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Helga Jutta Heidelmann * 1926

Timmermannstraße 16 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
HELGA
HEIDELMANN
ERMORDET 3.11.1943
'HEILANSTALT'
WIEN

Helga Jutta Heidelmann, geb. 13.2.1926 in Hamburg, durch Vernachlässigung ums Leben gekommen am 3.11.1943 in der Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien

Helga Heidelmann war das einzige Kind des Brotfabrikanten Walter Heidelmann und seiner Frau Erna, geb. Schmidt. Fabrik und Wohnung der Familie lagen in der Timmermannstraße 16.

Helga Heidelmann war geistig und körperlich behindert, sie lernte erst mit sieben Jahren etwas laufen, sprach gar nicht und litt unter epileptischen Anfällen. Sie konnte nur unter Mühen Nahrung zu sich nehmen und musste meist gefüttert werden.

Am 13. April 1935 wurde sie von ihren Eltern in die damaligen "Alsterdorfer Anstalten" gebracht und dort laut Krankenakte "sauber an Körper und Kleidung im Wachsaal aufgenommen". Die Diagnose lautete: "Idiotie, Epileptische Anfälle".

In den folgenden Jahren durchlebte sie Phasen der Besserung wie auch Rückschritte durch epileptische Anfälle. Sie erhielt Medikamente und aus einigen Eintragungen in der Krankenakte klingt durchaus so etwas wie Wohlwollen durch: "Helga muss an- und ausgezogen werden. ... Birnen und Apfelsinen ißt sie allein. Sie spricht nicht. ... H. kennt ihre Eltern, schreit freudig auf wenn sie Besuch bekommt. ... Sie hört gern Musik. ... Mit Anfassen kann sie jetzt schon ganz gut laufen." (12.2.1937) Im November 1937 überstand sie eine Lungenentzündung. Ab 1940 wird der Ton der Eintragungen wie in vielen anderen Alsterdorfer Akten schärfer und abwertender, auch ungeduldiger – am 21. November 1940 heißt es: "Pat. muß in der Körperpflege vollkommen besorgt werden. Mit Spielsachen weiß sie nichts anzufangen, sie ist völlig uninteressiert u. teilnahmslos. Sie hat dauernd die Finger im Mund, spuckt viel, nach den Mahlzeiten würgt sie das Essen wieder hoch."

Der damalige Leiter der Alsterdorfer Anstalten, Pastor Lensch, war SA-Mitglied und teilte die meisten rassenhygienischen Vorstellungen der Nationalsozialisten. Nach anfänglichen Bedenken und schwachen Protestversuchen setzte er der Euthanasiepolitik des Regimes nicht nur keinen Widerstand entgegen, sondern wirkte aktiv daran mit: Auf seine Initiative wurden bereits 1938 alle jüdischen Anstaltsinsassen ausgeschlossen und in staatliche Pflegeheime verlegt. 1941 wurden unter seiner Leitung und Mithilfe 70 behinderte Menschen aus Alsterdorf ausgesondert und im Rahmen der "Aktion T4" ermordet. Im Sommer 1943 wurden auf seine Initiative hin noch einmal ungefähr 500 behinderte Erwachsene und Kinder in auswärtige Tötungsanstalten abtransportiert. Einer dieser Transporte umfasste 228 Frauen und Mädchen, die am 16. August 1943 in besonderen Autobussen mit verhangenen Fenstern zum Hauptbahnhof und von dort mit der Bahn nach Wien in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" gebracht wurden. Der Transport kam am 17. August dort an. Unter den Angekommenen befand sich auch Helga Heidelmann. Der leitende Arzt Dr. Kreyenberg schloss das Alsterdorfer Krankenblatt mit den Worten: "Verlegt nach Wien, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind." Dies war eine Lüge, während des gesamten Krieges war Alsterdorf voll funktionsfähig.

In Wien waren die Behinderten durch Vernachlässigung, Unterernährung und mangelnde Pflege dem Tod preisgegeben. Im Krankenblatt von Helga Heidelmann heißt es am 1. September 1943: "Bei der Besprechung: Kann weder gehen noch sprechen. Vollkommen verblödet. Pflegebedürftig, unrein." Von nun an gab es keine Besserung mehr, im Gegenteil. Die spärlichen Eintragungen deuten auf einen schnellen Verfall hin, am 27. Oktober 1943 wurde eine Tuberkulose festgestellt und die entsprechende Meldung an die Behörden erstattet. Am 3. November starb Helga Heidelmann. Das Sektionsprotokoll bestätigte den Tuberkulose-Befund.

Walter Heidelmann wurde der Tod seiner Tochter umgehend per Telegramm mitgeteilt. Am 17. Dezember 1943 erhielt er auf seinen Wunsch hin die Urne zur Beisetzung in Ohlsdorf. Am 10. Juni 1944 sandte der inzwischen verwitwete Vater die Kleiderkarte seiner Tochter nach Alsterdorf mit der Bitte, sie an die zuständige Behörde zurückzugeben.

© Ulrike Sparr

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf Archiv, Bewohner Sonderakte 319; Antje Kosemund, Spurensuche Irma, Berichte und Dokumente zur Geschichte der "Euthanasie-Morde" an Pfleglingen aus den Alsterdorfer Anstalten, 2. erg. Aufl., Hamburg 2005; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Hamburg 1987.

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