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Porträt Käti Schultze April 1938
Porträt Käti Schultze April 1938
© Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv

Margarethe Käti Schultze * 1921

Heinrich-Heine-Weg 33 (Bergedorf, Bergedorf)


HIER WOHNTE
MARGARETHE KÄTI
SCHULTZE
JG. 1921
EINGEWIESEN 1931
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 24.6.1944

Margarethe Käti Schultze, geb. 19.1.1921 in Bergedorf, 11.11.1931 Alsterdorfer Anstalten, 16.8.1943 Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien, Tod dort am 24.6.1944

Heinrich-Heine-Weg 33

Käti Schultze starb im Alter von 23 Jahren in der "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", wo sie die letzten zehn Monate ihres Lebens verbracht hatte. Weil Käti selbst nicht schreiben konnte, bemühten sich ihre besorgten Eltern, Kontakt mit der Anstaltsleitung zu halten, allerdings vergeblich. Richard Schultze, der als Versicherungsangestellter im schriftlichen Umgang mit Institutionen erfahren war, wandte sich deshalb im März 1944 an den Wiener Magistrat und erfuhr von ihm von der "bedenklichen Verschlimmerung" der Erkrankung seiner Tochter. Bis dahin hatte er nicht einmal gewusst, dass sie überhaupt erkrankt war. Er erbat von der Direktion der Anstalt Auskunft über Kätis Zustand, über den Verbleib zweier Pakete, für deren Bestätigung er frankierte Postkarten beigefügt hatte, und erkundigte sich nach Besuchsmöglichkeiten. Mitte April antwortete der ärztliche Direktor, dass Käti seit Mitte März an einer Bauchfellentzündung leide, die aber zunächst nicht entdeckt worden sei, weil sie über ihre Beschwerden nichts Eindeutiges geäußert habe. Danach sei es zu spät für einen operativen Eingriff gewesen. Inzwischen sei die Erkrankung abgegrenzt, mit einer vollkommenen Rückbildung sei aber nicht zu rechnen. Kätis Allgemeinzustand habe beträchtlich gelitten. Mit Bezug auf die Pakete schrieb er, dass seit Jahresbeginn keines eingegangen sei. Was einen Besuch angehe, könnten die Eltern selbstverständlich kommen. Die Anstalt biete zwar keine Unterkunftsmöglichkeiten, sei aber von der Stadtmitte in einer halben Stunde mit der Straßenbahn zu erreichen.
Die Anstaltsleitung hatte am 22. März 1944 für Käti den Meldebogen 1 der Euthanasie-Zentrale in Berlin ausgefüllt und darin als Diagnose "Imbezillität, Epilepsie" mit den Hauptsymptomen "antwortet stammelnd und grinsend, spricht ziemlich unverständlich und verwaschen, ungeordnet, Intelligenzfragen schlecht, desorientiert" angegeben. Damit bezog sie sich auch auf einen zehnminütigen Rorschach-Test, dem Käti Mitte Januar unterzogen worden war. Bei "körperlich unheilbares Leiden" gab sie "tuberöse Sklerose" an, eine Fehlbildung des Gehirns, die äußerlich an knötchenartigen Hautveränderungen erkennbar ist, bei "Art der Beschäftigung": "unbeschäftigt". Zusammen mit der Angabe, dass sie keinen Besuch erhalte, erleichterte das den Euthanasie-Gutachtern ihr Urteil über Leben und Tod. Ob diese Meldung in Anbetracht der akuten Erkrankung und des Schreibens des Vaters überhaupt abgeschickt wurde, ließ sich allerdings nicht feststellen.
Richard und Alwine Schultze besuchten ihre Tochter nicht sofort. Käti wurde am 24. Mai sterbenskrank in die Pflegeanstalt innerhalb der Anstalt verlegt. Sie verfiel zunehmend und starb am frühen Morgen des 24. Juni angeblich an einer Darmentzündung, was durch die Sektion bestätigt wurde. Die Eltern erhielten am 25. Juni 1944 die telegraphische Nachricht von Kätis Tod, verbunden mit einem Hinweis auf die baldige Beerdigung. Da sich die Eltern nicht im Stande sahen, daran teilzunehmen, schickte Richard Schultze telegraphisch 150 RM für das Begräbnis, das offenbar auf dem Wiener Zentralfriedhof erfolgen sollte. Kätis Eltern wurden nicht davon informiert, dass das Gehirn ihrer Tochter als Ganzes entnommen und in einer Formalinlösung konserviert worden war.

Die Bitte der Eltern um ein Foto konnte die Wiener Anstalt nicht erfüllen, weil die Patienten dort nicht fotografiert worden waren. Fotos von 1932 und 1938 lassen Käti Schultzes Grunderkrankung, die Tuberöse Sklerose, erkennen: Ihre Wangen sind von kleinen Knötchen bedeckt, die sich erst allmählich im Laufe ihrer Entwicklung zeigten.
Käti war das zweite Kind von Richard Schultze, geb. 16.5.1884, und Alwine Maria, geb. Goslar, geb. 18.5.1895. Die ältere Tochter ging bereits zur Schule, als Käti 1921 geboren wurde. Die Familie hatte offenbar auch in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten der Inflationsperiode und der Weltwirtschaftskrise ihr Auskommen.
Kätis Geburt und früheste Entwicklung verliefen ohne Komplikationen, bis sie im Alter von drei Monaten erstmals Krampfanfälle erlitt. Die Eltern ließen sie am 16. Mai 1921 taufen. Drei Monate später brachten sie Käti wegen der Anfälle und Veränderungen an der Haut in das Kinderkrankenhaus in der Baustraße (heutige Hinrichsenstraße) in Borgfelde, das zum Allgemeinen Krankenhauses St. Georg gehörte. Deutlich gebessert wurde sie nach zweieinhalb Wochen entlassen. Als sie 14 Monate alt war, kam ihr Bruder zur Welt.

Als erneut Krämpfe, vor allem nachts, auftraten und ein Ekzem am Kopf zurück kehrte, kam Käti erneut in das Kinderkrankenhaus in der Baustraße. Die Untersuchung ergab, dass die Große Fontanelle noch nicht geschlossen war. In seelisch-geistiger Hinsicht vermuteten die Ärzte, dass Käti "idiotisch" sei, denn sie fixiere nicht die Menschen, die sich ihr zuwendeten. Sie sei freundlich, singe und lache, beschäftige sich im Bettchen sitzend mit stereotypen Bewegungen, erkenne auch die Eltern, wenn sie sie besuchten, nähme aber keine weitere Notiz von ihnen. Nach einer anfallsfreien Woche holten die Eltern sie nach Hause.
Anders als ihre ältere Schwester lernte Käti spät, nämlich erst mit drei Jahren, sicher zu gehen und mit sieben Jahren verständlich zu sprechen. Da hatte Käti schon einen ersten Aufenthalt von vier Monaten in den damaligen Alsterdorfer Anstalten hinter sich, den die Eltern wie den früheren Krankenhausaufenthalt von sich aus beendeten.
Die Mutter führte Kätis verzögerte Entwicklung und die Krämpfe auf ihre eigenen Erkrankungen während der Schwangerschaft zurück, eine Lungenentzündung und eine Grippe. Bei Kätis zweiter Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten wurde auch eine Impfschädigung in Betracht gezogen.
Käti konnte keine Regelschule besuchen, kam aber mit acht Jahren in die "Hilfsschule" in Bergedorf. Nach eineinhalb Jahren hatte sie ihre Lernfähigkeiten ausgeschöpft und verließ die Schule. Dass Käti nun wieder Tag und Nacht das Familienleben bestimmte, belastete die Eltern und Geschwister so sehr, dass sich die Eltern schweren Herzens entschlossen, ihre Tochter nach "Alsterdorf" zurück zu bringen. Dort würde sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten gefördert werden und trotzdem durch Besuche und Urlaube die Zuwendung ihrer Familie behalten. Am 11. November 1931 erfolgte Käti Schultzes zweite Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten.
Solange es dem Vater möglich war, leistete er einen Beitrag zu Kätis Verpflegungskosten, danach trat die Fürsorge für sie ein. Sie verlangte von der Anstaltsleitung eine Begründung für die Notwendigkeit der Anstaltspflege. Am 15. November 1932 schrieb Dr. Gerhard Kreyenberg: "Käti Schultze … ist ein erheblich schwachsinniges Kind, das an tuberöser Sklerose und schweren Krampfanfällen leidet. Sie ist sehr lebhaft, besonders nachts, und führt häufig stereotype Bewegungen aus. Sie hat die Gewohnheiten eines kleinen Kindes (steckt den Finger in den Mund usw.). Schulbesuch kommt wegen ihres geistigen Tiefstandes nicht in Frage. In der Spielschule, wo sie durch ihr unruhiges Wesen häufig die anderen Kinder stört, ist sie sehr unselbständig, kann sich nicht konzentrieren und ist nicht in der Lage, selbst ganz einfache Spiele und Arbeiten richtig zu erfassen. Gelegentlich wird sie sehr erregt, schreit und schlägt Fensterscheiben ein. Eine Entlassung zu den Eltern ist ärztlicherseits keines Falls anzuraten, da die beiden gesunden Geschwister der Patientin durch die unberechenbaren Erregungszustände auf schwerste gefährdet werden könnten. Eine Besserung ist nach der Natur des Leidens nicht zu erwarten, dagegen ist mit einem beständigen Fortschreiten mit Sicherheit zu rechnen." Mit fast gleichlautendem Text wurde in den folgenden Jahren die Anstaltsbedürftigkeit Käti Schultzes begründet.
Gegen die Krampfanfälle erhielt Käti Luminal in niedriger Dosierung. Sie verließ die Spielschule und verbrachte die anfallsfreie Zeit meist ruhig und freundlich vor sich hin lächelnd, meist mit nichts Anderem beschäftigt. Essen konnte sie allein, wenn auch mit Hilfestellung, was auch für die Körperpflege galt.
Während zu Anfang ihres Aufenthalts die Zahl der Urlaubstage auf fünf pro Monat beschränkt war, wurde die Urlaubsdauer ab Mitte der 1930er Jahre verlängert, so dass sie viel Zeit bei ihren Eltern und Geschwistern verbrachte. Kätis Schwester wollte 1941 heiraten, weshalb sie ein Gesundheitszeugnis benötigte. Das Gesundheitsamt begnügte sich nicht mit einer Auskunft der Anstaltsleitung, sondern forderte die ganze Akte an. Eine erbliche Belastung der Familie ging daraus nicht hervor.
Als im August 1943 nach der weitgehenden Zerstörung Hamburgs durch die schweren alliierten Luftangriffe Platz für Bombenopfer, Obdachlose und Verwundete in den damaligen Alsterdorfer Anstalten geschaffen werden sollte, wurden Hunderte von Bewohnerinnen und Bewohnern in andere Anstalten verlegt. Käti Schultze wurde zusammen mit 227 Mädchen und Frauen in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", den früheren Steinhof, geschickt. Am 30. September 1943 erhielt Alwine Schultze eine kurze Nachricht, dass ihre Tochter Käti unruhig, aber zufrieden sei. Dann brach der Kontakt ab, bis der Vater den Wiener Magistrat einschaltete, doch kam es zu keinem Wiedersehen mehr.

Als in den 1990 Jahren die sogenannte Gehirnsammlung Am Steinhof der Öffentlichkeit bekannt wurde, wurde geprüft, ob sich in ihr auch sterbliche Überreste von Alsterdorfer Opfern befanden. Das Gehirn von Margarethe Käti Schultze wurde nicht mehr aufgefunden.

© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 236; Wunder, Michael, Ingrid Genkel, Harald Jenner: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Hamburg, 2. Aufl. 1988.

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