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Johanna Gmur
Johanna Gmur
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Johanna Gmur * 1897

Bremer Straße 67 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
JOHANNA GMUR
JG. 1897
EINGEWIESEN 1933
HEILANSTALT LÜNEBURG
1937 ALSTERDORFER
ANSTALTEN
`VERLEGT´1943 HEILANSTALT
AM STEINHOF/WIEN
TOT 25.8.1945

Johanna Gmur, geb. am 11.4.1897 in Harburg, eingewiesen in die "Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg" am 11.7.1913, überwiesen in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 29.4.1937, "verlegt" in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") am 16.8.1943, Tod am 25.8.1945


Bremer Straße 67, Stadtteil Harburg-Altstadt

Johanna Gmur kam als drittes Kind des Arbeiters Joseph Gmur und seiner Ehefrau Anna Gmur, geb. Majhzack, zur Welt. Die Informationen über ihre Kindheit sind spärlich und lassen sich nur lückenhaft rekonstruieren. Johannas Vater starb im Alter von nur 32 Jahren an einem Herzschlag und ihre verwitwete Mutter wusste nicht, womit sie den Lebensunterhalt für sich und die Kinder bestreiten sollte. Vielleicht verbrachte sie deshalb mit ihren drei Kindern die nächsten Jahre in Posen. Wir wissen nicht, ob dort Verwandte oder Freunde lebten, die sie unterstützen konnten. Gesichert ist lediglich die Tatsache, dass Johanna Gmur in Posen eine katholische Schule besuchte und dass ihre beiden Geschwister – ein Bruder und eine Schwester – und eventuell auch ihre Mutter – in Posen offenbar für längere Zeit, wenn nicht sogar für immer, Fuß fassten.

Johanna Gmur verließ diese Stadt irgendwann wieder. Als Jugendliche wurde sie am 11. Juli 1913 als neue Patientin in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Sie litt unter Halluzinationen und sprach des Öfteren von unbekannten Personen, von denen sie sich verfolgt fühlte.

Offenbar auf Initiative der Lüneburger Ärzte, zumindest im Einvernehmen mit ihnen, ging sie im November 1922 bei einem Bauern in Addenstorf bei Bevensen im Landkreis Uelzen als Dienstmagd "in Stellung". Wie es scheint, erbrachte dieser Therapieversuch keinen Erfolg. Oft blieb Johanna Gmur auf dem Bauernhof morgens einfach im Bett liegen, statt ihren Pflichten als Dienstmagd nachzukommen. Auch an den Mahlzeiten fand sie keinen Gefallen.

Dies änderte sich auch nicht bei ihrer Rückkehr in das Lüneburger Krankenhaus, wo sie am 12. Juli 1923 sogar zwangsernährt werden musste, wie aus ihren Krankenakten zu ersehen ist. Nach den Aufzeichnungen des Personals wechselten ruhige Stunden, in denen sie mit sich selbst beschäftigt war, mit lauten Auftritten, in denen sie ihre Umwelt beschimpfte und verfluchte. Eine langsame Besserung war offenbar zu Beginn des Jahres 1924 zu erkennen, als ihre "Gemütsschwankungen" zurückgingen. Am 17. April 1924 wurde sie als "gebessert" entlassen.

Zwei Jahre später brachte sie in Celle ihre Tochter Gertrud als uneheliches Kind zur Welt. Der leibliche Vater des Mädchens war Friedrich Heitmann, der später - und vielleicht auch schon damals - mit seiner Familie in Harburg lebte. Wo Gertrud die nächste Zeit verbrachte, ist uns nicht bekannt.

Am 10. Januar 1928 wurde Johanna Gmur erneut in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg aufgenommen. Anfangs – so die Aufzeichnungen in den Akten – sei sie dort auffallend gefasst und ruhig gewesen, doch schon bald habe sich die Situation geändert. Urplötzlich sei sie, wenn keiner damit gerechnet habe, ausgerastet und habe in voller Lautstärke "auf alles und über jeden" geschimpft.

Nach ersten Anzeichen einer langsamen Beruhigung der Lage wurde Johanna Gmur auf Betreiben von Anna Heitmann am 17. November 1932 beurlaubt. Anna Heitmann war die Großmutter der kleinen Gertrud, die jetzt bei ihr in ihrer Wohnung in der Bremer Straße 67 lebte. Sie nahm nun auch Johanna Gmur auf.

Doch der Wunsch, dass Mutter und Tochter nach langer Trennung wieder zueinander fänden, ging nicht in Erfüllung. Am 1. Januar 1933 wurde Johanna Gmur wieder in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg eingewiesen. Hier verbrachte sie die nächsten Jahre ohne eine nennenswerte Veränderung ihres Befindens. Am 29. April 1937 wurde sie als "ungeheilt" den damaligen Alsterdorfer Anstalten übergeben.

Auch dieser Ortswechsel war für Johanna Gmur mit keiner Verbesserung ihrer Lage verbunden. Die Eintragungen in ihrer Krankenakte weisen eher darauf hin, dass ihre psychischen Probleme wuchsen. Die Aufzeichnungen besagen, dass sie oft den ganzen Tag herumgesessen und "niemanden und nichts an sich heran gelassen" habe. Von sich aus sei sie an keiner Beschäftigung interessiert gewesen. Nur mit viel Geduld sei es dem Pflegepersonal gelegentlich gelungen, sie zur Durchführung einfacher Arbeiten zu bewegen. Wenn sie dabei mit anderen zusammen arbeitete, habe stets die Gefahr bestanden, dass sie nach einiger Zeit plötzlich wieder "die Nerven verloren" habe. Dann – so das Personal - sei "niemand und nichts" vor ihr sicher gewesen. Wenn sie zu erregt gewesen sei, hätten die Betreuerinnen sie in eine Schutzjacke zu stecken müssen.

Solche negativen Eintragungen in der Krankenakte spielten den Vertretern der damaligen Alsterdorfer Anstalten in die Hände, als sie im Sommer 1943 unter dem fadenscheinigen Vorwand, dass die Alsterdorfer Anstalten wegen schwerer Bombenschäden nur noch bedingt funktionsfähig seien, die Erlaubnis einholten, besonders pflegeaufwändige Patientinnen und Patienten in andere Einrichtungen zu verlegen.

Johanna Gmur gehörte am 16. August 1943 zu den 228 Patientinnen, die "wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff" in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") abtransportiert wurden. Ausschlaggebend für die Auswahl der Betroffenen waren für SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch und Oberarzt Gerhard Kreyenberg in erster Linie negative Beurteilungen, die sie in den Krankenakten dieser Mädchen und Frauen fanden.

Von den 228 Frauen und Mädchen dieses Alsterdorfer Transports lebten Ende 1945 nur noch 32, denn im "Steinhof" regierte der Tod. Das Massensterben in dieser Einrichtung geschah systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch mangelhafte Zuwendung und durch die Nichtbehandlung von Krankheiten, aber vor allem durch Hunger.

Die absolut unzureichende Verpflegung hatte auch für Johanna Gmur fatale Folgen. Als sie am "Steinhof" ankam, wog sie noch 61 kg; eineinhalb Jahr später hatte sie fast die Hälfte dieses Gewichts verloren. Anfang Mai 1945 gehörte sie zu den wenigen Alsterdorfer Mädchen und Frauen, die noch lebten. Doch auch sie verstarb bald darauf an den Folgen des Hungers: dreieinhalb Monate später – am 25. August 1945 - erlosch auch ihr Lebenslicht für immer.

Ihre sterblichen Überreste wurden in einem Massengrab auf dem Wiener Südwest-Friedhof beigesetzt.

© Klaus Möller († 2024)

Quellen: Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie. Die Toten 1939 – 1945, Hamburg 2017; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, V344; 100 Jahre Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg. Niedersächsisches Landeskrankenhaus Lüneburg (Hrsg.), Lüneburg 2001; Harburger Adressbücher.

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