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Bereits verlegte Stolpersteine



Hildegard Popper * 1903

Horner Weg 270 (Hamburg-Mitte, Horn)


HIER WOHNTE
HILDEGARD
POPPER
JG. 1903
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Horner Weg 270:
Klara Popper, Oskar Popper, Rosalie Popper

Hildegard Popper, geb. 23.12.1903 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk
Klara Popper, geb. 20.1.1915 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk
Oskar Popper, geb. 3.9.1870 in Teplitz, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk
Rosalie Popper, geb. Aron, geb. 26.4.1876 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk

Horner Weg 270

"Ich habe mich davon überzeugt, dass die Leute äußerst fleißig sind und ihr möglichstes tun, um Geschäfte zu erzielen." Mit dieser Charakterisierung von Familie Popper wandte sich Rudolf Ascher im Auftrag der "Jüdischen Mittelstandshilfe" am 19. August 1932 wegen einer Beihilfe von 40 RM für die Dauer von drei Monaten an das Wohlfahrtsamt in der Mittelstraße im Nachbarstadtteil Hamm. Oskar Popper hatte eine Geschäftsidee, benötigte aber eine Überbrückung bis zum Beginn des Handels mit Weihnachtsartikeln. Sein Vorhaben überzeugte Rudolf Ascher und die "Jüdische Mittelstandshilfe", sodass er sich für Oskar Popper einsetzte.

Oskar Popper kam als Konditor auf der damals üblichen Wanderschaft der Gesellen nach Hamburg. Er stammte aus Teplitz-Schönau in Böhmen, wo er am 3. September 1870 geboren wurde, weshalb ihm und seiner Frau Rosalie nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie und später ihren Kindern die tschechische Staatsangehörigkeit zugesprochen wurde. Seine Eltern, der Kaufmann Gottfried Popper und dessen Ehefrau Clara, geb. Cohn, waren assimilierte Juden. Am 27. Oktober 1894 wurde Oskar Popper in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg aufgenommen und trat in den orthodoxen Synagogen-Verband ein. 1901, dem Jahr seiner Eheschließung mit Rosalie Aron, geb. 26. April 1876 in Ham­burg, gründete er auf der Reeperbahn 134 eine Konditorei mit Café.

Rosalie Aron, Tochter von Adolf Aron und seiner Frau Henriette, geb. Magnus, gehörte einer alten Hamburger Kaufmannsfamilie an. Ihr Vater betrieb von seiner Wohnung in der Wexstraße 39 aus einen Großhandel mit Strumpfwaren und Handschuhen. Die Waren stammten aus Sachsen, seine Kunden waren hauptsächlich Hamburger Geschäftsleute.

In den Jahren 1901 bis 1909 kamen die Kinder Fred, Hildegard, Leopold, Kurt und Berta zur Welt, Nachkömmling Klara am 20. Januar 1915. Inzwischen lebte Oskar Popper mit seiner Familie in der Neumünster Straße 40/Hoheluft.

1908 wechselte Oskar Popper in den Handel mit Getreide, Futter- und Lebensmitteln, den er zeitweise als Alleininhaber einer Firma, zeitweise zusammen mit seinem Schwager Leopold Aron betrieb. Leopold Aron, der acht Jahre jüngere Bruder Rosalies, und Oskar Popper ließen sich 1908 als selbstständige Makler in Getreide, Futtermitteln und Ölsaaten mit der Firmenadresse Aron & Popper, Englische Planke 6, nieder. 1913 gab Leopold Aron die Firma auf, um zu seinem Bruder nach Sydney zu gehen. In der Firma, in der dieser Mitdirektor war, wurde ihm die Verantwortung für die Verladung von Weizen und Wolle übertragen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er interniert und 1919 nach Hamburg repatriiert. Er ließ seine Firma wieder aufleben und wurde gleichzeitig in der Getreidefirma Oskar Poppers tätig.

1919 blieb Oskar Popper der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg die Mitgliedsbeiträge schuldig. 1920 eröffnete er in der Bohnenstraße 7 in der Nähe des Hopfenmarkts einen Lebensmittel- und Futtermittelhandel, fasste aber nach den Inflationsjahren wirtschaftlich nicht wieder recht Fuß. Die Kinder wurden berufstätig und trugen mit ihren Gehältern oder ihrer Mithilfe zum Familienunterhalt bei. Alle wurden Mitglieder der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg.

Der älteste Sohn, Fred, geb. 20. Juli 1901, besuchte die Tal­mud Tora Schule und absolvierte anschließend eine kaufmännische Lehre bei Gebr. Robinsohn. Nebenher engagierte er sich in der Jugendbewegung, wo er den späteren Bürger­meister Carl Petersen und den späteren Vorsitzenden der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), Curt Platen kennenlernte; später trat er der DDP selbst bei. Beruflich machte er sich als Vertreter für Berliner, Kölner und Rheinländische Textilfabriken selbstständig.

Hildegard Popper, die älteste Tochter, geb. 23. Dezember 1903, erhielt eine Ausbildung als Stenotypistin. Bei ihr wechselten Zeiten von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit, sodass sie entweder mit ihrer Arbeitskraft oder ihrem geringen Einkommen die Familie unterstützte. Leopold, geb. 4. Dezember 1905, ging ebenfalls ins Kaufmännische, wurde zunächst als Angestellter und nach seiner Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis aus rassistischen Gründen als Reisender tätig. Kurt, geb. 5. März 1908, wurde Kontorist. Berta, geb. 26. Mai 1909, starb offenbar vor Erreichen des Erwachsenenalters.

Die Gründe für den Umzug Oskar Poppers von der Neumünster Straße in eine kleinere, aber moderne 3-Zimmerwohnung mit Heizung in Hamburg-Horn sind nicht bekannt. Die Wohnung am Horner Weg 270 diente zugleich als Geschäftssitz. Oskar Popper belieferte von hier aus die Krämer in der Umgebung mit Kolonialwaren.

1928 bezog keines der Kinder mehr ein festes eigenes Einkommen, sei es aus Erwerbsarbeit, sei es aus Arbeitslosenunterstützung. Damit sie überhaupt eine Tätigkeit hatten, beschäftigte sie ihr Vater in seinem Geschäft, während Hildegard ihre kranke Mutter im Haushalt unterstützte; Klara besuchte noch die Schule. Als Fred eine Bewährungsstrafe von fünf Monaten wegen kleinerer Delikte verwirkte, verließ er Hamburg 1930, um sich in Teplitz-Schönau, der Heimatstadt seines Vaters, mit der Gründung eines Zeitungsvertriebs und eines Briefmarkenhandels "nach deutschem Muster" eine eigene Existenz aufzubauen, was ihm unter tätiger Mithilfe seiner Ehefrau auch gelang.

Die Wirtschaftskrise und Oskar Poppers Mangel an Eigenkapital ließen seinen Betrieb bis auf die Kunden zusammenschrumpfen, die bar zahlen konnten. Für die Weihnachtszeit plante er, sein Geschäft um den Handel mit Marzipanwaren, die in der heimischen Küche hergestellt wurden, zu erweitern, in der Zuversicht, damit während der Wintermonate die Kosten für Miete und Lebensunterhalt zu sichern. Im Oktober 1931 erhielt er jedoch eine Räumungsklage. Die Geschäftsidee wäre hinfällig gewesen, wenn er mit Wohnungssuche und Umzug beschäftigt gewesen wäre. Er wandte sich an die "Kommission für das Wohlfahrtswesen der Deutsch-Israelitischen Gemeinde" und bat um einmalige Unterstützung, um seinen Mietrückstand von 720 RM, den der Hauswirt bei sofortiger Zahlung zu halbieren bereit war, begleichen zu können. Zugleich ersuchte er um vertrauliche Behandlung seines Anliegens, weil er sonst eine weitere Schädigung seines Geschäfts befürchtete. Die Kommission machte sich zur Anwältin seines Anliegens, organisierte privat einen Teil der benötigten Mittel und wandte sich an die Wohlfahrtsstelle in der Mittelstraße 78 (heute Carl-Petersen-Straße) in Hamm, die einen Berufspfleger mit der Klärung des Sachverhalts beauftragte. Oskar Poppers Antrag wurde dennoch abgelehnt. Die Kommission intervenierte erneut mit dem Argument, dass das Weihnachtsgeschäft mit Marzipanprodukten Erfolg verspreche, aber hinfällig würde, wenn Familie Popper die Wohnung verlöre. Die Wohlfahrtsstelle wertete nun "diese Form der Familien-Selbsthilfe (als) das einzig Richtige", zumal die Kinder "alle sparsam und gut eingeschlagen" seien, und bewilligte die erforderlichen 120 RM. Alle Beteiligten waren sich darin einig, dass die Wohnung zu teuer, aber eine andere nicht leicht zu finden sei.

Angesichts je zweier erwachsener Töchter und Söhne und der Geschäftsführung im Hause kam eine Wohnung mit weniger als drei Zimmern nicht in Betracht. Noch beengter wurde es, als Leopold Popper Margot Käthe Lilienfeld, am 11. April 1914 in Mühlhausen geboren, am 1. Oktober 1935 heiratete und mit ihr und ihrem am 7. April 1936 geborenen Sohn Peter Julius im elterlichen Zuhause wohnte.

Das Marzipangeschäft lief bis Ostern erfolgreich genug, um die Familie zu ernähren. Im Sommer brach der Absatz jedoch ein und machte einen erneuten Antrag bei der Wohlfahrt nötig. Oskar Popper konnte zwar noch die Miete zahlen, aber für die laufenden Kosten bedurfte es eines Zuschusses, zumal Klara nach Abschluss der Schule wegen einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus behandelt wurde, was unvorhergesehene Kosten verursachte. Sie fand nach ihrer Genesung Anstellungen als "Kinderfräulein", Kontoristin und Telefonistin.

Rosalie Popper wandte sich wegen Herz- und Kreislaufproblemen an Dr. Rudolf Elkan, Horner Weg 95, der sie im März 1933 ins Israelitische Krankenhaus einwies, wo sie mehrere Wochen verbringen musste; die Kosten übernahm die Wohlfahrtsbehörde.

Rudolf Elkan stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Hamburger Familie und praktizierte bewusst im Arbeiterviertel Horn, um insbesondere den durch viele Schwangerschaften geschwächten Frauen und ihren Kindern zu helfen, was ihn in Konfllikt mit der NSDAP brachte. Bald nach ihrer Entlassung musste sich Rosalie Popper einen anderen Arzt suchen, da Rudolf Elkan im Juni 1933 von einem Sonderkommando der Polizei verhaftet wurde und nach schweren Misshandlungen einen Genesungsurlaub zur Flucht nach Schottland nutzte.

Am 10. Juli 1933 verließ Oskar Poppers Schwager und früherer Compagnon Leopold Aron mit seiner Familie Hamburg und zog nach Paris, woher seine Frau Claire stammte.
Kurt Popper wich aus der Enge des elterlichen Haushalts vorübergehend aus und zog als Untermieter zu Helle, Wichernweg 28. Die ebenfalls jüdische Bertha Helle, geb. Roelen, geboren am 26. Mai 1909 in Rockenhausen, wohnte dort mit ihren drei zwischen 1932 und 1934 geborenen Kleinkindern, Inge, Oskar und Wolfgang. Als viertes Kind brachte sie dort im März 1936 Raphael zur Welt, der nur sechs Wochen alt wurde. Kurt Popper verlor 1934 seine Stellung als Kontorist und zog zurück zu seiner Familie. Im September 1937 machte er sich mit einem "Eiltransport von Effekten" mit einem Kraftdreirad selbstständig. Leopold Popper folgte seinem Bruder Fred mit seiner Frau und ihrem Sohn am 20. September 1938 in die Tschechei. Ebenfalls 1938 zog Kurt Popper mit Bertha Helle und ihren Kindern in die Fruchtallee 135. 1939 gelangte der inzwischen fünfjährige Wolfgang Helle mit einem Kindertransport nach Schweden. Im selben Jahr heirateten Bertha Helle und Kurt Popper.

Bis September 1938 kam Oskar Popper mit seiner Familie ohne Wohlfahrtsunterstützung aus. Clara verdiente als Kontoristin monatlich 95 RM, Hildegard erhielt zeitweise eine Anstellung und anschließend Arbeitslosenunterstützung. Oskar Popper senkte seine Miete durch Umzug in die Wrangelstraße 17 auf 70 RM; im Horner Weg hatte er 96 RM gezahlt. Die Jüdische Gemeinde trug mit monatlich 20 RM zum Lebensunterhalt bei. Ein erneuter Antrag auf Wohlfahrtsunterstützung machte den Hausbesuch eines Amtsvertreters nötig. Dabei stellte dieser fest, dass Oskar Popper offenbar schwer krank war. Die Diagnose lautete auf Magenkrebs. Da er seine Belege nicht ordnungsgemäß vorweisen konnte, erhielt er keine Unterstützungsleistungen. Von Bemühungen Oskar Poppers wie seiner Kinder, die hamburgische bzw. deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben oder ins sichere Ausland zu gelangen, ist nichts bekannt.

In der Folge des Novemberpogroms wurde Oskar Popper der Gewerbeschein entzogen und die Kommission für das Fürsorgewesen stellte ihre Unterstützung ein. Der Vertrauensarzt der Wohlfahrtsstelle befürwortete wegen seiner schweren Erkrankung ein Pflegegeld von monatlichen 6 RM. Es wurde nicht bewilligt, ebenso wenig der Antrag auf Zuweisung von Feuerung, "solange Sie Ihren Mieteaufwand nicht Ihren Einkommensverhältnissen angepasst haben".

Im April 1939 erkrankte Rosalie Popper erneut. Die Wohlfahrtsbehörde bewilligte ihr im Sommer einen Gummistrumpf, da ihr rechtes Bein "elephantiastisch geschwollen" sei, eine Folge ihres schweren Herz- und Nierenleidens. Mögliche Heilbehandlungen unterblieben, weil sie selbst mittellos war und als tschechoslowakische Staatsangehörige nur eingeschränkte Fürsorgeleistungen erhielt. 1939 verlor auch Klara Popper ihre Beschäftigung "wegen Umstellung der Firma". Ihre Arbeitslosenunterstützung wie die ihrer Schwester Hildegard betrugen zusammen exakt 21 RM. Zwar gaben Rosalie und Oskar Popper die Wohnung in der Wrangelstraße nicht auf, vermieteten aber ein möbliertes Zimmer für monatlich 22 RM "incl. Morgenkaffee und Licht". Von den Söhnen war keiner in der Lage, sie finanziell zu unterstützen. Schließlich blieb Oskar und Rosalie Popper mit ihren Töchtern Hildegard und Klara keine andere Wahl, als in eine gemeindeeigene Unterkunft des "Jüdischen Religionsverbandes" in der Breiten Straße 46 in Altona zu ziehen.

Mit der Staatsangehörigkeit "Protektorat Böhmen und Mähren" brauchte niemand die Zwangsnamen Sara oder Israel zu tragen, wurde auch niemand gezwungen, Mitglied der Reichsvereinigung zu werden. Als es jedoch um die Deportation ging, wurden diese Personen wie Deutsche behandelt. Hildegard und Klara Popper, 35 und 26 Jahre alt, wurden zusammen mit ihren schwer kranken und mit 71 bzw. 65 Jahren für den "Arbeitseinsatz im Osten" zu alten Eltern am 18. November 1941 nach Minsk deportiert. Dem gleichen Transport gehörten Kurt Popper, seine Frau Bertha, geb. Helle, ihre Tochter Elise Helle und ihr Sohn Oskar Helle, der im Waisenhaus Papendamm 3 lebte, an. Während die Brüder und ihre Fami­lien die Verfolgungen im "Protektorat Böhmen und Mähren" überlebten, blieben die nach Minsk deportierten Mitglieder der Familien Popper und Helle verschollen.

© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; StaH, 376-3 Zentralgewerbekartei, VIII Cc1, K 3862; VIII Cc3, K 3913; 351-11 AfW, 291079, 7424; 552-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2, Bd 3; Fischer-Radizi, Rudolf Elkan, in: Hamburger Ärzteblatt 1, 2002; Osterloh, Verfolgung; von Villiez, Kraft.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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