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Rosalie Arendt * 1867

Geffckenstraße 23 (Hamburg-Nord, Eppendorf)

1942 Theresienstadt
10. März 1945 verstorben an Haftfolgen

Rosalie Arendt, geb. Kuznitzki, geb. 30.3.1869, am 19.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, verstorben in der Schweiz im Jahre 1945

Geffckenstraße 2

Rosalie Kuznitzki, die Rosa genannt wurde, kam aus der Stadt Nicolai, heute Mikolow, in Oberschlesien. Sie war verheiratet mit Siegfried (Simon) Arendt, geboren am 24. Dezember 1871. Wir wissen nicht, wann die beiden heirateten, aber 1900 wurde ihre Tochter Edith, 1902 der Sohn Edgar geboren. Zu der Zeit wohnte die Familie noch in der Heinrich-Barth-Straße.

Im August 1915 traten die Arendts in die Jüdische Gemeinde in Hamburg ein.

Damals besaßen sie schon ein Modegeschäft am Neuen Wall 35. An der stetig steigenden Höhe der Abgaben, die in der Kultussteuerkartei verzeichnet sind, kann man erkennen, dass sie es aus bescheidenen Verhältnissen zu einem beträchtlichen Vermögen brachten. Außer dem Geschäft am Neuen Wall erwarben sie später das Haus Geffckenstraße 23 als Wohnsitz. Gemeinsam steckten sie ihre ganze Kraft in den Aufbau des Modehauses. Ihr Enkel Frank erinnert sich an seine Großmutter als eine strenge, disziplinierte Frau, die das Modehaus gemeinsam mit ihrem Mann mit fester Hand und nie ermüdendem Einsatz führte. Darauf beruhte der Erfolg. Die Beschäftigten respektierten die energische, klein gewachsene Chefin, auch wenn sie sie nicht immer gerade gern hatten ("loved" im Original). Großvater Simon war verantwortlich für das Auftreten nach außen, die Werbung und für die Zusammenarbeit mit den Modedesignern der Haute Couture. Er reiste per Flugzeug oder per Bahn nach Paris, um sich über neueste Mode zu informieren und Aufträge zu erteilen, während seine Frau in Hamburg das Geschäft am Laufen hielt.

1938 mussten Rosalie und Siegfried Arendt im Rahmen der "Arisierung" das Geschäft verkaufen, aus dem Modehaus Arendt wurde "Horn", das erst viele Jahre nach dem Krieg an die Firma Unger überging.

Auch zu Hause bei den Großeltern ging es streng zu. Häufig kamen Kinder und Enkel am Sonntag zum Essen in das Haus in der Geffckenstraße, kein weiter Weg von der Hagedornstraße, später vom Rehagen (heute Gustav-Leo-Straße), wo sie wohnten. Das Mahl wurde im prächtigen Speisezimmer serviert, in dem kostbare Bilder an vergoldeten Schnüren von der Zierleiste unter der Decke herabhingen. Großmutter Rosa bestand darauf, dass die beiden Enkelsöhne sie mit einem formvollendeten "Diener" begrüßten. Um ihnen gute Manieren beizubringen, lernten sie auch, der Großmutter die Hand zu küssen.

Am Nachmittag mussten sie im Musikzimmer still der Musik zuhören, die von einem altmodischen "Phonographen" abgespielt wurde, meistens Beethoven und Brahms.

Aber die Jungen durften auch hinaus in den Garten mit den weißen Kieswegen, die von Buchsbaumhecken gesäumt waren. Rosa und "Grandfather Opi" hatten einen großen Obst­garten mit Apfel- und Birnbäumen, und sie hatten Johannis- und Stachelbeersträucher. "Uns Jungen war es verboten, irgendwelche Früchte zu pflücken und zu naschen. Uns wurde gesagt, sie seien noch nicht reif und wir würden uns den Magen verderben." Enkel Frank weiß noch, dass sie nach oben in die Bibliothek ihres Großvaters gehen und in seiner großen Sammlung des "Simplicissimus" blättern durften.

Als wir ihm ein aktuelles Foto vom Haus in der Geffckenstraße schickten, brachte es noch mehr Kindheitserinnerungen zurück, diesmal an die steile Garageneinfahrt. "Das ist wo Opi den Mercedes stehen hatte, den sein Chauffeur Probst fuhr. Wir Jungen nannten ihn ‚Probi‘. Das Erkerfenster gehörte zum Gästezimmer. Ich möchte wissen, ob die heutigen Bewohner des Hauses seine Geschichte kennen."

Die Großmutter wollte, dass die Jungen gute Schüler waren und zu tüchtigen, ambitionierten und produktiven Bürgern heranwuchsen. "This was the way in which she loved us."

Der Ur-Enkelin Linda ist es wichtig zu erwähnen, dass ihre Urgroßeltern das musikalische Talent ihrer eigenen Großmutter, der Tochter Edith, erkannten und förderten. Sie wurde in den USA eine erfolgreiche Konzert-Pianistin und Klavierlehrerin.

Sohn Edgar Arendt ging schon 1933 nach Paris. Er heiratete dort und konnte 1942 noch mit "tausend Mühen" von seiner Schwester in die USA gerettet werden. Edith, die mit dem Augenarzt Gerhart Peltesohn verheiratet war, wanderte 1938 mit ihrem Mann und den beiden Söhnen in die USA aus.

So war es seit 1938 still im Haus in der Geffckenstraße – und das Geschäft am Neuen Wall, das das Leben von Rosalie und Siegfried Arendt bestimmt hatte, gab es auch nicht mehr.

Im Juni 1940 starb Siegfried Arendt. Wer mag Rosa Arendt in ihren letzten zwei Jahren in Hamburg in ihrer Einsamkeit begleitet haben? Der Schwiegervater ihrer Tochter, Nathan Peltesohn, lebte, bis er in ein "Judenhaus" umziehen musste, nicht weit entfernt in der Isestraße. Rosa Arendt war eine der wenigen Leidensgefährten, die bis zuletzt in ihrem eigenen Heim wohnen konnten. Vier Tage nach Nathan Peltesohn, am 19. Juli 1942, wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Während Nathan Peltesohn dort schon nach wenigen Wochen starb, zählte Rosalie Arendt zu den Überlebenden.

Sie war schon 73 Jahre alt, als sie nach Theresienstadt kam. Es spricht für ihre starke Persönlichkeit, dass sie in dem Elend dort zweieinhalb Jahre überlebte. Am 2. Februar 1945 war sie unter den 1200 Personen, die auf Betreiben des Internationalen Roten Kreuzes in die Schweiz ausreisen durften – sogar in richtigen, bequemen Eisenbahnwagen.

Sie war zwar gerettet, aber völlig entkräftet. Der Wunsch, zu erfahren, ob ihre Kinder in den Vereinigten Staaten gut aufgehoben waren und ihren Weg gefunden hatten, hielt sie aufrecht.

Sie kam in das Auffanglager Les Avants. Dort schrieb sie gleich nach ihrer Ankunft mit bewundernswerter Kraft einen langen Bericht über ihre schwere Zeit in Theresienstadt, ihre Rettung und die Hoffnung, von ihrer Tochter zu hören. Von ihrem Sohn Edgar hatte sie schon Nachricht. "Seit dem 19. Juni(!) 1942 habe ich kein Zuhause mehr, kein Bett, keinen Tisch, keinen Stuhl und mein ganzer letzter Besitz ist geraubt, und ich stehe da und habe nichts als das, was ich auf dem Leibe trage. Wie gnädig war das Schicksal, dass mein lieber, feinfühliger Mann das nicht mit mir erfahren muss, aber wie schmerzhaft für mich, dass ich allein bin." Dieser Teil klingt, als seien es alte Aufzeichnungen, die sie gerettet hat. – Sie berichtet darin auch von einer schweren Krankheit im Mai/Juni 1943 oder 1944. Dann fährt sie fort: "Was ich in dieser Zeit durchgemacht habe, lässt sich nicht beschreiben: die Enttäuschungen, die Ängste, die Entbehrung und nicht zuletzt, der Hunger – keine friedliche Stunde, weder Tag noch Nacht. Ein gnädiges Schicksal hat mich hierher [in die Schweiz] geführt. Gott preise dieses Land! Ich muss mich langsam fassen, alles ist noch wie ein Traum …" Sichtlich geschwächt unterbrach sie ihre Niederschrift und griff am 22. Februar den Faden wieder auf: "… Wie wir hier empfangen wurden, ist ohnegleichen. In dem Augenblick, als wir dieses Land betraten, haben wir alle geweint über so viel Glück …"

Weniger als drei Wochen später, am 10. März 1945 starb Rosalie Arendt im Spital Montreux, wohl noch mit der tröstlichen Nachricht, dass es auch ihrer Tochter und den Enkeln gut ging, aber ohne die Kinder und Enkel noch einmal gesehen zu haben, und für diese war es eine Beruhigung, dass die Mutter in Frieden entschlafen konnte.

Auch für das Ehepaar Sara und Moritz Weis (s. dort) war das Haus in der Geffckenstraße die letzte Station in Hamburg auf dem Weg nach Theresienstadt. Alle Auswanderungsversuche waren gescheitert. Nach mehrfachen Umzügen wohnte das Ehepaar Weis als Untermieter bei Rosalie Arendt und wurde am selben Tag wie sie deportiert.

© Christa Fladhammer

Quellen: 1; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 e2 Band 5; E-Mail von Frank Pelteson und Linda Wehrli, geb. Pelteson am 9.5.2008; dgl. am 25.1.2009; privater Briefwechsel mit Edith Pelteson 1956 bis 1960; ITS/-ARCH /F-18-49 Ordner 25; Auskunft Peter Landé USHMM 17.11.2008; Adler, Theresienstadt, 1955; Englische Übersetzung des Berichts von Rosa Arendt im Februar 1945, Privatbesitz Linda Wehrli.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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