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Porträt Max Chassel aus einem Ausweis
Ekiwa Meyer, genannt Max Ewald Chassel, 1918
© StaH

Max Chassel * 1886

Uhlandstraße 37 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
MAX CHASSEL
JG. 1886
DEPORTIERT 1941
LODZ
TOT 12.6.1942

Weitere Stolpersteine in Uhlandstraße 37:
Hilde Chassel

Hilde Adda Chassel, geb. Weber, geb. am 3.11.1894 in Breslau, deportiert am 25.10.1941 in das Getto "Litzmannstadt" (Lodz), dort ermordet am 13.9.1942
Max Ewald Chassel, geb. am 8.9.1886 in Brody, deportiert am 25.10.1941 in das Getto "Litzmannstadt" (Lodz), dort ermordet am 12.6.1942

Uhlandstraße 37


Betty Chassel, geb. am 13.6.1877 in Brody, deportiert am 25.10.1941 in das Getto "Litzmannstadt" (Lodz), von dort am 15.5.1942 in das Vernichtungslager Chelmo deportiert, ermordet

Geißlertwiete 12 (Grotjangasse 4), Winterhude


Oscar Chassel, geb. am 17.1.1881 in Brody, Anfang Oktober 1940 in das Warschauer Getto eingewiesen, am 6.8.1942 in das KZ Majdanek deportiert, dort umgekommen

Fuhlsbüttlerstraße 669, Ohlsdorf

Ekiwa Meyer Chassel, der sich später Max Ewald nannte, war noch ein kleiner Junge, als seine Eltern 1892 mit ihm und seinen Geschwistern aus Galizien nach Hamburg zogen. Sein Vater, der Kaufmann Nathan Josef Chassel, war in zweiter Ehe verheiratet mit Sara Rebeca, geborene Guttmann. Seine erste Frau Sabine "Biene", geborene Heilpern, war 1880 noch in Brody jung gestorben. Aus dieser Verbindung stammten Max’ ältere Halbgeschwister Hillel (geboren 1876; s. "Stolpersteine in der Hamburger Isestraße" und www.stolpersteine-hamburg.de) und Ester Beile (geboren 1877). Außerdem hatte er noch zwei Brüder, den fünf Jahre älteren Osias Beer (geboren 1881) und den ein Jahr jüngeren Abraham Israel (geboren 1887). Nathan und Sara Rebeca Chassel ließen sich mit ihren Kindern zunächst in St. Georg nieder, in der Baumeisterstraße 3. Zwei Jahre später fanden sie eine neue Unterkunft in der Steinstraße 129, wo sie jedoch nicht lange blieben. Schon im Jahr darauf siedelten sie in die Münzstraße in Hammerbrook über. Dort wohnten sie die nächsten elf Jahre.

Kurz nach der Ankunft der Familie in Hamburg wurde Max in die Talmud Tora Schule eingeschult. Sie bot zu jener Zeit vor allem Jungen aus sozial schwachen jüdischen Familien eine Schulbildung und hatte ihren Sitz in der Neustadt, an der damals noch existierenden Elbstraße. 1902, im Alter von 16 Jahren, verließ Max die Schule mit dem Realschulabschluss. Anschließend erlernte er bei den Gebrüdern Frank, Vierländerstraße 272, die mit ausländischen Hölzern handelten, den Kaufmannsberuf. Die Firma übernahm ihn nach dem Ende seiner Ausbildung und er blieb dort, ohne noch einmal den Arbeitsplatz zu wechseln.

Auch seine Geschwister bekamen alle eine kaufmännische Ausbildung. Hillel arbeitete danach zunächst bei einem Spediteur und dann selbstständig als Agent und Kaufmann. Später wurde er Sekretär beim Hilfsverein der Juden in Deutschland. Ester Beile lernte Kontoristin und war ab 1899 rund fünfzehn Jahre lang bei der Firma Otto Bruhn in der Spitalerstraße angestellt. Osias war genau wie Abraham Kaufmann, Letzterer arbeitete von 1914 bis 1916 – bis er als Soldat eingezogen wurde – als Handlungsgehilfe bei der Firma Gebr. Doller, Corsetbestandteile und Strumpfhalterfabrikation, in Berlin-Charlottenburg.

Während die Eltern streng nach jüdisch-orthodoxen Regeln lebten, waren die Kinder liberal eingestellt. So wie Max seinen Vornamen geändert hatte, ließen sich auch seine Geschwister Hillel, Beile, Osias und Abraham anders nennen. Hillel wählte als neuen Vornamen Henry, Beile entschied sich für Betty, Osias für Oscar und Abraham Israel für Adolf Ismar.

1906 zog die Familie wieder um, in die Spaldingstraße 128. Zu der Zeit war Henry, der Älteste, bereits ausgezogen und hatte eine Wohnung in der Sophienallee in Eimsbüttel gefunden. Im Mai 1913 verließ auch Max’ zweitältester Bruder Oscar die Familie. Er hatte 1911 in Hamburg geheiratet und siedelte mit seiner fast gleichaltrigen, aus Altona stammenden Ehefrau Meta Caroline Christine, geborene Grünwald, nach Kopenhagen über. Sie stammte aus einer nichtjüdischen Familie. Bei der Eheschließung gaben beide als Religion "konfessionslos" an.

Betty Chassel wechselte im Jahr darauf ihre Arbeitsstelle, sie fand eine neue Beschäftigung bei der Exportfirma C. L. Petersen am Neuen Wall, die Strohhüte, Blumen und Putzfedern herstellte. Sie wohnte nach wie vor bei den Eltern, die inzwischen nach Eimsbüttel gezogen waren, in die Bundesstraße 7. Ebenfalls 1913 trat der Vater, Nathan Chassel, in die Hamburger jüdische Gemeinde ein.

Max hatte genau wie seine Eltern und seine Geschwister durch seine Geburt die österreichische Staatsangehörigkeit. So wurden sein Bruder Adolf und er im Ersten Weltkrieg auch von der k. u. k. Armee eingezogen. Ab Februar 1915 gehörte Max zum Infanterieregiment 80. Durch einen Oberschenkelschuss wurde er verwundet und dafür mit der bronzenen Tapferkeitsmedaille sowie mit dem Karl-Truppenkreuz ausgezeichnet. Adolf kam ab Januar 1917 nach dreimonatiger Ausbildung in der Etappe hinter der rumänischen Front zum Einsatz. Beide, Max und Adolf, waren Mitglied einer Turnerriege der Hamburger Turnerschaft von 1816 (HT 16). Die Feldpost-Briefe, mit der die insgesamt 30 Männer dieser Riege während des Krieges miteinander in Kontakt blieben, zeigen, wie bei Max Chassel der "Stolz", ",in Kaisers Rock’ zu stecken" und für "das Vaterland" zu kämpfen auch nach dem Tod mehrerer Turnerfreunde nicht abnahm, er vielmehr ungebrochen vom "Heldentod" schrieb und davon, dass die Freunde für "die heiligste Sache gefallen" seien.

Als nach dem Ersten Weltkrieg die Habsburger-Monarchie auseinanderbrach, fiel Galizien an Polen. Das war für Max und Adolf Chassel sowie für ihre Schwester Betty der Anlass, um 1920 die hamburgische Staatsangehörigkeit zu beantragen. Alle drei begründeten ihren Schritt damit, dass sie nur Deutsch sprächen und nicht der Republik Polen angehören wollten. Ihr Bruder Henry hatte bereits 1906 die Einbürgerung beantragt, sein Antrag war damals allerdings abgelehnt worden. Bei Max, Adolf und Betty gab es keine Schwierigkeiten. Sie belegten unter anderem, dass es ihnen durch bereits langjährige Berufstätigkeit sowie Ersparnisse und Lebensversicherungen finanziell gut ginge und sie dem Staat nicht zur Last fallen würden. Henry Chassel stellte 1926 erneut einen Antrag auf Einbürgerung, der diesmal erfolgreich war – trotz einer deutlich antisemitischen Grundhaltung in den Stellungnahmen beteiligter Behördenvertreter.

Schon Ende August 1916 war Max’ Mutter Sara Rebeca Chassel mit 59 Jahren im Israelitischen Krankenhaus gestorben. Seitdem unterstützten die Geschwister den Vater nach Möglichkeiten. Erst lebten noch Max, Betty und Adolf bei ihm. Sie zogen auch gemeinsam ins Grindelviertel, in den Durchschnitt 1. Bald darauf bot Max’ Arbeitgeber Max Frank ihm ein Zimmer zur Untermiete in seiner Harvestehuder Wohnung an, in der Parkallee. Gleichwohl unterstützte er den Vater weiter finanziell, genau wie Oscar, der ihm von Dänemark aus Lebensmittel zukommen ließ. Adolf arbeitete inzwischen als selbstständiger Textilvertreter von der väterlichen Wohnung aus. Betty machte sich 1923 selbstständig, mit einem Geschäft für Weißwaren im Eppendorfer Weg 192. Sie verkaufte vorwiegend Korsetts und Damenwäsche. 1924 zogen Betty und Adolf noch einmal zusammen mit dem Vater um, in die Meißnerstraße 26.

Im Jahr darauf, am 24. Dezember 1925, starb Nathan Chassel im Israelitischen Krankenhaus mit 81 Jahren. Er wurde neben seiner Frau auf dem jüdischen Friedhof Langenfelde beerdigt, der orthodoxen Mitgliedern der Hamburger jüdischen Gemeinde vorbehalten war.

Im folgenden Jahr heiratete Max. Seine Frau Hilde stammte aus Breslau, ihre Eltern waren Leopold und Pauline Weber, geborene Sprinz. Ihre erste eigene Wohnung fanden Max und Hilde in der Alfredstraße 49 in Eilbek. 1926 erlitt Hilde eine Fehlgeburt, anschließend konnte sie keine Kinder mehr bekommen. Im selben Jahr zog Adolf Chassel nach Hindenburg in Oberschlesien (heute Zabrze in Polen). Dort arbeitete er weiter als selbstständiger Kaufmann und war mit der aus Berlin stammenden Walli, geborene Pollack, verheiratet; sie führte in Hindenburg ein Miederwarengeschäft. Betty Chassel bewohnte die ehemals väterliche Wohnung in der Meißnerstraße nun allein. 1928 kamen ihr Bruder Oscar und dessen Frau Meta zurück nach Hamburg und erhielten vorübergehend bei ihr Quartier. 1931 wurde Oscar Direktor der Internationalen Spedition Jordan & Berger Nachf. AG am damaligen Bahnhofsplatz in der Altstadt (dem heutigen Deichtorplatz). Im selben Jahr fand er für Meta und sich eine Wohnung in Ohlsdorf, in der Fuhlsbüttlerstraße 669. Max und Hilde wiederum zogen nach Barmbek-Süd in die Von-Essen-Straße 24. 1935 erwarb Oscar Chassel von der international tätigen Hamburger Spedition Andree & Wilkerling die Spedition Wilhelm Andrews, und führte sie unter dem eingeführten Namen weiter. Sowohl die Mutter- als auch die Tochterfirma hatten ihren Sitz im Sprinkenhof an der Burchardtstraße.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 bedeutete für Max Chassel ebenso schnell eine ernsthafte Bedrohung wie für seine Geschwister Henry, Betty und Adolf. Entsprechend dem neuen Reichsgesetz vom 14.7.1933 über den "Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" wurden zahlreiche Personen, die in der Weimarer Republik eingebürgert worden waren und deren "Einbürgerung nicht als erwünscht anzusehen ist", überprüft. Ziel der Maßnahmen waren vor allem die im Ausland lebenden politischen Flüchtlinge sowie die im entsprechenden Zeitraum eingebürgerten "Ostjuden". So lautet der entsprechende Passus in der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes auch: "Ob eine Einbürgerung als nicht erwünscht anzusehen ist, beurteilt sich nach völkisch-nationalen Grundsätzen. Im Vordergrunde stehen die rassischen, staatsbürgerlichen und kulturellen Gesichtspunkte für eine den Belangen von Reich und Volk zuträgliche Vermehrung der deutschen Bevölkerung durch Einbürgerung. […] Hiernach kommen für den Widerruf der Einbürgerung insbesondere in Betracht: a) Ostjuden […]". Alle betreffenden Personen liefen damit Gefahr, staatenlos zu werden. Zudem gingen die Ausbürgerungen mit der Beschlagnahme ihres Vermögens einher, das dem nationalsozialistischen Staat zufiel. Der damalige Hamburger Polizeisenator Alfred Richter, der zugleich Senator der Inneren Verwaltung war, empfahl jedoch nach Prüfung der Einzelfälle, den vier Geschwistern Chassel die Einbürgerung zu belassen, da "Nachteiliges, auch in politischer Hinsicht" über sie nicht bekannt geworden sei. Das dürfte für große Erleichterung gesorgt haben. Eine Ausbürgerung aus dem Deutschen Reich, in dem sie nun bereits seit über 40 Jahren lebten und in dem sie sich eine Existenz aufgebaut hatten, wäre sicher eine Katastrophe für sie gewesen – zumal Adolf und Max Chassel sich ausdrücklich zu Deutschland bekannten, was in den vielen Feldpostbriefen aus dem Ersten Weltkrieg an einen Hamburger Freund immer wieder deutlich wurde.

1934 zogen Max und Hilde Chassel erneut um, nun in die Uhlandstraße 37, eine fast schnurgerade Allee in Hohenfelde. Im Jahr darauf machte Max sich selbstständig, was nach den über 30 Jahren, die er bei seiner alten Lehrfirma gewesen war, ein aus der Not geborener Schritt gewesen sein musste. Er handelte nun mit Furnieren und hatte ein kleines Geschäft im Souterrain des Hinterhauses Billhorner Brückenstraße 119 eingerichtet. Die Verlängerung der Neuen Elbbrücke in die Stadt hinein war damals noch dicht mit Wohnhäusern, kleinen Geschäften und Gaststätten besiedelt. Wenig später zogen Hilde und er erneut um. Ab 1937 wohnten sie Schwanenwik 28, I. Stock – direkt an der Alster, aber in einer nach hinten gelegenen kleinen Wohnung. Das war ihr letzter freiwillig gewählter Wohnort. Im Mai 1938 emigrierten Max’ Bruder Adolf und dessen Frau Walli nach Argentinien.

Jüdische Gewerbebetriebe mussten bis zum 31. Dezember 1938 "arisiert" oder liquidiert werden. Das betraf auch Max Chassel. Er fand für seine kleine Firma in Rothenburgsort zwei Interessenten, Horst Penssler und Richard Urbanek. Am 18. Dezember 1938 schlossen sie den Kaufvertrag. Dieser brauchte laut der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden und einer dazugehörigen Anordnung vom 26. April 1938 die Genehmigung der Oberfinanzbehörde. Am 18. Februar 1939 erhielt Max Chassel ohne Angabe von Gründen einen ablehnenden Bescheid. Sein Betrieb wurde liquidiert.

Oscar Chassels Firma, die Spedition Wilhelm Andrews, wurde "arisiert". Sie ging 1938 an die Spedition Lassen & Co. AG über und besaß mit Steinhöft 11 fortan die gleiche Adresse wie diese. Bei Lassen & Co. handelte es sich um eine deutsche Firma, die zu dem Lassen-Konzern gehörte, der wiederum Teil des in London ansässigen Transportunternehmens LEP International war. In Polen gehörte unter anderem die Firma Polski Lloyd zum Lassen-Konzern. Bei dessen Niederlassung in der polnischen Hafenstadt Gdynia sollte Oscar Chassel nach seiner Enteignung eine Anstellung erhalten. Ob dieses Versprechen eine Täuschung war oder ob er tatsächlich noch für kurze Zeit beim Polski Lloyd beschäftigt war, darüber sind widersprüchliche Angaben Meta Chassels erhalten. Sicher scheint, dass das Ehepaar im Sommer 1939 nach Warschau zog, wo Oscar Chassel eine Stelle bei der Firma Amdelta erhielt.

Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Am 2. Oktober ordnete Ludwig Fischer als nationalsozialistischer Gouverneur des Distrikts Warschau in der Stadt die Errichtung eines "jüdischen Wohnbezirks" unter Festlegung aller dazugehörigen Straßen an. Wer dort lebte und nicht jüdisch war, musste seine Wohnung verlassen, dafür wurden fast 500.000 Jüdinnen und Juden in dem damit geschaffenen Getto zusammengepfercht. Am 16. November 1940 riegelte die SS es zudem mit einer gut drei Meter hohen, mit Stacheldraht versehenen Mauer vom Rest der Stadt ab.

Auch Oscar Chassel wurde Anfang Oktober 1940 in das Getto gebracht. Die Gestapo holte ihn aus seiner und Metas Wohnung, zudem beschlagnahmte sie sämtliche Haushaltsgegenstände. "Um wenigstens etwas zu retten", so Meta Chassel später, seien beide darin übereingekommen, sich zu trennen. Meta erhielt daraufhin die beschlagnahmte Habe mit der Bemerkung zurück, "Treffen wir den Juden bei ihnen an, passiert ihnen etwas, wir werden nachts kontrollieren." Die von ihr eingereichte Scheidung wurde im März 1941 rechtskräftig, als Scheidungsgrund hatte sie angegeben, dass sie sich bei der Eheschließung "über eine wesentliche persönliche Eigenschaft des Beklagten" geirrt hätte, "nämlich über die der jüdischen Rasse eigentümlichen besonderen Merkmale". Bei richtiger Kenntnis hätte sie die Ehe nicht geschlossen. Damit passte ihre Begründung zum Paragrafen 37 EheG (vorher Paragraf 1333 BGB), "Irrtum über Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen", mit dem der nationalsozialistische Gesetzgeber entsprechend seiner Rassenideologie die Aufhebung von Mischehen durch die nichtjüdischen Ehegatten vereinfachen wollte. Gleichwohl, so Meta Chassel ebenfalls später, hätten sie und ihr nun ehemaliger Mann, der im Getto in der Sliskastraße wohnte, weiterhin Kontakt gehabt.

In Hamburg waren Max Chassel und seine Frau Hilde 1940 in die Grindelallee 68 gezogen. Im August 1941 wurde Hilde zu zwei Monaten Gefängnis in Fuhlsbüttel verurteilt. Sie hatte mehrfach Kleidung gestohlen. Am 25. Oktober 1941 wurden Max und Hilde Chassel, Max’ Bruder Henry und dessen Frau Irma sowie Max’ und Henrys Schwester Betty in das Getto "Litzmannstadt" (Lodz) deportiert. Die Gestapo hatte Henry Chassel zum Leiter des Transports bestimmt. Im Getto waren Henry, Irma und Betty zusammen mit sieben anderen Personenin einem Zimmer in der Hohensteiner Straße 43 unter-gebracht, Max und Hilde Chassel mit vier weiteren Personen in der Siegfriedstraße 2, Zimmer 27.

Etwa einen Monat nach der Ankunft in Lodz bekam Max Chassel Arbeit in der Gemüseabteilung des Gettos. Ein halbes Jahr später, Anfang Mai 1942, sollten 11.000 der im Herbst 1941 nach Lodz gebrachten Jüdinnen und Juden "ausgesiedelt" werden. Dieser Begriff in Verbindung mit gezielt gestreuten Gerüchten sollte ihnen weismachen, dass sie in ein anderes Lager kämen, um dort Zwangsarbeit zu leisten. Tatsächlich bedeutete es die Deportation in das Vernichtungslager Chelmno und die sofortige Ermordung. Wer einen Befehl zur "Aussiedlung" erhielt, konnte jedoch beantragen, davon ausgenommen zu werden. In bestimmten Fällen wurde dies genehmigt, inoffiziell wurden zudem "nicht transportfähige" Personen von der Liste gestrichen. Max Chassel hatte sich bei seiner Arbeit einen Knöchelbruch zugezogen und lag im Krankenhaus, als am 7. Mai der "Aussiedlungsbefehl" kam. Seine Frau Hilde bat daraufhin per Brief die "Aussiedlungskommission" des Ältesten der Juden im Getto, den Befehl für ihren Mann, der "nicht transportfähig" sei, und sie selbst aufzuheben. Die Kommission gab ihrer Bitte statt. Max Chassel lebte trotzdem nur noch einen Monat. Er starb am 12. Juni 1942 im Getto.

Für September 1942 war erneut eine "Aussiedlung" geplant. Da jedoch inzwischen Material der in Chelmno Ermordeten (Schuhe, Kleidungsstücke) zur Weiterverarbeitung im Getto "Litzmannstadt" (Lodz) eingetroffen war, weigerte sich die jüdische Gettoverwaltung nun, das Auswahlverfahren durchzuführen. Daraufhin nahm die Gestapo selbst die Selektion vor. Dabei wurden überwiegend Kinder sowie alte, kranke und schwache Erwachsene abtransportiert. Zu dieser Gruppe gehörte die 48-jährige Hilde Chassel, die für die Gestapo offenbar als nicht mehr arbeitsfähig galt. Die Deportation nach Chelmno fand am 13. September 1942 statt, dort wurde sie sofort nach dem Eintreffen ermordet.

Henry, Irma und Betty Chassel sollten ebenfalls "ausgesiedelt" werden. Henry Chassel erreichte eine Rücknahme des Befehls für sich und seine Frau und seine Schwester, da er sich um das Judentum sehr verdient gemacht und darüber hinaus im Ersten Weltkrieg mit dem Ritterkreuz des Kaiser-Franz-Joseph-Ordens eine ranghohe Auszeichnung erhalten hatte. Den Antrag für seine und Max’ Schwester Betty lehnte die "Aussiedlungskommission" jedoch ab. Betty Chassel wurde am 15. Mai 1942 nach Chelmno deportiert und dort direkt nach ihrer Ankunft ermordet.

Irma Chassel starb am 30. Juni 1943 im Getto "Litzmannstadt" (Lodz) an einem "Herzschlag", Henry Chassel am 14. Juli 1943 an "Herzschwäche".

Auch Max Chassels Bruder Oscar kam in der Shoah um. Am 22. Juli 1942 begannen im Zuge der "Aktion Reinhardt", deren Ziel die Ermordung aller Jüdinnen und Juden des Generalgouvernements war, die Deportationen aus dem Warschauer Getto. Sie führten vor allem in das etwa 100 Kilometer entfernte Vernichtungslager Treblinka. Oscar Chassel gehörte zu einer verhältnismäßig kleinen Gruppe Jüdinnen und Juden, die aus dem Getto in das KZ Majdanek gebracht wurden. Seine Frau Meta berichtete später, sie hätte am 4. August 1942 zuletzt mit ihm gesprochen; zwei Tage später sei er deportiert worden. Sie hörte nie wieder etwas von ihm. Da sie allein in Warschau war, kehrte sie Mitte 1943 nach Deutschland zurück und lebte nach dem Krieg in Buchholz bei Hamburg.

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; 214-1 Gerichtsvollzieherwesen 200; StaH 241-1 II Gefängnisverwaltung II 297 Chassel, Hilde; StaH 314-15 Oberfinanzpräsident R 1939/776; StaH 332-5 Standesämter 8675 u. 44/1911; StaH 332-5 Standesämter: 899 u. 528/1925; 940 u. 363/1928; 749 u. 750/1916; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B VI, 1920, 2103; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B VI 2108; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B VI, 1920, 2118; StaH 522-1 Jüd. Gemeinden 390 Wählerliste 1930; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 6394; StaH 622-1/202 Waldemar Weidehaas, 7 Feldpost von Adolf Chassel 1915–1918; StaH 622-1/202 Waldemar Weidehaas, 8 Feldpost von Max Chassel 1915–1918; Archiwum Panstwowe w Lodzi, An-, Um- und Abmeldedokumente des Gettos Lodz ("Litzmannstadt") für Max, Hilda und Betty (Ester Beile) Chassel; USHMM, The Eldest of the Jews in the Lodz Ghetto, RG 15.083M: 0224-00000442; 301/437–438; 301/419–421; 301/437–438, 133–1334; 301/419–421; Hamburger Adressbücher; Christa Fladhammer, Hillel Chassel, in: Fladhammer, Grünwaldt, Stolpersteine in der Hamburger Isestraße, S. 190ff.; Meyer, Verfolgung und Ermordung, S. 29ff.; Walk, Sonderrecht, S. 36, 223, 231, 258, 265, 269; Bajohr, Arisierung, S. 351; Philipp Münch, Bürger in Uniform. Kriegserfahrungen von Hamburger Turnern 1914 bis 1918, Freiburg i. Br., 2009; Marius Hetzel, Die Anfechtung der Rassenmischehe in den Jahren 1933–1939. Die Entwicklung der Rechtsprechung im Dritten Reich: Anpassung und Selbstbehauptung der Gerichte, Tübingen, 1997, Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 20; Markus Roth, Andrea Löw, Das Warschauer Getto. Alltag und Widerstand im Angesicht der Vernichtung, München, 2013; Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge". Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, München, 2011; Barbara Schwindt, Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Funktionswandel im Kontext der "Endlösung", Würzburg, 2005, S. 134ff.; Andrea Löw, Das Warschauer Getto, online auf: www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ geheimsache-ghettofilm/141785/das-warschauer-ghetto (letzter Zugriff 20.10.2015); Kobenhavns Stadsarkiv, Station 7, Filmrolle 0005, Politiets Registerblad 483, Oscar Chassel, http://www.politietsregisterblade.dk/index.php?option=com_sfup&controller=politregisterblade&task=viewRegisterblad&id=2157894&searchname= (letzter Zugriff 15.8.2015); Bundesverwaltungsamt, Köln, Ausstellung "Menschenschicksale", http://bva.bund.de/DE/Themen/Staatsangehoerigkeit/AusstellungMenschenschicksale/ausstellungmenschenschicksale-node.html (letzter Zugriff 15.8.2015); www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedhöfe (letzter Zugriff 20.12.2013); Jüdisch-orthodoxer Friedhof Langenfelde, PDF-Download von: www.jüdischer-friedhof-altona.de/hhfriedhoefe.html (letzter Zugriff 20.12.2013); Jüdischer Friedhof Langenfelde, Grabregister, PDF, Download, jüdischer-friedhof-altona.de/img/Datenbanken/langenfelde_grabregister.pdf (letzter Zugriff 20.12.2013).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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