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Bereits verlegte Stolpersteine



Rolf Krause, August 1941
© Ev. Stiftung Alsterdorf

Rolf Krause * 1933

Gertigstraße 31 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
ROLF KRAUSE
JG. 1933
EINGEWIESEN 1940
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 10.8.1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
ERMORDET 1.6.1944

Rolf Edgar Krause, geb. am 22.7.1933 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 28.12.1940, "verlegt" in die "Heil- und Pflegeanstalt" Mainkofen am 10.8.1943, ermordet am 1.6.1944

Gertigstraße 21

Rolf Krause war das zweite Kind der Eheleute Wilhelm Walter Krause (geboren 1904) und Anna Frida Wilhelmine, geb. Reimer (geboren 1901). Die Eltern hatten am 26. April 1930 in Hamburg geheiratet. Ihr erstes Kind, Helga, wurde 1931 geboren. Rolfs Mutter hatte in einer vorherigen Ehe zwei Söhne zur Welt gebracht, Wilhelm (geboren 1922) und Werner (geboren 1924).

Rolfs Vater arbeitete nach einer kaufmännischen Ausbildung als Expedient (kaufmännischer Angestellter für Versand von Frachtgut) und fuhr auch für eine kurze Zeit zur See. Während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und im Verlauf der 1930er Jahre konnte Walter Krause keine einträgliche Arbeit finden. Familie Krause wurde mit Unterbrechungen seit 1931 von der Fürsorgebehörde unterstützt. Sie bewohnte eine Zwei-Zimmerwohnung in der Gertigstraße 21 im Stadtteil Winterhude.

Rolfs Mutter beschrieb seine Geburt als ohne Komplikationen, er sei aber nicht so lebhaft wie andere Kinder. Als er neun oder zehn Monaten alt war, habe sie erkannt, dass er in seiner Entwicklung zurückgeblieben sei. Bei einer Untersuchung stellte sich heraus, dass Rolf mit dem Down-Syndrom (Trisomie 21) zur Welt gekommen war. Bei diesen Kindern beeinflusst die Veränderung des Erbgutes die körperliche und geistige Entwicklung. Rolf wurde mit sogenannten Drüsenpräparaten behandelt und entwickelte sich zu einem lebhaften und heiteren Kind. Mit 1 ¼ Jahren lernte er laufen, mit 2 ½ Jahren fing er an zu sprechen. Er besah sich gern Bilderbücher, spielte wie andere Kinder auf der Straße und konnte auch kleine Besorgungen erledigen. Rolf wurde als ein ordnungsliebender und aufmerksamer Junge beschrieben, der "aufs Wort" gehorchte.

Als Rolf sechs Jahre alt war, kamen am 9. Dezember 1939 seine Zwillingsgeschwister Gerd und Margit zur Welt. Rolf war jetzt schulpflichtig, konnte jedoch, wie eine Mitarbeiterin der Sozialverwaltung im Juni 1940 vermerkte, noch keine Schule besuchen. Er sei nicht bildungsfähig, und es sei sogar fraglich, ob ihn der Schulkindergarten aufnehmen könne. Nach ihrem Urteil hätten sich die Zwillinge Gerd und Margit nach anfänglichen Schwierigkeiten gut entwickelt. Rolf sei zu ihnen brüderlich nett, er stecke ihnen aber manchmal auch Bausteine und andere Sachen in den Mund.

Vielleicht auf Grund dieses Berichtes veranlasste die Hamburger Sozialverwaltung am 21. Oktober 1940 eine psychiatrische Untersuchung, um zu klären, ob Rolf als "Bewahrfall" in den Alsterdorfer Anstalten untergebracht werden könnte. Das Ergebnis der Untersuchung lautete: "Der Junge ist recht umtriebig, lebendig und neugierig. Er ist gutmütig und freundlich, wird zuletzt etwas albern. Er wirkt im ganzen wie ein 3-4jähriges Kind, auch in der Sprache. Er spricht eine ganze Anzahl Worte richtig aus, aber nur im Telegrammstil. Er spielt ganz nett und kann beim Bilder-besehen primitive Sachen ansprechen und benennen. Bei der Unterhaltung der Erwachsenen hört er zu und beteiligt sich durch richtige Zwischenrufe. Bei der körperlichen Untersuchung nimmt er sich das Hörrohr vor und telefoniert sehr niedlich damit. Der Junge ist sehr liebesbedürftig und hängt sehr an seiner Mutter. Bei der Untersuchung ist er zunächst mißtrauisch, taut aber bald auf. Vor jeder neuen Handlung überkommt ihn das Mißtrauen, ohne daß es lange besteht." Aufgrund dieses Untersuchungsergebnisses hielt der untersuchende Gutachter des Jugendamtes Hamburg Zahn, Rolfs Unterbringung in den Alsterdorfer Anstalten für erforderlich. Rolf sei "zurück und schulisch nicht zu fördern". Er würde jetzt anfangen, seine kleinen Geschwister zu gefährden. (Die Zwillinge starben kurz nacheinander im April und Mai 1941, Gerd an "Schwäche", Margit an "Nasen-Rachendiphtherie", so vermerkt in den Sterberegistereinträgen).

Rolfs Eltern sahen die Anstaltsunterbringung ihres Sohnes eher skeptisch. Sie hofften jedoch auf Fortschritte in seiner Entwicklung infolge der erwarteten professionellen Betreuung. Walter Krause war mittlerweile zur Wehrmacht eingezogen worden. Zudem wurde die neunjährige Helga von der NSV, der Nationalsozialistischen Wohlfahrtspflege, verschickt und konnte nicht mehr auf ihren Bruder achtgeben.

Das Weihnachtsfest 1940 durfte Rolf noch zu Hause verbringen, am 28. Dezember kam er in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute evangelische Stiftung Alsterdorf). Kurz nach seiner Aufnahme erkrankte er an Lungenentzündung. Nach seiner Genesung wurde in seiner Krankenakte vermerkt: "Pat.[ient] kann alleine essen, sagt seine Bedürfnisse an. Er kann sehr nett spielen, befolgt kleine Anordnungen und führt sie aus." Auch in Alsterdorf wurde Rolf als "artig und gehorsam" wahrgenommen.

Rolfs Eltern waren sehr um ihren Sohn besorgt. Walter Krause schrieb am 12. Januar 1941 an die Leitung der Alsterdorfer Anstalten: "Anläßlich während eines kurz bemessenen Aufenthalts infolge einer militärischen Dienstreise, ist mir bekannt geworden, dass mein Sohn Rolf seit der Aufnahme in der Anstalt stets zurückhaltender und ruhiger wird. Ich möchte bitte darauf hinweisen, dass mein Junge bei uns im Hause stets lebhaft war und beim Spielen auf der Straße nur Umgang mit gesunden Kindern hatte. Es war keineswegs Absicht unseren Jungen aus dem Hause zu entfernen, lediglich aus dem Grunde, um in der Anstalt langsamer etwas zu lernen. Ich bitte höfl. doch in Erwägung zu ziehen den Jungen in eine Gruppe seinesgleichen einzugliedern. Denn es liegt meiner Frau und mir sehr viel daran, daß Rolf langsam mehr zusammenhängend Sprechen lernt und sich dort auch wohl fühlt. Nicht aber, dass der Junge von Tag zu Tag stiller wird. Ich bitte meiner Frau Bescheid zu geben, ob eine Änderung möglich gemacht wird."

Rolfs Mutter wurde im folgenden Monat vom Leitenden Arzt der Alsterdorfer Anstalten, Gerhard Kreyenberg, informiert: Ihr Sohn habe sich gut eingelebt, er sei in eine andere Abteilung verlegt worden, würde dort durch die anderen Kinder und das Pflegepersonal angeregt und besuche jetzt die Spielschule. Zwei Spielschulberichte sind in Rolfs Patientenakte vermerkt. Am 20. April 1942 hieß es: "R.[olf] ist still und artig, während die anderen Kinder malen, nähen oder singen, sitzt er brav mit gefalteten Händen an seinem Platz. Von Bausteinen baut er Häuser und Türme. Fingerspiele verrichtet er mit Freude. Im Verkehr mit seinen Kameraden ist er verträglich, immer zufrieden und glücklich wenn er Perlen aufziehen kann." In seiner Entwicklung wurden "recht gute Fortschritte" festgehalten. Im Umgang sei er zutraulicher und umgänglicher geworden. Noch sei er sprachlich zurückhaltend, könne jetzt aber deutlich sprechen.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") wurden auch die Alsterdorfer Anstalten beschädigt. Zudem sollten dort Bombenopfer aufgenommen werden. Vorgeblich um Platz zu schaffen, nahm der Leiter der Anstalt, Pastor Friedrich Lensch, mit Zustimmung der Gesundheitsverwaltung die Gelegenheit wahr, mehrere hundert Patientinnen und Patienten, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Anstalten verlegen zu lassen.

Rolf Krause gehörte zu den 113 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die am 10. August 1943 zur "Entlastung" der Alsterdorfer Anstalten in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen in der Nähe von Passau gebracht wurden.

Auch die Wohnung der Familie Krause in der Gertigstraße war von Bombenschäden betroffen. Offenbar war Rolfs Mutter aus Hamburg geflohen und hatte die Verlegung ihres Sohnes nicht verhindern können. Sie richtete am 11. Oktober 1943 eine Anfrage aus Collmen-Böhlitz im Landkreis Leipzig an die Alsterdorfer Anstalten und bat um die Adresse der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen. Sie fragte, ob ein Besuch dort möglich sei. Die Anschrift wurde ihr daraufhin mitgeteilt.

Am 27. Oktober 1943 erhielt Anna Krause Nachricht aus Mainkofen: "Ihr Sohn Rolf hat sich hier gut eingewöhnt, es geht ihm gut. Sie können ihren Sohn jederzeit besuchen. Besuchszeit ist von 9-11 und von 13-17 Uhr. Mainkofen liegt an der Strecke Regensburg-Plattling-Deggendorf. Bahnstation ist Pankofen. Übernachtungsmöglichkeit ist hier nicht gegeben. Sie müßten sich vorher in einem Hotel in Plattling oder Deggendorf anmelden. Anfragen über Pat.[ienten] bitte ich immer an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen zu richten."

Rolfs Entwicklungsfortschritte brachen, seiner Patientenakte zufolge, in Mainkofen ab. Acht Monate nach seiner Verlegung wurde in der Krankenakte vermerkt: "Besonderheiten sind bezügl. des hiesigen Aufenthaltes des Patienten nicht zu verzeichnen. Der Knabe zeigt wenig Interesse für seine Umgebung, auch der Spieltrieb ist kaum entwickelt, seine Sprache ist kaum verständlich. In körperlicher Hinsicht geht er in letzter Zeit sehr zurück. Neben Durchfällen hat er einen charakteristischen Lungenbefund, der zweifellos von einem spezifischen Lungenprozess stammt."

Rolf Krause verstarb zwei Monate später, am 1. Juni 1944. Auf seinem Leichenschau-Schein wurde als Krankheit "Mongoloide Idiotie", als Todesursache "Lungentuberkulose" vermerkt.

Die Anstalt Mainkofen gehörte zu jenen Einrichtungen, in denen der Tod der Patientinnen und Patienten durch Nahrungsentzug (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamentengaben vorsätzlich herbeigeführt wurde. Von 1943 bis 1945 starben in Mainkofen 762 Patientinnen und Patienten in den sogenannten Hungerhäusern. Als angebliche Todesursachen wurden insbesondere Darmkatarrh, Tbc, Lungenentzündung festgehalten.

Rolf Krauses Mutter wurde von der Leitung der Alsterdorfer Anstalten von seinem Tod unterrichtet: "Da wir nicht wissen, ob Sie schon eine direkte Nachricht erhalten haben, teilen wir Ihnen mit, dass die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen uns benachrichtigt hat, dass Ihr Sohn Rolf am 1. Juni 1944 an Lungentuberkulose heimgegangen ist. Mit herzlicher Anteilnahme Ihr Direktor".

Am 3. Juni 1944 telegrafierte die Verwaltung in Mainkofen an Rolfs Mutter auf deren Bitte um Überführung der Urne nach Hamburg: "Überführung der Leiche nicht möglich, da RB [Reichsbahn] wegen angespannter Transportlage den Transport nicht übernimmt. Beerdigung hier."

Rolf wurde zwei Tage später auf dem Anstaltsfriedhof beigesetzt. Seine Eltern erbaten eine besonders Kennzeichnung des Grabes. Die Überführung sollte dann nach Kriegsende erfolgen, sie kam jedoch auch später nicht mehr zustande.

14 Tage nach Rolfs Beerdigung schickte Anna Krause ein Paket mit Spielsachen nach Mainkofen. Sie wohnte wieder in Hamburg, und zwar zur Untermiete in der Gertigstraße 15. Sie legte einen Brief bei: "Mein kleiner Rolf kann ja leider an der Freude nicht mehr teilnehmen die wir den kleinen Hamburger Kindern wünschen."

1977 wollte Anna Krause das Grab ihres Sohnes besuchen und wandte sich schriftlich an das zuständige Standesamt in Nattenberg: "Ich möchte gerne erfahren, ob die Kinder von Hamburg einen Friedhofsplatz haben, auch wenn dieselben alle Zusammen unter einem Hügel liegen." Doch Rolfs Grab bestand nicht mehr. "Der Teil des Friedhofes in dem sich dieses Grab befand, wurde vor einigen Jahren aufgelassen", erhielt sie als Antwort.
Erst im Oktober 2014 wurde der bis dahin verwahrloste Anstaltsfriedhof zu einem würdevollen Lern- und Gedenkort umgestaltet.

Stand: April 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte 81; StaH 332-5 Standesämter 13618 u 2867/1901; StaH 332-5 Standesämter 9922 Nr. 800/1941; StaH 332-5 Standesämter 9919 Nr. 276/1941; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen 52534; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 3. Aufl. Stuttgart 2016, S. 315 ff.; www.mainkofen.de/gedenkstaette (Zugriff 11.2.2020).

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