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Szaja Neuwirth * 1885

Bremer Straße 3 (Harburg, Harburg)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Bremer Straße 3:
Berl Löwi

Szaja Neuwirth, geb. am 26.2.1885 in Zalesy, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk, Todesdatum unbekannt

Stadtteil Harburg-Altstadt, Bremer Straße 3

Szaja Neuwirth gehörte zu den jüdischen Geschäftsleuten, die in Harburg angesichts ihres bemerkenswerten wirtschaftlichen Erfolgs hohes gesellschaftliches Ansehen genossen. Er stammte aus Galizien, das bis zum Ende des Ersten Weltkriegs der österreich-ungarischen Kaiserkrone unterstand und danach polnisch wurde. Heute gehört dieser Landstrich zur Ukraine. Im Jahre 1915 eröffnete Szaja Neuwirth mitten im Ersten Weltkrieg ein Herrenbekleidungs- und Schuhwarengeschäft in der Bremer Straße 3, direkt neben dem großen Harburger Kaufhaus Horwitz & Co. Dort wohnte er auch mit seiner ebenfalls in Zalesy geborenen Frau Faiga (Fanny), geb. Wiesen, (geb. 1.5.1886), und ihren gemeinsamen Kindern Cilli (geb. 28.11.1911), Berta (geb. 23.3. 1913) und Isidor (geb. 3.6.1916). Nach ihrer Geburt in Hannover verbrachten sie den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend in Harburg. Die Mädchen Cilli und Berta besuchten in ihren späteren Schuljahren das Harburger Lyzeum am Soldatenfriedhof.

Der geschäftliche Erfolg ihres Vaters begann nach dem Ersten Weltkrieg. Aus dem kleinen Familienbetrieb wurde bald ein florierendes Geschäft mit fünf weiteren An­gestellten. Szaja Neuwirth konnte auch schnell das Grundstück und das Haus kaufen, das er zunächst gepachtet hatte. 1927 eröffnete er ein weiteres Geschäft in Neumünster, und sechs Jahre später erwarb er in Harburg in der Neuen Straße 21 ein drittes Grundstück mit einem Geschäft.

Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, wendete sich das Blatt für Szaja Neuwirth. Auch sein Name stand auf der "Schwarzen Liste" des Harbur­ger Magistrats, auf der alle jüdischen Geschäftsleute, Ärzte und Rechtsanwälte aufgeführt waren, mit denen die Stadt ab sofort nichts mehr zu tun haben wollte. Zwei Tage später musste er erleben, wie die örtliche NSDAP sich tatkräftig am reichsweiten Boykott beteiligte und auf großen Plakaten vor seinem Geschäft darauf hinwies, dass der Inhaber Jude war. Dennoch blieben Szaja Neuwirths Jahresumsätze vom öffentlichen Boykott und von der antijüdischen Haltung des Harburger Magistrats zunächst weitgehend unberührt.

Größer waren die Sorgen der Eltern um die Zukunft ihrer Kinder. Im Herbst 1938 ging Isidor Neuwirth als erster aus der Familie ins Exil nach England. Auch seine beiden Schwestern und seine Mutter verließen danach – z. T. Hals über Kopf – ihre Heimat.

Seinem Vater fiel es schwer fortzugehen. Er hoffte sicherlich, noch einen Teil seines mühsam erworbenen Vermögens retten zu können. Außerdem wusste er aus eigener bitterer Erfah­rung nach seinem Aufbruch aus Galizien in jungen Jahren, was es bedeutete, die Heimat bettelarm verlassen zu müssen, um in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Bereits im Februar 1938 hatte er das Geschäft in Neumünster aufgegeben. Nach der Verkündung der "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" am 12. November 1938 musste er nun auch seine beiden Harburger Geschäfte weit unter Wert an "arische" Käufer veräußern. Der Verkauf wurde unter der behördlichen Auflage genehmigt, dass der Erlös auf ein Konto einzuzahlen sei, über das Szaja Neuwirth nur mit Genehmigung des Hamburger Oberfinanzpräsidenten verfügen durfte. Von dem Betrag wurden zuvor noch die "Judenvermögensabgabe" in Höhe von 11000 RM, die als "Sühneleistung" für die Verwüstungen der Reichspogromnacht erhoben wurde, und ein Betrag in Höhe von 7363 RM als demnächst fällige Reichsfluchtsteuer anlässlich der beantragten Auswanderung nach Eng­land abgezogen.

Für die geplante Ausreise billigte der NS-Staat ihm nur den Betrag von 2000 RM von seinem Vermögen zu. In seiner Not bat er Alfred Gordon, den langjährigen Prediger der ehemaligen Harburger Synagogengemeinde, um ein Empfehlungsschreiben, von dem er sich bei seiner Einreise nach England Hilfe erhoffte. Alfred Gordon versicherte daraufhin den unbekannten Adressaten, dass er sich für Szaja Neuwirth verbürgen könne, und dass "die Familie stets ein gut jüdisches Haus geführt" habe und immer "außerordentlich wohltätig" gewesen sei. Arme und Bedürftige hätten im Hause der Familie immer Obdach und Verpflegung gefunden. Das Schreiben schließt mit den Worten: "Herr Neuwirth galt in unseren Kreisen als einer der frömmsten Mitglieder der Gemeinde, der ein großes Ansehen genoss. Auf ihrem Weg ins Ausland geleiten Herrn und Frau Neuwirth die besten Wünsche der Gemeinde. Wir bitten unsere Glaubensgenossen allerorts, ihnen jede mögliche Hilfe und Unterstützung, deren sie benötigen sollten, angedeihen zu lassen." Doch Szaja Neuwirths Plan, nach England auszuwandern, um wieder mit seiner Familie vereint zu sein, wurde durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zunichtegemacht.

Als er anschließend nicht mehr in Harburg bleiben konnte, fand er Unterkunft bei Zeigers in der Großen Prinzenstraße 35 in Hamburg-Altona. Angesichts der veränderten Lage versuchte er, von Wien aus über Rumänien nach Palästina auszuwandern. Die Abfahrt des Schiffes, das ihn von Sulina am Schwarzen Meer nach Palästina bringen sollte, war für Mittwoch, den 10. April 1940, vorgesehen. Wir wissen nicht, warum auch dieser zweite Ausreiseversuch scheiterte.

Aus der vorübergehenden Trennung von seiner Familie wurde eine endgültige, als Szaja Neuwirth am Samstag, dem 8. November 1941, von Hamburg nach Minsk deportiert wurde. Von dort kehrte er nicht zurück.

Nach den Bestimmungen der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 verlor ein Jude die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn er seinen Wohnsitz ins Ausland verlegte, was mit der "Aussiedlung" zwangsläufig verbunden war. So fiel auch Szaja Neuwirths restliches Vermögen dem Deutschen Reich zu.

© Klaus Möller

Quellen: 1; 2 (F 1862 Cilly Cerel Neuwirth, FVg 4829 Isidor Neuwirth, R 1938/3699 Szaja Neuwirth), 4; 5; 8; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; StaH 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 260285 Neuwirth, Szaja.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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