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Marcus Elias * 1860

Rutschbahn 24 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
MARCUS ELIAS
JG. 1860
IN GUDENSBERG
AUF OFFENER STRASSE
VON NAZIS MISSHANDELT
TOT AN DEN FOLGEN
HAMBURG 25.11.1935

Weitere Stolpersteine in Rutschbahn 24:
Betty Berges

Mark(c)us Elias, geb. 3.8.1860 in Gudensberg /Hessen, gestorben 25.11.1935 in Hamburg

Rutschbahn 24

Markus Elias jun. wurde 1860 im hessischen Gudensberg geboren. Seine Familie war hier seit über 150 Jahren ansässig. Schon der Vater, Kaufmann Itzig Levi Elias (1820–1869), und der Großvater, Handelsmann Marcus Levi Elias (1790–1856), waren in Gudensberg geboren worden. 1892 heiratete Markus Elias, wie damals üblich am Wohnort der Braut in Borken/Bezirk Kassel, Veilchen Blum (siehe deren Biografie). Sie war am 8.9.1865 im kurhessischen Borken geboren worden, ihre Eltern waren der Schuhmachermeister Joseph Blum und Hannchen Blum geborene Abt. Nach der Heirat zog Veilchen Elias geb. Blum zu ihrem Mann nach Gudensberg, einem 2200-Einwohner-Ort im Bezirk Kassel. Markus Elias betrieb dort als Schuhmacher in der Hornungsgasse 2 ein Geschäft mit Schuhwaren und "Landesprodukten en gros" (u.a. Roggenstroh, Futterrüben, Saatkartoffeln).

Die Eheleute Elias bekamen sieben Kinder, von denen fünf im Kindesalter starben, lediglich die Töchter Helene Elias (geb. 1893) und Betti Elias (geb. 1900) überlebten. Zur Unterstützung in Haus und Garten half Veilchen Elias die ebenfalls im Ort lebende Elise Mildner. 1910 inserierte Markus Elias jun. in der Gudensberger Zeitung einen "Schuhwaren-Gelegenheitskauf. Durch Übernahme des Schuhwarenlagers meiner verstorbenen Schwiegereltern verkaufe ich einen großen Posten regulärer Schuhwaren bedeutend unter Preis. (…) Besichtigung ohne Kaufzwang jederzeit gern gestattet." 1919 in Zeiten der Mangelversorgung nach dem Ersten Weltkrieg inserierten drei der Gudensberger Schuhhändler, Markus Elias jun., Justus Ludwig und Wilhelm Böttger: "Durch Verfügung der Reichsstelle für Schuhversorgung sind Schnürstiefel mit Lederbesatz und Holzsohlen im Preise bedeutend herabgesetzt (…)." Dieses Inserat setzten einer der beiden jüdischen Schuhhändler Gudensbergs sowie zwei christliche Schuhhändler gemeinsam auf. Die unterschiedliche Religionen hinderte sie nicht an gemeinsamen kaufmännischen oder privaten Unternehmungen. Veilchen Elias engagierte sich während des Kaiserreichs im rund 40-köpfigen Vaterländischen Frauenverein des Ortes und wurde dort nach Aussage ihrer Tochter Betti in den Vorstand gewählt.

Ab 1933 etablierte sich die NSDAP unter dem NSDAP-Ortsgruppenleiter Ludwig Herbener (geb. 13.4.1895 in Gudensberg, Kraftfahrer, seit 1.10.1930 Mitglied der NSDAP) schnell im Ort. Mit Boykottaktionen und körperlichen Übergriffen wurden die Juden zur Aufgabe ihrer Geschäfte und zum Verlassen des Ortes genötigt: "Das Geschäft unseres Vaters kam daher recht bald zum Erliegen. Er konnte in den Jahren 1933–1935 immer weniger verdienen und war, als er im September 1935 zusammen mit uns Gudensberg verließ, nicht mehr in der Lage, für das Geschäft als solches irgendeinen Preis zu erzielen", bestätigten die Töchter 1957. Um für das Haus in der Hornungsgasse 2 (nun umbenannt in Adolf-Hitler-Straße 30) einen adäquaten Verkaufspreis und vertrauenswürdige Käufer zu finden, sprach Veilchen Elias die ihnen nahestehenden Eheleute Mildner an. Veilchen Elias war es auch, die den Kaufvertrag am 9. Oktober 1935 beim Notar unterzeichnete "mit Vollmacht und Untervollmacht, handelnd für Markus Elias, ihren Ehemann". Ungewöhnlich für diesen Vertreibungsverkauf war die umgehende Begleichung des Kaufpreises in bar durch die Käufer, was den Eheleuten Elias die sofortige Abreise aus Gudensberg ermöglichte. An anderer Stelle erwähnte Helene Baruch geb. Elias noch konkreter die Gründe für das Verlassen des Heimatortes: "Ich (…) war am 6.9.1935 nach Gudensberg gefahren, um den 70. Geburtstag meiner Mutter zu feiern. Ich wurde von Nachbarn gewarnt, daß mein Vater in Gudensberg seines Lebens nicht mehr sicher sei. Aus diesem Grunde habe ich meine Eltern veranlasst, schleunigst nach Hamburg zu meinem Ehemann, Siegmund Baruch, zu übersiedeln." Der 75-jährige Markus Elias war in Gudensberg auf offener Straße von Nationalsozialisten misshandelt worden. Schutz bekam er von den nun nationalsozialistisch ausgerichteten staatlichen Organen nicht mehr. Der Nachbar und städtische Bedienstete Jacob Mildner (geb. 1896) übernachtete mehrmals im Hause Elias, um diesen bei befürchteten SA-Übergriffen beizustehen. Auch der Gudensberger Uhrmacher Joseph Wallach (geb. 29.1.1879 in Hoof bei Kassel) wurde durch Boykottaktionen und wiederholt eingeschlagene und beraubte Schaufensterscheiben wirtschaftlich ruiniert und zum Verlassen des Ortes genötigt. Joseph Wallach erstattete Anzeige bei der Polizei, die sich aber weigerte etwas zu unternehmen; im April 1935 verließ Familie Wallach Gudensberg. Die Kurhessische Landeszeitung schrieb 2 ½ Jahre später am 5. Mai 1938, unter der Überschrift "Gudensberg – Ein fünfjähriger, zäher Kampf gegen das Judentum in der Stadt Gudensberg ist nun endlich von Erfolg gekrönt", ein Loblied auf die antisemitischen Maßnahmen der örtlichen NSDAP, ohne deren Praktiken genau zu benennen: "Die gesamte Einwohnerschaft dankt der Ortsgruppe der NSDAP, insbesondere dem Ortsgruppenführer" dafür, dass keine Juden mehr im Ort wohnen, namentlich erwähnt wurden im Zeitungsartikel die vertriebenen jüdischen Familien Elias, Hofmann, Katz, Plaut und Mansbach.

Die Eheleute Elias zogen vermutlich noch im September 1935 zur Tochter Helene Baruch geb. Elias, dem Schwiegersohn und Holzhändler Siegmund Baruch (geb. 30.1.1884 in Volkmassen) und den drei Enkelkindern Inge (geb. 1917), Ellen (geb. 1918) und Lisa (geb. 1921) nach Hamburg in die Eppendorfer Landstraße 58 (Eppendorf). Mitte Oktober 1935 wechselten sie in eine eigene Wohnung in der Rutschbahn 24 II. Stock (Rotherbaum), einen Stadtteil mit einem relativ hohen Anteil jüdischer Wohnbevölkerung und entsprechender Infrastruktur. Markus Elias trat am 14. November 1935 der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg und dem gemäßigt konservativen Kultusverband "Neue Dammtorsynagoge" bei. Nur wenige Wochen nach Geschäftsaufgabe und Hausverkauf starb er.

Die jüngere Tochter Betti Elliot geb. Elias, die 1932 nach Paris gegangen war, um in einer Familie die französische Sprache besser zu erlernen und danach in Italien lebte, schrieb hierzu 1963: "1935 fuhr ich nach Hamburg, wohin meine Eltern inzwischen gezogen waren. Meine Schwester war dort verheiratet. Nach 6 Wochen schon starb mein Vater an den Verletzungen, die er in Gudensberg von den Nazis erhalten hatte. Ich sah ihn nicht mehr lebend." Auf seiner Sterbeurkunde wurde keine Todesursache angegeben. Der Arzt, bei dem Markus Elias seit seiner Ankunft in Hamburg in Behandlung war, diagnostizierte in der Todesbescheinigung eine Arterienverkalkung sowie einen Infarkt; als unmittelbare Todesursache notierte er "Herzkrämpfe". Markus Elias wurde auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg beigesetzt. Die erforderliche Anzeige beim Standesamt übernahm der Uhrmacher Josef Wallach aus der nahegelegenen Parkallee 17 (Harvestehude), einer Parallelstraße der Brahmsallee.

Beide kannten sich aus Gudensberg, wo Joseph Wallach von 1909 bis 1935 eine Uhrmacherwerkstatt mit Verkauf von Uhren, Gold- und Silberwaren betrieben hatte (zuletzt in der Hintergasse 2). Daneben engagierte er sich für die Belange der jüdischen Einwohner/innen des Ortes: ab 1922 war er Vorsteher der Jüdischen Gemeinde und in den Jahren 1924, 1925, 1928 und 1933 kandidierte er auf der Liste der Jüdischen Gemeinde für einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung. Nachdem Joseph Wallach im April 1935 aus Gudensberg nach Hamburg verzogen war und sich in der Hansestadt mit Reparaturarbeiten gerade so über Wasser halten konnte, wurde er nach dem Novemberpogrom verhaftet und vom 11. November 1938 bis zum 14. Dezember 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen gefangen gehalten. Im März 1939 emigrierte er zu seinem in Südafrika lebenden Sohn und 1949 weiter in die USA.

Die 71-jährige Veilchen Elias zog im September 1936 in eine Erdgeschosswohnung in der Brahmsallee 13 (Harvestehude). Mit der Emigration ihrer älteren Tochter im Oktober 1938 scheinen sich die finanziellen Probleme bei Veilchen Elias verschärft zu haben; auf der Kultussteuerkarte wurde für 1940 "kein Einkommen, kein Vermögen" notiert. Der NS-Staat hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits systematisch große Teile der jüdischen Vermögen angeeignet. Bis Ende 1941/Anfang 1942 konnte Veilchen Elias noch im Haus wohnen; dann wurde sie vom Wohnungsamt zum Umzug in die Kielortallee 22 (Eimsbüttel) genötigt, das Haus war zum "Judenhaus" erklärt worden und diente nun als Sammelquartier für die anstehenden Deportationen. Veilchen Elias wurde am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt und am 21. September 1942 weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Es ist anzunehmen, dass sie kurz nach ihrer Ankunft dort ermordet wurde, ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt. Für sie wurde 2012 in der Brahmsallee 13 ein Stolperstein verlegt.

Der älteren Tochter Helene Baruch geb. Elias, ihrem Ehemann und den Töchtern gelang im Oktober 1938 die Emigration über die Schweiz, England und Irland in die USA.

Die jüngere Tochter Betti Eliot geb. Elias, der 1939 die Emigration nach England geglückt war, erhielt von Deutschland weder eine Entschädigung noch eine Rente, da sie während des Nationalsozialismus ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hatte.

Stand Oktober 2015
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1938/3029 (Sicherungsmaßnahmen, Vermögen Helene Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 8131 u. 534/1935 (Sterberegister 1935, Markus Elias); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 892 (Helene Baruch); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 893 (Betti Elias); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 4407 (Joseph Wallach); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), 1935 Standesamt 3 Nr. 534 (Markus Elias); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Siegmund Baruch, Veilchen Elias geb. Blum; Bundesarchiv Berlin (ehemals BDC), NSDAP-Gaukartei, Ludwig Herbener; Hessisches Staatsarchiv Marburg, Standesamt Borken (Hessen), Heiratsnebenregister 1892 (HStAMR Best. 920, Nr. 828), einsehbar im Internet unter www.lagis-hessen.de; Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, Internet (Veilchen Elias geb. Blum); Staatsarchiv Hamburg, Gedenkbuch. Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, Hamburg 1995, Seite 90 (Veilchen Elias); Jüdischer Friedhof Ohlsdorf, Gräberkartei (Grabstelle 03 – 176 Markus Elias); Yad Vashem, Page of Testimony (Gedenkblatt für Veilchen Elias, 2011); Handelskammer Hamburg, Firmenarchiv (Siegmund Baruch, HR-Nr. A 17027); Hamburger Börsenfirmen, 1935, S. 43 (Baruch, Siegmund, gegr. 1912, Mönckebergstr. 17, zugeschnittene Kisten); Hamburger Adressbuch (Straßenverzeichnis, Brahmsallee 13) 1937–1941; Handbuch für den Gau Kurhessen der NSDAP, Kassel 1934, S. 25 u. 29 (Kreis Fritzlar, u.a. Gudensberg); Gudensberger Zeitung (Inserate von Markus Elias jun.) 1910, 1911, 1912, 1916, 1921, 1922; Kurhessische Landeszeitung, 5.5.1938 (Gudensberg – Ein fünfjähriger, zäher Kampf gegen das Judentum in der Stadt Gudensberg ist nun endlich von Erfolg gekrönt); Hessische/ Niedersächsische Allgemeine, 22.3.2012 (Reise in die Vergangenheit. Lisa Eyck war zu Gast in Gudensberg, aus der ihre Familie einst vertrieben wurde); Arbeitskreis Synagoge Gudensberg eV, Aus dem Alltagsleben der jüdischen Gemeinde in Gudensberg (Ausstellung und Broschüre), November 1988; Initiative Stolpersteine für Gudensberg; Hans-Peter Klein, Stammbaum der Familie Levi-Elias, unveröffentlicht, 2012/2014; Charlotte Heil, Judenverfolgung und Arisierung in den 30iger Jahren – am Beispiel eines Hausverkaufs in Gudensberg, Hausarbeit im Geschichtsleistungskurs, unveröffentlicht, 2005; http://de.wikipedia.org/wiki/Borken_(Hessen) (eingesehen am 27.11.2014).

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