig. Nach den Angaben in ihrer Patientenakte konnte sie mit 1 ¾ Jahren noch nicht stehen, schlief viel und schrie unentwegt beim Baden, Füttern und Trockenlegen. Sie habe sich ängstlich abgewendet, wenn man sich mit ihr beschäftigen wollte. Unbeobachtet habe sie aber auch vergnügt mit Beinen und Fingern spielen können.
Am 18. September 1942 – Luise war inzwischen vier Jahre alt – vermerkte das Pflegepersonal in ihrer Krankenakte: "Pat.[ientin] muß an- und ausgezogen werden u. wird mit Breikost gefüttert. Am Tage ist sie trocken zu halten. Sie spricht nicht, schreit viel, kann mit Hilfe etwas gehen. Mit Vorliebe nagt sie an ihrer Bettstelle u. an Holzstühlen. Sie ist ein ängstliches, scheues Kind, kennt ihre Umgebung nicht."
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Juni/August 1943 ("Operation Gomorrha") wurden auch Teile der Alsterdorfer Anstalten zerstört. Pastor Friedrich Lensch, damaliger Leiter der Alsterdorfer Anstalt, entschied in Abstimmung mit der Hamburger Gesundheitsbehörde, Patientinnen und Patienten in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen. Der leitende Oberarzt Gerhard Kreyenberg notierte am 6. August 1943 handschriftlich in Luises Krankenakte: "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind."
Luise Schulz gehörte zu den 28 Alsterdorfer Kindern, die am 7. August 1943 in die Landesheilanstalt Eichberg in Hessen transportiert wurden. Die Einrichtung diente als Durchgangsanstalt für die nahe gelegene Tötungsanstalt Hadamar und hatte im Rahmen des "Euthanasie-Programms" 1940/1941 eine "Kinderfachabteilung" erhalten.
Der Begriff "Kinderfachabteilung" wurde als beschönigende Bezeichnung für besondere Einrichtungen der Psychiatrie in Krankenhäusern sowie in Heil- und Pflegeanstalten verwendet, die der "Kinder-Euthanasie" dienten, also der Forschung an und Tötung von Kindern und Jugendlichen, die körperlich oder geistig schwer behindert waren.
Bis auf eines wurden die Hamburger Kinder nach ihrer Ankunft direkt in diese Abteilung gebracht, wo sie bald danach durch Morphium oder Luminal getötet wurden.
Luise Schulz starb am 24. September 1943 um 13 Uhr. Als Todesursache wurde dem Standesamt Erbach "Herzschwäche bei Idiotie" angezeigt, wie auch der Tod am selben Tag von mindestens vier weiteren Hamburger Kindern aus Alsterdorf.
Der Stolperstein für Luise Schulz wurde in die Weidestraße 121 verlegt.
Stand: August 2020
© Susanne Rosendahl
Quellen: StaH 332-5 Standesämter 2448 Nr. 35/1897 Geburtsregistereintrag Ernst Grünitz; StaH 332-5 Standesämter 3293 Nr. 304/1916; StaH 332-5 Standesämter 3361 Nr. 23/1919; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte 20, Luise Schulz; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 2. Aufl. Hamburg 1988.