Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Rudolf Harms
Rudolf Harms
© Privat

Rudolf Harms * 1905

Gärtnerstraße 90 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
RUDOLF HARMS
JG. 1905
VERHAFTET 1933 UND 34
’HOCHVERRAT’
KZ FUHLSBÜTTEL
ERMORDET 29.10.1934

Rudolf Harms, geb. am 1.12.1905 in Altona, 9.8.1933 bis 9.3.1934 erst KZ Wittmoor, nach dessen Schließung KZ Fuhlsbüttel, erneut verhaftet 14. 10.1934, KZ Fuhlsbüttel, umgekommen am 29.10.1934

Gärtnerstraße 90

"Am 29.10.1934 bekam ich Bescheid, dass mein Mann verstorben sei (angeblich aufgehängt). Dieses glaube ich am aller­wenigsten, denn dieses wäre nicht mein’ Mann seine Art, da er viel zu jung und lebenslustig war und an seiner kleinen Ingrid hing." Das schrieb Rudolf Harms’ Witwe Helene Betkierowicz im November 1945 an das Komitee ehemaliger politischer Gefangener/Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Sie hatte damals eine eidesstattliche Erklärung über die Verfolgung ihres Mannes durch das NS-Regime abgegeben. Die "kleine Ingrid" war Helene und Rudolf Harms’ Tochter. 1932 geboren, hatte sie bereits als Kleinkind von zwei Jahren ihren Vater verloren. Helene Harms hatte 1944 erneut geheiratet und trug seither den Namen ihres zweiten Mannes, Betkie­rowicz.

Rudolf Harms stammte aus Altona, das in seinem Geburtsjahr 1905 noch zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörte. Seine Mutter Frieda war nicht verheiratet, als er geboren wurde, und er hatte drei Geschwister, darunter eine Schwester Erika. Er lernte Zimmermann und heiratete am 26. Juli 1930 Emilie Helene Hölzle, Tochter des Kellners Johann Karl Hölzle und dessen Frau Emilie Katharine Elise, geborene Albrecht. Auch Helene kam aus Altona, wo sie am 27.7.1907 geboren wor­den war. Für sie war die Zeremonie der Eheschließung offenbar so aufregend, dass der Standesbeamte im Heiratshauptregister vermerkte: "Die Braut konnte wegen starker Erregung nicht weiter schreiben." Gemeint war das abschließende Unterzeichnen der Heiratsurkunde durch die Eheleute und ihre Trauzeugen, in der Helene Harms’ Unterschrift fehlte.

Bei der Hochzeit war Helene Harms hochschwanger. Rund eine Woche später, am 2.8.1930, brachte sie in der Eimsbütteler Wiesenstraße 49, wo sie zusammen mit ihrem Mann wohnte, die Tochter Ingeborg Emma Marie zur Welt. Das kleine Mädchen starb jedoch bereits sieben Monate später, am 12. März 1931, im damaligen Vereinshospital am Schlump 85. Fast genau ein Jahr darauf, am 11.3.1932, wurde im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf Helene und Rudolf Harms’ zweite Tochter geboren, Ingrid. Damals war Rudolf Harms bereits seit Längerem politisch aktiv. Er gehörte zur Leitung der KPD-nahen Hilfsorganisation für politische Gefangene "Rote Hilfe Deutschlands". Außerdem war er Mitglied der KPD und soll, so sein politischer Weggefährte Otto Meikert, schon vor dem Verbot der Partei 1933 durch die Nationalsozialisten seiner politischen Überzeugung wegen mehrfach verhaftet worden sein. Belegt sind eine Gefängnisstrafe 1926 in Lüneburg sowie eine 15-tägige Haft vom 8. bis 23. Februar 1930 in Fuhlsbüttel, beide Male wegen Körperverletzung. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten inhaftierte man ihn am 9. August 1933 im KZ Wittmoor in Glashütte (heute Teil von Norderstedt). Es war eines der frühen Konzentrationslager und bestand von April bis Oktober 1933. Seine Haftstrafe dauerte bis zum 9. März 1934. Nach Schließung des KZ Wittmoor wurde er wie die anderen Gefangenen auch nach Fuhlsbüttel verlegt. Sieben Monate später, am 14. Oktober 1934, verhaftete die Gestapo ihn erneut, und zwar, so Helene Harms, mittags um 12 Uhr im Harvestehuder Park an der Alster. Zwei Wochen später, am 29. Oktober, erhielt sie den Anruf über seinen angeblichen Selbst­ord. Laut Meldung der Polizeibehörde beim zuständigen Standesamt war Rudolf Harms morgens früh um zehn Minuten nach Acht "tot aufgefunden" worden.

"Ich habe bei dem Begräbnis darum gebeten, meinen Mann noch einmal zu sehen", äußerte sich Helene Betkierowicz später. "Leider wurde es mir abgelehnt, es wurde nur kurz gesagt, ,Ihr Mann wird jetzt verbrannt‘. Ich stand unter Gestapo- und polizeilicher Aufsicht, sodass ich nicht so handeln konnte, wie ich hätte mögen." Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie auch selbst unter der Brutalität der Gestapo zu leiden. Gestapo-Männer führten sie aus ihrer Wohnung zum Verhör ab, nicht ohne die Wohnung zuvor komplett auseinandergenommen zu haben. Sie "schlugen mir die Grammophonplatten auf dem Kopf entzwei, da es ja KPD-Platten waren", schrieb Helene Betkierowicz, "[und] mein Geld, welches ich zur Miete zurückgelegt hatte, da mein Mann ja Unterstützung bezog, haben sie in Beschlag genommen, da sie der Meinung waren, es sei kassiertes Geld von der Roten Hilfe, und dieses haben sie ein ganzes Jahr gemacht. Kam ich mit irgendeinem Antrag, es mochte sein, was es wollte, es wurde alles abgelehnt, sogar die Winterhilfe, eben weil mein Mann politisch gestorben war."

Helene Betkierowicz wurde nicht alt. Sie starb am 17. November 1946 in ihrer Wohnung in Wilhelmsburg an akutem Herzstillstand infolge eines Herzklappenfehlers.

Ihre Tochter Ingrid hatte noch versucht, einen Arzt zu holen, doch als sie zurückkam, war die Mutter tot. Damit war Ingrid mit 14 Jahren Vollwaise und auf sich allein gestellt. Nach ihren Worten kümmerte sich niemand ihrer Verwandten um sie, es gab nur einen gesetzlichen Vormund. Die Schlesische Dampfer-Compagnie – Berliner Lloyd AG mit Hauptsitz in Hamburg bot dem jungen Mädchen Ende 1947 eine kaufmännische Ausbildung an. Zusätzlich übernahm das Unternehmen eine Patenschaft für sie und unterstützte sie finanziell.

Mit 18 Jahren heiratete Ingrid Harms im November 1950 im Standesamt Hamburg-Wilhelmsburg den drei Jahre älteren Arbeiter Florian Gerstmayer aus Augsburg. Da war sie bereits schwanger, am 30. März 1951 wurde die gemeinsame Tochter Sonja geboren. Zwei Jahre später brachte sie noch einen Jungen zur Welt, er starb jedoch schon während oder gleich nach der Geburt an einem Herzfehler. In zweiter Ehe bekam sie noch drei Kinder, Thomas (geb. 1955), Martina (geb. 1959) und Melanie (geb. 1972). Bedingt durch ihre schwierigen persönlichen Lebensumstände stellte Ingrid Eggert, wie sie seit 1955 hieß, erst 1964 einen Antrag auf Wiedergutmachung für die Schäden, die sie selbst durch die Inhaftierung ihres Vaters erlitten hatte. Die Antragsfrist war jedoch 1958 abgelaufen. Ihr Einwand, nichts von der Möglichkeit gewusst zu haben, eine Entschädigung beantragen zu können, wurde abgelehnt, denn sie hätte nicht "alles Zumutbare" getan, "um sich Aufklärung zu verschaffen".

Der Stolperstein für Rudolf Harms liegt vor dem Gebäude Gärtnerstraße 90; die im Sterberegistereintrag genannte Adresse lautete vollständig Gärtnerstraße 90, Haus 8. Die Hinterhäuser der Gärtnerstraße 90 hatten damals allerdings die Adresse Düppelstraße 8/12; eine Straße dieses Namens gibt es in der Lage heute nicht mehr.

© Frauke Steinhäuser

Quellen: StaH 213-9 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Strafsachen, bisher unverzeichnetes Verfahrensregister OJs aus 1935, Verfahren OJs 108/35-39; StaH 332-5 Standesämter 13294 u. 432/1930; ebd., 9867 u. 152/1934; ebd., 12184 u. 523/1946; ebd., 81 u. 133/1931; StaH 351-11 50018, Eggert, Ingrid, geb. Harms; Telefon- und E-Mail-Kontakt mit Sonja Pöhland, geb. Gerstmayer, sowie mit Marina Kolb, geb. Eggert, im Juli 2012; Diercks, Gedenkbuch "Kola-Fu"; Komitee ehemaliger politischer Gefangener/Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Akte zu Ingrid Harms, Auszüge daraus per E-Mail am 23.5.2012 von Herbert Diercks, KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter; Drobisch/Wieland, NS-Konzentrationslager.

druckansicht  / Seitenanfang