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Elsa Coutinho (geborene Neuberg) * 1886
Eichenstraße 54 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
HIER WOHNTE
ELSA COUTINHO
GEB. NEUBERG
JG. 1886
VERHAFTET 1940
GEFÄNGNIS HAMBURG
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
RIGA
Weitere Stolpersteine in Eichenstraße 54:
Käthe Greiffenhagen, Hans Greiffenhagen
Elsa Coutinho, geb. Neuberg, geb. am 9.12.1886 in Sarstedt bei Hannover, deportiert in das Außenlager Jungfernhof des Gettos Riga am 6.12.1941
Eichenstraße 54 (Eimsbüttel)
Elsa Neuberg stammte aus der im Raum Hannover-Hildesheim sehr bekannten jüdischen Kaufmannsfamilie Neuberg. Ihr Vater war Gustav Neuberg , geb. am 28.5.1855 in Sarstedt, gest. am 9.8.1917 in Hannover. Ihre Mutter, Rosa geb. Elsbach, wurde am 3.4.1866 in Paderborn geboren.
Elsas Vater war Inhaber der Firma Joseph Neuberg & Söhne, Manufakturenhandel in Hannover. Elsa besuchte zunächst die Volksschule ihres Heimatortes und später die höhere Töchterschule in Hannover.
Am 17. März 1908 heiratete sie den in Hamburg lebenden Carl Coutinho (geb. am 7.4.1880), der zusammen mit seinem Bruder Solms den väterlichen Betrieb "Coutinho & Meyer, Lithographische Anstalt und Steindruckerei" übernommen hatte. Carl stammte aus einer sephardisch-jüdischen Familie. Zunächst ging es dem Ehepaar wirtschaftlich recht gut. Am 6.1.1909 wurde als einziges Kind der Sohn Arno geboren. Er verbrachte in seiner Kindheit viel Zeit im Haus seines Großvaters in Hannover.
Elsas Ehemann Carl kehrte krank aus dem 1. Weltkrieg zurück. Er versuchte zwar, die Firma weiter zu führen, erlitt aber große geschäftliche Verluste, die ihn zur Aufnahme eines Teilhabers zwangen, mit dem sich die Zusammenarbeit allerdings bald als nicht möglich herausstellte. Auch der Versuch im Februar 1925, mit einem Darlehen einen neuen Geschäftszweig, die Massenanfertigung von Zigarrenkastendrucken, aufzubauen, scheiterte und die Coutinhos verloren ihr gesamtes Vermögen.
Die Familie war auf die Unterstützung durch die Wohlfahrt angewiesen und wurde deshalb auch von dieser regelmäßig aufgesucht. So heißt es in einem Bericht der Fürsorgerin: "Herr C. liegt seit ca. 12 Wochen wieder im Bette. Vor kurzem wurde eine Röntgenaufnahme gemacht, da der Verdacht auf Tbc besteht. Außerdem herrscht dort die größte Not, haben doch die Eheleute mit ihrem Sohne nur die 18 M, die von der Wohlfahrtsstelle gezahlt werden. Ich möchte das Amt bitten, ab 21. Sept. 1925 eine Unterstützung von wöchentlich 25 M zu zahlen. Zahlt doch die Wohlfahrt weder Miete noch Licht. Dies wird von den Leuten durch Abvermieten herausgeholt. In Anbetracht der traurigen Lage bitte ich um schnellstmögliche Erledigung meines Antrags." Eintragungen dieser Art ziehen sich bis Ende der 1930er-Jahre durch die Akte.
Carl Coutinho starb am 14.10.1925 im Alter von 45 Jahren an Tbc. Die Beerdigungskosten übernahm die Wohlfahrt ebenso wie das Schulgeld für Arno, das dieser zeitweiseauch durch Nachhilfeunterricht mitfinanzierte. Elsa versuchte nach dem Tod ihres Mannes die Firma weiter zu führen, musste aber 1927 Konkurs anmelden.
Die 6-Zimmer-Wohnung in der Eichenstraße 52 konnte sie zunächst durch Untervermietung mehrerer Zimmer halten. Sie sorgte auch für die Sauberkeit dieser Zimmer. Um Geld zu sparen, wechselte sie mit Arno von 1929 bis 1935 in die Emilienstraße 1. Die neue Wohnung war kleiner, es musste aber auch untervermietet werden. Zeitweise lebte Elsas verwitwete Mutter aus Hannover dort.
Sowohl Elsas wie auch Arnos Gesundheitszustand waren schlecht. Elsa litt unter Mattigkeit und Schwindelgefühlen, später auch an Gelenkrheuma und einer Versteifung des linken Arms. Bei Arno wurden Lungen- und Rückenprobleme festgestellt. Wegen der Lunge wurden immer wieder Sonderrationen Milch für ihn genehmigt. Insbesondere wegen Elsas Rheumakrankheit zog die Familie 1936 in die Eichenstraße 54. In diesem Haus gab es eine zu dieser Zeit seltene Zentralheizung, während sich die Heizsituation in der Emilienstraße als sehr ungünstig erwiesen hatte.
Auch in der neuen Wohnung lebte Elsas Mutter bei der Tochter und wurde durch den Sohn Wilhelm, Elsas Bruder, finanziell unterstützt, solange es ihm möglich war, denn auch er kämpfte um sein ökonomisches Überleben. Elsas Sohn Arno verließ Deutschland im Dezember 1936.
Arno, ein sehr begabter Schüler, hatte an der Heinrich Herz Oberrealschule 1927 sein Abitur abgelegt und dann studiert, was durch Stipendien ermöglicht wurde. In Hamburg und Gießen schrieb er sich von 1927 bis 1932 in den Fächern Psychologie, Philosophie, Geschichte, Sozialwissenschaften und Zeitungskunde ein. Sein Berufsziel war Journalist. Mit seiner Dissertation zum Thema "Struktur und Schicht. Ein Beitrag zur Kritik des Darwinismus in der modernen Psychologie" wurde er zum Dr. phil. promoviert. Er eignete sich auch Kenntnisse in der Buchhaltung an und versuchte damit Geld zu verdienen. Als er keine Beschäftigung mehr fand, widmete er sich der wissenschaftlichen Arbeit und begann diverse Artikel in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Er war auch u.a. bei der Rosenzweigstiftung als Lektor und bei der jüdischen Berufsberatung tätig. Da er als jüdischer Wissenschaftler im nationalsozialistischen Deutschland keine Zukunft sah, emigrierte er am 12. Dezember 1936 mit 27 Jahren nach New York, wo er zunächst bei seinem Onkel Wilhelm Neuberg wohnen konnte.
Belegt ist in Wiedergutmachungsakten, dass Arno von den USA aus seine Mutter Elsa aus seinem vom Großvater geerbten Vermögen unterstützen konnte. So erhielt diese Zahlungen in Höhe von 35 RM als Unterhaltsrente aus Arnos Vermögen.
1940 führte die 1. Kammer des Hanseatischen Sondergerichts einen Prozess gegen Elsa Coutinho, nachdem sie sich in einem Brotladen "staatsfeindlich" geäußert hatte und denunziert worden war. In der Anklageschrift hieß es: " Die Coutinho wird angeklagt, Ende September 1939 nicht öffentlich hetzerische und gehässige Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates und die von ihnen im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen getroffenen Maßnahmen gemacht zu haben, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben und von denen sie annehmen musste, dass sie in die Öffentlichkeit dringen würden."
Der Prozess endete mit einem Urteilsspruch am 25. Mai 1940: Die Witwe Elsa Coutinho wurde wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetzes § 2 Abs. II vom 20. Dezember 1934 zu einer vierwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt. In der Prozessakte wurde festgehalten, dass sie sich gegenüber einer Zeugin im Gespräch in einem Brotladen negativ über die Ereignisse in Polen, die Aussichten auf einen baldigen Frieden und über die Sinnlosigkeit des Krieges geäußert habe. Sie habe bezweifelt, was in den Zeitungen stünde, dies sei nicht wahr, die Juden seien nicht am Krieg schuld, sondern meist tüchtige Leute und würden sich von unten heraufarbeiten. Die Deutschen würden in Amerika so behandelt, wie man es hier mit den Juden gemacht habe. Bei der Ausreise hätte man diesen ja nicht einmal eine Uhr gelassen. Die Vollstreckung des Urteils wurde aufgrund eines Gnadengesuchs, das der jüdische Anwalt ("Konsulent") Manfred Zadik am 21. Mai 1940 einreichte, zunächst bis zum 31. Juli 1943 zur Bewährung ausgesetzt. Im September 1945 wurde dann die Strafe behördlich offiziell erlassen, zu einem Zeitpunkt, als Elsa längst dem Holocaust zum Opfer gefallen war.
Elsa Coutinho wohnte noch bis Mai 1941 in der Eichenstraße 54, wo der Stolperstein an sie erinnert. Offensichtlich musste sie dann in schneller Folge umziehen: Zwei Wochen lebte sie bei einem Dr. Brandenstein in der Oderfelderstraße 15, ab 15. Mai 1941 dann bei ihrer Verwandten Laura Coutinho in der Lenhartzstraße 13. Dort erhielt sie den Deportationsbefehl für den Transport am 6. Dezember 1941, der nach Riga führen sollte, für die Hamburger Deportierten jedoch im dortigen Außenlager Jungfernhof endete.
Hier verlieren sich ihre Spuren. Es ist nicht bekannt, wo und wann genau sie ums Leben kam, in Jungfernhof oder bei einem Arbeitskommando, ob sie an Hunger oder Krankheit starb oder bei den Erschießungen der "Aktion Dünamünde" ermordet wurde.
Elsa Coutinhos Mutter Rosa Neuberg war noch eine kurze Frist vergönnt: Sie war nach Hannover zurück gekehrt. Dort musste sie in der ehemaligen Hachscharahstätte Ahlem leben, deren Anlagen inzwischen als Sammelort für Jüdinnen und Juden genutzt wurde. Sie erhielt dort den Deportationsbefehl für den 23. Juli 1942 nach Theresienstadt, wohin auch ihr Schwager Robert Neuberg deportiert wurde. Dort starb sie am 3.11.1942 an Enteritis (Darmkatharr), wie die jüdischen Ärzte feststellten.
Wie erging es Arno Coutinho in den USA?
Aus Dokumenten des "Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars" geht hervor, dass er sich sehr um eine Tätigkeit im akademischen Bereich bemühte. Sein Professor Dr. Justus Hashagen von der Universität Hamburg hatte ihm 1936 noch ein Empfehlungsschreiben ausgestellt, in dem es hieß: "Wer einem so vielversprechenden Geist wie Coutinho eine materielle Unterstützung zuwendet, erwirbt sich um die Förderung der internationalen wissenschaftlichen Wahrheitsforschung ein bleibendes Verdienst, wenn er C. den Aufstieg zum akademischen Lehrer ermöglicht. Ich halte ihn in der Beziehung für vollkommen geeignet."
1938 erlitt Arno einen Nervenzusammenbruch und musste sich monatelang in einem Sanatorium aufhalten. Bis 1940 bezeugen weitere, beim Emergency Committee hinterlegte Dokumente seine Bemühungen um eine akademische Anstellung. Danach verlieren sich seine Spuren in den USA. Im Oktober 1987 verstarb Arno Coutinho in Suffolk, New York. Sein Vermögen von 7272 RM sowie Wertpapiere war bereits 1944 zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden.
© Ursula Mühler
Quellen: Auskünfte zu Familie Neuberg von Bettina Bartosch, Historikerin beim Landkreis Hildesheim vom 16.4.2018; Quellendokumentation der Familie Neuberg, Hildesheim 1997; div. Hamburger Adressbücher; StaH 522-1, 992b, Kultussteuerkarten der jüdischen Gemeinde in Hamburg; StaH Fürsorgeakte 351-14_1071; StaH Strafprozessakte 213-11_60096; StaH Nachlass Arno Coutinho 232-5_274; StaH Wiedergutmachung Vermögen Arno Coutinho 213-13-11797 und 363-2-Ea13, Manuskripte des Emergency Committee in Aid of Foreign Scholars von Januar 1938 bis Mai 1940, Bundesarchiv Gedenkbuch; https://www.holocaust.cz/de/datenbank-der-digitalisierten-dokumenten/dokument/90191-neuberg-rosalie-todesfallanzeige-ghetto-theresienstadt/.