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Rolf Hink * 1922

Lange Straße 20 (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
ROLF HINK
JG. 1922
EINGEWIESEN 1938
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 28.7.1941
HEILANSTALT LANGENHORN
27.11.1941 ‚HEILANSTALT‘
TIEGENHOF / GNIEZNO
ERMORDET 7.8.1942

Rolf Hink, geb. 22.3.1922 in Hamburg, am 7.6.1938 aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute evangelische Stiftung Alsterdorf), am 28.7.1941 in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" verlegt, von dort am 27.11.1941 in die "Gau-Heilanstalt Tiegenhof" (polnisch Dziekanka) bei Gnesen (polnisch Gniezno) abtransportiert, dort verstorben am 7.8.1942

Lange Straße 20 (Altona-Alstadt) (ehemals Kleine Elbstraße 22)

Rolf Gustav Otto (Rufname Rolf) Hink wurde am 22. März 1922 in Hamburg geboren. Er wohnte mit seinen Eltern in der Kleinen Elbstraße 22 (heute Lange Straße 20) in Altona-Altstadt. Seine Mutter, Lina Gertaline Friederike Hink, geb. Laps, geboren am 21. Juli 1894 in Brake, und sein Vater, der Schiffsmakler Friedrich Johann Emil Hink, geboren am 23. Juli 1896 in Altona, hatten am 22. Januar 1921 in Altona geheiratet.

Rolf Hink wurde am 7. Juni 1938 in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Seine Krankenakte ist nicht mehr verfügbar. Das Wenige, das wir wissen, stammt aus zwei Quellen: Erstens von einer Karteikarte (bezeichnet als "Erbgesundheitskarteikarte" oder "Sippschaftstafel"), die für das ab 1934 aufgebaute Hamburger Gesundheitspassarchiv angelegt wurde (Im Nationalsozialismus sollte eine "erbbiologische Bestandsaufnahme" der Gesundheitsämter Aufschluss über die erbliche Belastung von "Sippen" = veraltet für Familien/Blutsverwandte geben). Die zweite Quelle ist eine Aussage seiner Mutter vom Mai 1968 im Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Leiter der Alsterdorfer Anstalten, Pastor Friedrich Karl Lensch, und den damaligen Organisator der Patiententransporte in der Gesundheitsbehörde, Gerhard Kurt Struve.

Dort berichtete Rolf Hinks Mutter, dass ihr Sohn im Alter von zwei Jahren an Kinderlähmung erkrankt und dann "geistig zurückgeblieben" sei, er habe aber eine Hilfsschule (heutige Förderschule) in Altona besuchen können. Im Alter von 16 Jahren sei er in der Altonaer Hauptkirche konfirmiert worden. Nachdem die Eltern während eines Besuches in den damaligen Alsterdorfer Anstalten gesehen hätten, dass dort "viele Patienten im Anstaltsgelände einer ordentlichen Arbeit nachgingen", hätten sie ihren Sohn dorthin gegeben, damit er einen "handwerklichen Beruf erlerne".

Rolf Hinks Vater verstarb wenige Monate nach der Aufnahme seines Sohnes in Alsterdorf am 18. Oktober 1938 im Allgemeinen Krankenhaus Altona. Von nun an war seine Mutter allein für ihn verantwortlich.

Aus der erwähnten Karteikarte von Rolf Hink ergibt sich, dass er halbseitig spastisch gelähmt war. Zudem war diagnostiziert worden, er leide an Imbezillität (Bezeichnung für eine mittelgradige geistige Behinderung), und einer durch angeborene Lues (Syphilis) verursachte Epilepsie. Es hieß dort, er verfüge über keinerlei Schulkenntnisse und habe nur insofern Beziehungen zur Umwelt, als er seine Erregungszustände an ihr austobe. Pflegerisch soll er deswegen große Schwierigkeiten bereitet haben, denn er habe ständig beaufsichtigt werden müssen. Rolf Hink wurde als unheilbar krank beurteilt. Zu irgendeiner Arbeit könne man ihn nicht heranziehen.

Am 28. Juli 1941 wurden mindestens 50 Männer aus den Alsterdorf Anstalten zunächst in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" überführt. Zu ihnen gehörte auch Rolf Hink. Drei Tage später folgte ein weiterer Transport mit mindestens 20 Frauen. Die Patientinnen und Patienten wurden mit Bussen der ‚Gemeinnützigen Krankentransport-Gesellschaft‘ (GeKraT) nach Langenhorn gebracht.

Michael Wunder, der die Geschichte der ermordeten Alsterdorfer Patienten aufgearbeitet hat, wies darauf hin, dass die Transporte, die überwiegend aus besonders schwachen und nicht arbeitsfähigen Menschen bestanden, nach den Meldebögen an die "Euthanasie"-Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin zusammengestellt worden waren. Pastor Lensch, damals Anstaltsleiter der Alsterdorfer Anstalten, hatte dann von der Gesundheitsbehörde Hamburg eine entsprechende Liste der Transportteilnehmer erhalten. Der Gesundheitssenator Ofterdinger hatte ihm versichert, es handele sich lediglich um eine Verlegung, um die Alsterdorfer Anstalten zu entlasten und die in Langenhorn leerstehenden Betten sinnvoll zu nutzen.
Dennoch machte sich Aufregung unter den Insassen breit, als die Busse der GeKraT auf das Gelände der Alsterdorfer Anstalten fuhren. Durch die kirchlichen Proteste gegen die Euthanasie, die zu diesem Zeitpunkt reichsweit ihren Höhepunkt erreicht hatten, und Hinweise aus süddeutschen und ostdeutschen Anstalten waren die Tötungsaktionen durchaus auch unter den Pflegerinnen und Pflegern der Alsterdorfer Anstalten und über diese auch teilweise den Anstaltsinsassen bekannt. Deshalb verfasste Lensch ein Rundschreiben an alle Pflegekräfte, in dem er den Abtransport als "Verwaltungsakt" darstellte, der mit "anderen Maßnahmen nichts zu tun hat". Die Pflegekräfte mussten den Empfang dieses Rundschreibens quittieren.

Trotz der Begründung wurde vier Monate später Rolf Hink mit weiteren Frauen und Männern aus Langenhorn in die "Gau-Heilanstalt" Tiegenhof (Dziekanka) bei Gnesen (Gniezno) verlegt. Das Hamburger Gedenkbuch Euthanasie enthält die Namen von 66 ehemaligen Alsterdorfer Patientinnen und Patienten, die mit diesem Transport zum Tiegenhof gebracht wurden. (Vier der insgesamt 70 Alsterdorfer Patienten waren vor dem Transport in Langenhorn gestorben.) Insgesamt wurden aus der "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn zwischen dem 26. September und dem 27. November 1941 in mehreren Transporten mehr als 200 Menschen in die "Gauheilanstalt" Tiegenhof abtransportiert. In dem Hamburger Gedenkbuch Euthanasie lassen sich 206 Personen nachweisen.

Die psychiatrische Anstalt Dziekanka in der Nähe von Gnesen war im Oktober 1939 von der deutschen Wehrmacht besetzt worden und hatte die Bezeichnung "Gau-Heilanstalt Tiegenhof" erhalten. Bis zum Sommer/Herbst 1941 ermordeten die Deutschen die polnischen Patientinnen und Patienten in mehreren Aktionen. Als die Hamburger in Tiegenhof eingetroffen waren, traf dieses Schicksal auch sie. Sie wurden getötet durch systematisches Verhungernlassen, durch Überdosierung von Medikamenten sowie durch Verwahrlosung.
In den Tiegenhofer Unterkünften befanden sich separate Tötungszimmer, in denen den wehrlosen und entkräfteten Opfern tödliche Mittel injiziert, mittels Klistier eingeführt oder aufgelöst in Suppe verabreicht wurden.

Rolf Hinks Mutter Lina vermittelte in dem Ermittlungsverfahren gegen Lensch und Struve 1968 einen Eindruck über die Bedingungen in der Anstalt Tiegenhof, unter denen Rolf Hink und andere gelebt haben und zu Tode gebracht wurden. Nach dem Vernehmungsprotokoll erklärte sie: "Im Sommer 1941 erfolgte seine Verlegung ins AK Ochsenzoll. [‚AK Ochsenzoll‘ war die Nachkriegsbezeichnung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn, die ab 1939 auch als Hilfskrankenhaus für somatisch Kranke genutzt wurde.] Es hieß damals, wegen der Fliegergefahr bestünde in diesem Krankenhaus größere Sicherheit. Mein Sohn hat etwa 4 bis 5 Monate im AK Ochsenzoll gelegen. Danach wurde er überraschend und ohne mein Wissen nach der Heilanstalt Tiegenhof bei Gnesen verlegt. Ich erhielt von der Leitung des AK Ochsenzoll einen Brief, aus dem hervorging, wegen erhöhter Fliegergefahr sei diese Verlegung notwendig gewesen. Pfingsten 1942 habe ich meinen Sohn dann in Tiegenhof besucht. Ich hielt mich etwa für 8 Tage bei ihm auf. Morgens und nachmittags durfte ich ihn täglich besuchen. Er war bis zu einem Skelett abgemagert. An den Beinen hatte er große offene Wunden. Ich stellte sofort fest, daß alle Patienten ärztlich ungenügend betreut wurden. In Tiegenhof habe ich auch viele ehemalige Patienten der Alsterdorfer Anstalten wiedererkannt. Sie sahen alle jämmerlich und heruntergekommen aus. Mein Sohn und andere Patienten klagten darüber, daß sie nur andauernd Sauerkohl und eine Art Wassersuppe täglich zu essen bekämen. Schweren Herzens habe ich meinen Sohn wieder verlassen und bin nach Hause gefahren. Anfang August 1942 erhielt ich von der Anstaltsleitung TIEGENHOF ein Schreiben. Mir wurde mitgeteilt, daß mein Sohn Rolf an Ruhr erkrankt sei und schwer krank läge. Daraufhin bin ich mit der Bahn sofort nach TIEGENHOF gefahren. Ich wurde an sein Bett vorgelassen. Er war nicht mehr ansprechbar, lebte aber noch. Er atmete tief und ruhig. Seine Augen waren geschlossen. Er machte auf mich einen apathischen Eindruck. Ich habe von morgens um 10.00 bis abends um 06.00 Uhr an seinem Bett gesessen. Er hat nicht einmal das Bewusstsein wiedererlangt. Ich fragte den Stationsarzt, ob mein Sohn nicht noch einmal aufwachte. Er sagte mir wörtlich, diese Worte werde ich in meinem Leben nicht wieder vergessen: ‚Er ist fällig!‘
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was diese Andeutung zu bedeuten hatte. Ich glaube, der Stationsarzt war polnischer Herkunft. Mir fiel bei meinem Sohn noch auf, während ich bei ihm am Bett saß, daß er stark nach Morphium roch. Am nächsten Morgen wollte ich Rolf wieder besuchen. Es wurde mir mitgeteilt, daß er verstorben sei und in der Leichenhalle läge. In der Leichenhalle habe ich ihn noch einmal zu Gesicht bekommen. Er machte einen friedlichen Eindruck. Er lag bereits in einem Holzsarg. Innerhalb von 24 Stunden habe ich auf meinen Wunsch hin Rolf auf dem Anstaltsfriedhof beerdigen lassen. In der Verwaltung der Heilanstalt Tiegenhof erhielt ich dann seine Sterbeurkunde.
Das ist alles, was ich über das Schicksal meines Sohnes Rolf angeben kann. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß man nicht nur meinen Sohn Rolf, sondern auch andere Pfleglinge der Anstalt Tiegenhof bewusst auf diese Weise verhungern ließ. Sie sollten einfach sterben."

Rolf Hink starb am 7. August 1942 im Alter von 20 Jahren. Als Todesursache wurde auf seiner Sterbeurkunde "Fieberhafter Darmkatarrh" angegeben.

Weder Pastor Lensch noch Kurt Struve mussten sich vor Gericht für ihre Beteiligung an dem "Euthanasie"-Geschehen der ihnen Anvertrauten verantworten.

Stand: September 2024
© Karin Gutjahr

Quellen: Staatsarchiv Hamburg, 332-5 Standesämter, 6295 Geburtsregister Nr. 2238/1896 (Friedrich Johann Emil Hink), Sta. Altona I, Nr. 1434/1938 (Friedrich Johann Emil Hink), Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Erbgesundheitskartei von Rolf Hink; Strafverfahren gegen Friedrich Lensch und Kurt Struve, Protokoll der Vernehmung von Lina Hink. Hamburger Gedenkbuch Euthanasie, S. 254 (Rolf Hink). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 269 ff.

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