Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Auguste Elisabeth Heymann, geb. Eichenberg
© Yad Vashem

Auguste Elisabeth Heymann (geborene Eichenberg) * 1891

Söbendieken 8 (Altona, Nienstedten)

Freitod 26.10.1941 Hamburg

Downloads:
Siehe auch:

Auguste Elisabeth Heymann, geb. Eichenberg, geb. am 6.10.1891, Suizid am 26.10.1941

Söbendieken 8

Dr. Georg Heymann, geb. am 21.8.1876, Berufsverbot als Rechtsanwalt ab 14.11.1935, Herzinfarkt am 2.4.1936

Platz der Republik 6

Auguste Elisabeth Heymann, genannt Tüt, geboren am 6. Oktober 1891, war das vierte von sechs Kindern des Hamburger jüdischen Kaufmanns Paul Eichenberg und seiner Frau Henriette Gertrude, geborene Hesse. Die Familie wohnte in der Goethestraße 5 in Groß Flottbek. Paul Eichenberg war Inhaber der Firma Eichenberg & Co am Sandthorquai 20 (heute Sandtorkai) in Hamburg, eines Import-/Exporthandels für Kaffee, Getreide und Tierfutter, den sein Vater gegründet hatte. Die Eichenbergs kamen aus Adelebsen bei Göttingen. Paul Eichenberg war zum christlichen Glauben konvertiert.
1922 heiratete Auguste Elisabeth in zweiter Ehe den fünfzehn Jahre älteren Hamburger Rechtsanwalt Georg Heymann. Beide entstammten Familien, die seit mehr als 300 Jahren in der Region zwischen Hamburg und Kopenhagen lebten.
Georg Heymann, geboren am 21. August 1876, war der Sohn von Julius und Louise Heymann, die in der Palmaille 41 in Altona wohnten. Georg Heymann entstammte mütterlicherseits einer wohlhabenden dänischen jüdischen Familie. Seine Mutter war die Tochter von Salomon Melchior und seiner Frau Emilie, geb. Levinsohn, die von Kopenhagen nach Altona gekommen waren, das damals zum dänischen Königreich gehörte. Sein Urgroßvater Gerson Melchior war Vorsitzender der Kopenhagener Jüdischen Gemeinde gewesen. Dessen zweite Frau Brigitte, geborene Israel, stammte aus einer gutsituierten jüdischen Familie, deren Vorfahren Ende des 15. Jahrhunderts aus Portugal vertrieben worden waren und sich in Dänemark niedergelassen hatten. Georg Heymanns Ururgroßvater Moses Melchior, geboren in Wandsbek, war nach Dänemark ausgewandert und hatte dort 1760 eine Textil- und Kurzwaren-Handelsfirma gegründet, die immer noch in Dänemark existiert.
Georg Heymanns Vater Julius Heymann war Vorsitzender des Gemeindevorstands der Großen Altonaer Synagoge; seine Familie lebte seit Generationen in Altona und stammte von Chaim Salomon Zell ab, dessen Enkel Issac 1769 seinen Namen in Heymann geändert hatte.
Noch im Jahr ihrer Heirat, am 16. September 1922, bekamen Georg und Auguste Elisabeth Heymann eine Tochter, Elisabeth, genannt Lila. Aus Auguste Elisabeth Heymanns erster Ehe mit dem Gehirnchirurgen Wilhelm Haas, der nichtjüdischer Herkunft war, stammte der Sohn Günther Haas, geboren am 24. November 1918. Georg Heymann hatte aus erster Ehe mit der 1887 geborenen und 1914 verstorbenen Nora Booth, einer Nichtjüdin, zwei Töchter, Inge und Karin. Das Ehepaar Heymann wohnte mit den vier Kindern in einem eigenen Haus in der Heimburgstraße 10 in Groß Flottbek.
Zusammen mit Rudolf Warburg führte Georg Heymann eine angesehene und erfolgreiche Rechtsanwalts- und Notariatspraxis in Altona im Gebäude des Hotels Kaiserhof am Platz der Republik 6, einer renommierten Adresse zwischen Altonaer Hauptbahnhof und Rathaus. Zu seinen Klienten gehörten unter anderem die Brüder Reemtsma und die Deutsche Reichsbahn. Seit 1906 wirkte er als Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht Altona; seit dem 16. Dezember 1919 war er als Notar zugelassen.
Wegen seiner "volljüdischen Abstammung" – seine beiden Eltern, Julius Heymann und Louise, geborene Melchior, waren jüdisch – war auch Georg Heymann vom Terror gegen jüdische Richter, Staats- und Rechtsanwälte betroffen, der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme einsetzte. Ab März 1933 wurde in Altona nur noch Julius Jonas (siehe derselbe S. 367) und Rudolf Warburg das Auftreten vor Gericht gestattet. Am 28. März 1933 forderte die NSDAP in einem von Hitler persönlich verfassten Aufruf alle Parteidienststellen auf, "sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen planmäßigen Durchführung des Boykotts jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte". Georg Heymann stand mit seiner Anwaltskanzlei – nach der Straßenumbenennung nun unter der Adresse "Adolph-Hitler-Platz 6" – auf einer Liste zu boykottierender Altonaer jüdischer Geschäfte, Arzt- und Anwaltspraxen, die zusammen mit einem Rundschreiben des Altonaer NSDAP-Kreisleiters Piwitt zur "Judenfrage" am 2. September 1935 an alle "Parteigenossen" geschickt wurde, mit der dringenden Aufforderung, den "Anordnungen unseres Führers" zu folgen.
Nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 konnte die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte aberkannt werden. Schrittweise wurde die Entrechtung und Verfolgung jüdischer Rechtsanwälte bis zu einem totalen Berufsverbot fortgesetzt. Georg Heymann wurde am 14. November 1935 nach der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz als Notar und Rechtsanwalt entlassen. Nur eine eingeschränkte Tätigkeit als Rechtsberater für jüdische Klienten war ihm noch erlaubt; die Kanzlei blieb zunächst im Altonaer Adressbuch eingetragen.
Berufsverbot, Entrechtung und Demütigung führten bei Georg Heymann zu einer schweren Herzerkrankung. Im April 1936 starb er im Alter von nur 59 Jahren an einem Herzinfarkt. John Alexander, Enkel von Georg Heymann, schilderte: "In der Familie wurde überliefert, dass er auf der Straße vor seinem Büro im Hotel Kaiserhof in Altona einen Herzanfall erlitt, als ihm wegen seiner jüdischen Herkunft der Einlass verwehrt wurde und das Recht, seinen Beruf als Rechtsanwalt weiter auszuüben."
In Aufzeichnungen seines Stiefsohns Günther Haas, verwahrt von dessen Tochter Ingrid Haas, heißt es, dass Georg Heymann den Herzanfall in Gegenwart seiner Frau fast gegenüber der Praxis seines Arztes bekam. "Aber weil der Arzt nicht da war, fuhren sie noch die drei Kilometer nach Hause. Ein Spezialist kam, aber man konnte nichts mehr machen. Er starb gegen 22 Uhr in der Nacht." Sein Arzt bescheinigte später vor dem Amt für Wiedergutmachung, dass er "bis zum Tage der nationalsozialistischen Maßnahmen ein völlig gesunder, lebensfroher Mensch gewesen war".
Nach seinem Tod erbte seine Witwe Auguste Elisabeth Heymann das Grundstück sowie ein Guthaben und Wertpapiere bei der Deutschen Bank und lebte mit ihren Kindern vom Vermögen ihres Mannes. Sie verkaufte das Haus in der Heimburgstraße und ließ für die Familie ein kleineres Haus im Soebendieken 8 in Altona-Nienstedten bauen, wo die Familie laut Altonaer Adressbuch seit 1938 wohnte.
Ihr Enkelsohn John Alexander, der Sohn von Lila Heymann, später verheiratete Alexander, bezeichnete diese Entscheidung als "außergewöhnlich und eigenwillig, da zu der Zeit viele Juden eher Schutz im Ausland als eine neue Heimat in Deutschland suchten. Tüt sah sich als stolze Deutsche und weigerte sich, ‚ihr‘ Land zu verlassen."
Doch ihre Tochter, für die es in Deutschland keine Zukunft mehr zu geben schien, schickte sie nach London. Gertrud Elisabeth, genannt Lila, hatte nach Abschluss der Volksschule Nienstedten das Bertha-Lyzeum in Groß Flottbek besucht. 1938 musste die 15-Jährige aus "rassischen" Gründen die Schule verlassen und fand keine andere, die sie aufnahm. Deshalb besuchte sie zunächst die private Milberg-Realschule für Mädchen in der Klopstockstraße, bis auch die schließen musste. Vergeblich versuchte Lila, einen Ausbildungsplatz für Heilgymnastik und medizinische Massage zu finden. So bereitete sie die Auswanderung vor. Im April 1939 teilte das Finanzamt der Gestapo mit, sie habe eine steuerliche "Unbedenklichkeitsbescheinigung" beantragt. Im Sommer 1939 schließlich emigrierte Lila Heymann im Alter von 16 Jahren nach London, wo sie bei einer Kusine des Vaters wohnte. Günther Haas gelang die Flucht nach Süd-Rhodesien.
Auguste Elisabeth Heymann blieb zurück, während sich die antijüdischen Maßnahmen verschärften. Lila hoffte immer, ihre Mutter werde nach London nachkommen. Die Reichsvereinigung der Juden in Hamburg verzeichnete sie seit 1939 als Zwangsmitglied. Sie musste eine hohe "Judenvermögensabgabe" zahlen. Schließlich wurde ihr Vermögen vom nationalsozialistischen Staat unter "Sicherungsanordnung" gestellt, das heißt, gesperrt. Seit dem 19. September 1941 war sie verpflichtet, den "Judenstern" zu tragen.
Am 21. Oktober 1941 bekam die Fünfzigjährige an ihre Adresse Söbendieken 8 den Deportationsbefehl nach Lodz für den 25. Oktober. Die Transportliste der Gestapo führte ihren Namen unter der Nummer 388 auf, allerdings wurde er durchgestrichen. Statt der Aufforderung zu folgen, sich einen Tag vor Abtransport im Logenhaus an der Moorweidenstraße einzufinden, wählte Auguste Elisabeth Heymann den Weg in den Tod.
Am 23. Oktober ging am späten Abend ein Telefonanruf beim Polizeirevier Nienstedten ein, die Witwe Heymann habe wahrscheinlich "Selbstmord" begangen. Ein Polizeibeamter fand sie bewusstlos in ihrer Wohnung. Der herbeigerufene Arzt stellte eine Schlafmittelvergiftung fest und veranlasste ihre Überführung ins Israelitische Krankenhaus in der Johnsallee. Gertrud Eichenberg, Auguste Elisabeth Heymanns Mutter, die in Klein Flottbek lebte, gab zu Protokoll, der Grund für den Suizidversuch sei die bevorstehende "Evakuierung" gewesen. Man benachrichtigte die Gestapo, "dass es sich hier um eine Jüdin handelt".
Drei Tage später, am 26. Oktober 1941, starb Auguste Elisabeth Heymann im Krankenhaus.
Ein damals siebenjähriger Nachbarjunge, der gebürtige Nienstedter Sven Lauritzen, erinnerte sich an Auguste Elizabeth Heymann aus dem Soebendieken 8: "Sie ging immer allein aus, niemand von den Nachbarn grüßte sie und an ihrem Mantel trug sie einen gelben Stern." Eines Tages sei sie nicht mehr an den spielenden Kindern vorbeigegangen. "Uns Kindern erzählte man nichts von dem Selbstmord. Wir dachten, Frau Heymann sei umgezogen."
Auguste Elisabeth Heymann wurde auf dem Zentralfriedhof bestattet. Ihr Hausstand wurde versteigert und ihr Vermögen beschlagnahmt.
Ihre Mutter Gertrud Eichenberg wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Ihr Mann Paul Eichenberg war schon 1927 verstorben. Ingrid Haas berichtete: "Mein Vater hat Hitler damals am 22. Oktober 1942 ein Telegramm aus Rhodesien geschickt, in dem er fragte, ob die alte Dame, seine Großmutter, nach Schweden, zu ihrem Sohn reisen konnte. Mein Vater hat dann am 21. Januar 1943 ein Telegramm vom Roten Kreuz in Berlin bekommen, in dem es hieß, dass die alte Dame in ‚an old folks’ home‘ wäre – im ‚Altersheim Theresienstadt‘ – und weiter hieß es: ‚Einer Auswanderung nach Schweden wurde von der zuständigen Stelle aus grundsätzlichen Erwägungen nicht zugestimmt.‘"
Gertrud Eichenberg überlebte das Getto Theresienstadt. Sie gehörte zu den 1200 Häftlingen, die nach einer Intervention des Schweizer Bundesratsvorsitzenden mit einem Transport des Roten Kreuzes in die Schweiz gerettet wurden, wo ihr Sohn Kurt Eichenberg sie abholte und mit sich nach Schweden nahm. Lila Heymann überlebte den Krieg in England. Auch Karin Syamken, geb. Heymann, und Inge Heymann, Töchter aus Georg Heymanns erster Ehe, deren Mutter, wie John Alexander vermutet, nichtjüdisch war, überlebten die Zeit des Nationalsozialismus.

Stand November 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 2 (R 1939/2606); 4; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 1 Band 1 (Deportationsliste Litzmannstadt, 25.10.1941); StaH 314-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1941/1605; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 52890 (Erbengemeinschaft Heymann, Auguste Elisabeth, geb. Eichenberg) und 13222 (Erbengemeinschaft Heymann, Elisabeth); Deportationslisten Nordwestdeutschland, http://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_nwd.html, Zugriff 22.8.2014; Nagel, Gegen das Vergessen; Morisse, Ausgrenzung, Bd. 1, S. 182; Alexander, A Measure of Time; Korrespondenz mit John Alexander, Enkel von Auguste Elizabeth Heymann, Mai 2009 und August 2014; Korrespondenz mit Ingrid Haas, Enkeltochter, August 2014, Übersetzung B. G.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang