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Grabstätte der histologischen Präparate auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, Grablage: Bo 73, Nr. 155
Grabstätte der histologischen Präparate auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, Grablage: Bo 73, Nr. 155
© Privatbesitz

Marianne Harms * 1940

Langenhorner Chaussee 560 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


ERMORDET IN DER
"KINDERFACHABTEILUNG"
DER HEIL- UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN

MARIANNE HARMS
GEB. 30.4.1940
ERMORDET 19.11.1941




Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 560:
Gerda Behrmann, Uwe Diekwisch, Peter Evers, Elke Gosch, Claus Grimm, Werner Hammerich, Hillene Hellmers, Helga Heuer, Waltraud Imbach, Inge Kersebaum, Hella Körper, Dieter Kullak, Helga Liebschner, Theo Lorenzen, Jutta Müller, Ingrid Neuhaus, Traudel Passburg, Edda Purwin, Angela Quast, Erwin Sänger, Hermann Scheel, Gottfried Simon, Monika Ziemer

Marianne Harms, geb. am 30.4.1940 in Bardowick, getötet am 19.11.1941 in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"

Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Henny-Schütz-Allee, Gedenkort Haus 25, Einfahrt Langenhorner Chaussee 560

Marianne Harms kam am 30. April 1940 in Bardowick im Landkreis Lüneburg zur Welt. Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Sie war die Tochter von Elfriede Irmgard, geb. Meyer, und dem Landwirt Hermann Harms und wurde evangelisch-lutherisch getauft. Zunächst lebte sie mit ihren Eltern und den zwei älteren Geschwistern in Bardowick. Vier Monate lang wurde sie von ihrer Mutter gestillt.

Als Marianne sechs Wochen alt war, wurden bei der Mütterberatungsstelle Symptome eines Wasserkopfs bemerkt. Nach einer Behandlung mit Tropfen, die keine Wirkung zeigten, wurde sie von ihrer Mutter am 2. September 1940 in das Universitätskrankenhaus Eppendorf gebracht. Dort blieb sie drei Monate und erkrankte währenddessen an einer Gehirnhautentzündung. Danach konnte Marianne nicht mehr nach vorgehaltenen Gegenständen greifen, ihre Mutter nahm an, dass sie blind geworden sei. Marianne konnte nicht sitzen und sprechen, sie war still.

Mit einem Attest vom Staatlichen Gesundheitsamt Lüneburg wurde Marianne im Alter von einem Jahr und fünf Monaten am 8. Oktober 1941 in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" eingeliefert. Dr. Friedrich Knigge nahm sie in die Abteilung M 10 mit der Diagnose "Hydrocephalus internus" (Wasserkopf, eine krankhafte Erweiterung der mit Liquor [Nervenwasser] gefüllten Flüssigkeitsräume des Gehirns [Hirnventrikel]) und "Opticusatrophie" (Degeneration der Sehnervenfasern) auf. Drei Wochen später wurde sie am 26. Oktober 1941 noch einmal in die Universitätsklinik Eppendorf zur augenärztlichen Untersuchung gebracht. Dort wurde eine vollständige Erblindung festgestellt.

Drei Wochen später protokollierte Friedrich Knigge, drei Tage vor Mariannes Tod, ihren körperlichen Zustand mit ansteigendem Fieber, "Jammern" und Hautveränderungen. "Die Nacht hat es so weggelegen" gab er für die letzten Stunden vor ihrem Tod an. Am 19. November 1941 verstarb Marianne in der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" um 8:00 Uhr. In dem Protokoll und der Todesbescheinigung gab Knigge als Todesursache an: "Hydrocephalus, Beiderseitige Amaurose [vollständige Erblindung], Bronchopneunomie [Lungenentzündung]".

Knigge tötete mit Luminal-Injektionen, einem Schlafmittel. Fieber und eine Lungenentzündung waren die Folge; die Kinder erlitten einen langsamen und qualvollen Tod. In den meisten Todesbescheinigungen, wie auch bei Marianne, deutet der Zusatz "Bronchopneumonie" auf diese Tötung hin.

Marianne wurde 1 Jahr, 6 Monate, 2 Wochen und 6 Tage alt. Der Ort ihrer Beisetzung ist nicht bekannt.

Nach dem Krieg äußerte sich Knigge zu den erhobenen Beschuldigungen wegen Mordes bzw. Sterbehilfe in der "Kinderstation" des Krankenhauses Langenhorn. In einem Schreiben vom 13. Juni 1945 an die Kriminalpolizei über Prof. Rudolf Degkwitz, Leitender Beamter der Hamburger Gesundheitsbehörde, gab er lediglich Sterbehilfe bei zehn bis elf "geisteskranken und mißgestalteten" Kindern zu, die er durch die Anordnung des "Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden"für gerechtfertigt hielt. Den Namen von Marianne Harms verschwieg er.

Der Mediziner Marc Burlon machte im Jahre 2006 eine erschreckende Entdeckung. Im Keller des Universitätskrankenhauses Eppendorf, in der neuropathologischen Sammlung, fand er die histologischen Präparate von Marianne Harms zusammen mit denen der Kinder Gerda Behrmann, Werner Hammerich und Dieter Kullak, Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", und Agnes Erna Petersen (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen in der "Kinderfachabteilung" des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort.

Am 15. September 2012 wurden diese im Rahmen einer öffentlichen Trauerfeier zusammen auf dem Friedhof Ohlsdorf, dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, bestattet, Grablage Bo 73, Nr. 155.

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: StaH, 332-5 Standesämter, Sterbefallsammelakten, 64155 u. 670/1941 Marianne Harms; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 9926 u. 670/1941 Marianne Harms; StaH, 352-5 Standesämter, Todesbescheinigungen, 1941 Sta 1b Nr. 670 Marianne Harms; StaH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01 Nr. 28 Akte 29086; Standesamt Bardowiek, Geburtsregister, Nr. 31/1940 Marianne Harms; Hildegard Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011, S. 204 (Agnes Petersen).

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