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Edith Goldschmidt (geborene Wunderlich) * 1901

Helene-Lange-Straße 7 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
EDITH GOLDSCHMIDT
GEB. WUNDERLICH
JG. 1901
DEPORTIERT 1941
RIGA-JUNGFERNHOF
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Helene-Lange-Straße 7:
Moritz Goldschmidt, Nanny Müller, Max Strelitz, Hans Wunderlich, Estella Wunderlich

Hans Wunderlich, geb. 27.1.1875 in Glogau, 15.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, 21.9.1942 deportiert nach Treblinka, dort ermordet

Estella Wunderlich, geb. Wunderlich, geb. 16.6.1867 in Deutsch-Eylau, verstorben am 1.11.1941 in Hamburg.

Edith Goldschmidt, geb. Wunderlich, geb. 18.10.1901 in Hamburg, 6.12.1941 deportiert ins Getto Riga, ermordet

Moritz Goldschmidt, geb. 30.7.1892 in Freiburg/Br., 10.11.1938 - 6.1.1939 inhaftiert KZ Sachsenhausen, 6.12.1941 deportiert ins Getto Riga, ermordet

Max Strelitz, geb. 28.5.1888 in Hamburg, 25.10.1941 deportiert ins Getto Litzmannstadt, Tod 15.1.1942

Helene-Lange-Straße 7, Eimsbüttel (früher: Hansastraße 79)

Hans Wunderlich wurde am 27. Januar 1875 in Glogau (heute Głogów/Polen), Niederschlesien, geboren (im Gedenkbuch des Bundesarchivs wird er als Hans Franz Wunderlich geführt). Er war mit Estella Wunderlich, geb. Wunderlich, geb. am 16. Juni 1867 in Deutsch-Eylau (heute Eylau in der Woiwodschaft Ermland-Masuren/Polen), verheiratet (abweichendes Datum in der Kultussteuerkartei: 15. Juni 1868). Ihr Geburtsname legt nahe, dass zwischen ihr und Hans Wunderlich eine entfernte verwandtschaftliche Beziehung bestand. Dazu ist aber nichts überliefert.
Ebenso wenig ist über Hans Wunderlichs Ausbildung bekannt.

Hans und Estella Wunderlich hatten zwei Töchter: Edith, geb. 18. Oktober 1901, und Anita, geb. 9. Dezember 1902, beide in Hamburg geboren.

Hans Wunderlich lebte mit seiner Familie seit etwa 1901 in Hamburg. (Er war nicht identisch mit dem Bayreuther Fotografen Johann Theodor Wunderlich, der sich ebenfalls Hans Wunderlich nannte).
1902 verzeichnete das Hamburger Adressbuch Hans Wunderlich erstmals als "Photographen" in der Wrangelstraße 66. Private Adressen vor 1902 sind nicht bekannt. Von 1903 bis 1911 wohnte die Familie in der nahen Treskowstraße 43, ab 1912 in der Mansteinstraße 36 und ab 1920 in der Schäferkampsallee 11. Ab 1932 lautet der Eintrag auf Hansastraße 79. Hans Wunderlich trat zum 1. März 1911 in die Jüdische Gemeinde Hamburg ein und entrichtete seinen Mitgliedsbeitrag bis 1941.

Am 15. Dezember 1911 trat Hans Wunderlich als Teilhaber in das "Photoatelier Arnold Mocsigay" im Neuen Wall 46 ein. Zuvor hatte er kein eigenes Atelier besessen. Da die Witwe Margarete Mocsigay ihn als Nachfolger und Teilhaber auswählte, ist es sehr wahrscheinlich, dass er bereits für Arnold Mocsigay gearbeitet hatte, der am 19. Juli 1911 verstorben war.
Arnold Mocsigay, geb. am 13. Juli 1840 in Ungarn, hatte nach einem Pharmazie-Studium in Wien das Fotografenhandwerk erlernt, war 1869 nach Hamburg übergesiedelt und hatte zunächst im Fotoatelier "E. Bieber" als technischer Leiter gearbeitet, bis er sich am 28. Juni 1897 mit einem Fotoatelier im Neuen Wall 46 selbständig machte. Bekannt als Theaterfotograf, hatte er vermutlich - wie damals üblich - feste Verträge mit einigen Theatern. Hans Wunderlich konnte diese Zusammenarbeit mit den Theatern fortsetzen. Die Witwe Margarete Mocsigay führte das Unternehmen mit ihm als offene Handelsgesellschaft (oHG). Zum 31. Dezember trat sie aus der Gesellschaft aus und Hans Wunderlich übernahm als alleiniger Inhaber das Geschäft. Am 9. Januar 1923 wurde die oHG im Handelsregister gelöscht und Hans Wunderlich als alleiniger Inhaber des Geschäfts verzeichnet. Ab April 1916 erhielt er die Berechtigung, Lehrlinge auszubilden.

Das Atelier lag im Neuen Wall 46 in der ersten Etage und bestand aus einem Empfangsraum mit zwei Ankleidezimmern, einem Büro, einem Aufnahmeraum "mit wertvollen Fotoapparaten" und einem vollständig eingerichteten Labor.
Angeboten wurden in dem "Atelier für künstlerische Fotografie" "Vergrößerungen und Malereien", und besonders beworben die "Spezialabteilung: Industrielle u. Innen-Aufnahmen". Potenzielle Kunden wurden aufgefordert: "Man verlange den Industrie-Katalog!" Zusätzlich erwähnte seine Reklame die "ständigen Lieferungen an die bedeutendsten Zeitschriften des In- und Auslandes" und "Vornehme Rahmungen in eigener Werkstatt".

Von 1921 bis 1927 verzeichneten die Adressbücher auch eine Filiale in der Eimsbütteler Chaussee 15 im dritten Stock. Nähere Informationen dazu kennen wir nicht. Unter dieser Adresse waren vorher bereits Fotografen tätig: Bis 1911 der Fotograf Richard Dencker, danach Ernst Puchmüller und ab 1920 Paul Schneider. Möglicherweise konnte Hans Wunderlich das Atelier mit Einrichtung und Apparaturen von seinem Vorgänger übernehmen. 1928 übertrug Hans Wunderlich dieses Atelier an den Fotografen Hans Meyer.

Auch die Tochter Anita arbeitete seit 1922 in der Firma als Empfangsdame und Buchhalterin. Ihre Schwester Edith, die bis dahin ebenfalls dort tätig gewesen war, gab die Mitarbeit beim Eintritt ihrer Schwester auf. Anita Wunderlich (später verheiratete Löwenstein) erklärte im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens, ihrem Vater sei daran gelegen gewesen sei, das Geschäft, "das er zu einem der angesehensten und führenden der Branche entwickelt hatte", in der Familie zu halten, deshalb habe er seine Töchter durch "seine langjährigen Facharbeiter ausbilden" lassen. Sie beschrieb weiter das "aussergewöhnliche Talent meines Vaters aus allen Gebieten der Fototechnik, speziell der Art der Aufnahmen und besonders die künstlerische Beleuchtungstechnik, sowie die geschickte und zuvorkommenden Behandlung der oft nicht leicht zu bedienenden Kundschaft". 1922 habe ihr Vater nach ihren Erinnerungen ca. 18 Angestellte beschäftigt. Zum Unternehmen habe auch das Archiv fotografischer Platten "bis zur Größe 18:24" gehört: "Der vielleicht wertvollste Besitz war ein Plattenmaterial von über 100.000 Aufnahmen für Nachbestellungen und Veröffentlichungen in den Zeitungen und Zeitschriften, mit denen mein Vater gearbeitet hatte. Über 75 Redaktionen wurden von meinem Vater beliefert, da sehr viele Persönlichkeiten, wie Künstler, Politiker und Wissenschaftler von uns aufgenommen wurden z.B. Graf Zeppelin, Kapitän König [Paul König, Kapitän des Norddeutschen Lloyd und 1916 Kapitän des ersten Handels-U-Boots zum Transport von Waren durch Seeblockaden], Caruso, fast alle Künstler der Hamburger Theater, das Tropeninstitut mit den damaligen Professoren, die Cuxhavener Hochseefischerei Anlagen, Bismarcks Ahnen in einem Schloß in der Nähe von Hamburg und vieles mehr."

Am 1. April 1930 ließ sich Hans Wunderlich von der Handwerkskammer in die Handwerksrolle eintragen.
Die nationalsozialistische Machtergreifung 1933 bedeutete einen tiefen Einschnitt für Hans Wunderlichs Tätigkeit, zumal das Geschäft bereits um 1930 durch die aufkommende "Liebhaberfotografie" zusehends schlechter lief: 1925 kam die erste Kleinbildkamera von Leica auf den Markt, nun frequentierten Kunden Fotoateliers nicht mehr in dem Maße wie vorher. Zusätzlich mögen die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte 1933 und später weiter zum wirtschaftlichen Niedergang der Firma beigetragen haben.

Dieser bildete auch den Hintergrund für ein Strafverfahren, das 1934 gegen Hans Wunderlich ein Strafverfahren eingeleitet wurde: Er hatte RM 945 an Kranken- und Arbeitslosenversicherung für seine Angestellten nicht abgeführt und sollte diese damit "der Allgemeinen Ortskrankenkasse vorsätzlich" vorenthalten haben. Er erhielt einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft in Höhe von RM 100 oder 20 Tage Gefängnis. Dagegen legte er Einspruch ein und bat um eine gerichtliche Entscheidung, bei der er mündlich vortrug, der Betrieb seines Ateliers sei sehr zurückgegangen. Er habe einen Gesellen und einen Lehrling beschäftigt. Der Geselle sei schon 34 Jahre bei ihm und verheiratet. Er habe ihn nicht entlassen wollen, um ihn nicht "brotlos" zu machen. Hans Wunderlich wendete sich insbesondere gegen das Wort "vorsätzlich", war aber sonst geständig. Das Gericht stellte fest: "Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten sind sehr traurige. Er ist unbestraft. Mit Rücksicht hierauf hat das Gericht eine Geldstrafe von 50,-- RM - evtl. 10 Tage Gefängnis - für ausreichend erachtet. Dem Angeklagten wird gestattet, nach drei Monaten in monatlichen Raten von 5,-- RM zu zahlen." Zusätzlich musste Wunderlich die Hälfte der Gerichtskosten tragen.

Bis 1935 war das Fotoatelier noch unter dem Namen "A. Mocsigay" im Branchenbuch verzeichnet. Die "Handwerker-Innung für das Photographen- und Phototechniker-Handwerk" stellte am 27. Juni 1935 fest: "Die Fa. A. Mocsigay, photographisches Atelier, Hamburg 36, Neuerwall 46, hat nach Auffassung der Innung die Berechtigung verloren, als Firma im Handelsregister geführt zu werden. Der nichtarische Inhaber, Hans Wunderlich, kann heute keinen Anspruch mehr darauf machen, dass die Firma unter dem Namen des verstorbenen A. Mocsigay weitergeführt wird. Nach Art und Umfang liegt keine über den Rahmen photografischen handwerklichen Betriebes hinausgehendes Unternehmen vor. Die Betriebsart ist einfacher Natur, ein Handel mit Waren ist überhaupt nicht vorhanden, vielmehr handelt es sich lediglich bei den zu erledigenden Aufträgen um handwerkliche Arbeiten. Die ganze Lage des Geschäftes ist eine derartige, dass von einem grösseren Betriebe überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann, die Innung stellt daher den Antrag auf Löschung der Firma".

Hans Wunderlich widersprach dem Ansinnen und wies auf seinen"lebhaften Handel" mit Bilderrahmen hin. In einem weiteren Schreiben erklärte er, dass er infolge der jahrelangen Wirtschaftskrise "aller Reserven beraubt" sei und die mit der Firmenaufgabe verbundenen Kosten kaum tragen könne. Er habe erst Ende Juni ein neues Leuchtschild anbringen lassen und besitze noch "tausende von Kartons, Briefbogen und Umschläge[n] mit der alten Firma". Daraufhin wurde ihm die Frist zur Löschung verlängert, so dass er das lukrative Weihnachtsgeschäft 1935 noch unter dem alten Namen führen konnte. Im Handelsregister hieß es in einem Eintrag vom 16. April 1936: "Die Firma ist durch Eintragung des Inhabers in die Handwerkerrolle erloschen."

Der Eintrag im Adressbuch lief nun bis 1939 unter dem Namen "H. Wunderlich".
Hans Wunderlich musste – wie alle jüdischen Inhaber – sein Geschäft Anfang 1939 aufgeben. Zum 31. Dezember 1938 wurde er aus der Handwerksrolle gelöscht. Seine Tochter berichtete, dass er auf Wunsch der "Ariseurin" noch etwa einen Monat dort tätig war und das Geschäft dann nicht mehr betreten durfte. (1940 wurde Erika Gackowski als Fotografin für den Neuen Wall 46 im Adressbuch eingetragen. Sie führte das Fotoatelier noch 1960 unter dieser Adresse.)

Die Tochter Anita war inzwischen nach London emigriert. Das Ehepaar Wunderlich lebte zusammen mit Tochter Edith, inzwischen geschiedene Marcus, in der Hansastraße 79 in der 4 ½ Zimmer-Wohnung. Nach Ediths Heirat mit "Morris" Moritz Goldschmidt 1940 zog auch dieser zu ihnen. Ein weiteres Zimmer war untervermietet. Tochter Anita berichtete später, die Wohnung sei "mit Möbeln, gutem Geschirr, kostbare gestickte Wohnung Decken usw." eingerichtet gewesen, "über deren Verbleib ich keine Ahnung habe, entweder sind sie zurückgeblieben, oder mußten von meinem Vater zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu Schleuderpreisen verkauft werden."

Zum wirtschaftlichen Niedergang trat persönliches Leid: Estella Wunderlich war bereits seit 1930 schwer erkrankt. Sie litt, "zuerst (an) Brustkrebs mit Operation und vielen Begleiterscheinungen, dann Gelenkrheumatismus und schließlich eine schwere Angina Pectoris". Estella Wunderlich verstarb am 1. November 1941 in Hamburg. Tochter Anita geht von einem Herzinfarkt aus, "durch die Aufregungen der bevorstehenden Deportierungen". An anderer Stelle schrieb sie "Die Todesursache meiner Mutter war die Aufregung, die durch die Deportierung unseres Untermieters, Herrn Strelitz, und die bevorstehende Verschickung meiner Schwester Edith und meines Schwagers Morris entstanden ist."

Hans Wunderlich informierte Anita am 13. November 1941 per Telegramm über das Rote Kreuz vom Tod ihrer Mutter. Er schrieb, dass "Strelitz fort" sei, Edith und Morris aber noch bei ihm wohnten. An seine Tochter richtete er die Bitte: "Erbitte inständigst meine Anforderung E c u a d o r bearbeiten, höchste Eile dringend geboten." Anitas Verlobter und späterer Mann Walter Löwenstein war im Oktober 1941 nach Ecuador ausgewandert. Hans Wunderlich bemühte sich ebenfalls um eine Auswanderung dorthin und bat seine Tochter, alles Notwendige dafür zu unternehmen.

Bei dem erwähnten Untermieter handelte es sich um Max Strelitz, geb. 28. Mai 1888 in Hamburg. Er hatte noch im April 1940 versucht, Deutschland zu verlassen und nach Dänemark überzusiedeln, vielleicht hoffte er, von dort in ein anderes Land weiterreisen zu können. Doch sein Vorhaben schlug fehl. Max Strelitz wurde am 25. Oktober 1941 in das Getto Litzmannstadt (Łódź) deportiert. Er starb dort am 15. Januar 1942 im Krankenhaus an Colitis (Darmentzündung).

Kurz darauf musste Hans Wunderlich auch von Tochter Edith und ihrem zweiten Ehemann "Morris" Moritz Goldschmidt, geb. am 30. Juli 1892 in Freiburg/Br., Abschied nehmen.
Hinter Moritz Goldschmidt lag bereits eine KZ-Haft vom 10. November 1938 bis zum 6. Januar 1939 in Zusammenhang mit den Novemberpogromen im Konzentrationslager Sachsenhausen (Häftlingsnummer 8538). Er war nach seiner Freilassung am 7. Januar im Israelitischen Krankenhaus wegen "Frostbeulen" aufgenommen worden, die er sich in der Haft zugezogen hatte. Erst am 9. März 1939 wurde er in ambulante Weiterbehandlung entlassen. Da seine Wohnung während der Haft weitervermietet worden war, lebte er kurzzeitig bei seinem Bruder, im August 1939 zog er zur Untermiete in die Hansastraße 73 zum Kaufmann M. Frensdorff. Hier hatte er vermutlich seine spätere Frau Edith kennengelernt und war zu ihr gezogen. Moritz Goldschmidt war zu diesem Zeitpunkt mittellos und lebte von Zuwendungen der Jüdischen Gemeinde und Arbeitslosenunterstützung. Eigentlich von Beruf Kaufmann, wurde er in den Listen als "Erdarbeiter" geführt. Vermutlich hatte er als Fürsorgeempfänger zuvor "Pflichtarbeit" und dann Zwangsarbeit leisten müssen.
Das Ehepaar Goldschmidt erhielt den Deportationsbefehl zum 6. Dezember 1941 nach Riga. Beide überlebten nicht, auch sie wurden mit Datum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Hans Wunderlich hatte als Jude inzwischen nicht nur den Zusatznamen "Israel" zu führen und ab September 1941 den "Judenstern" zu tragen, auch sein Zuhause musste er verlassen und am 23. Februar 1942 in das "Judenhaus" in der Kielortallee 24 in Eimsbüttel umziehen.
Die Lebensbedingungen in den "Judenhäusern" waren extrem schlecht, denn die dort eingewiesenen Menschen mussten sich Zimmer und Wohnungen teilen und lebten so in räumlicher Enge mit anderen jüdischen Verfolgten. Die Belegungsdichte wurde ständig erhöht, die vorgesehenen 8 qm pro Person oft unterschritten.

Von der Kielortallee 24 wurde Hans Wunderlich am 15. Juli 1942 mit dem ersten großen "Alterstransport" aus Hamburg in das Getto Theresienstadt und bereits am 21. September 1942 in das Vernichtungslager Treblinka weiter deportiert und dort ermordet (in anderen Quellen ist irrtümlich nach einem veralteten Forschungsstand noch von einem Transport nach Maly Trostinez, einem Vernichtungslager in der Nähe von Minsk, die Rede). Nach dem Krieg wurde er auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Nach der Deportation wurde sein restlicher Hausrat vom Auktionator Nothnagel versteigert. Protokolle und Erlös der Auktion sind nicht überliefert.

Einzige Überlebende der Familie war Anita Wunderlich. Sie hatte von ca. 1908 bis 1918 die höhere Töchterschule von Elisabeth Herms im Schulweg 31/33 und dann eine hauswirtschaftliche Frauenschule in der Brennerstraße besucht. Sie wohnte bei ihren Eltern in der Hansastraße 79. Seit 1938 war sie mit dem Kaufmann Walter Löwenstein, geb. 28. Mai 1900 in Göttingen, verlobt. Walter Löwenstein lebte in der Hansastraße 55 zur Untermiete. 1929 hatte er Vertretungen für Bäckereibedarfsartikel und Rohstoffe für die Süßwarenindustrie übernommen und war bis 1935 als Eigentümer und Geschäftsführer der Firma "Roland Metallwaren & Maschinenfabrik GmbH, vorm. Oskar Güssow& Co." im Adressbuch von 1933 eingetragen, die "Keksmaschinen" herstellte. Er selbst bezeichnete sich als Geschäftsführer in einem Großhandel für Bäckerei- und Konditoreibedarf. Die Firma hatte ihren Sitz in der Brigittenstraße 3. Walter Löwenstein war nach den Novemberpogromen vom 9. November bis zum 24. Dezember 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert gewesen.
Am 9. August 1939 wanderte Anita Wunderlich nach England aus. Ihrem Verlobten gelang es nicht mehr, vor Kriegsbeginn seine Auswanderung nach England zu realisieren. Er konnte aber 1941 ein Einreisevisum für Ecuador erlangen und reiste am 17. Oktober 1941 über Frankreich und Spanien nach Portugal. Von dort setzte er mit dem Dampfer "Serpa Pinto" am 25. Oktober 1941 über Havanna nach Baranquilla in Kolumbien über und flog Anfang 1942 nach Quito/Ecuador. Er ließ sich in der Hafenstadt Guayaquil nieder.
Unterdessen durfte Anita Wunderlich in England zunächst nicht arbeiten, da erst einmal – wie bei allen nach Großbritannien geflüchteten Deutschen – ein Tribunal entscheiden musste, ob sie als "Enemy Alien" (feindlicher Ausländer) interniert werden sollte oder nicht. Die Internierung blieb ihr erspart, und sie konnte danach als Hausangestellte, Haushälterin und Näherin arbeiten, zwischenzeitlich immer wieder vom Bloomsbury House finanziell unterstützt, einer Hilfseinrichtung für jüdische Flüchtlinge und Kinder aus Deutschland.
Anita Wunderlich litt unter schweren gesundheitlichen Problemen, für die sie den Klima- und Ernährungswechsel durch die Emigration und die Nachrichten vom Tod der Mutter und den Deportationen ihres Vaters und der Schwester verantwortlich machte. Am 2. Oktober 1944 konnte sie, wiederum finanziert vom Bloomsbury House, zu ihrem Verlobten Walter Löwenstein über Buenos Aires und Chile nach Guayaquil in Ecuador reisen. Gleich nach ihrer Ankunft heirateten sie am 3. Dezember 1944. Ihr Mann führte inzwischen in Guayaquil eine Fabrik für Bäckerei- und Konditoreibedarf, in der sie ebenfalls arbeitete.
1970 verzogen beide nach Cape Coral in Florida/USA. Anita Löwenstein verstarb am 9. November 1984.

Stand: Oktober 2024
© Martin Bähr

Quellen: Hamburger Adressbuch 1880 - 1943; Bayreuther Adressbuch 1889 - 1912; StaH 213-11 Strafsachen 3715 Wunderlich, Hans; 213-13 Landgericht Hamburg Wiedergutmachung 18105 Strehlitz, Max; 213-13 Landgericht Hamburg Wiedergutmachung 19955 Wunderlich, Hans, Erben; 231-7 Handelsregister Mocsigay B 1995-94; 314-15 Oberfinanzpräsident FVg 5307 Wunderlich, Anita; 314-15 Oberfinanzpräsident FVg 8732 Löwenstein, Walter; 314-14 Oberfinanzpräsident R 1940/0258 Strehlitz, Max; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 24130 Löwenstein, Walter; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 25999 Löwenstein, Anita; 351-14 Jüdische Fürsorgeempfänger 1200 Goldschmidt, Moritz;
522-01_0992_b_17605 Moritz Goldschmidt 30.7.1892; 522-01_0992_b_55733 Max Strelitz 28.5.1888; 522-01_0992_b_55735 Max Strelitz 28.5.1888; 522-01_0992_b_55737 Max Strelitz 28.5.1888; 522-01_0992_b_60639 Anita Wunderlich 9.12.1902; 522-01_0992_b_60641 Hans Wunderlich geb. 27.1.1875; 522-01_0992_b_60643 Hans Wunderlich geb. 27.1.1875;
Meyer, Beate (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 1933 - 1945. Geschichte, Zeugnis, Erinnerung. Hamburg 2006; Schwarz, Angela: Von den Wohnstiften zu den "Judenhäusern". in: Ebbinghaus, Angelika; Linne, Karsten (Hrsg.): Kein abgeschlossenes Kapitel. Hamburg im "Dritten Reich". Hamburg 1997; Ursula Wamser/Wilfried Weinke, Eine verschwundene Welt: jüdisches Leben am Grindel, Springe 2006, S. 135; Das Buch der alten Firmen der Freien und Hansestadt Hamburg, Jubiläums-Verlag Walter Gerlach, S. 18 XII; E-mail der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen v. 17.09.2024; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de996285; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de875981; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de979899; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de876594; https://www.pamatnik-terezin.cz/prisoner/te-wunderlich-hans; https://www.theholocaustexplained.org/bloomsbury-house/; https://fotografenwiki.greven-archiv-digital.de/index.php/Arnold_Mocsigay; http://www.fotorevers.eu/de/fotograf/Wunderlich/5077/; https://www.holocaust.cz/de/opferdatenbank/opfer/37341-hans-wunderlich/; https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411025-40.jpg; https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411206-8.jpg; https://www.statistik-des-holocaust.de/OT411206-9.jpg; https://www.statistik-des-holocaust.de/VI1-47.jpg (alle letzter Zugriff 22.7.2024).

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