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Lola Hartkäse (geborene Moses) * 1896

Wandsbeker Marktstraße Ecke Hammer Straße (Wandsbek, Wandsbek)


HIER WOHNTE
LOLA HARTKÄSE
GEB. MOSES
JG. 1896
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
1944 AUSCHWITZ
ERMORDET

Lola Hartkäse, geb. Levin-Moses, geb. 10.5.1896 in Flensburg, deportiert am 9.6.1943 nach Theresienstadt, weiter deportiert am 15.5.1944 nach Auschwitz

Lola Hartkäse wurde von Gestapo-Kommissar Ferdinand Amberger zum 29. März 1943 vorgeladen und hielt den Inhalt des Gesprächs schriftlich für ihren Rechtsbeistand fest. "Ich soll die Scheidung veranlassen, denn jetzt käme ich noch irgendwo hin, wo es erträglich wäre, aber wohin ich später einmal verschickt würde, das wüsste man ja nicht. Als ich sagte, vielleicht wäre doch der Krieg bis Oktober zuende, sodass ich ins Ausland gehen könnte, wohin ich wollte, da sagte er, in welchem Jahr Oktober ich das meine, der Krieg wäre noch lange nicht zuende, der dauerte noch lange. Ich ließ mich nicht beeinflussen und blieb dabei – ich könnte mir doch nicht mein Grab schaufeln, i c h könnte doch nicht die Scheidung verlangen. Er sagte noch ein paar mal, er könnte ja keinen Druck auf mich ausüben usw. Dann wurde ich entlassen." Zwei Monate später, am 25. Mai 1943, wurde die Ehe von Lola und Bruno Hartkäse in nichtöffentlicher Sitzung der Zivilkammer 11b des Landgerichts Hamburg aufgehoben. Bevor das Urteil am 10. Juni 1943 rechtskräftig wurde, war Lola Hartkäse bereits nach Theresienstadt deportiert worden.

Lola Hartkäse war das zweitjüngste der zehn Kinder des Restaurateurs Levin-Moses und seiner Ehefrau Anna, geb. Lehmann. "Levin-Moses" als alleiniger Name des Vaters im Geburtsregister führte zu Irritationen, die mit Beschluss des Königlichen Amtsgerichts zu Flensburg vom 21. November 1912 beendet wurden: Moses sei der Familien-, Levin der Vorname des Vaters. Der Vater benutzte als Vornamen zudem Leopold. Er betrieb zum Zeitpunkt von Lolas Geburt als Gastronom das "Tivoli" in Flensburg.

Levin-Moses stammte aus Friedrichstadt an der Eider, wo er (am 24.2.) 1855 zur Welt kam, Anna Lehmann wurde (am 4.4.) 1856 im damaligen Inowrazlaw bei Bromberg, dem späteren Hohensalza, geboren. Sie heirateten (am 8.7.) 1882 in Fleckeby und verbrachten ihr gesamtes gemeinsames Leben in Flensburg. Von Beruf wurde Levin-Moses Kaufmann und arbeitete als solcher auch als Gastwirt und als Makler. Die Kinder waren Hermann (2.2.1884), Erna (13.6.1885), Lilli (11.2.1888), Vally (6.3.1889), Marga (8.7.1890), Leonhard (24.1.1892), Hertha (9.8.1893), Edgar (20.1.1895), Lola (10.5.1896) und Luise (24.1.1898). Einige Familienmitglieder behielten den Familiennamen Levin-Moses bei, so auch Lola.

Nach dem Tod von Leopold Levin-Moses am 20. Februar 1909, vier Tage vor seinem 54. Geburtstag, übersiedelte seine Witwe mit Lilli, Lola und Luise nach Hamburg. Sie bezog am 1. April 1909 in der Fruchtallee 32 in Eimsbüttel eine große Wohnung und bestritt durch die Vermietung von Zimmern ihren Lebensunterhalt. Lilli wohnte als "Kinderfräulein" jeweils für begrenzte Zeit bei ihren Arbeitgebern, Lola arbeitete als Kontoristin im Israelitischen Mädchen-Waisenhaus des Paulinenstifts und wohnte auch dort. Luise, die Jüngste, besuchte das Paulinenstift als Schülerin. Zwischen Mai 1912 und Juni 1916 lebte Lola mal bei ihren Schwestern Lilli und Erna, mal bei der Mutter, mal im Mädchenheim am Grindelberg 42, dann ging sie für die nächsten zwei Jahre nach Cuxhaven. Nach ihrer Rückkehr kam sie zunächst bei ihrer Mutter, die inzwischen in das Rée-Stift in der Schedestraße in Eppendorf umgezogen war, unter, danach wieder bei ihren Schwestern. Der Zusammenhalt der Geschwister lockerte sich durch Heiraten und Wegzug. Marga heiratete im September 1915 einen Christen (Rudolf Katzung), Vally zog 1917 in die Niederlande und heiratete in Den Haag, der älteste Bruder, Hermann, ließ sich in Breslau nieder.

Am 5. Dezember 1918 zog Lola Levin-Moses bei ihrer Schwester Lilli ein, die seit ihrer Heirat mit Julius Mayer im Jahr 1911 in der Auenstraße 5a in Eilbek wohnte. 1912 hatte Lola schon einmal dort gewohnt, nun war die Situation eine andere: Lilli war verwitwet. Julius Mayer war im November 1918 gestorben, und sie hatte allein für ihren noch nicht schulpflichtigen Sohn zu sorgen.

Welchen Tätigkeiten Lola nachging, ist nicht bekannt. Sie heiratete am 27. März 1920 den Brothändler und späteren Bäckermeister Bruno Hartkäse, geb. 4. November 1891 in Großleinungen im Mansfelder Gebirgskreis. Seine Eltern, Friedrich Hartkäse und Lina, geb. Volkmann, waren keine Juden und betrieben in Großleinungen Landwirtschaft. Bruno Hartkäse war mit 20 Jahren in die Kaiserliche Marine eingetreten und im Dezember 1918 als Bootsmannsmaat entlassen worden. Am 2. Januar 1920 hatte er ein Gewerbe als "Händler mit Back-, Zucker-, Kolonial-, Spielwaren, Holz, Bier und Mineralwasser mit der Geschäftsadresse Hasselbrookstraße 76 und der Wohnadresse Auenstraße 5 a angemeldet. Später wurde der Betrieb in die Wandsbeker Marktstraße 4 verlegt. Wann das war, ist nicht zu ermitteln. Im Jahr von Lolas Heirat starb die jüngste Schwester, Luise.

1922/23 wohnte Brunos Hartkäses jüngerer Bruder Bernhard 18 Monate lang ebenfalls in der Hasselbrookstraße 76, bis er nach Altona verzog. Ein anderer Bruder, Otto, der in Duisburg lebte, hielt sich während seiner Militärzeit vorübergehend in Hamburg auf.

1929 starb Anna Moses im Alter von 73 Jahren im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf. Lolas jüngster Bruder Edgar Levin lebte ebenfalls in Hamburg (s. Stolperstein-Broschüre Hamburg-St. Georg) und blieb trotz seiner "Mischehe" Mitglied der jüdischen Gemeinde. Es gelang ihm nicht, beruflich Fuß zu fassen, und seine Ehe scheiterte. 1938 wurde er wegen "Rassenschande" verhaftet und 1939 über die Strafanstalt Glasmoor bei Norderstedt in das KZ Sachsenhausen eingewiesen, wo er noch vor Jahresende, am 24. November 1939, starb.

Erst 1938 findet sich wieder eine Spur von Lola Hartkäse. Sie betrieb ihre Emigration nach Den Haag in Holland, wo ihre Schwester lebte. Mit Datum vom 12. Dezember 1938 erteilte ihr der Oberfinanzpräsident die Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Auswanderung. Die Gründe für ihr Bleiben sind nicht bekannt.

Bruno Hartkäse übernahm vermutlich Ende 1938 die Bäckerei H. Hintze in der Hamburger Straße 20 in Wandsbek (heute: Wandsbeker Marktstraße), Lola erledigte die Kontorarbeit. Sie machten außerdem eine Filiale in der Bürgerweide in Borgfelde auf. Insgesamt arbeiteten zwölf "Gefolgschaftsmitglieder" in ihrem Betrieb. Wohnung und Arbeitsplatz waren in der Hamburger Straße nicht getrennt, auch wohnte zumindest die erste Verkäuferin bei ihnen.
Bei der Volkszählung im Mai 1939 wurden Lola und Bruno Hartkäse "abstammungsmäßig" mit JJJJ, also als "Volljuden" eingetragen, zugleich aber als Nichtjuden eingeordnet. In der sog. Residentenliste von jüdischen Personen, die in Hamburg lebten, ist Bruno Hartkäse ebenfalls als Jude vermerkt. Dieser Sachverhalt ließ sich nicht aufklären. Während Lolas Schwester Lilli 1939 zwangsweise dem jüdischen Religionsverband beitrat, findet sich kein entsprechender Beleg für Lola.

Obwohl 48 Jahre alt, wurde Bruno Hartkäse Anfang September 1939 als Hilfspolizist einberufen und in Oberschlesien und Polen eingesetzt. Er fand in Georg Haase, einem engen Gesinnungsgenossen des Begründers der NSDAP in Hamburg, Karl Teichelmann, einen Fürsprecher für seine Entlassung oder zumindest für eine Versetzung nach Hamburg. Haase führte in seinem Gesuch an den Polizeipräsidenten ethische, gesundheitliche und wirtschaftliche Gründe an und folgerte: "Bei unbefangener Prüfung dieser Tatsachen muss ein besonderer Grund vorliegen für diesen rücksichtslosen Umgang mit Bruno Hartkäse: Er ist verheiratet mit einer nichtarischen Frau." Dem hielt er entgegen, dass "bei seiner Heirat 1920 andere Gesetze und Ansichten galten als heute" und dass das auch noch bei der Verabschiedung der Nürnberger Rassegesetze 1935 so war. Bruno Hartkäse kehrte zu seinem Geschäft zurück und blieb bei seiner Frau, der er mehrfach versicherte, sich nicht scheiden zu lassen.

Es waren keine politischen oder wirtschaftlichen, sondern persönliche Gründe, die Bruno Hartkäse 1940 dann doch die Ehescheidung anstreben ließen. Er hatte ein Verhältnis mit der ersten Verkäuferin seines Betriebs. Lola tolerierte nicht, dass sie weiter bei ihnen wohnte, setzte sich aber mit ihrer Forderung nach deren Auszug nicht durch. Bruno Hartkäses Anwalt (Dr. Cronewitz) beantragte, "die Ehe der Parteien zu scheiden und die Beklagte für den alleinschuldigen Teil zu erklären". Die Gründe, die er anführte, wurden von Lola Hartkäses Rechtsbeistand, dem Konsulenten Dr. Alexander Bachur, leicht widerlegt. Ende Januar 1941 endete die Verhandlung eines Sühneversuchs mit der Abweisung der Klage. Zur Begründung hieß es, die Tatsache, dass Lola Hartkäse Jüdin sei, sei kein hinreichender Scheidungsgrund.

Bruno und Lola Hartkäse einigten sich auf eine Trennung und das Ruhenlassen der Angelegenheit bis nach Kriegsende, zumindest bis zum Ablauf der dreijährigen Trennungsfrist im Oktober 1943, die nach damaligem Recht eine Voraussetzung für eine Scheidung war. Damit war der Forderung der Deutschen Arbeitsfront (DAF), dass sich Lola Hartkäse räumlich vom Betrieb fernhalte, entsprochen. Bruno Hartkäse zahlte Unterhalt, die Wohnungseinrichtung wurde aufgeteilt, Lola Hartkäse zog zunächst innerhalb Wandsbeks um und nahm sich dann in Schnelsen eine Wohnung. Die beiden blieben in wöchentlichem Kontakt.

Anfang Dezember 1941 wurde Lolas Schwester Lilli nach Riga deportiert, ein für die Schwester Marga Katzung wie für ihren Schwager Bruno Hartkäse einschneidendes Ereignis. In dieser Situation versprach er seiner Frau Lola wie schon mehrfach zuvor, dass er sich nicht scheiden lassen wolle, um sie nicht demselben Schicksal auszusetzen. Ein Jahr später, im Dezember 1942, behauptete er, "von allen Behörden" aufgefordert worden zu sein, sich scheiden zu lassen. Lola hielt ihm entgegen, dass sich die DAF wie die Handwerkskammer für den Betrieb interessierten, nicht für die Ehe, und dass er doch wisse, "was in heutiger Zeit eine Scheidung für mich bedeute". Bruno Hartkäse bat daraufhin seine Frau lediglich, der Öffentlichkeit gegenüber zu vertreten, dass er wieder verheiratet sei.

Dann kam es zu der eingangs angeführten Besprechung bei Gestapo-Kommissar Amberger im März 1943, in der Lola Hartkäse eröffnet wurde, dass ihr Mann heiraten müsse, da "die Betreffende in Umständen sei". Sie endete mit ihrer Bitte, die Scheidung bis zum Oktober aufzuschieben.

Mitte April beantragte Bruno Hartkäses Anwalt (Dr. Cronewitz) im Auftrag seines Mandanten beim Landgericht die Aufhebung der Ehe und, wie schon zuvor, die Scheidung, wobei Lola Hartkäse als alleinschuldig erklärt werden sollte. Da Lola Hartkäses Rechtsbeistand, Dr. Alexander Bachur, im Oktober 1941 nach Lodz deportiert worden war, vertrat nun Dr. Ernst Kaufmann ihren Fall. Er musste sich zunächst mit dem Fall vertraut machen, so dass die für Anfang Mai geplante Verhandlung auf den 25. Mai 1943 verschoben wurde.

Das Gericht entschied, dass die Aufhebung der Ehe berechtigt sei, weil sich Bruno Hartkäse bei seiner Heirat im Jahr 1920 über eine wesentliche Eigenschaft der Person der Beklagten geirrt habe – gemeint waren die "Auswirkungen, die das Judentum seiner Frau gerade in den letzten Jahren genommen hat". Damit vertrat es eine Auffassung, die der 3 1/2 Jahre zuvor von Georg Haase vertretenen diametral entgegen gesetzt war. Bruno Hartkäse wolle und könne nun eine "volkspolitisch wertvolle Ehe" schließen. Das Urteil sollte am 10. Juni Rechtskraft erlangen. Lola Hartkäse fügte sich dem Urteil des Gerichts, ihr Rechtsbeistand verzichtete darauf, Rechtsmittel einzulegen.

Zwei Tage nach der Urteilsverkündung schrieb Ernst Kaufmann "mit freundlichem Gruß" an Lola Hartkäse: "Ich kann ihnen mitteilen, dass der Transport vom 2. Juni auf den 9. Juni verschoben ist. Sie brauchen sich also mit Ihren Reisevorbereitungen nicht allzu sehr zu beeilen." Er wusste, wovon er sprach, denn er wurde zum selben Transport aufgerufen, und er hatte nichts mehr zu verlieren, so dass er "freundlich grüßen" konnte.

Lola Hartkäse lebte fast ein Jahr im Getto von Theresienstadt, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde, Ernst Kaufmann folgte im Oktober 1944. Beider Spuren verlieren sich dort.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH, 314-15 OFP, FVg 3800; 332-5 Standesämter, 6578-164/1920; 9839-112/1929; 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2, Band 5; 621-1/82, 12, 32; Stadtarchiv Flensburg, Geburtsregister; Melderegister; Mündliche Mitteilungen von Christiane Katzung; Philipsen, Bernd, Der Weg nach Auschwitz begann auch in Flensburg, in: Goldberg, Bettina, Juden in Flensburg, Flensburg 2006.

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