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Edgar de Haas * 1910

Rüterstraße 73 (Wandsbek, Wandsbek)


HIER WOHNTE
EDGAR DE HAAS
JG. 1910
DEPORTIERT 1941
MINSK
???

Weitere Stolpersteine in Rüterstraße 73:
John de Haas, Rebecca de Haas

John de Haas, geb. 13.2.1876, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Rebecca de Haas, geb. Levy, geb. 13.3.1881, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Edgar de Haas, geb. 26.9.1910, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Rüterstraße 73 (Kampstraße 73/74)

Die Familie de Haas lebte seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Wandsbek.
Als ältester Familienangehöriger aktenkundig geworden ist der Produkten- und Manufakturwarenhändler Simon de Haas (Jg. 1844), 1883 wohnhaft in der Kampstraße 24. Seiner ersten Ehe mit Mary, geb. Alexander (Jg. 1843), entstammte u.a. der Sohn John. Er wurde am 13. Februar 1876 in Wandsbek geboren und verlor bereits im Alter von fünf Jahren seine Mutter. Aus der zweiten Ehe seines Vaters mit Johanna, geb. Philip, gingen drei Söhne hervor, darunter Georg und Alfons. Sie heirateten die Schwestern Olga und Regina Seligmann (s. Kap. Seligmann).

John de Haas blieb seinem Vater beruflich verbunden, betätigte er sich doch als reisender Stoffhändler, vermutlich eine nicht gerade lukrative Tätigkeit, denn er blieb lange bei den Eltern gemeldet, u.a. in der Kampstraße 24, und verheiratete sich erst im Alter von 40 Jahren mit Rebecca, geb. Levy. Das Paar bekam zwei Kinder: 1906 wurde die Tochter Mary geboren und 1910 folgte der Sohn Edgar. Die Familie wohnte anfangs in der Königstraße. Von 1914 bis 1933 waren sie in der Kampstraße 73/74 II. gemeldet. John de Haas bekleidete innerhalb der Jüdischen Gemeinde Wandsbek verschiedene Ämter. So war er 1920/21 Gemeindekassierer und amtierte von 1923 bis 1929 als Gemeindevorsteher. Er war bekannt und angesehen, nicht nur, weil er ab 1915 Kriegsteilnehmer gewesen war, sondern er verhalf auch manchem Wandsbeker Bürger zu einem neuen Anzug. Eine Zeitzeugin erinnerte sich: "Mein Vater achtete nicht sehr auf seine Kleidung, das überließ er meiner Mutter. Herr de Haas kam in regelmäßigen Abständen auf ein Schwätzchen bei uns im Geschäft vorbei, und wenn es wieder an der Zeit war, sich neu einzukleiden, sagte meine Mutter zu meinem Vater: ‚Du brauchst nun einen neuen Anzug.’ Beim nächsten Besuch gab mein Vater dann eher widerwillig, denn er mochte die ganze Prozedur des Aussuchens und der Anprobe nicht, Herrn de Haas den Auftrag, ihm geeignete Stoffe mitzubringen. Das war die Stunde meiner Mutter, die meinen Vater beriet, der sich mit Herrn de Haas beriet, der wiederum den Geschmack meiner Mutter zu berücksichtigen wusste. So ging das hin und her, bis mein Vater sich für einen Stoff entschieden hatte. Wenn das Geschäft endlich besiegelt war, machte sich Erleichterung breit – und der Erfolg konnte gefeiert werden."

Am 25. September 1933 meldete sich die Familie de Haas nach Hamburg ab, sie zog in die Brahmsallee 16. Im Juli 1936 waren sie in der Grindelallee 77 wohnhaft, laut Meldekarte übte John de Haas nun den Beruf des Gartenarbeiters aus. Vielleicht hatten sich die Verdienstmöglichkeiten nach Machtantritt der Nationalsozialisten für den mobilen jüdischen Gewerbetreibenden in Wandsbek verschlechtert, vielleicht hoffte er, in Hamburg die hohen Steuern, die die Jüdische Gemeinde Wandsbek sich gezwungen sah zu erheben, dort nicht entrichten zu müssen. Der Wohnungswechsel kam den noch im Elternhaus lebenden Kindern zugute, die beide bei Hamburger Firmen beschäftigt waren. Die Familie, die sich bereits beim Schulbesuch der Kinder als religiös geprägt erwiesen hatte, schloss sich am neuen Wohnort dem gemäßigt orthodoxen Kultusverband der Neuen Dammtor-Synagoge an.

Obwohl die Familie seit ein paar Jahren nicht mehr in Wandsbek lebte, befand sich John de Haas’ Name auf dem 1935/36 gegen die in Wandsbek ansässigen jüdischen Geschäftsleute gerichteten Boykott-Flugblatt wieder. Dessen Verfasser hatten ihm sogar eine eigene Rubrik eingeräumt: "Reisender von Haus zu Haus mit Stoffen usw.", und seine Wandsbeker Adresse mit dem Hinweis versehen, dass er mittlerweile in Hamburg lebte. Offenbar misstrauten die Behörden ihm und seinen früheren Kunden – und unterstellten ihnen, die alten geschäftlichen Beziehungen zu pflegen. Ob es sich wirklich so verhielt und John de Haas in eingeschränktem Umfang noch in Wandsbek tätig war, ist nicht bekannt. Die Neigung, bei den oftmals preisgünstigeren jüdischen Händlern und Trödlern zu kaufen, war bei ärmeren Bevölkerungsschichten, wie Fürsorgeempfängern, bis Ende der 1930er Jahre allerdings durchaus vorhanden.

Sein Sohn Edgar de Haas absolvierte die Mittelschule in Wandsbek und die Talmud Tora Realschule am Grindelhof. Nach einer dreijährigen Lehrzeit bei der Rohtabakfirma Möller in Hamburg, wo er eine Fachausbildung in der Tabakbranche erhielt, arbeitete er als kaufmännischer Angestellter, später als Untervertreter, in der Tabakbranche. Er zahlte Beiträge zur Rentenversicherung von 1926 bis Anfang 1937. Danach musste er seine Tätigkeit aus Verfolgungsgründen aufgeben und fand keine neue Stellung. So lernte er im Hinblick auf seine geplante Emigration das Zigarrenmachen, Kenntnisse, die er nach Angaben seiner Schwester für eine Zukunft außerhalb Deutschlands als außerordentlich nützlich einschätzte. Der Kriegsbeginn verhinderte jedoch die Auswanderung. Edgar de Haas leistete als Pflicht- und Zwangsarbeit Erdarbeiten, bis er am 11. November 1939 erkrankte, danach verbrachte er eine Zeitlang arbeitsunfähig zu Hause.

Seine Schwester Mary de Haas besuchte von 1913 bis 1921 die Israelitische Töchterschule Carolinenstraße und danach ein Jahr lang die Handelsschule in Hamburg. Von 1922 bis 1924 arbeitete sie als Sekretärin bei der Firma Strauss & Co. in Hamburg; danach bis 1936 bei der Firma Leon Levy (Haare, Bürsten, Federn). Bis sie auswanderte, war sie bei der Firma Emil Frensdorff & Co., Curschmannstraße 53, tätig.

Vater, Sohn und Tochter de Haas zahlten laut Kultussteuerkartei in unregelmäßigen Abständen die Gemeindeabgaben. Daraus ergibt sich, dass John de Haas in der Zeit zwischen 1934 und 1941 nur drei Jahre lang ununterbrochen beschäftigt war. Er lebte zeitweise von Fürsorgeunterstützung und hatte wie sein Sohn wahrscheinlich Pflichtarbeit zu leisten. Edgar de Haas verdiente 60 RM monatlich, was als steuerfreies Einkommen galt, so dass ihm 1934/35 die Gemeindesteuern erlassen wurden. Mary de Haas schien es kaum besser gegangen zu sein; sie entrichtete bis 1938 geringe Gemeindebeiträge, die ab 1936 gestundet werden mussten.

Am 10. Mai 1939 zog die Familie in ein sogen. Judenhaus in der Kielortallee 24 um: Mary de Haas wohnte dort noch etwa zwei Monate, dann konnte sie im Juli 1939 mit finanzieller Unterstützung des Hilfsvereins der deutschen Juden nach England ausreisen, wo sie anfangs als Hausmädchen arbeitete und von amerikanischen Verwandten unterstützt wurde. Die übrigen Familienmitglieder wechselten am selben Tag die Unterkunft und zogen in das Nachbarhaus Nr. 22 III. Von dort wurden John, Rebecca und Edgar de Haas am 8. November 1941 nach Minsk deportiert. Wie lange sie den lebensfeindlichen Bedingungen des Gettolebens widerstehen konnten, ist nicht bekannt. Die Familie gilt als verschollen. John de Haas wurde auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt, Frau und Sohn vermutlich auch.

"Todesnachrichten oder Nachweise über die Eltern liegen nicht vor. Es kann daher keine Sterbeurkunde geben", teilte das Internationale Rote Kreuz im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens mit, das Mary de Haas eingeleitet hatte, nachdem sie 1947 in die USA eingereist war. Zunächst arbeitete sie dort, später, als sie kränkelte, war sie auf die Hilfe von Freunden angewiesen und schlug sich mit Aushilfsarbeiten durch. 1963 legte sie eine Zeugenaussage über die Wandsbeker Familie Fränkel nieder (s. Fränkel Ida und Max).

© Astrid Louven

Quellen: 1; 4; 8; StaHH 332-8 Meldewesen Wandsbek, Auskunft von Jürgen Sielemann am 12.8.03; AfW 091206; AB 1883, AB 1897 IV, AB 1939 II; Heimatmuseum Wandsbek, Auskunft von Ilse Fischer 1988; Frank Bajohr, "Arisierung", 1997, S. 151; Ina Lorenz, Juden, Teil 2, S. 1397; Astrid Louven, Juden, S. 134, 153–55, 201, 228.

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