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Wilhelm Clasen * 1883

Bundesstraße 95 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
WILHELM CLASEN
JG. 1883
VERHAFTET JUNI 1943
GEFÄNGNIS FUHLSBÜTTEL
NEUENGAMME
ERTRUNKEN 3.5.1945
MS CAP ARCONA

Siehe auch:

Weitere Stolpersteine in Bundesstraße 95:
Rosa Sänger, Flora Sänger, Willy Sänger, Erwin Sänger

Wilhelm Heinrich Georg Clasen, geb. am 30.1.1883 in Wismar; kam am 3.5.1945 auf der Cap Arcona ums Leben

Bundesstraße 95

Wilhelm Clasen – so bezeugen seine Papiere – war von Beruf Kutscher und hatte später als Elektriker und Bauarbeiter gearbeitet. 1907 hatte er geheiratet; zwei Söhne gingen aus der Ehe hervor. Es waren dies Hermann Clasen (geb. am 3.2.1908 in Hamburg, von Beruf Maler, verheiratet und geschieden; es gab drei Kinder in seiner Ehe) und Kurt Clasen (geb. am 25.2. 1909 in Hamburg; von ihm liegen keine weiteren Informationen vor). Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem Wilhelm Clasen teilgenommen hatte, trat er der SPD bei und war dort aktiv, bis sie 1933 verboten wurde. Er war zudem gewerkschaftlich organisiert. Er selbst wurde von Nationalsozialisten, so wird in einer von der SPD-Landesorganisation Hamburg herausgegebenen Erinnerungsschrift an die während der Nazi-Zeit verfolgten SPD-Mitglieder berichtet, als Vorarbeiter aus seiner Dienststelle in der Oberaltenallee entlassen. "In der Folgezeit war er als Bauarbeiter und ab 1942 als Lagerarbeiter tätig", heißt es in der Schrift.

Seine Ehefrau Minna Sass, mit der er 1907 die Ehe eingegangen war, starb 1930. Sechs Jahre später, 1936, heiratete er erneut und ging die Ehe mit Clara Dollwetzel (geb. Henkel) ein. Clara war mit Max Dollwetzel verheiratet gewesen, der als aktives Mitglied der KPD verhaftet und am 28. September 1933 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel ermordet worden war. Claras und Max’ Tochter Barbara Dollwetzel lebte bei der Mutter, die Söhne Heinrich und Erich Doll­wet­zel waren ins Ausland geflohen.

Die neue Familie, Wilhelm und Clara Clasen und die Tochter Barbara Dollwetzel, wohnte bis Anfang der 1940er Jahre in Hammerbrook in der Gotenstraße 22 und zog später nach Eimsbüttel in die Bundesstraße 95. Über Clara Clasen gab es eine Verbindung zum kommunistischen Widerstand, da sie jahrelang in der Internationalen Arbeiterhilfe und in der Roten Hilfe tätig gewesen war. Bestand bereits dadurch die Gefahr, dass die Familie von der Gestapo überwacht wurde, geriet sie zusätzlich in deren Visier, als diese begann, Angehörige von Gruppen zu beobachten, die sich nach 1933 bereits als Jugendliche begegnet waren und während der Jahre der nationalsozialistischen Diktatur ihre freundschaftlichen Kontakte untereinander aufrechterhalten hatten. Einem dieser Freundeskreise, in dessen Mittelpunkt u. a. Max Kristeller stand, gehörte auch Barbara Dollwetzel an.

Die Jugendlichen hatten sich kennengelernt, als sie in der Tradition der bündischen, der politischen und der Naturfreundejugend gemeinsam Wanderungen unternahmen – hier fanden sie Gelegenheiten zur ungestörten Diskussion auch politischer Fragen, hier gab es Begegnungen mit anderen Jugendgruppen. Wenn sie an Wochenenden unterwegs waren, kamen sie mit der ländlichen Bevölkerung in Kontakt, sei es, dass sie um eine Übernachtung in einer Scheune baten oder dass sie um das Campieren auf einer Wiese nachsuchten; sie trafen sich in Hamburg bei sportlicher Betätigung und bei Besuchen von Veranstaltungen – kurz, sie bildeten eine von der organisierten Staatsjugend unabhängige jugendliche Kultur aus.

An oppositionellem Verhalten wird von ihnen überliefert, dass sie Schulungskurse störten, die die Deutsche Arbeitsfront (DAF) für jene Jugendliche eingerichtet hatte, die noch in der Ausbildung standen, aber in den Jahren kurz nach 1933 noch nicht der HJ oder dem BDM angehörten. Eine der Aufgaben der HJ, aber auch der DAF als Betriebsorganisation war es, diese Jugendlichen, die von der NSDAP als "verlorene Generation" bezeichnet wurde, für die nationalsozialistische Ideologie zu interessieren. Als "verloren" galten sie, weil sie von ihrem Alter her nicht mehr zwangsläufig von den Jugendorganisationen der Partei erfasst wurden. Sie waren noch der Tradition der politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik verhaftet und hatten ihre politischen Überzeugungen aus dieser Zeit nicht notwendig aufgegeben.

Die Jugendlichen, die sich in den um Max Kristeller und anderen (wie Werner Etter und Ernst Hampel) entstehenden Gruppen trafen, bemühten sich auch über die Zeit des obligatorisch werdenden Wehrdienstes hinaus und dann auch während der zwangsläufigen Teilnahme am Kriegsdienst, die Kontakte untereinander nicht abbrechen zu lassen und sich ihrer kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zu versichern. Die persönlichen Bekanntschaften und Vertrautheiten, die in den Gruppen bestanden, verhinderten bis in die Kriegsjahre hinein, dass die Gestapo Zugang zu ihnen fand. Sie wurde auf diese von ihr als "Gruppe der Nichtvorbestraften" bezeichneten Oppositionellen erst aufmerksam, als sich 1943 während der Verfolgung der Widerstandsgruppe um Bästlein u. a. eine Verbindung zu Max Kristeller ergab. Wie in anderen Fällen war dies die Folge von Spitzelaktivitäten – auch diesmal des Gestapo-Agenten Alfons Pannek. Max Kristeller wurde am 5. Mai 1943 verhaftet, in der Folge weitere Angehörige der von der Gestapo beobachteten Widerstandsgruppe. Unter den Verhafteten vom 16. Juni 1943 befanden sich auch Barbara Dollwetzel und ihre Eltern Wilhelm und Clara Clasen.

Wie in anderen Fällen war es jenem Pannek auch gelungen, das Vertrauen von Clasen-Dollwetzel über die Vermittlung ihm bekannter Personen zu gewinnen. Eine Bekannte der Clasens, Elsa Nietsche, berichtete 1946 über die Verhaftungen u. a. ihrer Schwester: "1943 lernte sie auch den Alfons Pannek dort kennen, der sich als Gleichgesinnter ausgab, was man auch annehmen musste, denn er war früher KP-Mitglied. Dann versuchte er, sich an unsere Schwester heranzumachen und hatte auch ein Liebesverhältnis mit ihr. Sie haben gemeinsam ausländische Sender gehört bei Clasen und haben über politische Fragen diskutiert. Er war auch sehr interessiert und später hat er das gegen alle ausgespielt und ließ alle verhaften, ca. 8 Personen in dieser Wohnung. Es wurde zuerst die Familie Clasen und Dollwetzel verhaftet [...]."

Barbara Dollwetzel berichtete zwar am 4. Februar 1947, dass "der sachliche Verlauf, der zu unserer Verhaftung führte und die Verhaftungen Frau Nietsche nicht bekannt [waren] und daher auch [in] der Reihenfolge nicht ganz richtig" dargestellt sei. Doch widersprach sie der Behauptung nicht, dass die Familie ein Vertrauensverhältnis zu Pannek entwickelt hatte.

Nach den ersten Verhaftungen spielte der ehemals zu der "Jugendlichengruppe" gehörende Herbert Lübbers eine unrühmliche Rolle, der sich als Spitzel in die Jugendgruppe und andere Widerstandsgruppen einschleusen ließ. Er war nach einer misslungenen Desertion in Haft geraten und als Wehrmachts-gefangener der Gestapo übergeben, von ihr unter Druck gesetzt und dann von der Hamburger Gestapo im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel untergebracht worden. Wie er auf die dort einsitzenden Mitglieder der "Jugendlichengruppe" angesetzt wurde, beschrieb 1946 die vormals bei der Gestapo als Stenotypistin beschäftigte Ursula Prüssmann (sie machte ihre Aussage während des Prozesses gegen den Gestapo-Sekretär Helms):

"[...] Zu dieser Gruppe gehörten: Emil Tippmann, Erwin Ebhard, Marga Spethmann, Adolf Schulz und Charlotte, Frl. Charlotte Becher, Charlotte Winkelmann, Henry Schrader, Werner Etter, Erika Etter und viele andere. LÜBBERS kam fast täglich zur Dienststelle. LÜBBERS wurde im Gegensatz zu allen anderen Gefangenen sehr gut behandelt, er bekam Besuch auf der Dienststelle, er kam nicht mit dem allgemeinen Transport, sondern nur in Begleitung eines Wachmannes. Werner Etter war zu dieser Zeit bereits auch in Fuhlsbüttel, Erika Etter kam zur Dienststelle zu Helms, um ihren Mann zu sehen, da gerade ihr Kind gestorben war. Sie sah dort Lübbers, der auf meinem Zimmer arbeitete. Sie wurde daraufhin sofort von Helms in Haft genommen und nach Fuhlsbüttel überwiesen. Seine Berichte erstreckten sich auch auf die Jugendgruppen, mit denen er durch Günther Heykendorf [sic] in Berührung kam. Um weitere Ermittlungen über den Vater Max Heykendorf [sic] anzustellen, wurde Lübbers auf freien Fuss gesetzt und in der Wohnung Heykendorf untergebracht. LÜBBERS benutzte den Namen Breuer. Kurz darauf ging auch Günther Heykendorf weg, und infolge dieses Misserfolges wurde dann Lübbers unter PANNEK in der Angelegenheit SCHULZ eingesetzt [...]."

Die aufgrund dieser Spitzeltätigkeiten vorgenommenen Verhaftungen fanden noch über das Jahr 1944 hinaus bis weit in den Januar 1945 hinein statt.

Die Jugendgruppen waren verunsichert; ihre Mitglieder zogen sich zurück. Es herrschte Angst. Wie diese Verunsicherungen sich in den von den Jugendlichen frequentierten Vereinigungen auswirkten, beschrieb Jahrzehnte später, im Jahr 1987, Gudrun Schütter, die 1938 als 19-Jährige in den Sportverein "Armin von 1893" eingetreten war, weil sich in dem Verein "ehemalige SAJ" traf und "auch nach der Haft sich alles bei Armin wiedergetroffen hat" (wie auch in dem Verein "Helios"): "Im Sportverein, wir haben uns nicht gerade im Sinne der Nationalsozialisten betätigt. Wir haben keine Flugblätter mehr gemacht, das fanden wir, das war sinnlos. Wir haben nur untereinander Zusammenhalt bewahrt. Und wir wussten, wer wir waren. Wir konnten uns aufeinander verlassen, meinten wir. Es war ja ein Spitzel dazwischen, das haben wir zu spät erfahren [...] Bei Armin fing es an, da wurde aufgerollt. Ich bin sicher, daß ich verhaftet worden wäre, wenn der Krieg noch ein paar Monate länger gedauert hätte, dann hätten die auch die Verbindung gehabt. Denn bei den Arminern war Günther Heikendorf [sic]. Und seine Mutter, Lene Heikendorf [sic], die ist in Neuengamme gehenkt worden" – es war für die Jugendlichen gefährlich und unberechenbar geworden, ihre Gruppengemeinschaften aufrechtzuerhalten, weil es im Verein nicht nur einen Spitzel, sondern auch Mitglieder gab, die den nationalsozialistischen Staat und seine Eroberungspolitik bejahten und seine rassistische Ideologie übernommen hatten. Ein Leutnant Z. jun. schrieb kriegerische Stimmungsberichte von der Front bei Smolensk und an anderen Orten der Sowjetunion; er war es auch, der auf der Hauptversammlung des Vereins, die während seines Heimaturlaub am 27.2.1944 stattfand, darauf hinwies, daß er und andere Soldaten an der Front defaitistische Propaganda erhalten hätten; er verlas einen anonymen Brief, den man ihm an die Front geschickt hat, der allgemein als unerhört schmutzig und [-Lücke im Text-] angesehen wurde. Es ist ein Zeichen, dass bedauerlicher Weise unanständige Menschen den Krieg zunutze machen, um sich in unsere Gemeinschaft einzuschleichen und [hinter]listige Zersetzungsarbeit zu treiben. Einem älteren wird diese Schand[tat] nicht zugetraut. Zum Schluss wies Z. [...] jun. noch auf unsere politische Aufgabe [hin], dass alle in der Heimat ihre ganze Kraft in den Dienst des deutschen Sieges stellen müssen."

In der erwähnten Publikation der Hamburger Landesorganisation der SPD heißt es zur Verhaftung von Barbara Dollwetzel und ihren Eltern Wilhelm und Clara Clasen:
"Vorgeworfen wurde ihnen Vorbereitung zum Hochverrat, Abhören von Feindsendern und Aufhetzung gegen den Nationalsozialismus. Nach zehn Monaten Haft im KZ Fuhlsbüttel, wo­bei Barbara Dollwetzel nach den schweren Bombenangriffen im Sommer 1943 vorübergehend frei gelassen wurde, kamen Mutter und Tochter ins KZ Ravensbrück. Hier wurden sie am 28. April 1945 von alliierten Streitkräften befreit. Wilhelm Clasen wurde im KZ Neuengamme gefangen gehalten [...]."

Die Gestapo hatte ihn zusammen mit anderen am 31. Mai 1944 vom Gefängnis Fuhlsbüttel "bis zur weiteren Verfügung der Gestapo" als "Polizeihäftling" in das Konzentrationslager Neuengamme überstellt. Der Prozess gegen ihn wie auch gegen andere Verhaftete konnte aus Zeitgründen vom nationalsozialistischen Justizapparat nicht mehr organisiert werden. Clasen wurde, als die SS Ende April 1945 das Konzentrationslager vor den heranrückenden britischen Truppen räumte und die Inhaftierten auf Todesmärsche zwang, zu den in der Neustädter Bucht liegenden Schiffen gebracht. Am 3. Mai 1945 wurden die Schiffe durch Angriffe englischer Kampf­flugzeuge, deren Piloten nicht wussten, wer sich an Bord der Schiffe befand, versenkt. Clasen hatte sich auf der Cap Arcona befunden.

Mit Wirkung auf diesen Tag wurde Wilhelm Clasen für tot erklärt.

© Peter Offenborn

Quellen: FZH 11/O 1 (Geert Otto): Gemeinschaftsbriefe der Turnerschaft Armin von 1893 e.V.; FZH 12 H/Helms (Personalakten), Aussage von Ursula Prüssmann; FZH 13-3-2-2 (Widerstand in Hamburg; Prozesse/Hinrichtungen); FZH 18-2 (Nachlaß Blankenfeld/AvS Hamburg) 5.3. (Haftentschädigung); FZH/WdE 199 Interview mit Gudrun Schütter (alias) vom 29.3.1987 (Sonntagsgespräch), korr.; Ab.; Sammlung VVN-BdA (Hamburg); Hochmuth, Ursel/Gertrud Meyer, S. 423f.; Für Freiheit und Demokratie. Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Verfolgung und Widerstand 1933–1945. Hg. von der SPD Landesorganisation Hamburg. Hamburg 2003; Peter Offenborn, Jüdische Jugend in Hamburg 1933–1941, S. 284f.; www.hh-heute.de (‚Stolperstein’ für Wilhelm Clasen) vom 23.6.2010.

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