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Sonja Boygen * 1930

Neue Straße 56 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
SONJA BOYGEN
JG. 1930
ABGESCHOBEN 1938
RICHTUNG POLEN
ZBASZYN
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Neue Straße 56:
Hilda Boygen, Isaac Boygen

Hilda Boygen, geb. Levy, geb. am 24.7.1904 in Filehne, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zbaszyn, Todesdatum unbekannt
Isaac Boygen, geb. am 26.9.1895, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zbaszyn, Todesdatum unbekannt
Sonja Boygen, geb. am 15.12.1930 in Harburg, am 28.10.1938 abgeschoben nach Zbaszyn, Todesdatum unbekannt

Neue Straße 56, Stadtteil Harburg-Altstadt

Der Geburtsort Hilda Boygens liegt an der Neetze in der einst preußischen Provinz Posen (heute: Polen). Ihr Ehemann Isaac Boygen (geb. 26.9.1895) war neun Jahre älter als sie. Wann genau beide ihre Heimat verließen und Mitglieder der Harburger Jüdischen Gemeinde wurden, lässt sich heute nicht mehr klären. In der neuen Heimat eröffnete Isaac Boygen Ende der 1920er-Jahre ein kleines Geschäft für Herrenbekleidung in der Neuen Straße 56. Die jungen Eheleute wohnten in demselben Haus, hier wuchs auch ihre Tochter Sonja auf.

Von Anfang an dürfte Isaac Boygen als Geschäftsmann die Folgen des starken Konkurrenzkampfes vor Ort, der bald noch durch die Weltwirtschaftskrise verschärft wurde, zu spüren bekommen haben. Dass sein Name nicht auf der umfangreichen Boykott-Liste des Harburger Magistrats vom 30. März 1933 zu finden ist, die insgesamt 54 jüdische Firmen für Harburg verzeichnete, lässt darauf schließen, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt – zumindest vorübergehend – den Verkauf eingestellt hatte.

Die endgültige Aufgabe des Geschäfts erfolgte spätestens im Jahre 1935, als Isaac Boygen mit seiner Familie wie viele andere Harburger Jüdinnen und Juden vor und nach ihm in die Großstadt Hamburg zog und dort Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde wurde. Seine neue Anschrift lautete Grindelallee 29. Wie es der Familie in den nächsten drei Jahren erging, wissen wir nicht.

Am 28. Oktober 1938 gehörten Isaac, Hilda und Sonja Boygen zu den rund 1000 Hamburger Juden, die innerhalb eines Tages im Zuge der "Polenaktion" nach Neu-Bentschen transportiert und dort im Morgengrauen des nächsten Tages über die Grenze nach Zbaszyn abgeschoben wurden.

Wie es ihnen in den folgenden Tagen und Wochen erging, wissen wir nicht. Offen bleibt, wo und wie sie in Zbaszyn untergebracht waren, ob sie sich von dort um eine Ausreise in ein anderes Land bemühten oder bei entfernten Verwandten in ihrer alten Heimat Zuflucht fanden und wohin sie anschließend gelangten. Spätestens im Sommer 1939 wurden die letzten Vertriebenen angesichts der zunehmenden politischen Spannungen zwischen dem Deutschen Reich und Polen aus dem Grenzgebiet in das polnische Landesinnere verfrachtet.

Nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 wurden die meisten dieser Abgeschobenen erneut Opfer der nationalsozialistischen Judenpolitik. Das gilt zumindest auch für Sonja Boygen, von der wir wissen, dass sie zeitweise zu den Bewohnerinnen des Gettos Lodz zählte, das die deutschen Besatzungsbehörden im Laufe des Jahres 1940 im jüdischen Armenviertel der Stadt errichteten. Mehr als 154.000 polnische Jüdinnen und Juden wurden hier auf knapp vier Quadratkilometern zusammengepfercht. Ihre systematische Ermordung begann im Dezember 1941, als die nahe gelegene Vernichtungsstätte Chełmno in Betrieb genommen wurde. Wann und wie genau Hilda, Isaak und Sonja Boygen zu Tode gekommen sind, ist nirgendwo registriert. Sie haben den Holocaust nicht überlebt.

Sie wussten damals nicht, dass diese Mordfabrik unter maßgeblicher Mitarbeit eines ihrer einstigen Harburger Nachbarn, des ehemaligen Kaffeegroßhändlers Wilhelm Koppe, entstanden war. Sein Büro an der Westseite des Sands war damals keine 500 Meter von dem Haus entfernt, in dem sie ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte.

Wilhelm Koppe war 1930 der NSDAP beigetreten und 1932 Mitglied der SS geworden. Damit begann seine steile NS-Karriere, die im Oktober 1939 zunächst in seiner Ernennung zum "Höheren SS- und Polizeiführer" im neu errichteten "Warthegau" gipfelte. Ab Ende 1939 war er verantwortlich für die Deportation, Gettoisierung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung im "Warthegau", also auch für die Errichtung des Gettos Lodz und des Vernichtungslagers Chełmno/Kulmhof. 1943 wechselte er als "Höherer SS- und Polizeiführer" sowie Staatssekretär für das Sicherheitswesen vom "Warthegau" in das Generalgouvernement. Wilhelm Koppe kehrte am Ende des Kriegs unbeschadet nach Deutschland zurück und lebte unter falschem Namen unbehelligt bis 1975.


Stand: Juni 2019
© Klaus Möller

Quellen: 1; 4; 5; 8; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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