Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Margarethe und Percival Windmüller
© Privatbesitz

Magarete Windmüller (geborene Simon) * 1883

Dorotheenstraße 43 (Hamburg-Nord, Winterhude)


1940 Anstalt Berlin-Buch
ermordet 11.03.1941

Margarethe Windmüller, geb. Simon, geb. 11.3.1883 in Hamburg, 1940 aufgenommen in den Heil- und Pflegeanstalten Berlin-Buch und Wittenau, am 13.1.1941 verlegt in die HPA Berlin-Buch, am 14.1.1941 verlegt in die HPA Bernburg, dort gestorben am 14.1.1941

Dorotheenstraße 43

Margarethe Windmüller, völkische Aktivistin, Kunstgewerblerin und reisende Journalistin, verfügte über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Sie stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie und konvertierte zum christlichen Glauben. Ihre Eltern waren Carl Jacob Simon (geb. 1850) und Rosa Gabriele, geb. Seckels (geb. 1860). Der Vater betrieb als Mitinhaber die Im- und Exportfirma Carl Simon & Mayer, Sternhof, Hohe Bleichen 9.

Margarethe Simon wurde am 11.3.1883, ein Jahr nach ihrer Schwester Erna, in Hamburg geboren. Ihre Schwester Paula kam am 17.11.1886, ihr Bruder Philipp am 28.12.1890 zur Welt. Die Familie wohnte Harvestehuderweg 63.

Wir können davon ausgehen, dass Margarethe Simon die Bildung einer "höheren Tochter" erhielt. Mit 18 Jahren heiratete sie den konfessionslosen Zahnarzt Percival Sidney Windmüller (geb. 25.7.1865 in New York, s. "Stolpersteine in Hamburg-Hamm"), ebenfalls jüdischer Herkunft, dessen Vater sich bereits als konfessionslos verstanden hatte. Die Eheleute zogen in die Hagedornstraße 25, wo 1903 der Sohn Kurt geboren wurde. Im Jahr darauf erwarben sie das Grundstück Hochallee 57 mit einem schönen Jugendstilhaus. Margarethe Windmüller fand hier ein Betätigungsfeld für ihre künstlerische Begabung und richtete eine kunstgewerbliche Werkstatt ein. Ihr Mann verbrachte neben seiner Berufstätigkeit viel Zeit mit zahnärztlichen Forschungen. Er musizierte zudem intensiv. Am 21.12.1904 wurde Tochter Lilly geboren, am 1.10.1911 Harald, der sich später Denny nannte. Als Jüngster kam am 25.5.1913 Henning zur Welt.

Die Eltern Percival Sidney und Margarethe Windmüller traten in die Evangelisch-lutherische Kirche ein und ließen sich am 9. März 1914 zusammen mit ihren Kindern Kurt, Lilly und Harald in der St. Johannis-Kirche in Harvestehude taufen. Die Gründe für diesen Schritt sind nicht bekannt, auch nicht, wann und wo Henning getauft wurde.

Doch glücklich fühlte sich Margarethe Windmüller offensichtlich nicht. 1916 unternahm sie einen Suizidversuch. Ihr ältester Sohn Kurt kam im Juli 1918 im Alter von nur 15 Jahren durch Selbstmord um.

Ihr Vater starb im Dezember 1924. (Nach seinem Tod zog seine Witwe zunächst in die Alte Rabenstraße 34 in eine Etagenwohnung gezogen und von dort zum Grasweg 32 in Winterhude, wo sie bis zu ihrem Tod am 2. Februar 1933 wohnte. Rosa Simon lebte von dem Vermögen, das ihr Mann ihr hinterlassen hatte. Sie wurde neben ihm auf dem Jüdischen Friedhof an der Ihlandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.)

Margarethe Windmüllers Ehe wurde am 12. Dezember 1926 geschieden.

Tochter Lilly hatte inzwischen eine Ausbildung zur Säuglings- und Wochenschwester absolviert; sie lebte im Hause ihrer jeweiligen Arbeitgeber. Doch Harald und Henning gingen noch zur Schule, als Margarethe Windmüller nach Winterhude in die Dorotheenstraße 43 zog.

Die beiden minderjährigen Söhne wurden – wie zuvor – von der Haushälterin und Köchin im väterlichen Haushalt versorgt. Ihr Vater kümmerte sich, so Henning, "rührend" um sie, allerdings blieb dafür nur der Sonntag.

Margarethe Windmüller engagierte sich in der "Nordischen Gesellschaft". Dieser 1921 gegründete Verein wollte den "nordischen Gedanken in Deutschland und stammverwandten Ländern des Nordens" pflegen. Hier lernte sie Personen mit Rang und Namen kennen, von Prof. Mendelsohn-Bartholdy bis zum Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann. Margarethe Windmüller arbeitete nun selbstständig als Kunstgewerblerin, Fotografin und Journalistin. Liebe zu Schönheit und Natur einerseits und nationales Interesse andererseits bewogen sie, für das "Deutsche Auslandsinstitut" in Stuttgart (Vorläufer des Goethe-Instituts) und die "Nordische Gesellschaft" zu reisen und zu schreiben. Ebenso publizierte sie in schwedischen, finnischen und dänischen Presseorganen. Zeitweise lebte sie in Finnland, behielt jedoch die Wohnung in der Dorotheenstraße 43 in Winterhude bei.

Die "Nordische Gesellschaft" und das Auslandsinstitut zielten auf die Verbesserung der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland ab, waren zwar völkisch, aber nicht antisemitisch ausgerichtet. 1937 allerdings schloss die Nordische Gesellschaft die "nichtarischen" Mitglieder aus. Doch scheint Margarethe Windmüller ihre Arbeit fortgesetzt zu haben, vielleicht unter dem Schutz des Geschäftsführers Schnaas oder aber, die Verantwortlichen verbanden ihr Pseudonym Sundström nicht mit der Person Margarethe Windmüller.

Obwohl nach "rassischer" Einstufung der Nationalsozialisten "Volljüdin", glaubte sie, aufgrund ihrer Verdienste in der völkischen Bewegung und ihrer bahnbrechenden Ideen nicht nur von den Repressalien Juden gegenüber ausgenommen zu sein, sondern auch weiterhin an Überlegungen zu Deutschlands Zukunft teilnehmen zu können. Die nördlichen Regionen Skandinaviens kannte sie aus eigener Anschauung gut. Doch nicht nur Landschaft und Natur faszinierten sie, sondern sie betrachtete die Landstriche auch unter dem Aspekt deutscher Rohstoffinteressen und deutscher Kriegsplanung. Anfang September 1939 schlug sie einem Ministerialrat in Berlin brieflich den "Ausbau der Eismeerstraße für den Erztransport nach ‚Germany’" vor und wies darauf hin, dass sie dieses "strategisch-geographisch und wohl auch kriegstechnisch hochinteressante" Vorhaben seit langem mit Nationalsozialisten, die der ‚Nordischen Arbeit’ nahe standen, besprochen hatte. Sie habe sich "erkühnt", jenen Brief zu schreiben, da sie "sicher der erste in Deutschland war, der durch eingehende Sachkenntnis zu dieser genialen Idee kam". Im Hintergrund ihrer Überlegungen stand die Tatsache, dass der Seeweg zu den schwedischen Eisenerzvorräten in Kiruna, die die deutsche Rüstungsindustrie brauchte, durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges zu unsicher geworden war. Als Alternative schlug sie vor, eine Eismeerstraße für den Erznachschub zu nutzen, vielleicht auch auszubauen. Ein solcher Vorschlag hätte vielleicht durchaus im Interesse des kriegsführenden Deutschen Reiches gelegen. Vielleicht wäre er nicht finanzierbar oder aus anderen Gründen nicht brauchbar gewesen, doch wurde er nie Gegenstand einer ernsthaften Beratung mit seiner Vertreterin, sondern überschnitt sich mit deren Verhaftung.

Margarethe Windmüller wurde am 12. September 1939 in "Schutzhaft" genommen. Die Gründe dafür sind nicht eindeutig. Sie sollte verbotenerweise Geschütze photographiert und sich der "Rassenschande" schuldig gemacht haben. Angehörige berichteten, sie sei sehr extravagant und lebenslustig gewesen, so dass sie vielleicht wegen ihrer unangepassten Lebensweise Verdacht erregt habe und denunziert worden sei.

Margarethe Windmüller selbst ging von politischen Gründen für ihre Festnahme aus und bestand darauf, sie gehöre ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Stattdessen wurde sie in die Psychiatrie eingeliefert. Empört schrieb sie an die Psychiater über ihren Eismeerstraßenvorschlag: "Da ich viele Jahre von Finnland aus (im Rahmen der ,Nordischen Gesellschaft‘ z. Teil) wie ein Löwe für manches, das für mein Vaterland günstig sein würde (im Falle eines Krieges) – gekämpft hatte und auch manches publiziert war, ebenso ich mit Marinebehörden (der Fall Aland Inseln …) u. a. deswegen jahrelang in Verbindung stand – konnte ich mir als Nichtarier diese Anregung erlauben. Da ich unter d. Namen Sundström ja bis z. Kriegsausbruch die skandinavische, finnische und engl. Presse beliefern durfte, steht mein Renommee als logisch denkende Journalistin ziemlich fest. (Auskunft Pg. Eugen Schnaas c/o ‚Nordische Gesellschaft’, Dammtorstr. 14)."

Doch der Psychiater, der Margarethe Windmüller am Tag nach ihrer Verhaftung untersuchte, hielt die Möglichkeit einer Eismeerstraße für wahnhaft und überwies sie ins psychiatrische Krankenhaus Friedrichsberg. Von dort wurde sie am 28. September 1939 in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegt. Die Diagnose lautete: "Hyperthyme Querulanterie, paranoide Umdeutungen".

Die Mediziner gingen überhaupt nicht auf den Inhalt ihres Vorschlages sein, sondern diagnostizierten u. a. wegen dieser Idee bei ihr paranoide Übertreibungen, attestierten ihr aber zugleich eine unbeeinträchtigte Intelligenz und gestanden zu, dass in ihren Erzählungen einiges auf Wahrheit beruhe. Dass sie als "Nichtarierin" hier keine Hilfe zu erwarten hatte, drang nicht in ihr Bewusstsein.

Als am 1. November 1939 im "Hamburger Tageblatt" ein Artikel über die Finnlandpolitik der Sowjetunion erschien, dem eine Skizze Skandinaviens mit der Eismeerstraße beigefügt war, schrieb Margarethe Windmüller an ihre Schwester Paula, dies sei eine von ihr angefertigte Zeichnung, sie hätte sie jenem Schreiben vom September 1939 an den Ministerialrat beigefügt. Sie fühlte sich rehabilitiert. Die Ärzte hingegen fanden sich in ihrer Diagnose, es handle sich um Wahnvorstellungen, eher bestärkt. Margarethe Windmüller wurde nicht entlassen, zumal sie sich laut Krankenakte als oft schwierige Patientin zeigte, die viel redete und täglich auf eine neue Krankheit hinwies. Die Ärzte diagnostizierten einen Orbitaltumor (Tumor am Sehnerv) und zogen in Betracht, dass dieser die Ursache ihrer Persönlichkeitsveränderung sei, verwarfen dann aber diese Erklärung und auch alle Therapiemöglichkeiten. Ein von ihr beauftragter Konsulent bemühte sich vergeblich, dass die von ihr gewünschte Operation vollzogen würde.

Offensichtlich verlangte Margarethe Windmüller nie, nach Hause entlassen zu werden. Sie war 1938 nach Horn, Kroogblöcke 10, in eine Wohnung aus mütterlichem Erbe gezogen. Die lag weit entfernt von der Isestraße, wo ihr Sohn Harald/Denny und ihre Schwiegertochter, Mathel, geb. Kohn, aus Wien, wohnten.

Margarethe Windmüller erkannte die ihr zugeschriebene Identität als Jüdin nicht an; erst 1940 wurde sie zwangsweise Mitglied im Jüdischen Religionsverband.

Menschliche Unterstützung erhielt sie von ihrer Schwester Paula Rehtz und, bei deren gelegentlichen Besuchen, von ihrer Schwester Erna Stavenhagen aus Berlin.

Auf den Tag genau ein Jahr nach ihrer Aufnahme in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn wurde Margarethe Windmüller in die Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Buch verlegt. Sie hätte bereits am 23. September 1940 mit den in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn aus Norddeutschland zusammen geführten jüdischen Patienten und Patientinnen nach Brandenburg verlegt werden sollen, wie aus dem Krankenakte hervorgeht. Dass sie davon ausgenommen und fünf Tage später in die Heil- und Pflegeanstalt Buch verlegt wurde, lässt vermuten, dass sie eine gewisse Protektion genoss, denn die Angehörigen des Transports nach Brandenburg wurden mit einer Ausnahme noch am selben Tag mit Kohlenstoffmonoxid getötet. In Windmüllers Akte wurde, fast nicht zu erkennen, die "23" in "28" geändert. So genoss Margarethe Windmüller noch einen Aufschub.

Weil die Anstalt Berlin-Buch bis auf einen kleinen restlichen Psychiatriebetrieb zum 31. Oktober 1940 geschlossen wurde, wurde Margarethe Windmüller am 24. Oktober 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Wittenau verlegt. Im Januar wurden noch einmal, wie schon im Juli 1940, jüdische Psychiatriepatienten und –patientinnen aus allen Berliner und Brandenburgischen Heilanstalten in Berlin-Buch gesammelt und nach einem kurzen Aufenthalt in einer Sonderaktion in eine Tötungseinrichtung gebracht. Für ihren Aufenthalt vom 13. bis 14. Januar, der mit ihrem Abtransport nach Bernburg endete, wurden dem Kostenträger 4,40 RM in Rechnung gestellt.

In der Heil- und Pflegeanstalt Bernburg wurde sie durch Gas getötet, dreieinhalb Monate später als ihre Leidensgenossinnen und -genossen aus Langenhorn. Wie für diese wurde etwas später eine fiktive Todesurkunde aus "Chelm" bei Lublin ausgestellt, die für das falsche Todesdatum auf dem Stolperstein verantwortlich ist.

Margarethe Windmüllers Sohn Henning konnte seinen Wunsch, Medizin wie sein Vater zu studieren, 1933 nicht mehr verwirklichen. Er nahm stattdessen eine Reedereikaufmannslehre auf und absolvierte in deren Rahmen zwei Praktika in Finnland. Dorthin zog es ihn, wie schon zuvor seine Mutter. Später ging er als Kriegsfreiwilliger wieder nach Finnland und blieb dort auch nach Kriegsende.

Nach Margarethe Windmüllers Tod erbten ihre Tochter Lilly 1/3 und ihr Sohn Harald 2/3 der Hinterlassenschaft, die im Wesentlichen aus Hypotheken bestand. Der Sohn Henning in Finnland wurde nicht bedacht. 1949 schickte ihm seine Tante Paula Rehtz, die die Deportation in das Getto Theresienstadt überlebt hatte, eine Namensliste der ermordeten Familienangehörigen nach Finnland: Dr. Percival Windmüller und seine zweite Frau, Gertrud, geb. Friedländer, starben in Theresienstadt. Die Spur von Henning Windmüllers Geschwistern verlor sich im Getto Lodz, die seiner Tante Erna Stavenhagen-Simon in Riga.

Trotz großer Sehnsucht nach Hamburg kehrte Henning Windmüller nicht nach Deutschland zurück; in seinem Interesse für Finnland wusste er sich mit seiner Mutter verbunden.

Die Inschrift des Stolpersteins und die Biographie Margarete Windmüllers weichen in Details voneinander ab, dies ist neueren Informationen geschuldet, die in die Biographie einfließen konnten.

Stand: Januar 2018
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2 ZK 28/391; 4; 5; StaHH 135-1 Staatliche Pressestelle I –IV, 4575, 4576, 4595; StaHH 352-8/7 Langenhorn, Abl. 1, 1995, 26469; Landesarchiv Berlin, ARep 003-04-01 Nr. 21998 (Aufnahmebuch HPA Buch), Nr. 115 (Verlegungslisten), Nr. 162 (Abrechnungslisten), dankenswerter Weise von Dr. Hannelore Dege 2017 erforscht und zur Verfügung gestellt; StaHH 522-1, Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Deportationslisten Bd. 1 und 5; Ev.-luth. Kirche St. Johannis, Hamburg-Harvestehude, Taufregister 1914; Stadtarchiv Lübeck, Vereine und Verbände, Nordische Gesellschaft, Akte des WWI Kiel, 1924–1944, 3; Ernst Ritter, Das Deutsche Auslands-Institut in Stuttgart 1917–1945, Frankfurter Historische Abhandlungen, Band 14, Wiesbaden 1976; Kaja Barche, Die Konversion von Margarethe Windmüller. Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2017 "Gott und die Welt"; persönliche Mitteilungen von Angehörigen.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang