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Heinrich Bachert * 1909
Schenkendorfstraße 19 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)
HIER WOHNTE
HEINRICH BACHERT
JG. 1909
VERHAFTET MÄRZ 1945
KZ FUHLSBÜTTEL
GEHENKT 23.4.1945
NEUENGAMME
Paul Heinrich Wilhelm Bachert, geb. am 25.3.1909 in Hamburg, am 7.3.1945 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel inhaftiert, am 20.4.1945 in das Konzentrationslager Neuengamme verbracht und dort ermordet
Schenkendorfstraße 19 c
Wenige Tage vor Kriegsende, am 20. April 1945, wurden 58 Männer und 13 Frauen aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in das Konzentrationslager Neuengamme gebracht. Sie waren sogenannte Schutzhäftlinge der Gestapo und ohne irgendein gerichtliches Verfahren auf eine "Liste der unverbesserlichen, höchst gefährlichen und unbedingt zu beseitigenden Elemente" gesetzt worden, die "Liquidationsliste". Alle 71 Personen wurden in den Nächten vom 22. April bis zum 24. April im Arrestbunker des Lagers ermordet: erdrosselt, erschossen, von Handgranaten zerfetzt, erschlagen. (Mehr hierzu www.stolpersteine-hamburg.de: Glossar, KZ Neuengamme: Die Ermordung von 71 "Schutzhäftlingen"; ebd.: Dokumentationen/ Downloads, Die letzten Toten von Neuengamme.)
Unter den Ermordeten befand sich auch Paul Heinrich Wilhelm Bachert.
Heinrich Bachert war am 25. März 1909 in Hamburg geboren worden. Seine Eltern waren das Ehepaar Wilhelm und Henriette Bachert. Wilhelm stammte aus Neu Krüssow bei Pritzwalk in Brandenburg. Er war Arbeiter und evangelischer Konfession. Henriette, die Mutter, kam aus Hamburg, eine geborene Levy. Sie war Jüdin. Heinrich hatte einen älteren Bruder, Otto, geboren am 13. Oktober 1903 in Hamburg. Die Familie lebte bescheiden in einer kleinen Wohnung in der Desenißstraße 7/Barmbek Süd. Die beiden Knaben wurden evangelisch getauft.
Heinrich absolvierte, wie schon vor ihm Bruder Otto, nach der Volksschule eine Schlosserlehre. Beide arbeiteten dann als Monteure. Eine feste Anstellung fand Heinrich 1935 schließlich bei der Firma Conz Elektricitäts-GmbH in Bahrenfeld/Altona, Gasstraße 6–10. Im selben Jahr aber waren auch die rassistischen "Nürnberger Gesetze" erlassen worden, die Heinrich zu einem "Mischling ersten Grades" stempelten. Das bedeutete zunehmende Diskriminierung im beruflichen und gesellschaftlichen Leben. Dennoch konnte Heinrich Bachert bis Herbst 1944 in dem Unternehmen arbeiten, bis dieses die "Mischlinge ersten Grades" zum 1. Oktober 1944 entlassen musste, denn diese wurden (zusammen mit den mit Jüdinnen verheirateten nichtjüdischen Männern) nun zur Zwangsarbeit zu Hilfsarbeiterlöhnen eingezogen. Es handelte sich um schwere, oft gefährliche körperliche Arbeit bei der Trümmerräumung oder Wiederherstellung der kriegszerstörten Infrastruktur. Welcher Arbeit Heinrich Bachert zugeteilt wurde, ist nicht bekannt.
Auf jeden Fall war dies ein schwerer Schlag, denn er war seit 1938 verlobt mit Grete Ella Schulz, geboren am 9. März 1912 in Hamburg, geschiedene Herrmann. Grete hatte aus ihrer Ehe drei Kinder, zwei Mädchen (Ingrid, geboren 1931, und Rita, geboren 1933) und einen Jungen (Dieter, geboren 1936) und lebte in finanziell sehr beengten Verhältnissen. Heinrich unterstützte über die Jahre Gretes Familie so gut es ihm nur möglich war. Das geht aus verschiedenen Aussagen der Hinterbliebenen und von Freunden hervor. Eine Heirat zwischen dem "Halbjuden" und der "Arierin" war mit den Rassegesetzen von 1935 zwar offiziell mit staatlicher Genehmigung erlaubt, tatsächlich aber unmöglich geworden. Bereits das Zusammenleben in einer Wohnung war riskant, weil die Gestapo solche Paare ins Visier nahm. So verließen Grete und die Kinder die gemeinsame Wohnung in den Terrassenhäusern an der Schenkendorfstraße 19 in Uhlenhorst, Haus c, Parterre. Grete zog mit dem Sohn und einer Tochter in die Alsterkrugchaussee 7 (jener Teil der Straße heißt heute Salomon-Heine-Weg), ein Mädchen wurde bei Gretes Eltern in Groß Borstel untergebracht. Heinrich zog in das Terrassen-Haus nebenan, die Nummer 19 b, zum Schwager Gretes, Rudolf Karl Volkmar (*3.10.1908 in HH), einem Schmied von Beruf, und dessen vierköpfige Familie.
Am 4. März 1944 – also noch vor Heinrichs Entlassung bei Conz – gebar Grete Schulz eine weitere Tochter, Heidi Henny Schulz, nach dem Mädchennamen der Mutter. Wie die Geburtsurkunde zeigt, bestätigte Heinrich die Vaterschaft, was später noch wichtig werden sollte. Die Standesbeamten vergaßen nicht zu dokumentieren, dass der Vater "Mischling ersten Grades" sei.
Im Laufe der NS-Herrschaft war Heinrich Bachert in Kontakt mit der illegalen KPD und der Hamburger Widerstandsorganisation um Bästlein-Jacob-Abshagen gekommen. Das blieb der Gestapo Hamburg nicht verborgen. Im Sachgebiet IV A 1 Kommunismus war Kriminalsekretär Henry Helms (*1902) wie zwanghaft unentwegt auf Kommunistenjagd, und er hatte einen höchst durchtriebenen und erfolgreichen V-Mann, das ehemalige KPD-Mitglied Alfons Pannek (1907–1995) angeheuert. Im Auftrag und unter Führung der Gestapo betrieb Pannek im Wendloher Weg 13 in Eppendorf eine Leihbücherei, die er zu einem Treffpunkt von NS-Gegnern zu entwickeln verstand, wo man angeblich frei von der Leber reden konnte. Auch Heinrich Bachert ließ sich von Pannek täuschen, offenbarte in der "Leihbücherei des alten KPD-Genossen" seine politische Haltung, seine jüdische Herkunft und seine Beziehung zu Grete Schulz, nach NS-Begriffen einer "Arierin". Das reichte dem fanatischen Nationalsozialisten Helms, die Verfolgung Bacherts aufzunehmen, ihn zu bedrängen und schließlich auf die Liquidationsliste zu setzen.
Von Heinrich Bachert ist ein bewegender Brief an Grete vom 9. März 1944, ihrem 32. Geburtstag, erhalten. Die gemeinsame Tochter Heidi war gerade sechs Tage alt. Heinrich schreibt, voll des Schmerzes und der Leidenschaft, dass Helms ihm gedroht habe, ihn ins KZ zu stecken, wenn er seine intime Beziehung zu der "Arierin" nicht sofort beende. Heinrich beschwor Grete, um des Kindes willen und in der Hoffnung auf eine kommende bessere Zeit, sich dem Befehl zu beugen.
Hier ein Auszug aus dem Brief:
An Deinem Geburtstage
Meine über alles geliebte Greti und Mutti!
Ich kann Dir, mein Alles, es in der Klinik ja heute nicht so sagen, was los ist, weil ja Else u. Deine Mutter da sind und spreche dann eben auf diesem Wege mit Dir. Sie sagten mir da, es wäre für einen Mischling ersten Grades, was für mich zutrifft, nicht erlaubt, mit einer rein deutschblütigen Frau einen gemeinsamen Haushalt zu führen u. im Geschlechtsverkehr zu stehen. Er warnte mich und sagte, der Geschlechtsverkehr mit Dir sowie mit jeder anderen Deutschen (Arier) ist mit untersagt u. ich hätte den gemeinsamen Haushalt aufzulösen.
Dann sagte er, sollte ich auch nur in den Verdacht kommen, z.B. durch Aufsuchen deiner Wohnung oder häufiges Treffen, müssten sie annehmen, dass ich mich gegen das Verbot vergangen habe und werde dann ohne Verfahren in ein Konzentrationslager übergeführt. Der Verdacht genügt schon. Dieses, meine über alle Maßen und bis an mein Ende geliebte Greti, ist beinahe wörtlich der Verlauf bei der Gestapo gewesen und habe es so niedergeschrieben ohne etwas zu beschönigen und hinzu zu fügen …
Meine liebste Greti! Es ist sehr schwer für uns beide, aber meine Liebste, du hast doch noch meine Heidi, mir wollen sie aber alles nehmen, Dich und unser Kind … Ich schwöre Dir einen heiligen Eid, dass, mag kommen was will, ich nur an Dich und unser Kind denken und sorgen werde ...Vielleicht dauert es nicht mehr solange und es ist alles wieder gut …
Nun, mein Herzallerliebstes, kann ich Dir ja materiell nichts zu Deinem Geburtstage schenken, ich glaube der Name für unsere Tochter ist Dir lieber, wenn sie Heidi heißt, diesen Wunsch erfülle ich Dir jetzt gerne und dann möge Gott, dass ich die Kraft hatte, Dir mit diesen Zeilen bis in Deine Seele und Herz zu dringen damit Du, mein Liebstes, ruhig in die Zukunft blicken kannst.
Dieser Brief, meine Greti, soll Dir auch ein Geschenk zu Deinem Wiegenfeste sein, denn ich schenke Dir und unserem Kind alles was ich besitze.
Bis in die Ewigkeit
Dein treuer
Heini
Trotz des Vorsatzes trennten die beiden sich nicht. Das geht auch aus der Aussage von Gretes Schwager Rudolf Volkmar nach dem Kriege hervor.
Am 7. März 1945, gegen Mittag, wurde Heinrich, während er mit Rudolf in der Gaststätte Bauersachs in der Schinkelstraße/Uhlenhorst beim Kartenspiel zusammensaß, von der Gestapo verhaftet. Ein Grund für die Verhaftung und dann seine Ermordung mag auch gewesen sein, dass er die Rolle Panneks durchschaut hatte – darauf weisen Aussagen Rudolf Volkmars hin – und als Belastungszeuge für die Zeit nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft beseitigt werden sollte. Das geschah auch in anderen Fällen.
Für Heinrich Bachert und Grete Ella Schulz liegt eine Heiratsurkunde vor mit "Wirkung vom 1. April 1945". Da saß Heinrich jedoch im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ein. Die Erklärung ist: Die Eheschließung wurde, auf Wunsch Gretes, am 11. Februar 1946 vom Rechtsamt der Hansestadt nachträglich angeordnet. Grundlage hierfür war die Hamburger "Verordnung zur Eheschließung nach dem Tode" vom 14.1.1946, die erlassen worden war, um den Hinterbliebenen von NS-Opfern zu helfen. Da Heinrich Bachert, wie bereits erwähnt, die Vaterschaft für Heidi Henriette anerkannt hatte, galt sie nun als ehelich geboren, als Halbwaise und hieß jetzt Bachert statt, nach dem Mädchennamen ihrer Mutter, Schulz. Grete galt nun als Witwe. Beides war rechtlich und für die sozialen Belange bedeutsam, vor allem angesichts der sehr schwierigen finanziellen Verhältnisse, unter denen Grete Bachert und ihre vier Kinder die ersten Nachkriegsjahre zu überstehen hatten.
Heidi ging trotz der Widrigkeiten ihren Weg: Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte sie, der Welt der Musik sehr zugetan, bei dem in den 19sechziger Jahren in Hamburg wohlbekannten Musikgeschäft Ernst Grossmann in den Colonnaden 41 eine Lehre im Einzelhandel im Bereich Musikalien-Beratung und -Verkauf und wurde dann als Mitarbeiterin der Schallplattenabteilung übernommen. Heidi, eine Person mit klarer und kräftiger Stimme, startete, zunächst auf Hobbyebene und bei kleineren Gelegenheiten, dann beruflich, um 1963 eine erfolgreiche Karriere als Schlagersängerin, unter Vertrag bei Polydor ("Beim Bossa Nova küsst man nicht", 1964; "My Boy Lolipop", 1964 und 1968; und manches andere).
Nach 1968 zog sie sich mehr und mehr aus dem Profigetriebe zurück und widmete sich ihrer wachsenden Familie mit schließlich zwei Mädchen und einem Jungen.
Heute lebt Heidi Bachert mit ihrem Mann in der Nähe Hannovers.
Stand: April 2017
© Carmen Smiatacz und Johannes Grossmann
Quellen: StaH 351-11, Amt für Wiedergutmachung, Abl. 2008/1, 040344 (Heidi Bachert); ebd. Abl. 2008/1, 53395; ebd._37701 (Grete Waitszies); StaH 332-8, Meldewesen, K2412, K2406; Standesamt HH1, Nr. 420/1944 (Heidi Bachert); ebd., Nr. 75/1946 (Eheschließung); Herbert Diercks, Gedenkbuch "Kola-Fu"/Für die Opfer aus dem Konzentrationslager, Gestapo-Gefängnis und KZ-Außenlager Fuhlsbüttel, (Hrsg.) Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg 1987, S. 51; Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer, Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945, München 1980, S. 386; KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Totenbuch, Hrsg. Freundeskreis e.V., Hamburg 1967; Totenbuch Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter 1933–1945, (Hrsg.) Willi Sander, Hamburg 1968; Für Freiheit und Demokratie/Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Verfolgung und Widerstand 1933–1945, (Hrsg.) SPD LO Hamburg, AK Geschichte, AvS Hamburg 2003; Johannes Grossmann, Die letzten Toten von Neuengamme, Hamburger Abendblatt Magazin, Nr. 14/2015, siehe auch www.stolpersteine-hamburg.de/Dokumentationen; Privatarchiv Heidi Bachert-Kese/Manfred Kese; telefonische und E-Mail-Kontakte mit Manfred Kese, Dezember 2016/Januar 2017; Herbert Diercks, Der Einsatz von V-Leuten im Sachgebiet "Kommunismus" der Hamburger Gestapo 1943–1945, in: KZ Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.), Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus (=Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Bd. 15/2013), S. 119–135.