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Charlotte Bravo (geborene Aron) * 1880
Brahmsallee 16 (Eimsbüttel, Harvestehude)
1941 Minsk
ermordet
Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 16:
Ruth Isaak, Hanna Isaak, Michael Isaak, Pauline Isaak, Daniel Isaak, Betty Jacobson, Recha Nathan, Helene Rabi, Max Warisch
Charlotte Bravo, geb. Aron, geb. am 11.8.1890 in Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk
Brahmsallee 16
Das Leben von Charlotte Bravo, geb. Aron, hat nur spärliche Spuren hinterlassen. In Umrissen lässt sich ihre Biographie aus genealogischen Daten rekonstruieren. Die gegebenen verwandtschaftlichen Verhältnisse liefern die Struktur, in die das Schicksal dieser nur schattenhaft erkennbaren Frau eingepasst war. Charlotte Bravo entstammte der Familie Cassuto, einer der einflussreichsten und aktivsten Stützen der Hamburger portugiesisch-sephardischen Gemeinde. Ihre Vorfahren waren einst aus Glaubensgründen von der Iberischen Halbinsel vertrieben worden. Auf dem Umweg über Amsterdam kamen im 17. Jahrhundert sephardische Familien nach Hamburg. Ihre Zahl war zwar geringer als die der sogenannten deutschen oder aschkenasischen Juden, gleichwohl übten sie beachtlichen wirtschaftlichen und kulturellen Einfluss aus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die Zahl der sephardischen Juden in Hamburg noch weiter abgenommen, umso enger schlossen sie sich zusammen und ehrten ihre alten Traditionen.
Um zu erkennen, an welchem Zweig des verästelten Stammbaums Charlotte und ihre beiden Geschwister verortet waren, müssen wir bis zu ihren Großeltern zurückgehen. Der Großvater Jehuda Cassuto heiratete Lea Rocamora aus einer nicht weniger berühmten Hamburger Portugiesenfamilie. Drei Töchter dieses Ehepaares spielten für Charlotte Bravo später eine besondere Rolle: Die 1839 geborene Tochter Sara heiratete 1856 im Alter von 17 Jahren den sechs Jahre älteren, ebenfalls sephardischen Zigarrenhändler Isaak Haim Bravo. In den Jahren 1862 bis 1866 wurden dem Ehepaar drei Kinder geboren, wovon nur der 1864 geborene Sohn Jehuda Bravo in den standesamtlichen Akten namentlich erwähnt wird. Sara Bravo, die Mutter der drei Kinder, starb bereits 1868, möglicherweise an der Geburt eines weiteren Kindes. Es war nicht unüblich, dass junge Witwer die Schwester ihrer verstorbenen Frau heirateten, um den kleinen Kindern wieder eine Mutter zu geben. So war es auch in diesem Fall. Isaak Haim Bravo heiratete in zweiter Ehe 1869 Saras Schwester Lea Cassuto. Wesentlich jünger als die verstorbene Sara, war die 1852 geborene Lea bei der Heirat ebenfalls erst 17 Jahre alt. Mit der Versorgung der drei verwaisten Kinder übernahm sie eine große Verantwortung. Ihr einziges Kind, der Sohn Abraham Haim Bravo, wurde 1872 geboren. Wie sein Vater Isaak wurde er Kaufmann. Wahrscheinlich arbeitete er im väterlichen Geschäft und führte es weiter als Isaak Haim Bravo 1905 starb. Mit der Heirat hatte Abraham es nicht eilig. Erst 1924 ehelichte er Charlotte Aron, die wir hier samt ihrem Umfeld vorstellen möchten.
Charlotte wurde am 11.8.1880 in Hamburg geboren. Ihr jüdisch-sephardischer Vater, der Kaufmann Abraham Aron, geboren am 12.12. 1849 in Neustadt am Rübenberge, heiratete in Hamburg im Jahre 1877 die dort geborene Judith Cassuto. Judith de Jehuda Cassuto war die jüngere Schwester von Sara und Lea Cassuto. Charlotte war also eine Cousine von Abraham Haim Bravo. Sicher kannten sich beide von Jugend an. Die kleine Charlotte mag in dem acht Jahre älteren Vetter einen Beschützer gesehen haben. Vielleicht schwärmte sie für Abraham, vielleicht war er ihr gleichgültig. Da es keine schriftlichen Aufzeichnungen über das Leben der Familien Cassuto, Bravo und Aron gibt, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Nur so viel wissen wir: Charlotte Aron wuchs in einer bewusst sephardischen Familie auf. Charlottes Schwester Helene wurde eineinhalb Jahre vor ihr, am 19.1.1879, der jüngere Bruder Siegmund Aron am 9.5.1883 geboren. Bis zu ihrer Verheiratung lebten die Schwestern in der elterlichen Wohnung Rutschbahn 25. Charlotte machte eine Ausbildung als Kontoristin, war berufstätig und zahlte Kultussteuern bis zu ihrer Heirat am 27. Oktober 1924 mit Cousin Abraham Haim Bravo. Da war sie 44, ihr Ehemann 52 Jahre Jahre alt. Ein altvertrautes Verwandtschaftsverhältnis wurde in die Form einer Ehe überführt. Bei der Trauung vor dem Standesamt leisteten zwei Freunde von Abraham Haim Bravo als Zeugen ihre Unterschrift, der eine wohnte im selben Haus Bornstraße 10, der andere war als Kaufmann ein Kollege. Im Register der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde sind zwei sephardische Trauzeugen aus renommierten Familien aufgeführt: Benjamin Sealtiel und Abraham Sarfaty. Die Ehe von Abraham und Charlotte Bravo blieb ebenso kinderlos wie die Ehe ihrer Schwester Helene.
Die Familien pflegten enge Beziehungen. Das bewährte sich, als beide Schwestern, Charlotte und Helene, den Ehepartner und auch den Vater verloren. David Rabi, Ehemann von Helene, geb. Aron, verstarb bereits 1928. Hochbetagt starb am 2. Januar 1936 Abraham Aron, der Ehemann von Judith, geb. Cassuto, und Vater von Charlotte Bravo und Helene Rabi in seiner Wohnung Rutschbahn 31. Charlotte verlor ihren Ehemann Abraham Bravo ein halbes Jahr später. Er verstarb am 26. Juni 1936 im Israelitischen Krankenhaus, als Todesursache diagnostizierte der zuständige Arzt Bronchopneumonie.
Die mittellos hinterbliebenen Frauen waren nun auf Unterstützung durch den Sohn und Bruder Siegmund Aron angewiesen. Als Beamter bei der bekannten Bank M.M. Warburg war er in der Lage, seine Mutter, seine Schwiegermutter und seine Schwägerin zu ernähren, wie ein Vermerk auf seiner Kultussteuerkarte belegt. Siegmund selbst verlor seine Frau und Mutter der gemeinsamen vier Kinder 1933 durch Krankheit. Die Kinder konnten nach England gebracht werden. Eine zweite Ehe schloss Siegmund mit Baszion Heimann. Eine Auswanderung glückte diesem Ehepaar ebenso wenig wie Siegmunds Schwestern Helene und Charlotte. In den durch zunehmende Judenfeindschaft doppelt beschwerten Jahren zogen die beiden Witwen zusammen. Charlotte wurde Untermieterin ihrer Schwester Helene Rabi, die schon seit dem Tod ihres Mannes ihren Unterhalt durch Zimmervermietung bestritt. Gemeinsam zogen sie 1938 in die Brahmsallee 16. So waren und blieben sie zusammen, als sie nach Minsk deportiert wurden.
Siegmund Aron und seine Frau wurden schon im Oktober 1941 mit dem ersten Transport Hamburger Juden nach Lodz geschickt und 1942 in Chelmno ermordet.
Charlotte Bravo und Helene Rabi erhielten die Aufforderung, sich am 18. November 1941 zur "Aussiedlung" auf der Moorweide einzufinden. Mit diesem dritten Massentransport wurden 408 jüdische Hamburgerinnen und Hamburger zusammen mit solchen aus Bremen, Bremerhaven und Stade nach Minsk im "Reichskommissariat Ostland" deportiert. Über ihre dortige Unterkunft, ihre Lebensbedingungen, über Ort und Stunde ihres Todes fehlt jeder Hinweis.
Helenes und Charlottes Mutter, Judith Aron, geb. Cassuto, lebte im Pflegeheim der Jüdischen Gemeinde in der Schäferkampsallee 29, als ihre Töchter deportiert wurden. Sie erlitt einen Schlaganfall und starb am 24. Juni 1942 eines natürlichen Todes im Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde, das sich zu dieser Zeit in der Johnsallee 54 befand.
Stand: September 2016
© Inge Grolle
Quellen: 1; 4; StaH 332-5 (Standesämter) – 1053 6235/ 1936 Sterbeurkunde Abraham Aron, – 8180 294/1942 Sterbeurkunde Judith Aron, 8791/378 Heiratsurkunde von Abraham Bravo und Charlotte Cassuto 1924; 332-3 (Zivilstandsaufsicht 1866–1875) B26 1092 1869 Heiratsurkunde Isaac Haim Bravo und Lea Cassuto, 352-5 (Todesbescheinigung) 1936 2a 235 für Abraham Bravo; E-Mail Auskunft von Michael Studemund-Halévy v. 25.3.2013 über Abraham/Adi Haim Bravo; ders., Sefarden in Hamburg.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".