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Emma Kahl
Emma Kahl
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Emma Lucie Kahl (geborene Woitschach) * 1878

Grasweg 8 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
EMMA LUCIE KAHL
GEB. WOITSCHACH
JG. 1878
EINGEWIESEN 1939
ALSTERDORFER ANSTALTEN
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 25.2.1943
HEILANSTALT ILTEN
ERMORDET 23.3.1945

Emma Lucie Kahl, geb. Woitschach, geb. 1.5.1878 in Hannover, seit 1935 in den mehreren Hamburger Anstalten aufgenommen, von der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die Heil- und Pflegeanstalt Ilten bei Hannover am 25.2.1943 verlegt, dort gestorben am 23.3.1945

Grasweg 8 (Winterhude)

Emma Lucie war als Tochter des "Geldzählers" Albert Woitschach und seiner Ehefrau Antoine Emilie Henriette Woitschach, geb. Gareiss, am 1. Mai 1878 in Hannover zur Welt gekommen. Sie wurde am 19. Mai 1878 in der dortigen Garnisongemeinde protestantisch getauft. Über ihre Kindheit, Jugend und (Aus)Bildung ist uns nichts bekannt.

In dieser Garnisonskirche heiratete sie am 17. Mai 1902, nachdem die Ehe bereits am Vortag standesamtlich geschlossen worden war. Ihr Ehemann war der Hamburger Lehrer Alfred Detlef Fritz Kahl, geboren am 18. Februar 1877 in Warwerort bei Büsum (heute Kreis Dithmarschen).

Das junge Ehepaar wohnte in Hamburg zunächst in der Mansteinstraße 44 im heutigen Stadtteil Hoheluft-West, dann kurze Zeit im Eppendorfer Weg 141, und schließlich ab etwa 1909 wieder in der Mansteinstraße, und zwar in Nr. 8, später zogen sie nach Winterhude in den Grasweg 8.

Über viele Jahre scheint das Leben von Emma Lucie und Alfred Detlef Fritz Kahl ruhig und unauffällig verlaufen zu sein. Am 10. Januar 1935 jedoch – Emma Kahl war 64 Jahre alt –wurde die Polizei um die Mittagszeit von Passanten zum Wohnhaus von Emma und Alfred Kahl in den Grasweg gerufen. Die Polizei berichtete, sie habe Emma Kahl auf dem Balkon ihrer Wohnung gefunden, von dem sie laut schreiend mehrere Reisekoffer und Haushaltsgegenstände auf den Bürgersteig geworfen hatte. Der herbeigerufene Alfred Kahl, der sich in der Seminarschule (Ausbildungsschule) in der Binderstraße aufgehalten hatte, konnte seine Frau nicht dazu bewegen, ihm Zutritt zur gemeinsamen Wohnung zu gewähren. Zum Schutz von Emma Kahl und ihrer Umgebung ließ Alfred Kahl die Wohnungstür gewaltsam öffnen. Emma Kahl – so hieß es – soll nun in ihrem Bett gelegen haben, die Wohnungseinrichtung sei durcheinandergeworfen, Küchen- und Nachtgeschirre an den Lampen aufgehängt gewesen.

Alfred Kahl bat daraufhin um "entsprechende Unterbringung", da sich der labile psychische Zustand seiner Frau, der bereits seit längerem anhielt, derart verschlimmert habe, dass ihr weiteres Verbleiben in der Wohnung wohl nicht mehr zu verantworten sei. Emma Kahl wurde "wegen der vorliegenden Gemeingefährlichkeit" mit einem Krankenwagen nach § 22 des Hamburgischen Verhältnisgesetzes von 1923 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingeliefert. Diese Rechtsvorschrift erlaubte es den Polizeibehörden, "Personen in Verwahrung zu nehmen, wenn der eigene Schutz dieser Person oder die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ruhe oder die Abwendung von Gefahren für andere Personen diese Maßregel erforderlich macht".

In Friedrichsberg erhielt Emma Kahl die Diagnose "Schizophrenie". Zehn Monate später, am 10. November 1935, wurde sie in die damalige Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt. Sie wurde hier wie schon in Friedrichsberg als "ruhige, saubere und äußerlich geordnete Kranke" beschrieben. Bis März 1936 litt sie unter einem Abszess, der vorübergehend im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek behandelt werden musste. Dort soll sie wohl wegen Halluzinationen in ihren Stimmungen wechselhaft gewesen sein und Krankenschwestern maßlos beschimpft haben.

Emma Kahls Patientenakte enthält für die Jahre 1937 bis 1939 nur jeweils einen Bericht mit ähnlichen Inhalten: "In ruhiger Stimmung und leidlich geordnet. Beschäftigt sich mit Näharbeiten. Zeitweise Erregungszustände im Zusammenhang mit Halluzinationen."

Am 19. Mai 1939 wurde Emma Kahl auf Wunsch ihres Ehemannes in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen, weil er den hohen Kostensatz in Langenhorn nicht mehr habe tragen können. Wir wissen nicht, wie es ihr dort ergangen ist und warum sie am 1. August 1941 wieder in die (inzwischen in Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn umbenannte) Einrichtung verlegt wurde. Die wenigen Berichte aus dieser Zeit ähneln denen aus der ersten Langenhorner Phase.

Angeblich aus Platzmangel wurde Emma Kahl am 25. Februar 1943 aus Langenhorn in die "Dr. Ferdinand Wahrendorff’sche Privatklinik und Sanatorium für Nerven- und Gemütskranke" gebracht, die noch heute in privater Trägerschaft als "Klinikum Wahrendorff" im Ortsteil Ilten der Stadt Sehnde bei Hannover betrieben wird.

Aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn wurden in sechs Sammeltransporten insgesamt 340 psychisch Kranke in die Wahrendorff’sche Privatklinik überführt, zuletzt am 25. Februar 1943 40 Frauen aus Langenhorn nach Ilten, darunter Emma Kahl. Von diesen Frauen starben 26 bis zum 31. Dezember 1945 in Ilten.

In Emma Kahls Iltener Krankenakte finden sich nur fünf Eintragungen, die denen in ihrer Langenhorner Zeit entsprechen. So wurde notiert: "Geht körperlich sehr zurück" (Januar 1945) und "Sichtlicher körperlicher Verfall" (Februar 1945).

Emma Lucie Kahl starb am 23. März 1945, angeblich an Marasmus (fortschreitender Verfall der körperlichen und geistigen Kräfte durch Alter oder Krankheit).

Stand: März 2021
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1 Nr. 22504 Emma Kahl; Evangelisches Kirchenbuchamt Hannover, Hannover Filmnummer 185282, Seitennummer 26;26 Heirat Alfred Detlef Fritz Kahl/Emma Lucie Woitschach, Filmnummer 185293, Seitennummer 47;47 Geburt und Taufe Emma Lucie Woitschach; Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Aufnahmebuch Eintrag Nr. 7875 vom 19.5.1939; Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 286; Regina Marien-Luderup, Verlegungen in eine Privatanstalt, Die Transporte nach Ilten, in: Peter von Rönn u.a., Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 287 ff; Hmb. Verhältnisgesetz: Gesetz betreffend das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtspflege, vom 23.4.1879, HmbGVBl. S. 116 in der Fassung des Gesetzes vom 8.10.1923, HmbGVBl. S. 1233.

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