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Erna Behr (geborene de Vries) * 1891

Schäferkampsallee 61 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
ERNA BEHR
GEB. DE VRIES
JG. 1891
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Schäferkampsallee 61:
Louis Behr, Susanne Behr

Erna Behr, geb. de Vries, geb. am 28.11.1891 in Leer, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Louis Behr, geb. am 16.10.1881 in Celle, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Susanne Behr, geb. am 19.12.1922 in Berlin, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Rika Elfriede de Vries, geb. Rosenberg, geb. am 7.6.1868 in Neuenkirchen/Westf., deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 4.3.1943
Aron de Vries, geb. am 22.8.1860 in Leer, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 16.10.1942

Schäferkampsallee 61

Louis Behr war aus Celle gebürtig. Seine Eltern hießen Meyer (Meier) Behr (geb. 1858 in Vilsen in der Grafschaft Hoya) und Rieka (Friederike) Behr, geb. Marcus (geb. 1859 in Walsrode), und betrieben in Celle ein Schuhgeschäft. Behrs wohnten zum Zeitpunkt von Louis‘ Geburt in Celle in der Mauernstraße 43, wo ein weiterer Stolperstein für ihn liegt. Er hatte drei jüngere Schwestern: die noch in Celle geborenen Erna (geb. 1883) und Martha (geb. 1888) und die in Hamburg geborene Margarethe (geb. 1893). Erna, verheiratete Pohl, lebte später in Berlin und wurde von dort aus am 13. Juni 1942 ins Vernichtungslager Sobibor deportiert.

Louis besuchte die Volks- und Mittelschule und absolvierte dann bei seinem Vater eine kaufmännische Lehre. 1892 hatte der Vater Meyer Behr das Schuhgeschäft an einen Nachfolger übergeben und war im November nach Hamburg gezogen. Seine Lehre müsste Louis dann schon in Hamburg gemacht haben. Der Vater gründete im Februar 1897 die Firma Gebr. Behr, die Zweigniederlassungen in Wandsbek und Hemelingen, etwas später dann auch in Lehe (heute: Bremerhaven) und Cuxhaven betrieb.

Etwa 1919 eröffnete Louis Behr ein Schuhgeschäft in Berlin. 1925 kehrte er mit seiner Ehefrau Erna, die er vermutlich in Berlin geheiratet hatte, von Berlin nach Hamburg zurück. Beide Töchter wurden noch in Berlin geboren – Gerda im Juli 1920 und Susanne im Dezember 1922. Gerda erinnerte sich später, dass die Familie in Schöneberg in der Bozener Straße wohnte, und die Bozener Straße 5 ist auch dokumentiert in der Sterbeurkunde für Rieke Behr. Ihr Sohn Louis hatte den Tod angezeigt, als sie im Juni 1921 starb. Meyer Behr starb zwei Jahre später im August 1923.

Bis 1939 lebte Louis Behr mit seiner Familie dann in Hamburg in dem großen Mietshaus Schäferkampsallee 61 in einer Fünfeinhalbzimmerwohnung, bis er gezwungen wurde, dort auszuziehen. Behrs zogen in die dritte Etage des Hauses Eppendorfer Baum 10. Zu dieser Zeit wurden nach und nach alle Hamburger Jüdinnen und Juden gezwungen, auf engem Raum in Häusern zusammenzuleben, die in jüdischem Besitz waren. Behrs hatten in Eppendorf keine Wohnung für sich, sie mussten sie sich mit dem Ehepaar Bertha und Hermann Sonn teilen. Sonns wurden kurz nach den Behrs am 6. Dezember 1941 nach Riga deportiert.

Schon im November 1921 war ein Louis Behr als Gesellschafter in die Firma Gebr. Behr, die Meyer Behr 1897 gegründet hatte, eingetreten. Das könnte aber auch ein Namensvetter und Verwandter gewesen sein. Die Firma Gebr. Behr Schuhwaren befand sich damals im Großen Burstah 23, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine bedeutendere Einkaufsstraße war als heute.

Aus den Kultussteuerkarteikarten geht hervor, dass es den Namen Louis Behr in der Hamburger Jüdischen Gemeinde dreimal gab, wobei sämtliche Namensvettern im Schuhhandel tätig waren. Außer dem 1881 in Celle geborenen Louis Behr gab es einen Louis Behr, geb. am 29. Mai 1896 in Schwerin, Sohn des Bernhard Behr und seiner Ehefrau Frieda, geb. Kramer, sowie Louis Behr, geb. am 28. Dezember 1877 in Lüneburg, verheiratet mit Frieda Behr, geb. Lewisohn. Die beiden anderen Personen namens Louis konnten im Oktober 1938 bzw. Mai 1939 in die USA emigrieren. Im Sommer 1938 gab es eine "Sicherungsmaßnahme" gegen Louis Behr aus Lüneburg, und im Juni 1939 informierte das Finanzamt Bremen die Geheime Staatspolizei Hamburg über den Verkauf eines Bremer Grundstücks, das Louis Behr zusammen mit Erna Pohl, geb. Behr, aus Berlin, der Witwe Martha Meyer, geb. Behr, aus Hamburg und Margarete Levy, geb. Behr, in Johannesburg gehörte. Diese Miteigentümerinnen waren die Schwestern des Louis Behr aus Celle. Es wäre denkbar, dass die Namensgleichheit auch bei den Behörden zu einer Verwechslung geführt hatte, denn es erscheint schlüssiger, dass die vier Kinder des Meyer Behr gemeinsam ein Grundstück in Bremen besaßen als dass die drei Töchter zusammen mit Louis Behr aus Lüneburg (geb. 1877) und dessen Frau Friede, geb. Lewisohn, Eigentümer waren. Übrigens hatte Louis Behr aus Lüneburg vermutlich eine Schwester namens Minna (geb. 1885), die dreimal verheiratet war und deren Männer ebenfalls alle im Schuhhandel tätig waren. Für Minna Gottschalk, geb. Behr, liegt ein Stolperstein in der Grindelallee 6.

In Hamburg scheint also eine regelrechte "Schuhhändlerdynastie" Behr existiert zu haben. Es ist aber schwierig herauszufinden, ob alle Familien miteinander verwandt waren.

In der Düsternstraße 22/26 befand sich z. B. laut Adressbuch 1920 das Einkaufshaus für Schuhwaren von N. Behr, das dann 1923 in Eimsbüttel am Schulterblatt 128 eingetragen war. Neben dem Grab von Meyer Behr und Rieke (Friederike) Behr auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel steht ein großes Grabmal mit den Namen Nathan Behr (1854–1923) und Auguste Behr, geb. Marcus (1854–1932). Nathan und Meyer Behr waren vermutlich Brüder und hatten vielleicht zwei Schwestern geheiratet. Nathan Behr wohnte in der Isestraße 7. Alfred und Friedrich Behr wiederum waren in der Firma Bebe Schuhe tätig. Laut Adressbuch befand sich die Firma Bebe Schuhe 1937 im Valentinskamp 90, und diese Adresse taucht auch auf der Kultussteuerkarteikarte von Louis Behr auf. Friedrich Behr wohnte übrigens in der Isestraße 6 I. Als Untermieterin oder Haushaltshilfe wohnte bei ihm eine Zeit lang Bertha Abrahams (s. Biographie Familie Beit). Alfred und Friedrich Behr waren Söhne von Bernhard Behr (geb. 1871 in Osterholz-Scharmbeck). Auch Bernhard könnte ein Bruder von Meyer Behr gewesen sein. Er lebte in der Haynstraße 11, vorher Eppendorfer Baum 10 und Beim Andreasbrunnen 3. Dann gab es noch Philipp Behr (geb. 1850), der mit Jeanette, geb. Marcus, verheiratet war und vier Kinder hatte, und schließlich Max Behr (1861–1931) mit seiner Ehefrau Friederike. Dieser wohnte in der Brahmsallee 23 und hatte eine Schuhgroßhandlung in der Kaiser-Wilhelm-Straße und später am Hopfenmarkt.

Wohl schon Anfang der 1930er Jahre musste Louis Behr nach Aussagen der Tochter Gerda seinen Laden aufgeben und arbeitete als Handelsvertreter für Papier- und Süßwaren. Erloschen ist die Firma Gebr. Behr laut Handelsregister erst im März 1939. Seine Tochter berichtete später, Kunden hätten ihrem Vater gesagt, sie würden gerne bei ihm kaufen, hätten aber Angst.

Louis’ Ehefrau Erna war eine geborene de Vries und stammte aus Leer in Ostfriesland. Ihre Eltern waren Aron de Vries und Rika (Recha) Elfriede de Vries, geb. Rosenberg. Der Vater wurde 1860 in Leer geboren und die Mutter 1868 in Neuenkirchen in Westfalen. Aron und Rika bekamen vier Töchter und einen Sohn. Gemeinsam mit seinen Brüdern Moses und Israel betrieb Aron de Vries in Leer einen Viehhandel. 1898 gründeten sie in Bochum eine Zweigniederlassung, und Aron de Vries zog 1908 nach Bochum, um dort die Niederlassung als Alleininhaber zu übernehmen. Aus der Firma in Leer schied er aus. Zehn Jahre später, 1918, verließ er Bochum und ging als Viehhändler nach Insterburg in Ostpreußen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde ihm 1934 aus "rassischen Gründen" die Handelsgenehmigung entzogen. Ab Mitte 1936 lebten Aron und seine Ehefrau Recha Elfriede dann mittellos in Hamburg, von wo sie im Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Im Adressbuch 1939 war als Adresse die Grindelallee 178 angegeben. Deportiert wurden sie von der Adresse Bundesstraße 35.

In der Datenbank von Yad Vashem existieren etliche Einträge zu Menschen mit dem Namen de Vries, die in den 1890er Jahren in Leer geboren wurden. Es ist also zu vermuten, dass Erna Behr Cousinen und Vettern hatte, die wie sie ermordet wurden. Ernas Bruder Hermann de Vries hat ebenso überlebt wie auch ihre Schwester Gertrud Rosenberg, geb. de Vries, die 1938 nach Palästina emigrierte.

Die Behrs waren liberale Juden und Mitglieder im Centralverein deutscher Bürger jüdischen Glaubens, wie sich die Tochter Gerda erinnerte, und sie gehörten zum liberalen Israelitischen Tempelverein mit dem Tempel in der Oberstraße.

Von der Tochter Susanne, die mit knapp 19 Jahren nach Minsk deportiert wurde, fanden sich fast keine Spuren. Die überlebende Schwester Gerda berichtete, dass sie selbst die reformpädagogisch ausgerichtete private Löwenberg-Schule besucht habe, die bis 1931 existierte, dann umgeschult wurde und in der NS-Zeit gezwungen wurde, in die Jüdische Schule in der Karolinenstraße zu gehen. Ihre Schwester Susanne besuchte für kurze Zeit die Volksschule Hohe Weide 12 in Eimsbüttel und ab Dezember 1930 die Jüdische Schule in der Karolinenstraße, aus der sie 1937 entlassen wurde. Übrigens ist ihr Geburtsdatum in den Schulakten mit 15. November 1923 angegeben. Die Eltern hatten ihre Töchter eigentlich nicht auf eine jüdische Schule schicken wollen, und die Mutter war empört, dass Gerda in der Karolinenstraße in Hebräisch, einer "toten Sprache", unterrichtet werden sollte. Sie ließ ihre Tochter vom Hebräisch-Unterricht befreien. Nach ihrer Schulzeit hatte Susanne nicht mehr die Möglichkeit, eine Ausbildung zu beginnen. Anfang 1940 besuchte sie wohl eine Schneiderschule, die von der Jüdischen Gemeinde betrieben wurde und sich in der Heimhuder Straße 60 be­fand. Dort schied sie zum 1. Juni 1941 aus und trat eine Anstellung an. Vermutlich musste sie in einer Fabrik arbeiten. Ihre Schwester Gerda Zamory, die 1997 in Israel verstarb, besaß noch einige schriftliche Nachrichten von ihr, die aber zensiert worden wa­ren und die Adressatin in Palästina nur bruchstückhaft erreichten.

Gerda hat als Einzige überlebt. Für sie war sehr früh klar gewesen, dass sie Deutschland verlassen wollte. Bei ihren Eltern fand sie für solche Pläne keine Unterstützung, aber sie setzte sich durch und ging im September 1938 über die Grenze nach Holland. Von dort ergab sich eine Möglichkeit, illegal nach Palästina zu gelangen. Die Schwester Susanne war zwei Jahre jünger. Vielleicht war sie zu jung, um eigene Pläne zu verwirklichen, vielleicht hatte sie sich auch die antizionistische Einstellung der Eltern zu eigen gemacht und wollte nicht emigrieren.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 2 (R1938/1201); 4; 5; 8; StaH 231-7 Handels- und Genossenschaftsregister A1 Band 42, HRA 10325; StaH 351-11 AfW, 20402; StaH 362-6/10 Talmud Tora Schule; StaH 741-4 Fotoarchiv, Sa 1247; StaH 332-5 Standesämter, 8112 und 195/1932; StaH 332-5, 8073 und 208/1923; StaH 332-5, 8064 und 349/1921; StaH 332-5, 2303 und 438/1893; HAB II 1915, 1919, 1920, 1926, 1937, 1939, 1940; Berliner Adressbuch 1925; Stadtarchiv Celle, Geburtsurkunde 443/1881; Meldekartei Celle; Stolpersteine in der Hamburger Isestraße, S. 168; Gesche-M. Cordes, Stolpersteine und Angehörige in Hamburg, S. 220; www.leer.de; www.dasjuedischehamburg.de; unveröffentlichtes Interview mit Gerda Zamory am 27.6.1993; Frank Bajohr, Arisierung, S. 348; Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel.

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