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Chana (Anna) Goldberg * 1890
Konsul-Renck-Straße 4 (Harburg, Harburg)
1938 Zbaszyn / 'Polen-Aktion'
Weitere Stolpersteine in Konsul-Renck-Straße 4:
Elisabeth (Else) Goldberg, Erna Goldberg, Hirsch Goldberg
Channa (Anna) Goldberg, geb. am 21.12.1890 in Cieszkowice, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zba˛szy´n, Todesdatum unbekannt
Elisabeth (Else) Goldberg, geb. Simon, geb. am 16.5.1882 in Berlin, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zba˛szy´n, Todesdatum unbekannt
Erna Goldberg, geb. am 13.1.1909 in Wilhelmshaven, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zba˛szy´n, Todesdatum unbekannt
Hirsch (Hermann) Goldberg, geb. 13.11.1878 in Cieszkowice, abgeschoben am 28.10.1938 nach Zba˛szy´n, Todesdatum unbekannt
Stadtteil Harburg-Altstadt, Konsul-Renck-Straße 4
Hermann Goldberg und seine jüngere Schwester Anna wuchsen in einem jüdischen Elternhaus in Cieszkowice bei Tarnów in Galizien auf, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte und nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde. In jungen Jahren verließen sie ihre Heimat, um in der Fremde ein neues Leben zu beginnen. Hermann Goldberg gelangte auf diese Weise nach Deutschland und lernte dort seine spätere Frau Lotte Elisabeth Simon kennen, die aus einer Berliner jüdischen Familie stammte. Sie ließen sich zunächst in Wilhelmshaven nieder, wo ihre Töchter Erna (geb. 13.1.1909) und Reta (geb. 24.3.1910) zur Welt kamen. Von dort aus zogen sie im Jahre 1912 in die Konsul-Renck-Straße 1 in Harburg. Hier eröffnete Hermann Goldberg bald ein kleines Geschäft, und hier wurde am 26.7.1915 seine dritte Tochter Henny geboren.
Die Goldbergs gehörten zu den damals ca. 50 Familien der Jüdischen Gemeinde Harburgs, die sich zu ihren Gottesdiensten in der Synagoge in der Eißendorfer Straße versammelte. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Hermann Goldberg in den Reihen des deutschen Heeres für Kaiser und Vaterland, während Else Goldberg zu Hause große Mühe hatte, die Familie angesichts der angespannten Versorgungslage allein zu ernähren, wobei sie immer wieder mit Rat und Tat von ihrer Freundin Frieda Cordes unterstützt wurde.
Die Eltern und ihre Kinder fühlten sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Harburg wohl. Hermann und Else Goldberg galten bei ihren Nachbarn und Bekannten als strebsame, fleißige, hilfsbereite und ehrliche Menschen. Hermann Goldberg war bei seinen Kunden sehr geschätzt. Die beiden älteren Schwestern – und anfangs auch die jüngste Tochter – besuchten die Harburger Mittelschule und hatten sich wie ihre Freundinnen Harburger Sportvereinen angeschlossen. Antisemitische Tendenzen traten in den ersten Jahren nach 1919 in Harburg nur selten in Erscheinung. Das änderte sich jedoch im Laufe der nächsten Jahre, wovon auch einige Harburger Schulen betroffen waren. Diese Veränderungen waren u. a. der Grund, dass Henny Goldberg nach einigen Jahren zur Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße in Hamburg wechselte, wo sie sich wieder wohler fühlte.
Die antisemitischen Strömungen wurden nach 1933 noch augenscheinlicher. Nachdem Hermann Goldberg infolge der Weltwirtschaftskrise sein Geschäft hatte aufgeben müssen, fiel nun den drei Töchtern die Aufgabe zu, den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Das war kein leichtes Unterfangen und wurde noch schwerer, als Erna im Februar 1933 ihren Arbeitsplatz bei der Harburger Kreissparkasse (heute: Sparkasse Harburg-Buxtehude) verlor. Der Personalchef hatte ihr geraten, erst einmal Urlaub zu nehmen und sich dann eine andere Stelle zu suchen.
Auch im gesellschaftlichen Bereich waren die Veränderungen unübersehbar. Immer mehr Nachbarn wandten sich von der Familie ab, immer weniger Freunde ließen sich sehen. Noch bevor jüdische Mitglieder aus allen "arischen" Sportvereinen ausgeschlossen wurden, erklärten die drei Schwestern freiwillig ihren Austritt, um der Schmach zu entgehen, offiziell dazu aufgefordert zu werden. Das waren sie ihrem Stolz und ihrer Würde schuldig, wie Reta Goldberg es später formulierte.
Am stärksten litt Else Goldberg unter der zunehmenden Ausgrenzung und Isolierung. Viele Menschen, die sie früher gut gekannt hatte, taten plötzlich so, als ob sie ihr nie begegnet wären. Anfang 1937 zogen die Eltern mit ihren Kindern ins Grindelviertel nach Hamburg in der Hoffnung, dort im Schutze der Anonymität den zunehmenden alltäglichen Diskriminierungen besser entgehen zu können.
Doch es kam noch schlimmer. Im Morgengrauen des 28. Oktobers 1938 wurde die Familie von der Polizei aus ihren Betten geholt und noch am gleichen Abend nach Polen abgeschoben. Anschließend verbrachten viele – darunter auch Familie Goldberg – die nächsten Wochen und Monate in Notunterkünften in dem polnischen Grenzort Ort Zba˛szy´n. Reta und Henny Goldberg hatten im Sommer 1939 das große Glück, als Hausmädchen nach England ausreisen zu dürfen. Sie verbanden ihre Rettung mit der Hoffnung, von Großbritannien aus ihren Eltern und ihrer älteren Schwester helfen zu können.
Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs mussten die Abgeschobenen auf Anordnung der polnischen Behörden die Grenzregion verlassen. Hermann und Else Goldberg begaben sich daraufhin mit ihrer Tochter Erna, die bereits ihre Koffer für die Ausreise nach England gepackt hatte, zu entfernten Verwandten in Tarnów im Südosten Polens. Eine Woche später wurde die Stadt von der deutschen Wehrmacht erobert und besetzt. Damit begann die Leidenszeit der jüdischen Bevölkerung, die hier wohnte. Das galt auch für Else, Hermann und Erna Goldberg. Immer enger wurde der Wohnraum, den sie mit anderen teilten, und immer kleiner wurden die Lebensmittelrationen, mit denen sie auskommen mussten. Die sanitäre Ausstattung der Wohnung war mehr als primitiv. Im Winter herrschte in den Räumen eisige Kälte. Bei Regen tropfte das Wasser durch die Zimmerdecke. Der ständige Hunger, die vielen Sorgen und die extremen Witterungsverhältnisse zehrten an den Kräften der drei Menschen. Else und Hermann Goldbergs Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Auch ihre Tochter litt unter häufigen Erkältungen, was umso verhängnisvoller war, als ihre Eltern immer stärker auf ihre Hilfe angewiesen waren.
Die anderen beiden Töchter konnten in Großbritannien nichts für die Notleidenden tun. So oft sie konnten, schrieben sie Briefe, die über das Internationale Rote Kreuz nach Polen gelangten und immer die Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen zum Ausdruck brachten.
Auch der Kontakt, den einige Verwandte und Harburger Freunde – allen voran ihre Nachbarin Frieda Cordes – mit den Vertriebenen zunächst aufrecht erhielten, war für Erna Goldberg und ihre Eltern von unschätzbarer Bedeutung. Sie waren nicht nur für die materielle Hilfe, die sie in Form von Paketen empfingen, dankbar, sondern auch für die zahlreichen Briefe, die sie aus der alten Heimat erreichten. Einige der Briefe, in denen Else, Erna und Hermann Goldberg ihrer Harburger Freundin Frieda Cordes den Empfang der Pakete mit großem Dank bestätigten und gleichzeitig um weitere Hilfe baten, sind erhalten, weil die Harburgerin sie aufbewahrte. So bedankte sich Erna Goldberg im Frühjahr 1941 für die schnelle Zusendung dringend benötigter Stricknadeln.
Im Mai 1942 brach der Briefwechsel ab. Die Post hatte offenbar die Beförderung von Briefen an die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt eingestellt. Am 12. Mai 1942 suchte Else Goldberg in einem besorgten Brief an ihre Harburger Freundin vergeblich nach Erklärungen für diesen alarmierenden Zustand. Es war ihr letzter Brief.
Bereits im Winter 1941/42 war es in Tarnów zu ersten größeren "Polizeiaktionen" gekommen, bei denen jüdische Männer, Frauen und Kinder zusammengetrieben und ermordet wurden. Im Juni 1942 wurden mehr als 15000 Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt in das Vernichtungslager Beł˙zec deportiert. Die Zurückgebliebenen mussten in das neu errichtete Getto übersiedeln, das allerdings keinen langen Bestand hatte. Im September 1943 lösten die Machthaber den "jüdischen Wohnbezirk" Tarnóws ganz auf, die Bewohner wurden in andere Orte deportiert oder umgebracht. Hermann, Else und Erna Goldberg haben die Shoa ebenso wenig überlebt wie Hermann Goldbergs Schwester Anna. Wann und wie sie umgekommen sind, lässt sich nicht genau ermitteln.
Die Stolpersteine für Anna, Else, Erna und Hermann Goldberg wurden am 8. Mai 2003 im Beisein Henny Ekyns, geb. Goldberg, (†12.5.2006) in der Konsul-Renck-Straße verlegt. Die Patenschaft hatte Luisa Gluck, eine Schülerin des Heisenberg-Gymnasiums, übernommen, die für ihre Dokumentation "Nach uns könnte eine Generation kommen, die das Ganze nicht versteht. – Die Familie Goldberg aus Harburg 1933–1945" mit dem BERTINI-Preis 2002 ausgezeichnet wurde und an ihrer Schule und in Harburg mit großem Erfolg zu weiteren Patenschaften aufgerufen hatte.
© Klaus Möller
Quellen: 1; 2 (FVg 7277, FVg 5008, FVg 4875); 4; 5; 8; StaH, 351-11, AfW, Abl. 2008/1, 131178 Goldberg, Hermann, 160582 Goldberg, Elisabeth, 240310 Barsam, Reta, 260715 Ekyn, Henny; StaH, 430-5 Dienststelle Harburg, Ausschaltung jüdischer Geschäfte und Konsumvereine, 1810-08, Bl. 89ff.; Heyl (Hrsg.), Harburger Opfer; Heyl, Synagoge; Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Werkstatt der Erinnerung, Interviews mit Reta Barsam, geb. Goldberg, und Henny Ekyn, geb. Goldberg; Gluck, "Generation"; Lilla Mittler, Bericht über die Verfolgung und Ermordung der Juden in Tarnow, in: Kenkemann u. a. (Hrsg.), Kinder, S. 360ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".