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Porträt Grete Detert Juli 1937
Grete Detert Juli 1937
© Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv

Grete Detert * 1930

Spaldingstraße 130–136 (Hamburg-Mitte, Hammerbrook)


HIER WOHNTE
GRETE DETERT
JG. 1930
EINGEWIESEN 1937
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 24.9.1943

Grete Detert, geb. 9.11.1930 in Hamburg, ermordet 24.9.1943 Eichberg

Spaldingstraße 130–136 (früher: Spaldingstraße 138)

Im Mai 1937 zeichnete Gerhard Kreyenberg, seit 1928 Arzt in den damaligen Alsterdorfer Anstalten und ab 1935 Beisitzer des Erbgesundheitsgerichts, einen Stammbaum des Kindes Grete Detert. Sie war sechs Jahre alt und am 16. März 1937 mit der Diagnose "Erethische Imbezillität (erhöhte Erregbarkeit bei geistiger Schwäche), Epilepsie" aufgenommen worden. Der Stammbaum mit seinen Angaben zu Krankheiten, Todesursachen, Schulbildung und Lebensführung der vorhergehenden Generationen sollte Aufschluss darüber geben, ob ihr Leiden ererbt sei. Die Erhebung der Vorgeschichte zeigte, dass sie ihre Erkrankung nicht ererbt haben konnte.
Grete Detert war das einzige Kind von Arthur Detert, geb. 17.4.1905 in Hamburg, und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. Nierath, geb. 8.2.1905 in dem Gutsdorf Sildemow in Mecklenburg-Schwerin bei Rostock. Elisabeth Nieraths Vater Wilhelm war Schäfer. Sie wuchs mit vier Geschwistern auf, den drei Schwestern Käthe, Grete, Anni und dem Bruder Willi, der ebenfalls Schäfer wurde. Elisabeth Nierath kam nach Hamburg und wohnte zur Zeit ihrer Eheschließung in der Mozartstraße 44 in Barmbek-Süd. Arthur Detert, von Beruf Chauffeur, lebte nach dem Tod seines Vaters allein mit seiner Mutter Antonie, geb. Wiepel, an derselben Adresse. Am 3. Mai 1929 heirateten die beiden in Hamburg.

Gretes Geburt am 9. November 1930 verlief ohne Komplikationen. Ihre Großmutter Emma Nierath und ihre Tante Grete, nach der sie benannt wurde, übernahmen die Patenschaft, als sie am 7. Dezember 1930 in Barmbek-Uhlenhorst getauft wurde. Als Taufspruch gab Pastor Rode ihr Jesaja 60, Vers 1, mit auf den Lebensweg: "Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir."
Grete entwickelte sich als Säugling ohne Auffälligkeiten. Erste Symptome ihrer Krankheit traten im zweiten Lebensjahr auf und wurden von ihrer Mutter mit einer Impfung in Verbindung gebracht. Grete geriet in Erregungszustände, die von Schreikrämpfen begleitet waren, und entwickelte eine große motorische Unruhe. Dabei blieb sie im Wesen umgänglich und heiter. Sie zeigte Interesse an ihrer Umgebung, lernte zu sprechen, wenn auch mit undeutlicher Aussprache. Ihr Wortschatz blieb klein.
Als Grete noch nicht ganz fünf Jahre alt war, trennten sich die Eltern, und mit Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 26. Februar 1936 wurde die Ehe geschieden. Der Vater heiratete noch im selben Jahr ein zweites Mal, doch starb seine Ehefrau kurz darauf. Als der schuldlose Teil erhielt die Mutter Elisabeth Detert das Sorgerecht. Sie zog mit ihrer Tochter in die Spaldingstraße 138 in St. Georg. Da Arthur Detert nicht in der Lage war, Unterhalt für seine geschiedene Frau zu zahlen, beantragte sie im April 1936 Fürsorgeunterstützung. Das Amt prüfte die Ursache von Gretes geistiger Unterentwicklung und die Möglichkeit, sie in einem Tagesheim unterzubringen, damit die Mutter arbeiten gehen könne. Diese Lösung kam jedoch nicht infrage, da sich Grete in eine Gemeinschaft "normaler Kinder" nicht eingliedern konnte.

Elisabeth Detert wurde zur Untersuchung von Gretes Gesundheitszustand an die damaligen Alsterdorfer Anstalten verwiesen. Im Dezember 1936 empfahl Gerhard Kreyenberg eine Dauerunterbringung des Mädchens in seiner Anstalt. Die Kleinkinderfürsorge, die Gretes Entwicklung lange Zeit beobachtet hatte, unterstützte die Empfehlung mit dem Hinweis, dass die Mutter "stets einen guten Eindruck erweckt" habe. Sie müsse Grete ständig im Blick behalten, damit sie keinen Schaden anrichte, könne sie aber nicht mehr bändigen.
Am 13. März 1937 wurde das viereinhalbjährige Mädchen in "Alsterdorf" aufgenommen. Damit war die Mutter frei für eine Berufstätigkeit. Bekannte vermittelten ihr eine Stellung als Haushälterin bei dem Töpfer Walter Meyer in der Horner Landstraße 300, wo sie ein halbes Zimmer bezog. Sie führte den Haushalt zur Zufriedenheit des Jugend- und Wohlfahrtsamtes und kümmerte sich insbesondere um die Kinder, von denen zwei der Lungenfürsorge unterstellt werden sollten. "Die Kinder sagen Mutti zu Frau D. und versuchen sie in naiver Weise zu überreden, Herrn M. zu heiraten", schrieb die Fürsorgerin im April 1937. Das geschah dann auch Anfang 1938, und Gretes Mutter zog mit ihrer neuen Familie in die Steubensiedlung in Hamburg-Horn.

Bei der Aufnahmeuntersuchung am 16. März 1937 zeigte Grete weder Angst noch Abwehr, war zum Spaßmachen aufgelegt, reagierte jedoch weder auf Anruf noch Ermahnungen. Sie wollte immer nur laufen. In der neuen Situation wurde sie so unruhig und unbändig, dass sie im Bett angegurtet wurde. Dennoch warf sie das Bettzeug hinaus. Sie ließ sich füttern, sprach jedoch nicht und hörte auch nicht auf ihren Namen. Ob je ihr Gehör geprüft wurde, geht aus den Akten nicht hervor.
Nach zwei Tagen wurde sie umgänglicher, weinte viel und war zwischendurch immer wieder vergnügt. Sie schaffte ihre Körperpflege mit geringer Hilfe allein und wurde sehr anhänglich an die Pflegepersonen. Wenn sie auf den Arm genommen werden wollte, machte sie sich durch Schreien verständlich. Sie lief von Zimmer zu Zimmer, ohne jedoch Anteil an ihrer Umgebung zu nehmen.
Nach der Eingewöhnungszeit von zwei Wochen, in der sie anfallsfrei geblieben war, wurde sie auf die Mädchenstation eingewiesen. Sie beobachtete die neue Umgebung, sprach mehr als zuvor, schrie aber immer noch viel, zerriss Zeug und nässte ein. Drei Monate nach ihrer Aufnahme erlitt sie erneut einen epileptischen Anfall, Ende Januar 1938 galt sie als vollkommen pflegebedürftig. Der frühere Zustand größerer Selbstständigkeit stellte sich wieder ein, jedoch traten nun eine Reihe von Infektionserkrankungen auf, was jedes Mal eine Verlegung auf die Krankenstation bedeutete. Eine schwere Grippeerkrankung Anfang 1939 ging in eine Lungenentzündung über.
Im März 1940 hieß es zusammenfassend zur Begründung der Notwendigkeit weiterer Anstaltspflege, Grete sei ein "Krämpfekind", starke Bettnässerin, brauche völlige Körperpflege, müsse auch gefüttert werden. Sie spiele niedlich allein, müsse aber des öfteren eine "Schutzjacke" tragen da sie andere Kinder gern an den Haaren reiße. Durch die "Schutzjacke", im Volksmund "Zwangsjacke" genannt, wurden ihre Arme fest an den Körper gebunden,

In der ersten Jahreshälfte machte sie erneut Infektionskrankheiten durch, dieses Mal eine Durchfallerkrankung und Masern, nach deren Abklingen sie jedoch weiter fieberte. Anfang 1941, sie war nun zehn Jahre alt, mehrten sich die Krampfanfälle, die mit niedrig dosiertem Luminal gedämpft wurden.
Am 9. Oktober 1941 bat die Anstaltsleitung die Mutter schriftlich, Grete "noch einen Besuch machen zu wollen", da sie ernstlich erkrankt sei. Grete litt an Diphtherie mit schweren Begleiterscheinungen, die chirurgische Eingriffe nötig gemacht hatten. Auch diese lebensbedrohliche Situation überlebte Grete. An ihrer Grunderkrankung änderte sich nichts.

Als pflegebedüftiges Kind mit einer schlechten Prognose wurde sie am 7. August 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau verlegt, die zum Ring der Anstalten gehört hatte, die der Tötungsanstalt Hadamar in der ersten Phase der Euthanasie zugearbeitet hatten. Dort war auch eine sogenannte Kinderfachabteilung des "Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" eingerichtet worden. Im Sommer 1943 war die Anstalt völlig überbelegt. Um Platz zu schaffen, wurden Kranke auf unterschiedliche, keinem geregelten Verfahren unterworfene Weise getötet. Kinder wurden ermordet, ohne dass das vorgeschriebene Reichsausschuss-Verfahren angewandt wurde.
Die schweren Zerstörungen Hamburgs durch Luftangriffe der Alliierten betrafen die "Alsterdorfer Anstalten" in doppelter Weise: Teile der Anstalt wurden zerstört bzw. beschädigt, gleichzeitig mussten Verschüttete, Verletzte und Obdachlose versorgt werden. In dieser Situation beantragte der Anstaltsleiter, Pastor Friedrich Lensch, bei der Gesundheitsbehörde Hamburg die Genehmigung für die Verlegung von mehr als 700 Patienten und Patientinnen in "luftsichere Regionen". Einmal eingeleitet, wurden diese Verlegungen binnen kurzer Zeit mit Hilfe des Transportunternehmens der Euthanasiemaßnahmen in Berlin abgewickelt. Grete Detert war eines von 28 Kindern, die zusammen mit weiteren Anstaltspatienten als Erste die damaligen Alsterdorfer Anstalten verlassen mussten. Der Transport verlief chaotisch und verzögerte sich in Hattenheim, weil einzelne Patienten aus dem Zug flüchteten und zurück gebracht werden mussten. Währenddessen harrten etliche der Kinder in ihren "Schutzjacken" aus, vermutlich auch die bewegungsfreudige Grete Detert.
Die Verhältnisse in der völlig überbelegten Anstalt Eichberg standen einer langen Verweildauer und der menschenwürdigen Behandlung der Kranken entgegen. Wie Grete Detert die ihr verbliebenen sieben Lebenswochen verbrachte, ist nicht bekannt. Am 24. September 1943 starb sie angeblich an "Herzschwäche bei Siechtum und Idiotie". Tatsächlich wurde sie unter der Verantwortung von Walter Schmidt, dem leitenden Arzt, ermordet. Sie wurde zwölf Jahre alt.

© Hildegard Thevs

Quellen: Hamburger Adressbücher; Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 37; StaH 332-5, 13043+246/1929; Wunder, Michael, Ingrid Genkel, Harald Jenner: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr, Hamburg, 2. Aufl. 1988; ttp://www.gemeinde.papendorf.de, Zugriff 16.2.2013.

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