Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Franziska Alexander, geb. Grüner
© Privatbesitz

Franziska Alexander (geborene Grüner) * 1890

Reeperbahn Ecke Große Freiheit (Hamburg-Mitte, St. Pauli)


HIER WOHNTE
FRANZISKA
ALEXANDER
GEB. GRÜNER
JG. 1890
DEPORTIERT 1941
MINSK
???

Weitere Stolpersteine in Reeperbahn Ecke Große Freiheit:
Dr. Alfred Alexander

Dr. Alfred Alexander, geb. 24.12.1888 in Freystadt/Westpreußen, gestorben am 22.10.1943 im Exil
Franziska Alexander, geb. Grüner, geb. 26.4.1890 in Altona, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk
Reeperbahn 174 (Reichenstraße 6)

Alfred Alexander wurde in Freystadt in Westpreußen als Kind von Sally und Adelheid Alexander geboren. Nach vier Jahren Grundschule in seinem Heimatort ging er auf das Gymnasium in Graudenz, wo er die Reifeprüfung ablegte. Danach studierte er Medizin in Berlin und Kiel. Er bestand das Staatsexamen im Juni 1913 und absolvierte anschließend ein Praktikantenjahr im Waisenhaus Averhoffstraße und im Krankenhaus St. Georg. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er im Reservelazarett im Tropenkrankenhaus.

Im Dezember 1915 heiratete er Franziska Grüner, geboren in Altona, Tochter von Flora und Ivan Grüner. 1918 und 1920 wurden die Söhne Ernst-Adolf und Bernhard (Bernard) geboren.

Im Jahre 1919 ließ sich Alfred Alexander als Praktischer Arzt in der Reichenstraße 6 in Altona nieder. In diesem Haus an der Ecke Große Freiheit, lagen Praxis und Wohnung in der zweiten Etage. Der Sohn Bernard erinnert sich an die Balkonwohnung, die der Lebensmittelpunkt der Familie war. Das Einkommen des Vaters ernährte die Familie, die Mutter Franziska wurde nach Angaben ihrer Nichte eine "vorbildliche Hausfrau".

Aber 1933 verlor Alfred Alexander wegen seiner jüdischen Abstammung seine Zulassung zur Krankenkasse. Da er nicht an den Schauplätzen des Ersten Weltkrieges als Arzt gewirkt hatte, genoss er nicht das Privileg der aktiven Kriegsteilnehmer, die ihre Zulassung bis 1935 behalten konnten. Die Familie musste in die Große Bergstraße 34 umziehen. Hier konnte Alfred Alexander noch Privatpatienten behandeln, der Lebensunterhalt musste nun aber hauptsächlich vom Rückkaufbetrag der Lebensversicherung bestritten werden.

Auswanderungspläne für die ganze Familie konnten nicht verwirklicht werden. Die Söhne besuchten das Christianeum. Ernst-Adolf ging danach 1937 auf die "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" in Berlin, die ab 1933 zur "Lehranstalt" zurückgestuft worden war. Bernhard bereitete sich seit 1936 auf die Emigration vor, indem er ein Handwerk erlernte und englische Sprachkenntnisse erwarb. Beide konnten Anfang 1939 gemeinsam nach Shanghai auswandern.

Ihre Mutter blieb in Hamburg allein zurück. "Sie hatte die Chance mit uns zu emigrieren, blickte aber lieber in eine ungewisse Zukunft, anstatt ihren Mann in Stich zu lassen", schrieb ihr Sohn 2007, der sich liebevoll an ihre "Treue und Charakterstärke unter solch unmöglich schwierigen Bedingungen" erinnert.

Alfred Alexander befand sich nämlich schon seit Juni 1936 in Haft. Am 11. September 1936 war er von der großen Strafkammer des Landgerichts Altona zu zwei Jahren Zuchthaus und vier Jahren Ehrverlust verurteilt worden. Der §176 RStGB diente als Begründung, Alfred Alexander habe "… im Sommer 1935 an einem Mädchen, das mit der Bitte um Abtreibung an ihn herangetreten war, mit Gewalt unzüchtige Handlungen vorgenommen". Ein Neffe erinnert sich, dass Alfred Alexander, der unschuldig war, gewarnt wurde und den Rat erhielt, schnellstens auszuwandern. Er habe aber noch an eine gerechte Justiz geglaubt und sei deshalb überzeugt gewesen, dass der Prozess die Wahrheit ans Licht bringen und er freigesprochen würde. Jedoch mit der Begründung: "Eine deutsche Frau lügt nicht", habe der Richter das Urteil gefällt. Die Strafe fiel extrem hoch aus. Am 19. August 1938 war sie abgegolten. Anstatt nach Hause entlassen zu werden, kam Alfred Alexander jedoch sofort erneut in Untersuchungshaft wegen eines anderen bereits laufenden Verfahrens. Diesmal war er Mitangeklagter in einem großen Prozess wegen des §218 StGB, der schon in der Weimarer Republik viele Ärzte vor schwere Entscheidungen gestellt hatte. Die Hilfe für in Not geratene Frauen brachte sie, aber auch die Frauen, mit dem geltenden Recht in Konflikt.

Die Hauptangeklagte in diesem Prozess war eine nicht jüdische Hebamme. Alfred Alexander wurden drei Fälle von Abtreibung zur Last gelegt. Das Urteil lautete auf drei Jahre Zuchthaus und drei Jahre Ehrverlust. Die beiden mitangeklagten Kollegen, der ebenfalls jüdische Dr. Meyer und der "arische" Dr. H., ehemaliger Betreuungsarzt der SA, wurden zu fünf, beziehungsweise vier Jahren Zuchthaus und Ehrverlust verurteilt.

Die wiederum extrem hohen Strafen sind ein Beispiel für die Strafverfolgungspraxis der nationalsozialistischen Justiz. Außer der Tatsache, dass zwei von ihnen jüdisch waren, wurde den Angeklagten insbesondere zur Last gelegt, dass sie keine Geständnisse abgelegt und sich nicht auf eine soziale oder medizinische Indikation berufen hatten. Knapp drei Wochen vorher war zum Beispiel ein nicht jüdischer Arzt wegen 34 Fällen von Abtreibung nur zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hatte gestanden und sich auf eben diese Indikationen berufen. Nach der Erfahrung, die Alfred Alexander in seinem ersten Prozess gemacht hatte, ist es aber sehr gut vorstellbar, dass ein jüdischer Arzt auf so eine Chance nicht hoffen konnte und deshalb schwieg.

Das Strafverfahren ist genau dokumentiert. Was nicht schriftlich festgehalten werden konnte, ist die Erinnerung an den "ehrbaren Mann, der sich mit sozialem Verantwortungsbewusstsein so vielen über so viele Jahre voller Hingabe zuwandte". So schreibt Bernard Alexander. Die Patienten von vor mehr als 70 Jahren können nicht mehr berichten.

Alle drei Ärzte kamen ins Zuchthaus Oslebshausen bei Bremen. Der Strafvollzug war hart. Allerdings waren die Bewacher keine SS-Angehörige sondern reguläre Beamte, und auch der Kontakt zu den Angehörigen war noch möglich.

Die körperliche Schwerstarbeit der Außenkolonne im Tiefbau mit Spitzhacke, Schaufel und Spaten zehrte an den Kräften. Dr. Meyer berichtete später, dass Alfred Alexander im Oktober 1941 als gebrochener Mann aus dem Zuchthaus kam.

Mutig kämpfte Franziska Alexander für ihren Mann. Sie hatte die Auswanderungspapiere beieinander, um den Söhnen mit ihm nach Shanghai zu folgen. Und so beantragte sie seine Begnadigung. Vergeblich.

Sie selbst war in der Firma Essig Kühne dienstverpflichtet worden. Die Wohnung in der Großen Bergstraße hatte sie 1938 aufgeben müssen. Zuletzt teilte sie in der Grindelallee 23 die Unterkunft mit einer Frau Josias.

Nach seiner zweiten Haft hatte Alfred Alexander also kein Zuhause mehr. Wahrscheinlich wurde er mit seinem Kollegen Dr. Meyer, der auch nicht mehr in seine Wohnung nach Hause kam, im Oktober 1941 von Oslebshausen aus direkt in das Polizeigefängnis Hütten eingeliefert. Entlassene jüdische Gefangene wurden in der Regel von dort aus in ein Konzentrationslager gebracht. Das Schicksal war Alfred Alexander insofern gnädig, als dass er zusammen mit Dr. Meyer in Hamburg ankam. Wie dessen Tochter berichtete, wurde ihr Vater von einem Gestapobeamten gewarnt, sofort die allerletzte Chance für eine Auswanderung zu nutzen, um dem Konzentrationslager zu entgehen. Da Dr. Meyer über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügte, konnten die beiden Ärzte in letzter Minute über Berlin nach Spanien und dann über Portugal nach Kuba entkommen.

Franziska Alexander blieb allein zurück. Bernard Alexander hält es für möglich, dass seine Mutter zu ihrer eigenen Sicherheit gar nicht über die "Reisepläne" des Vaters Bescheid wusste. Alfred Alexander reiste allerdings in der festen Überzeugung, dass seine Frau ihm bald folgen würde, wenn sie die nötigen Papiere beisammen hätte. "Ich bekam 1941 einen letzten Brief von meinem Vater aus Spanien, in dem er mir mitteilte, dass er auf meine Mutter warten würde, so dass sie zusammen nach Kuba gehen könnten. Später wurde ihm wohl klar, dass das nicht geschehen würde." Nach dem Eintritt Japans in den Zweiten Weltkrieg brach die Postverbindung nach China ab.

Noch während ihr Mann in Spanien auf seine Abreise wartete, erhielt Franziska Alexander den Deportationsbefehl nach Minsk. Die ebenfalls zurückgebliebene, nicht jüdische Kollegenfrau begleitete sie zur Moorweide. Es wird überliefert, dass Franziska Alexander beim Abschied sagte: "Meine Männer sind in Sicherheit, das ist unser Schicksal seit 500 Jahren. Seien Sie nicht traurig."

Ihre 80-jährigen Eltern Ivan und Flora Grüner, die in Hamburg ganz in ihrer Nähe wohnten, mussten den Abschied von der Tochter verkraften.

Am 16. März 1942 verließen die beiden Ärzte Lissabon und erreichten nach einer turbulenten Überfahrt am 10. April Havanna. Bis Anfang 1943 kamen sie in einem Lager für Immigranten unter, wo die Ärzte in ihrem Beruf arbeiten konnten. Zu diesem Zeitpunkt litt der seelisch und körperlich geschwächte Alfred Alexander wahrscheinlich schon an Lungenkrebs. Sechs Monate verbrachte er in einem städtischen Krankenhaus in Havanna, die letzten sechs Wochen durch die Unterstützung einer internationalen Hilfsorganisation für jüdische Flüchtlinge in einem privaten Hospital. Am 22. Oktober 1943 starb er. Er wurde in Havanna begraben. Die Söhne konnten sein Grab nie besuchen.

Ivan und Flora Grüner wurden am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.

© Christa Fladhammer

Quellen: 1; 4; 8; StaH 213–11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 6053/42; Hamburger Tageblatt, 4.8.1938, S. 6; Briefwechsel mit Bernard Alexander 2007/2008; Fladhammer, Christa, Dr. Max Meyer 1890–1958. Das Schicksal eines jüdischen Arztes aus Hamburg, Z.H.G.87/2001, S.113ff.

Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

druckansicht  / Seitenanfang