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Käthe Büttner * 1909
Heinskamp 14 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)
HIER WOHNTE
KÄTHE BÜTTNER
JG. 1909
EINGEWIESEN 1935
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 16.8.1943
‚HEILANSTALT‘
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 4.6.1944
Käthe Büttner, geb. 10.7.1909 in Hamburg, mehrmals aufgenommen in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg und am 29.3.1935 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), abtransportiert am 16.8.1943 nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"), dort gestorben am 4.6.1944
Heinskamp 14 (Barmbek-Süd)
Käthe Johanna Marie (Rufname Käthe) Büttner wurde am 10. Juli 1909 in Hamburg geboren. Ihre Eltern, Frieda Elise Caroline Büttner, geborene Schulz, geboren am 7. Juli 1875, und Friedrich Wilhelm Carl Heinrich Büttner, geboren am 11. Januar 1876, hatten am 11. April 1900 geheiratet. Der Vater war Kohlenhändler. Käthe war das vierte und jüngste Kind der Familie. Ihre älteren Geschwister hießen Ida, Adolf und Henry.
Über Käthe Büttners Kindheit und Jugend wissen wir nur, was ihre Mutter bei Käthes Aufnahme in der"Staatskrankenanstalt Friedrichsberg" 1930 berichtete: Käthe habe mit drei Jahren das Laufen und sehr spät das Sprechen gelernt. Mit acht Jahren war sie in die Hilfsschule Finkenau (heutige Bezeichnung: Schule für geistige Entwicklung) gekommen. Dort blieb sie bis zu ihrem 14. Lebensjahr und erreichte die vierte Klasse (Die erste Klasse war damals die höchste). Sie lernte, ihren Namen zu schreiben und Zahlen abzuschreiben. Sie sei gutmütig, gewissenhaft und immer leicht ängstlich gewesen. Käthe habe ihre Kindheit und Jugend mit ihren Eltern und Geschwistern zuhause verlebt.
Am 19. Oktober 1930 brachte die Mutter Käthe nach Friedrichsberg. Sie erklärte, ihre Tochter leide unter Verfolgungswahn, weine viel und sei unruhig. Sie sehe Gestalten, die sie verspotteten und zeige "abstoßendes Verhalten gegenüber ihren Angehörigen". Käthe Büttner wurde mit der Diagnose "Idiotie mit mongoloiden Zügen" aufgenommen. ("Idiotie" ist ein heute nicht mehr gebräuchlicher Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung, und Käthe Büttner hatte das Down-Syndrom oder Trisomie 21.)
Die junge Frau blieb ein halbes Jahr in Friedrichsberg und arbeitete dort in der Nähstube. In ihrer Krankenakte heißt es, sie sei phasenweise zutraulich und anschmiegsam gewesen, habe aber auch andere Kinder geschlagen und verwirrt geredet. Am 30. März 1931 wurde sie als "ungeheilt" entlassen.
Zwei Jahre später, am 18. März 1933 brachte Frieda Büttner ihre Tochter Käthe wieder nach Friedrichsberg. Die Mutter berichtete, dass es nach der Entlassung einigermaßen gut gegangen sei. Ab Herbst 1931 sei Käthe aber wieder unruhiger geworden, habe die Mutter gequält, wenig gegessen und viel über Sexualität gesprochen. Käthe Büttner wurde zum zweiten Mal aufgenommen. Am 13. Oktober 1933 wurde sie wieder "ungeheilt" entlassen, diesmal mit der Diagnose "angeborener Schwachsinn". Vor der Entlassung wurde Käthe dem Gesundheitsamt zur Sterilisation gemeldet.
Die Diagnose "angeborener Schwachsinn" entsprach einer Bestimmung im "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom Juli 1933, mit dem die Nationalsozialisten die Rechtsgrundlage zur zwangsweisen "Unfruchtbarmachung" vermeintlich "Erbkranker" und "Alkoholiker" geschaffen hatten. Nach diesem Gesetz konnte ein Mensch unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, "wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden."
Käthe Büttner wurde am 26. November 1934 zum dritten Mal in Friedrichsberg aufgenommen. Der Grund ist nicht überliefert. In der Krankenakte wird beschrieben, dass sie den ganzen Tag "stumpf auf einem Fleck sitzt" und "manchmal albern" sei.
Am 29. März 1935 wurde Käthe Büttner in die damaligen "Alsterdorfer Anstalten – Erziehungs- und Pflegeanstalten für Schwachsinnige und Epileptische" (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf) verlegt. Kurz vorher, am 17. März, verfasste die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg noch ein Gutachten für das Erbgesundheitsgericht, das offenbar zu dem Ergebnis kam, Käthe Büttner sei erbkrank und deshalb unfruchtbar zu machen.
Für Käthe Büttners Verlegung nach Alsterdorf findet sich in ihrer Patientenakte kein ausdrücklicher Grund. Nach den Krankengeschichten anderer Patientinnen dürften zwei Motive ausschlaggebend gewesen sein: Zum einen enthält der Auszug aus der Friedrichsberger Krankengeschichte keinerlei Therapiemaßnahmen, so dass sie als "austherapiert" gegolten haben dürfte. Zum anderen wurde die Anstalt Friedrichsberg 1935/36 aufgelöst und die Patientinnen und Patienten in andere Krankenhäuser verlegt.
Aus Käthe Büttners Alsterdorfer Krankenakte geht hervor, dass sie ihre Körperpflege selbstständig habe erledigen können, viele Selbstgespräche geführt und keinen Arbeitstrieb gehabt habe, sehr oft und gerne zur Toilette gegangen sei, sich oft auch am Tage ins Bett gelegt habe und den ganzen Tag habe beaufsichtigt werden müssen. Sie habe die anderen "Kinder" durch ihr vieles Sprechen gestört, bei Tisch sei sie sehr unmanierlich gewesen. (Als "Kinder" wurden damals alle Bewohner und Bewohnerinnen unabhänigig von ihrem Alter bezeichnet.) Sie habe sich am liebsten mit einem Bilderbuch beschäftigt, darin buchstabierend gelesen. Ansonsten sei sie freundlich und verträglich gewesen. Es hieß auch, dass Käthe der Meinung war, unsittlich angefasst und deshalb krank geworden zu sein.
Am 4. Juli 1935 wurde Käthe gemeinsam mit zwei weiteren Frauen aus den Alsterdorfer Anstalten ins Universitätskrankenhaus Eppendorf gebracht, dort sterilisiert und am 28. Juli als "geheilt" entlassen.
Käthe Büttners erster Aufenthalt in den Alsterdorfer Anstalten endete am 14. November 1935. Bis dahin wurde in der Krankenakte immer wieder von Selbst- und Zwiegesprächen unsittlichen Inhalts geschrieben. Sie habe "auch ihre Umgebung unsittlicher Handlungen" beschuldigt.
Vom 14. November 1935 bis zu ihrer Wiederaufnahme in Alsterdorf am 15. Mai 1939 lebte Käthe Büttner bei ihren Eltern. Ihre erneute Einweisung scheint sie als sehr beängstigend erlebt zu haben. Aus der Krankenakte wird deutlich, dass sie sich sträubte, schrie und tobte, als sie ausgezogen wurde und gebadet werden sollte. Auch in den nächsten Tagen soll sie sehr ängstlich gewesen sein. Sie hielt sich nach den Eintragungen in der Krankenakte immer mit einer Hand an der Bettkante fest, und stützte sich auch beim Gang zur Toilette ab. Sie musste an- und ausgekleidet werdenund benötigte in der Körperpflege Hilfe. Gegenüber dem ersten Aufenthalt in Alsterdorf zeigten Käthe Büttners Fähigkeiten insgesamt deutliche Rückschritte.
Für 1940 gibt es keinen Eintrag in der Krankenakte. 1941 wurde sie als "sehr träge" beschrieben, könne nicht arbeiten und müsse zu jeder Bewegung aufgefordert werden. Mittlerweile nässe und kote sie oft ein, meist nach der Besuchszeit.
Bei ihrer zweiten Aufnahme im Jahre 1939 hatte Käthe Büttner 54 kg gewogen. Sie nahm kontinuierlich ab, 1943 wog sie noch 45 kg. Es ist davon auszugehen, dass die Patientinnen bei weitem nicht genug zu essen bekamen.
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 aus Alsterdorf 228 Frauen und Mädchen sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") "verlegt". Unter ihnen befand sich auch Käthe Büttner.
Als Käthe Büttner am 17. August 1943 in Wien ankam, wurde ihr auch hier "Idiotie und angeborener Schwachsinn" attestiert. Bei der Aufnahme sei sie ruhig und pflegebedürftig gewesen, sie habe nicht gehen können. Ein paar Tage später wurde sie als "blöde, unbeholfen und teilnahmslos" beschrieben.
Käthe Büttners Gewicht war im Oktober auf 41 kg, im November auf 40 kg zurückgegangen. 1944 lag sie nur noch im Bett und war vollständig pflegebedürftig. Sie magerte bis zu einem Gewicht von 32 kg ab und starb am 4. Juni 1944, angeblich an Tuberkulose.
Aus dem Sektionsprotokoll (Obduktion) wird deutlich, dass ihr gesamter Körper untersucht und ihr Gehirn zur weiteren Untersuchung in ein Konservierungsmittel eingelegt wurde.
Seit 1943 wurden in der Wiener Anstalt von rund der Hälfte aller sezierten Leichen die Gehirne für histologische Untersuchungen entnommen und etliche in der hirnanatomischen Sammlung verwahrt. Noch bis 2002 befanden sich in der Wiener Anstalt 700 Gehirne, die bei Sektionen entnommen worden waren.
Die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" war während der "Aktion-T4" (Bezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, benannt nach dem Standort der Berliner "Euthanasie"-Zentrale in der Tiergartenstraße 4) eine Zwischenanstalt der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Nach dem offiziellen Ende der Euthanasie-Morde in den Tötungsanstalten im August 1941 ging das Morden in den bisherigen Zwischenanstalten, auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem aber durch Nahrungsentzug.
Bis Ende 1945 waren von den 300 Hamburger Mädchen und Frauen 257 verstorben, 196 davon kamen aus Alsterdorf.
Man kann davon ausgehen, dass auch Käthe Büttner keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern verhungert, vernachlässigt oder durch fehlende oder überdosierte Medikamente gestorben ist.
© Karin Gutjahr
Quellen: StaH 332-5 Standesämter 1868 Geburtsregister Nr. 185/1876 (Friedrich Wilhelm Carl Heinrich Büttner), 2952 Heiratsregister Nr. 114/1900 (Frieda Elise Caroline Schulz/Friedrich Wilhelm Carl Heinrich Büttner); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv Sonderakte V 372 (Käthe Büttner). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff. und S. 331 ff. Michael Wunder, Die Auflösung von Friedrichsberg – Hintergründe und Folgen, Hamburger Ärzteblatt Nr. 4/90. "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 RGBl. I, Seite 529.