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Otto Schneider * 1903
Bahrenfelder Straße 170 (Altona, Ottensen)
HIER WOHNTE
OTTO SCHNEIDER
JG. 1903
VERHAFTET 1938
KZ FUHLSBÜTTEL
1944 KZ NEUENGAMME
ERMORDET 13.2.1945
Otto Heinrich Schneider, geb. am 18.3.1903 in Hamburg, gestorben am 13.2.1945 im KZ Neuengamme, Außenlager Bremen-Farge
Bahrenfelder Straße 170
Otto Schneiders Verfolgungsschicksal als Homosexueller spitzte sich – wie in vielen vergleichbaren Fällen – durch De-nunziationen aus seinem sozialen Umfeld zu. Nicht unbedingt das Ermittlungsgeschick der Beamten des für homosexuelle "Delikte" in Hamburg und nach 1937 auch in Altona zuständigen 24. Kriminalkommissariats führte am häufigsten zur Verhaftung schwuler Männer, sondern vor allem die bewusst an die Polizei gemeldeten oder leichtfertig in Aussagen getätigte Anschuldigungen von Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden, Sexualpartnern oder Verwandten. So endete auch Otto Schneiders Leben kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, nachdem er bereits eine Gefängnisstrafe in den Jahren 1938/1939 durchlitten hatte sowie von 1940 bis 1942 eine zweite Haftzeit in einem Konzentrationslager.
Geboren wurde er 1903 in Hamburg als Sohn des Staatsangestellten beim Schlachthof, Franz Schneider, und dessen Frau Catharina, geb. Oellerich. Otto Schneider wurde evangelisch-lutherisch getauft. Aus einer ersten Ehe des Vaters stammten ein Halbbruder und eine Halbschwester Sophie, verehelichte Wagner, die in der Altonaer Glashüttenstraße 1 lebte und mit der er bis zuletzt in Kontakt stand. Er wuchs in geordneten Familienverhältnissen auf, litt aber im Kindesalter unter einer Hautkrankheit und fehlte häufig in der Schule. Die Volksschule verließ er 1917 bereits aus der 3. Klasse. Zunächst arbeitete er ohne Berufsausbildung als Arbeitsbursche auf den Werften Blohm & Voss und dem Vulkan, um dann 1918 eine Lehre als Klempner zu beginnen. Aus Frustration darüber, dass er während dieser Zeit lediglich verstopfte Toiletten in Ordnung zu bringen hatte, verließ er seinen Ausbildungsplatz nach zwei Jahren ohne Abschluss. Danach fand er Beschäftigung in der Gastronomie, als Hausdiener, Gläserspüler, Zapfer, Page und Zigarettenverkäufer, Tätigkeiten, die er nicht nur in Hamburg, sondern auch in Hotels und Cafés in Westerland auf Sylt und Niendorf an der Ostsee ausübte. Zudem arbeitete er als Kellner auf Ausflugsdampfern nach Cuxhaven. Als Zigarettenverkäufer war er viele Jahre bei der Firma Wilhelm Hesselbein tätig, die ihn in dieser Zeit als gewissenhaften und zuverlässigen Mitarbeiter schätzte, zumal er dort als einer der erfolgreichsten Verkäufer galt.
Als Kellner und "ständiger Verkehrsgast" des Homosexuellenlokals "Zu den drei Sternen" in der Straße Hütten in der Hamburger Neustadt war Otto Schneider für die Kripo seit 1926 als Homosexueller aktenkundig und galt sogar als "alter Strichjunge". Die Gäste nannten ihn scherzhaft "Ottilie". Mitte Februar 1938 wurde er von seinem Kellnerkollegen Wilhelm Dose (geb. 1901, gestorben 31.8.1942 im Zuchthaus und Strafgefängnis Dreibergen-Bützow, Stolperstein in Hohenfelde, Lübecker Straße 72), den er seit 1921 kannte, gegenüber der Polizei als früherer Partner genannt. Laut den daraufhin herangezogenen Polizeiakten wurde er erstmals im Juli 1926 wegen des Verdachts, homosexuelle Handlungen begangen zu haben, an einer Bedürfnisanstalt am Botanischen Garten festgenommen. Anlässlich eines Verhörs 1937 gab er einen homosexuellen Kontakt aus dem Jahr 1928 zu. Er wurde zum 16. März 1938 ins Polizeipräsidium zum Verhör geladen und mit den neuerlichen Vorwürfen konfrontiert, beteuerte jedoch zunächst, "normal veranlagt" und nur 1930 während seines Kellnerjobs von einem Gast verführt worden zu sein. Um seiner "großen Frechheit", homosexuelle Handlungen abzustreiten, mit weiteren Verhören begegnen zu können, kam er vom 17. bis 22. März 1938 zunächst ins KZ Fuhlsbüttel in Polizeihaft, bevor er in reguläre Untersuchungshaft überführt wurde. Die verschärften Haftbedingungen des offiziell "Polizeigefängnis" genannten Gestapo-Gefängnisses in Fuhlsbüttel wurden regelmäßig zur Abschreckung und Erzwingung weitreichender Geständnisse gegen Homosexuellen angewendet. Bereits nach zwei Tagen dieser Haft gab Schneider in einer Art "Lebensbeichte" mehrere sexuelle Kontakte mit Männern seit seinem 18. Lebensjahr zu, die er in Tanzlokalen wie der "Flora", im "Rheingold" und an Bedürfnisanstalten am Sternschanzenbahnhof und der Christuskirche in Eimsbüttel kennengelernt hatte. Die weit zurückliegenden Geständnisse von Otto Schneider aus den Jahren 1921 bis 1930 galten als verjährt, jedoch wurde er wegen der übrigen zugegebenen homosexuellen Handlungen am 2. Mai 1938 vor dem Amtsgericht Hamburg zu zehn Monaten Gefängnis nach § 175 RStGB verurteilt. Der Tenor des ersten Urteils vom Amtsgerichtsdirektor Erwin Krause enthielt stereotype Vorurteile gegenüber Homosexuellen: "Der Angeklagte ist als eine gemeingefährliche Persönlichkeit anzusehen, da angesichts seiner Veranlagung und der wahllosen Art, wie er Bekanntschaften machte, ohne weiteres anzunehmen ist, dass er auch für den jüngeren Nachwuchs Deutschlands gefährlich ist." Seine Strafe verbüßte er ab 4. Mai in der Haftanstalt Glasmoor, aus der er am 14. Januar 1939 entlassen wurde.
Nach seiner Haftentlassung fand er bei seiner alten Firma wieder eine Anstellung als Zigarettenverkäufer, bis solche Arbeiten nur noch von Frauen ausgeübt wurden. Das Arbeitsamt vermittelte ihn im Juli 1939 zur Maschinenfabrik Alfred Gutmann AG in der Ottensener Völckersstraße 14/20. Wegen guter Führung wurde er in kurzer Zeit vom Platzarbeiter, über einen Pförtnerposten bis zum angelernten Elektroschweißer auf lukrativere Arbeitsplätze gesetzt und erhielt günstigere Beurteilungen. Als im Betrieb jedoch bekannt wurde, dass er drei jüngeren Kollegen im Alter von 15 bis 17 Jahren sexuelle Avancen machte, informierte die Firma am 5. April 1940 fernmündlich die Kriminalpolizei. Diese ließ Otto Schneider, nachdem sie seine Kollegen vernommen hatte, am 8. April verhaften und abermals ins KZ Fuhlsbüttel einliefern. Dort blieb er bis zum 17. April, bevor er in das Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis überstellt wurde. Während seines Verfahrens holte die "Ermittlungshilfe der Strafrechtspflege" umfangreiche Erkundigungen über Otto Schneider ein und stieß dabei auf durchaus positive Eigenschaften, beschrieb jedoch seine ausgelebte Homosexualität als "vollkommen hemmungslos" und kam zu dem Ergebnis, dass diese "energisch behandelt werden" müsse. So war es nicht verwunderlich, dass er in dem vom Landgericht Hamburg am 22. Juli 1940 gefällten Urteil, trotz der mit den Jugendlichen nicht gegen deren Willen durchgeführten sexuellen Handlungen, nach den §§ 175 und 175 a Ziffer 3 zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe von drei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Er verbüßte seine Strafe vom 27. August 1940 bis zum 29. Mai 1943 im Zuchthaus Fuhlsbüttel, verblieb aber "gemäss reichsministerieller Verfügung" weiter in der Anstalt.
Während seiner Haft wurde zudem noch ein einmaliger Kontakt mit dem Strichjungen und späteren Erpresser Theodor Gehring (geb. 1918, hingerichtet am 9. Juli 1942) polizeibekannt. Dieser Kontakt im Juni 1938 ergab sich seinerzeit in der Nähe der Christuskirche, wo Otto Schneider mit einem Hund spazieren ging. Er nahm den jungen Mann mit in eine Wohnung beim Eppendorferweg (heute Eppendorfer Weg). Dort kam es zu einem sexuellen Erlebnis, für das Theodor Gehring ungefähr zwei Reichsmark erhielt. Der für sein exzellentes Gedächtnis bekannte Strichjunge verriet dies 1940 in einem Prozess, nachdem er bereits ca. 200 weitere Kontakte gegenüber der Polizei benannt hatte.
Otto Schneider wurde am 2. August 1943 von Fuhlsbüttel in die "Sicherungsanstalt" Rendsburg und danach in das Zuchthaus Waldheim in Sachsen verlegt, aus dem er am 1. Oktober 1942 "dem Polizeigefängnis Hamburg" zugeführt wurde. Seine Halbschwester wollte ihn wieder aufnehmen, doch ist davon auszugehen, dass er – ohne wieder in Freiheit zu gelangen – über das innerstädtische Polizeigefängnis Hütten oder das KZ Fuhlsbüttel am 14. Februar 1944 von der Kripo ins KZ Neuengamme gelangte. Unter der Häftlingskategorie "Homo" erhielt er im Lager die Nummer 26464. Wann er vom Hauptlager in das Außenlager Bremen-Farge überstellt wurde, ist nicht überliefert. In Bremen wurden seit Oktober 1943 bis zu 3000 Häftlinge aus Neuengamme und weitere 7.000 Zwangsarbeiter und Häftlinge eines "Arbeitserziehungslagers" zum Bau des U-Boot-Bunkers "Valentin" eingesetzt. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgte in einem unterirdischen Treibstofflager. Diese Torturen überlebte Otto Schneider fast genau ein Jahr und starb am 13. Februar 1945 kurz vor Kriegsende im Alter von 41 Jahren offiziell an einer "Nierenentzündung" bzw. "Herzmuskelschwäche infolge uraemischer Intoxikation".
Stand September 2015
© Ulf Bollmann
Quellen: StaH, 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 b und 451 a E 1, 1 e; StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 5584/38, 3834/40 und 4601/40; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 25945 und Ablieferung 13; 332-5 Standesämter, 10732 (Eintrag Nr. IX/10); Auskunft der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Alyn Beßmann, vom 1. und 2.10.2014, mit Hinweis auf eine Abschrift eines Totenbuches, das bei den Bergungen der Thielbek gefunden wurde, vol 00420261, und auf eine Hollerith-Vorkarteikarte des SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes Amtsgruppe D. Konzentrationslager vom Sommer bis Herbst 1944, Bundesarchiv Berlin NS 3/1577, file 057165; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 254–255.