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Henry Heinz Hoffmann * 1909
Colonnaden 44 (Hamburg-Mitte, Neustadt)
HIER WOHNTE
HENRY HEINZ
HOFFMANN
JG. 1909
"POLENAKTION" 1938
BENSCHEN / ZBASZYN
ERMORDET IM
BESETZTEN POLEN
Abraham Wagschal, geb. am 21.10.1882 in Żmigród, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen
Jacob Isaac Wagschal, geb. am 11.10.1910 in Krakau, 1939 Flucht nach Polen, am 24.2.1943 in Auschwitz ermordet
Rachella/Rahel Wagschal, geb. Kohane, geb. am 22.10.1882 in Podlesie Dembowe, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen
Rosi Wagschal, geb. am 19.8.1925 in Hamburg, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen
Thielbek 1 (Großneumarkt 15)
Henry Heinz Hoffmann, geb. am 3.9.1909 in Leipzig, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen
Colonnaden 44 (Colonnaden 44/46)
Die Eheleute Abraham und Rachella Wagschal waren beide, fast am selben Tag, im damals österreichischen Galizien geboren worden, Abraham am 21. Oktober 1882 in Żmigród als Sohn von Jacob Isaac Wagschal und Reisel, geb. Gross, und Rachella als Tochter von Lajb Kohane und Lea, geb. Gewirts. Sie war am 22. Oktober 1882 in Podlesie Dembowe zur Welt gekommen. Am 10. März 1906 hatten sie in Krakau (Kraków) geheiratet, wo auch ihre beiden ältesten Kinder geboren wurden; Tochter Salomea am 25. Oktober 1908 und Jacob Isaak am 11. Oktober 1910. Heinrich kam am 10. Juni 1912 im schlesischen Bestwina (heute Polen) zur Welt.
Bald darauf übersiedelte die Familie nach Hamburg. Zunächst betrieb Rachella Wagschal ein Galanteriewarengeschäft (modische Accessoires) in der Ditmar-Koel-Straße 32, wo die Familie auch eine Wohnung fand. Unter derselben Adresse meldete Abraham Wagschal am 15. November 1920 ein Gewerbe für Kurz- und Lederwaren an. Am 17. Juli 1921 wurde der Sohn Willi Sef geboren; er verstarb am 21. Februar 1924 und wurde nur zwei Jahre alt. Ein weiteres Kind, Tochter Rosi, kam am 19. August 1925 zur Welt. Ab 1926 wohnte Familie Wagschal in der Kielerstraße 76 im Stadtteil St. Pauli, 1933 zog sie an den Großneumarkt 14 und eröffnete ein "Geschäft für Gelegenheitskäufe aller Art" nebenan im Haus Nr. 15 (heute steht dort ein Nachkriegsgebäude und gehört zur Straße Thielbek).
Abraham und Rachella Wagschal lebten in gutbürgerlichen und gesicherten Verhältnissen. Die Söhne Jacob und Heinrich hatten die Talmud Tora Realschule besucht und erhielten kaufmännische Ausbildungen. Heinrich Wagschal absolvierte eine Ausbildung in der Im- und Exportfirma von Jacob Drucker, der am Hopfenmarkt 11 im Häute- und Fellhandel tätig war. Er blieb als Kaufmannsgehilfe in seiner Lehrfirma, bis er 1933 nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in die Niederlande emigrierte.
Sein Bruder Jacob beendete seine Lehre in der Firma Jakobsohn & Söhne, die ebenfalls im Im- und Exportgeschäft tätig war. Als Angestellter wechselte er später zur "Hamburger Bühne", bis er dort im Jahre 1936 entlassen wurde, weil er Jude war. Von diesem Zeitpunkt an arbeitete Jacob Wagschal im elterlichen Geschäft.
Am 28. Oktober 1938 gehörten Abraham und Rachella Wagschal mit ihrer 13-jährigen Tochter Rosi zu den etwa 1000 Hamburger Jüdinnen und Juden polnischer Herkunft, die verhaftet und nach Polen ausgewiesen wurden. Sie hatten nach einer Verfügung der polnischen Regierung die Frist verstreichen lassen, sich bis zum 1. November 1938 als im Ausland lebende Polen ihre polnische Staatsbürgerschaft bestätigen zu lassen, was für eine jüdische Familie aussichtslos war. Damit sie als "staatenlose Ostjuden" nicht dauerhaft in Deutschland verblieben, ordnete das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin noch vor Ablauf der Frist ihre Abschiebung zum Grenzort Zbaszyn/Bentschen an.
Wie sich ihre frühere Nachbarin Dorothea Schmidt nach dem Krieg erinnerte, wurde Familie Wagschal am Tag ihrer Ausweisung vor der gegenüberliegenden Polizeiwache 10 am Großneumarkt 16 auf "Lastzüge verladen". Jacob Wagschal entging der Abschiebung, weil er zufällig nicht zu Hause war. Er übernahm die geschäftlichen Angelegenheiten seiner Eltern, löste das Geschäft auf und bemühte sich um die nötigen Formalitäten, um den Haushalt, den seine Eltern zurücklassen mussten, nach Polen zu versenden. Das Umzugsgut ließ er bei einer Speditionsfirma zur Versendung einlagern. Mitte 1939 folgte er seiner Familie nach Polen. Ihr Hausrat kam in Polen nie an. Jacob Wagschal starb laut den Sterbebüchern am 24. Februar 1943 in Auschwitz-Birkenau, Ort und Zeitpunkt seiner Deportation sind unbekannt.
Seine Schwester Salomea hatte als Verkäuferin gearbeitet und im April 1934 den kaufmännischen Angestellten Henry Heinz Hoffmann (s. Lena Salomon) geheiratet. Henry Hoffmann war am 3. September 1909 in Leipzig geboren worden. Er war der älteste Sohn des in Stanisławów/Stanislau (heute Iwano-Frankiwsk/Ukraine) in Galizien geborenen Munisch Hoffmann (geb. 3.6.1881). Seine Mutter Marie Cilly, geb. Zuer (geb. 5.4.1882), kam aus Leipzig, wo die Eltern 1906 geheiratet hatten. Das Ehepaar war 1918 mit seinen sieben Kindern nach Altona in die Kleine Gärtnerstraße, der späteren General-Litzmann-Straße (heute Stresemannstraße) gezogen. 1937 wohnten sie in der Bundesstraße 31. Familie Hoffmann war in der Schuhreparatur-Branche und im Lederwarenhandel tätig und besaß mehrere Geschäfte in Hamburg und in der Harburger Mühlenstraße 26. Henry Hoffmann führte die Filiale "Berliner Schuhreparation" am Valentinskamp 86. Die "Schnellbeschuhanstalt", ausgestattet mit den modernsten Maschinen, beschäftigte mehrere Angestellte.
Salomea und Henry Hoffmann wohnten mit ihrem am 8. März 1937 geborenen Sohn Leo in der nahegelegenen Straße Colonnaden 44/46. Obwohl Henry Hoffmann in Deutschland geboren war, besaß er durch die Herkunft seines Vaters die polnische Staatsangehörigkeit. Und so wurden auch Henry Hoffmann, seine Frau Salomea, Sohn Leo, sowie seine Eltern und Geschwister, in der Nacht oder frühen Morgenstunden "ohne Vorwarnung aus den Betten geholt", zur Polizei abtransportiert und an die deutsch-polnische Grenze abgeschoben.
Salomea Hoffmann berichtete, dass sie fast ohne Aufenthalt aus dem provisorisch eingerichteten Sammellager der Grenzstadt Zbaszyn/Bentschen nach Krakau gelangten, wo sie bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges blieben. Ihre Eltern ließen sich in Wieliczka, etwa zehn Kilometer südöstlich von Krakau nieder.
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen und der Besetzung Krakaus im September 1939, mussten Salomea und Henry Hoffmann – gemäß einer deutschen Verordnung – eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern tragen. Zu seinen Eltern verlor das Ehepaar Hoffmann den Kontakt, als es im Frühling 1941 gezwungen wurde, ins Krakauer Getto im Stadtteil Podgórze umzusiedeln. Im Dezember 1942 gelang es Salomea, ihren Sohn Leo einer nichtjüdischen Polin zu übergeben, die ihn gegen Bezahlung aus dem Getto herausbrachte. Von ihrem Ehemann wurde Salomea im März 1943 während der Liquidierung des Gettos getrennt. Salomea Hoffmann kam in das Arbeitslager Plaszow (Płaszów), im Südosten Krakaus, das Anfang 1944 in ein KZ umgewandelt wurde und unter der Befehlsgewalt des Lagerkommandanten Amon Göth (geb. 11.12.1908 in Wien, hingerichtet am 13.9.1946 in Krakau) stand. Dieser hatte sich maßgeblich an der Liquidierung des Krakauer Gettos beteiligt und wurde wegen seiner Brutalität "Schlächter von Plaszow" genannt. Salomea wurde in der Schustergemeinschaft als Zwangsarbeiterin eingesetzt, bis sie im Oktober 1944 in einem geschlossenen Transport nach Auschwitz-Birkenau überstellt wurde.
Um dort von Freundinnen nicht getrennt zu werden, schmuggelte sich Salomea Hoffmann in einen Transport mit insgesamt 300 weiblichen Häftlingen ein und gelangte so im November 1944 in einem geschlossenen Viehwaggon ins Auschwitzer Außenlager Lichtenwerden (Světlá), wo sie in der "Vereinten Flachsspinnerei und Textilwerke G.A. Buhl und Sohn" Zwangsarbeit leisten musste.
Am 8. Mai 1945 wurde Salomea Hoffmann durch sowjetische Truppen befreit. Sie kehrte nach Krakau zurück, wo sie ihren Sohn Leo in einem jüdischen Waisenhaus wiederfand. Ihr Ehemann Henry Hoffmann blieb verschollen.
Auch das Schicksal ihrer Eltern Abraham und Rachella Wagschal sowie das ihrer Schwester Rosi ließ sich nicht klären. Vielleicht gehörten sie zu den Personen, die während der "Säuberungsaktionen" in Wieliczka am 28. August 1942 am Sammelplatz des Güterbahnhofs ausgesondert und im nahegelegenen Wald Niepolomice ermordet wurden.
Salomeas Schwiegereltern Munisch und Marie Cilly Hoffmann sollen sich mit ihren vier minderjährigen Kindern, Bertha (geb.11.2.1916), Nitta/Meta (geb.19.11.1920), Hella (geb. 10.2.1923) und Manfred (geb. 20.10.1927) sowie der ältesten Tochter Erna Tugendhaft, geb. Hoffmann (geb. 18.2.1908), bis Sommer 1939 noch im provisorischen Lager Zbaszyn/Bentschen aufgehalten haben, nach dessen Auflösung verlor sich auch ihre Spur.
Nach dem Krieg heiratete Salomea Hoffmann in Rzeszów in zweiter Ehe Abraham Nussbaum und ließ sich zunächst in Stettin (Szczecin) nieder, wo sie ein kleines Herrenkonfektionsgeschäft eröffneten. 1950 wanderten sie nach Israel aus.
Ihr Bruder Heinrich Wagschal gelangte im Sommer 1942 aus den Niederlanden illegal in die Schweiz, wo er überlebte.
Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl
Quellen: 1; 5; StaH 351-11 AfW 6399 (Wagschal, Abraham); StaH 351-11 AfW 6213 (Wagschal, Rahel); StaH 351-11 AfW 37630 (Wagschal, Heinrich); StaH 351-11 AfW 34363 (Hoffmann, Henry); 351-11 AfW 5232 (Hoffmann, Munisch); StaH 351-11 AfW 29589 (Tugendhaft, Alfred); StaH 332-5 Standesämter 882 u 108/1924; Klee: Personenlexikon, S. 191; Rudorff: Lichtewerden, in Der Ort des Terrors, Band 5, S. 275f.; Awtuszewska-Ettrich: Płaszów-Stammlager, in Der Ort des Terrors, Band 8, S. 235–287; Curilla: Judenmord, S. 398–401; http://auschwitz.org/en/museum/auschwitz-prisoners, (Zugriff 14.2.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".