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Julius Hirschfeld * 1868
Isestraße 104 (Eimsbüttel, Harvestehude)
1942 Theresienstadt
ermordet 01.11.1942
Julius Hirschfeld, geb. 3.8.1868 in Offenbach, am 15.7.1942 deportiert nach Theresienstadt, dort am 1.11.1942 gestorben
Julius Hirschfeld wurde als Sohn von Heinrich und Bernhardine Hirschfeld, geb. Weinthal, in Offenbach am Main geboren.
Auch seine Ehefrau Amalie, geboren am 25.3.1867, trug den Geburtsnamen Weinthal. Drei Töchter kamen kurz hintereinander zur Welt, Hedwig, 1904, ihre Schwestern Bertha und Liselotte (Elise, Else) 1905 und 1906.
Hedwig heiratete den fast zwölf Jahre älteren Wilhelm Baum. Er trat als Teilhaber in das Schuhgeschäft "J. W. Meyer" am Steindamm 92 ein, das seinem Schwiegervater seit 1898 gehörte. Das große Geschäft erstreckte sich über drei Etagen und beschäftigte zehn Angestellte. Die Familien wohnten am Steindamm 65, nicht weit vom Geschäft entfernt. Hedwig und Walter Baum bekamen 1935 eine Tochter, die sie Hannelore nannten. Bertha war mit dem selbstständigen Kaufmann Robert Philipp verheiratet. Mit ihren beiden neun- und siebenjährigen Söhnen wanderte die recht wohlhabende Familie im August 1938 über Holland und England nach Australien aus.
Zur gleichen Zeit bemühten sich Julius Hirschfeld und Wilhelm Baum, das Schuhgeschäft zu verkaufen. Sofort wurde von der Oberfinanzdirektion das Verfahren zur "Sicherungsanordnung" wegen "Kapitalfluchtverdacht" eingeleitet, weil den beiden unterstellt wurde, sie hätten die Absicht auszuwandern. Die Zollfahndung ermittelte dagegen, dass Julius Hirschfeld im Alter von 70 Jahren nicht mehr die Absicht habe, auszuwandern, vielmehr erhoffte er sich aus dem Erlös für das Geschäft, den er auf 50 bis 60000 RM schätzte, eine ausreichende Altersversorgung für sich und seine Frau. Außerdem hatte er noch Rücklagen auf seinem Girokonto und in Form von Wertpapieren.
Wilhelm Baum wäre mit seiner Familie gern ausgewandert, hatte aber, wie die Zollfahndung erklärte, "Mangels an den nötigen Verbindungen, hierzu noch keine Möglichkeit". Er besaß auch kein nennenswertes Vermögen, war nur mit 5000 RM an der Firma beteiligt, die auch die Miete für die junge Familie beglich. Die "Sicherheitsanordnung" für Julius Hirschfeld wurde am 11. Oktober 1938 erlassen. Am 15. November 1938 erwarb die "arische" Firma E. & E. Rehder das Schuhgeschäft. Wie hoch der Erlös für das Geschäft war, geht nicht aus den Akten hervor, vermutlich weniger als erhofft. Am selben Tag wurde bestimmt, dass Julius Hirschfeld für sich, seine Frau und die Familie seiner Tochter monatlich über 1100 RM verfügen durfte.
Sein offenbar beträchtliches Vermögen war schon während der Ermittlungen der Zollbehörde am 11. Oktober 1938 unter "Sicherheitsanordnung" gestellt worden. Er musste über 18000 RM "Reichsfluchtsteuer" und 15000 RM "Judenvermögensabgabe" leisten.
Ein Problem stellten unbeglichene Rechnungen dar. Drei kleine Zulieferfirmen aus Südwestdeutschland wandten sich verzweifelt an den Oberfinanzpräsidenten, um zu erreichen, dass ihre Forderungen aus dem Sperrkonto beglichen wurden, damit sie Rohstoffe einkaufen konnten. Da "arische" Firmen nicht unter einer "Arisierung" leiden sollten, wurde den Interventionen stattgegeben.
Für die Familien war die Geschäftsaufgabe der Anfang langer Entbehrungen. Sie mussten die Wohnungen am Steindamm, wo Julius Hirschfeld auf einen ruhigen Lebensabend gehofft hatte, räumen. Ein Teil ihrer Möbel wurde eingelagert.
Hedwig Baum zog mit ihrem Mann und ihrer Tochter an den Eppendorfer Baum, vermutlich zu ihrer Schwester Else, verheiratete Sealtiel.
Amalie und Julius Hirschfelds neue Adresse lautete Isestraße 104. Das ist eines der wenigen Einfamilienhäuser in der Straße, das offenbar in drei Wohneinheiten aufgeteilt war. Wir können wohl mit Sicherheit annehmen, dass dies keine frei gewählte Adresse mehr war, sondern dass das Ehepaar dort eingewiesen wurde. Die Verfügungssumme aus dem Sperrkonto wurde auf zwei Haushalte aufgeteilt.
Am 2. Mai 1942 stellte Julius Hirschfeld einen Antrag auf Bewilligung von zusätzlichen Ausgaben: Er brauchte 5000 RM als "Entgelt für die Aufnahme im Altersheim Benneckestraße 6", wo er und seine Frau am 14. April 1942 untergebracht worden waren. Der Antrag war informell handschriftlich gestellt und musste auf ein Antragsformular übertragen werden. Dieses Blatt ist das letzte Dokument in der Finanzdirektions-Akte des ehemaligen Geschäftsbesitzers.
Am 15. Juli wurden die beiden 73 und 75 Jahre alten Menschen nach Theresienstadt deportiert. Unmittelbar vorher schickte Julius Hirschfeld ein Telegramm an die Kinder in Australien:
"HEDWIG WILLY HANNELORE ELFTEN ABGEREIST WIR UND TANTEN ABREISEN DREIZEHNTEN THERESIENSTADT SUDETENLAND – ELSE JOSEPH KIND FOLGEN NEUNZEHNTEN – ALLE GESUND HOFFEN AUF FREUDIGES WIEDERSEHEN – GRUSS ELTERN".
Die Tochter Hedwig war in der Tat mit ihrem Mann Wilhelm und der siebenjährigen Hannelore schon vier Tage früher, am 11. Juli 1942, nach Auschwitz in den Tod geschickt worden.
Else Sealtiel und ihr Mann Joseph wurden vier Tage nach den Eltern, am 19. Juli 1942, mit ihrer kaum halbjährigen Tochter Judith nach Theresienstadt und von dort nach zwei Jahren weiter nach Auschwitz deportiert.
Julius Hirschfeld starb am 1. November 1942 in Theresienstadt. Im Dezember 1943 schrieb Amalie Hirschfeld an Max Plaut:
"Sehr geehrter Herr Dr. Plaut!
Von verschiedenen Seiten höre ich, daß Sie gottlob wohlauf sind. Gesundheitlich habe ich auch nicht zu klagen. Nur bin ich schon ein Jahr allein, doch helfen mir meine Kinder u. mein geliebtes Enkelchen über manches hinweg. Das l. Kind entwickelt sich prächtig, es ist unberufen [?] ein aufgewecktes Kind. Hoffentlich gedenken auch Sie, geehrter Herr Dr. meiner und lassen einmal von sich hören. Herzlichst grüßen Seatiels u. ihre Amalie Hirschfeld"
Amalie Hirschfeld überlebte die Schoah. Bei Kriegsende aus dem Lager Theresienstadt befreit, wurde sie zurück nach Hamburg gebracht, wo sie niemand aus der Familie in Empfang nehmen konnte. Mit Hilfe der "Jewish Cultural Commission, Hamburg" gelangte sie nach Australien zur Familie ihrer Tochter Bertha, wo sie im August 1953 starb. Ihre Tochter überlebte sie nur um sechs Jahre.
© Christa Fladhammer
Quellen: 1; 2; 4; 7; 8; StaH, 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 e 2, Bd. 4 und Bd.5; AfW 240999, Benedikt Behrens, Stolpersteine in Hamburg-St. Georg, Hamburg 2009, S. 89ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.
Julius Hirschfeld, geb. 3.8.1868 in Offenbach, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dort gestorben am 1.11.1942
Julius Hirschfeld war seit 1898 Inhaber eines großen Schuhgeschäfts am Steindamm 92/Ecke Lindenstraße. Das Geschäft erstreckte sich über drei Etagen des Gebäudes und beschäftigte zehn feste Angestellte. Julius Hirschfeld war verheiratet mit Amalie, geb. Weinthal (geb. 1867 in Norden/Ostfrsl.), und hatte mit ihr die Töchter Hedwig (geb. 1904), Bertha (geb. 1905) und Elise (geb. 1906), genannt Else. Der Familienwohnsitz der Hirschfelds befand sich bis 1938 am Steindamm 65, in einer 5-Zimmer-Wohnung nicht weit von ihrem Geschäft.
Erst im Jahr 1939 sah sich das Ehepaar gezwungen, die große Wohnung aufzugeben und in die Isestraße 104 zu ziehen, von wo es später in das "Judenhaus" Beneckestraße 6 umziehen musste. Alle drei Töchter waren in den 1930er Jahren bereits verheiratet und hatten zum Teil selbst Kinder. Im Jahr 1938 wurde das ehemals gutgehende Schuhgeschäft "arisiert" und an die Firma E. & E. Rehder Schuhwaren verkauft. Der Verkaufspreis war damals derart niedrig, dass es überlebenden Nachkommen nach dem Zweiten Weltkrieg gelang, eine Nachzahlung von 20000 DM von der noch existierenden Firma Rehder zu erhalten.
Neben diesen geschäftlichen Benachteiligungen überzog das NS-Regime das Ehepaar Hirschfeld mit weiteren diskriminierenden Maßnahmen, wie der im Oktober 1938 erhobenen "Reichsfluchtsteuer" in Höhe von einem Viertel des Gesamtvermögens (72666 RM), was 18666 RM ausmachte. Danach wurden noch Wertpapiere und Bankguthaben von 8200 RM eingezogen und eine Judenvermögensabgabe von 15000 RM erhoben. Am Tage der Deportation der Hirschfelds nach Theresienstadt erließ der Reichsstatthalter in Hamburg eine Verfügung, welche die Einziehung des gesamten restlichen Vermögens der Familie Hirschfeld anordnete.
Julius und Amalie Hirschfeld wurden am 15. Juli 1942 zusammen mit einer Schwester (Martha Hirschfeld) und einer Schwägerin (Helene Hirschfeld) in das Getto Theresienstadt deportiert. Am 11. Juli war bereits die Tochter Hedwig mit ihrem Mann Wilhelm Baum und deren siebenjähriger Tochter Hannelore nach Auschwitz deportiert worden, wo die ganze Familie ermordet wurde.
Am 19. Juli folgten die Tochter Else mit ihrem Mann Joseph Sealtiel sowie ihrer kaum sechs Monate alten Tochter Judith ihren Eltern mit einem anderen Massentransport nach Theresienstadt. Mutter und Tochter wurden nach ihrer Weiterdeportation 1944 in Auschwitz ermordet, während der Vater Joseph noch kurz vor Kriegsende im März 1945 im KZ Dachau umkam. Der Familienwohnsitz der Baums war in Hohenfelde, während sich derjenige der Sealtiels in Eppendorf befand. Nur die dritte Tochter Bertha, die mit Robert Philipp verheiratet war, konnte mit ihrem Mann den Verfolgungen der Nazis durch Auswanderung, zuerst 1938 in die Niederlande und von dort nach Australien, entgehen.
Wenige Tage vor seiner Deportation schickte Julius Hirschfeld seinem Schwiegersohn Robert Philipp über das Australische Rote Kreuz ein Telegramm, in dem er die "Abreise" aller Verwandten nach Theresienstadt bzw. Auschwitz (allerdings ohne diesen Ort des Grauens zu nennen) mitteilte. Darin lauten die Schlussworte: "Alle gesund – hoffen freudiges Wiedersehen – Gruß Eltern".
Für Julius Hirschfeld sollte es keine Wiederkehr mehr geben, er starb am 1. November 1942 in Theresienstadt. Seine Frau Amalie überstand trotz ihres fortgeschrittenen Alters die unmenschlichen Lebensbedingungen in Theresienstadt und erlebte das Kriegsende.
© Benedikt Behrens
Quellen: 1; 4; 7; 8; AfW, Entschädigungsakte; StaH, 522-1, Jüdische Gemeinden, 992 e 2 (Deportationslisten); Bajohr, Frank, "Arisierung" in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945, Hamburg 1997, S. 360.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".